Klimakrise trifft auf Rüstungswahnsinn: Die doppelte Bedrohung

2024 mit Lupe als Null, darin: UNO-Flagge und Thermometer

Welt vor zwei Katastrophen. Klimakrise eskaliert, atomare Bedrohung wächst. Noch nie war die Menschheit so nah an ihrer Auslöschung. (Teil 2)

Der INF-Vertrag zwischen den USA und Russland ist gekündigt, obwohl er auf unbeschränkte Dauer geschlossen wurde. Gekündigt sind auch die Verträge der beiden Staaten über die Begrenzung der Raketenabwehr (ABM) und über den "Offenen Himmel" (Open Skies).

Der New-Start-Vertrag über die strategischen Atom-Potentiale ist außer Kraft gesetzt, der umfassende Atomteststoppvertrag (CTBT) ist noch nicht in Kraft getreten. Rüstungskontrollverhandlungen sind ausgesetzt und finden zwischen den Atomwaffenstaaten aktuell nicht statt.

Ob bei der aktuell schwierigen Weltlage überhaupt eine realistische Chance besteht, die Atommächte USA, Russland und auch China zu Rüstungskontrollverhandlungen zu bewegen, muss bezweifelt werden.

Die Praxis zeigt darüber hinaus, dass sich konkurrierende Führungsmächte oft nicht an Vereinbarungen halten, die sie vertraglich unterzeichnet haben und zu deren Einhaltung sie völkerrechtlich verpflichtet wären. Die UN-Charta ist dafür ein trauriges Beispiel.

Trotz aller Fehlschläge gilt es, die Vereinten Nationen in ihrem Bemühen zu stärken, Krisenprävention, Verständigung und Kooperation als geopolitisches Regulativ anzuwenden.

Folgende Handlungsoptionen bestünden, um die aktuelle Krisenlage der Rüstungskontrolle zu überwinden:

1. Deeskalation mit dem Ziel, einen unmittelbaren Ersteinsatz von Atomwaffen zu verhindern. Dabei gilt es, die schon vorhandenen, Gesprächskanäle zwischen den Generalstäben der USA und Russlands zu nutzen.

2. Russland Verhandlungsangebote zu offerieren, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten und bei einer Gesprächsbereitschaft Russlands den aufgekündigten INF-Vertrag wieder neu zu verhandeln.

Der Atomwaffensperrvertrag fordert Abrüstung

Der Vertrag trat 1970 in Kraft und regelt die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Gründerstaaten waren die USA, die Sowjetunion und Großbritannien. 1992 kamen China und Frankreich hinzu. Derzeit haben 193 Staaten den Vertrag unterzeichnet.

Die Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan, Israel und Nord Korea (einseitiger Rücktritt 2003) gehören dem Vertrag nicht (mehr) an. Der Vertrag verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, über die vollständige Abschaffung ihrer Atomwaffen zu verhandeln. Im Gegenzug verzichten die Unterzeichnerstaaten, die nicht im Besitz von Atomwaffen sind, auf deren Erwerb.

Der Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen (AVV)

Der Vertrag trat am 22.01.2021 in Kraft. Inzwischen haben ihn weltweit 70 Staaten ratifiziert. Der Vertrag untersagt allen Unterzeichnerstaaten, Atomwaffen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern und zu testen. Auch die Weiterverbreitung von Atomtechnologie ist verboten. Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen schließen sich damit aus.

Der Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen weist den Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Biologische Waffen sind seit 1975, chemische Waffen seit 1997 völkerrechtlich verboten. Das gilt nun endlich auch für Atomwaffen. Der Verbotsvertrag wird in den kommenden Jahren immer mehr an Gewicht gewinnen und weltweit Staaten zur Unterzeichnung veranlassen.

Diese Entwicklung wird sich auch nicht über Einflussname der Atomwaffenstaaten aufhalten lassen. Vielmehr wird der Druck auf diese wachsen, endlich die im Atomwaffensperrvertrag eingegangenen Verpflichtungen einzulösen.

Klimakrise und deren Folgen

Die wissenschaftliche Datenlage zum Klimawandel ist umfänglich und gilt als gesichert. Die Erwärmung der Atmosphäre, Wasser- und Nahrungsmangel, Anstieg des Meeresspiegels, Natur- und Hungerkatastrophen und das Artensterben sind die gravierendsten Folgen des weltweiten Klimawandels. Besonders davon betroffen sind Länder aus den Ländern des Südens.

Verantwortlich dafür sind vor allem die Industrieländer des Nordens, deren extensive Wirtschafts- und Produktionsweise in Verbindung mit der Externalisierung ihrer Umweltschäden zum Klimawandel beigetragen haben.

Militär, Rüstung und Kriegsfolgen fehlen in der Umweltbilanz

Der Militärisch-Industrielle Komplex und seine Auswirkungen auf das Klima fanden bisher wenig Berücksichtigung. Kriege und globale Rüstungsausgaben von derzeit über zwei Billionen US-Dollar sind ein Treiber des Klimawandels.

Der CO2-Ausstoß des Militärs ist für rund 5,5 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Zu diesem Ergebnis kommt die von den "Scientists for Global Responsibility" und dem "Conflict and Environmental Observatory" veröffentlichte Studie "Estimating the Military Global Greenhouse Gas Emissions".1

Konflikte und Kriege bleiben aufgrund unzureichender Daten in der Klimabilanz unberücksichtigt. Dies bedeutet, dass direkte Auswirkungen der Kriegsführung, wie Brände in Öldepots und Wäldern, Schäden an Infrastrukturen und Ökosystemen sowie Wiederaufbau und Gesundheitsversorgung für Überlebende, überhaupt nicht berücksichtigt wurden.

Dementsprechend ist davon auszugehen, dass es sich bei den ermittelten 5,5 Prozent um eine sehr konservative Schätzung handelt. Auf Druck der USA wurden die CO2-Emissionen des Militärs aus den Klimaabkommen des Kyoto-Protokolls von 1997 und dem Pariser Klimaabkommen von 2015 ausgenommen.

Wechselwirkung zwischen Klimawandel, Konflikten und Kriegen

Der Klimawandel befördert Konflikte, die auf Umweltveränderungen zurückzuführen sind. Die fortschreitende Wasserknappheit und der beanspruchte Zugriff auf Quellen, Flüsse und Talsperren führen zu Konflikten, die in Kriege eskalieren können. Dieses Szenario ist besonders in Ländern des Südens sehr realistisch.

"Der Klimawandel verstärkt bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten und andere wirtschaftliche, soziale und politische Risikofaktoren, die sich negativ auf die Fähigkeiten von Gesellschaften und Akteuren auswirken, gewaltsame Konflikte sowohl zu vermeiden als auch sie zu schlichten", so Andrea Steinke vom "Centre for Humanitarian Action" in Berlin.2

Konflikte und Kriege lösen Fluchtbewegungen von Millionen Menschen aus, die in Hunger und Elend zu überleben versuchen. In 2022 seien in Folge des Klimawandels und daraus resultierender Konflikte bis zu 100 Millionen Menschen vertrieben worden, so die Forscherin. Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit.

Die ungleiche Verteilung von Lebenschancen zwischen Staaten des Südens und des Nordens ist Ursache von Spannungen und gewaltsamen Konflikten. Ungleiche Handelsströme und Protektionismus sind die Indizien einer schwelenden Strukturkrise der heutigen Weltwirtschaft. Der Abbau des Handelsprotektionismus mit dem Ziel einer auf Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit bauenden Wirtschaftsordnung mit den Ländern des Südens wäre dringend notwendig.

Nicht eine Kopie grenzenloser Industrialisierung sondern eine Entwicklung, die Nachhaltigkeit fördert und im Einklang mit der Umwelt die Industrie und die regionale Landwirtschaft gleichermaßen fördert, ist ein zentrales Ziel des "UN Environment Programmes". Diese Transformation schließt natürlich die Industrieländer des Nordens mit ein

Weltklimakonferenz in Baku

Vom 11. bis 22. November 2024 fand die 29. UN-Klimakonferenz (COP29) in Baku, Aserbaidschan statt, an der bis zu 40 000 Delegierte aus allen Weltregionen teilnahmen, darunter ca. 500 internationale NGOs, aber auch knapp 2.000 mächtige Lobbyisten der internationalen Kohle-, Gas- und Ölindustrie.

Düstere Wolken sind auch nach der Wiederwahl von Donald Trump im Anflug. Klimaexperten rechnen damit, dass Trump das Pariser Klimaabkommen von 2015 wieder aufkündigen und die Förderung und Nutzung fossiler Energie in den USA ankurbeln wird.

Der Klimaexperte Mojib Latif vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel geht davon aus, dass bei der sich abzeichnenden Entwicklung das angestrebte Ziel von maximal 1,5 Grad Temperaturanstieg nicht mehr zu halten sei.

Der Verbrauch fossiler Energieträger steige in 2024 auf ein Rekordhoch. Alle Berechnungen zeigten, dass wir auf dem Weg in eine Drei-Grad-Welt seien.3

Prominente Klimaexperten wandten sich mit einem Appell an den UNO-Weltklimachef Simon Stiell. Sie forderten, dass Länder, die den Ausstieg aus der fossilen Energie nicht unterstützen, Klimakonferenzen nicht mehr ausrichten dürften. In dem Schreiben warnten sie, dass die Erderhitzung auch nach inzwischen 28 jährlichen Klimakonferenzen nicht gestoppt sei – vielmehr sei eine Erwärmung auf mehr als drei Grad bis 2100 nicht mehr ausgeschlossen.

Ihre Schlussfolgerung: Es braucht Mechanismen, um die Länder zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie Klimaziele und -verpflichtungen missachten.

Auf der Konferenz wandten sich Dutzende Entwicklungsländer und von der Klimakrise bedrohte Inselstaaten an die Verursacher des Klimawandels. Sie fordern Milliardenhilfen, um den Einstieg in alternative Energien realisieren zu können. Nach zähen nächtlichen Verhandlungen endete die Weltklimakonferenz mit einem für die betroffenen Entwicklungsländer enttäuschenden Ergebnis.

Zur Klimafinanzierung leisten die Industrieländer bis 2035 jährlich nur 300 Milliarden US-Dollar. Der Bedarf an externen Hilfen beträgt laut einer unabhängigen UN-Expertengruppe bis 2030 rund eine Billion US-Dollar pro Jahr – und sogar 1,3 Billionen bis 2035. Das wären 10- bis 13-mal mehr als bisher an Klimahilfe fließt.

Das Ergebnis der Klimafinanzierung sei nicht nur ein Scheitern, sondern ein Betrug, so die Reaktion der Länder aus Afrika, Asien und der Inselstaaten aus der Karibik und dem Südpazifik.

Der Beschluss von Dubai von 2023, aus der fossilen Energie ganz auszusteigen, wurde zwar nicht aufgehoben, aber auch nicht ausdrücklich bestätigt. Ein wirklicher Notfallmodus, wie er jetzt nötig wäre, sei leider überhaupt nicht zu sehen. Die Klimakrise werde uns überrollen, wenn wir nicht mehr tun, so der Klimaforscher Niklas Höhne.

2025 wird die Weltklimakonferenz in Brasilien stattfinden. Es ist zu hoffen, dass Präsident Lula da Silva die Forderung von über 400 Klimaschutzorganisationen, "Kick Big Polluters Out", berücksichtigen wird.

Die Rolle der Vereinten Nationen

Die UNO sind eine Weltstaatenorganisation mit insgesamt 193 Mitgliedsstaaten aus allen fünf Kontinenten – mit unterschiedlichen Interessen und Einflussmöglichkeiten, diese auch durchsetzen zu können. Darunter Kleinst- und Inselstaaten aus dem Südpazifik bis hin zu den führenden Welt- und Atommächten, die den Sicherheitsrat dominieren.

Von der Organisation zu erwarten, sie müsse alle Krisen lösen und Kriege verhindern, ist unrealistisch und eine Überschätzung des real Möglichen. Sie kann zum Ausgleich von Interessenkonflikten beitragen und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um Krisenprävention bemühen.

Michèle Griffin, Direktorin und Leiterin des Teams für den Zukunftsgipfel im Büro des Generalsekretärs schreibt dazu4:

Die UN können nicht wirklich mehr sein als die Bündelung der Energie, der Ideen und der Ressourcen aller Beteiligten, um die globalen Probleme gemeinsam lösen zu können. … Viele Probleme wären noch schlimmer, wenn die Vereinten Nationen nicht helfen würden oder wenn sie nicht als Forum für die Zusammenkunft von Regierungen und anderen Akteuren zur Verfügung stünden.

Ein wirkmächtiges Regulativ in der Geopolitik ist derzeit über die UNO nicht leistbar.

Sind Reformprozesse über den UN-Zukunftspakt möglich?

Der am 22. September 2024 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete Zukunftspakt, an dessen Entstehung über 600 internationale NGOs und die weltweite Zivilgesellschaft engagiert mitwirkten, ist ein Hoffnungszeichen für eine vielleicht friedlichere Zukunft der Weltgemeinschaft.

Es wäre zu wünschen, dass die Vereinten Nationen anlässlich ihres 80-jährigen Bestehens in 2025 der Charta der Vereinten Nationen eine neue Wirkmächtigkeit verleihen und dass die anstehende Reform der UNO gelingen wird.

Vordringliches Ziel sind Bestrebungen, den Sicherheitsrat mit mehr ständigen Sitzen auszustatten und einem afrikanischen, einem südamerikanischen Staat sowie Indien eine ständige Repräsentanz und ein Mitentscheidungsrecht zu ermöglichen. Dem müssten allerdings die derzeitigen Vetomöchte im Rat zustimmen.

Die Aufhebung des Vetorechts und die Einführung eines Mehrheitsprinzips wären sicher eine sinnvolle Maßnahme. Sie ist aber im Zukunftspakt nicht enthalten, weil sie aktuell nicht durchsetzbar wäre. Auch die Generalversammlung soll aufgewertet und die Position des Generalsekretärs gestärkt werden.

Wichtige Vorhaben, die einer Realisierung bedürfen und von den Vetomächten mitgetragen werden müssten. Ob und wie das gelingen könnte, ist noch völlig offen.

Die Rolle der NGOs und der internationalen Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft und die weltweit vernetzten NGOs können mit dazu beitragen, dass Verträge auf den Weg gebracht werden und der UN-Generalversammlung einer Entscheidung zugeführt werden.

Das gelang u.a. 1999 mit dem Verbot der Antipersonenminen und der Streumunition und 2017 trotz massiven Widerstands der Atommächte mit der Verabschiedung des UN-Atomwaffenverbotsvertrages.

NGOs konnten strategische Allianzen mit block- und atomwaffenfreien Staaten bilden, die die Abrüstungsverträge in der Generalversammlung mehrheitsfähig machten. Das sind konkrete Erfolge der Zivilgesellschaft.

2025 ist das Jubiläumsjahr zu 80 Jahre UN-Charta und 80 Vereinte Nationen. Ein Anlass, den notwendigen, im Zukunftspakt beschlossenen Reformprozess auf den Weg zu bringen.

Die Einmaligkeit der UN-Charta zu bekräftigen und die Mitgliedsstaaten, im Besonderen die fünf Veto- und Atommächte, anzumahnen, die Charta zu achten und deren Gebote einzuhalten.

Rolf Bader, geb. 1950, Diplom-Pädagoge, ehem. Offizier der Bundeswehr, ehem. Geschäftsführer der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte:innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte:innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW).