Klimaschutz: Deutschland riskiert Milliarden-Strafen aus Brüssel
Mit Novelle des Klimaschutzgesetzes können EU-Vorgaben ignoriert werden. Sektorziele werden in Deutschland abgeschafft. Warum drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe?
Die Angst der Ampel vor dem Wähler führt derzeit zu seltsamen Kapriolen in der deutschen Gesetzgebung. In der geplanten Reform des Klimaschutzgesetzes, die die Koalition nach langem Streit im Sommer auf den Weg gebracht hat, wurden die verbindlichen Vorgaben für einzelne Wirtschaftszweige und deren CO₂-Ausstoß, die sogenannten Sektorziele, wieder gestrichen. Dass man mit diesem Vorgehen gegen EU-Recht verstößt und damit Strafzahlungen in Milliardenhöhe auslöst, wurde offensichtlich im Interesse des Koalitionsfriedens in Kauf genommen.
Bisher gab es für jeden der sogenannten Sektoren jährliche Obergrenzen für den CO₂-Ausstoß, für deren Einhaltung das jeweils zuständige Ministerium verantwortlich war. Wirtschaftsminister Habeck war für die Einhaltung der Klimaziele in der Industrie zuständig, Bauministerin Klara Geywitz für den CO₂-Ausstoß im Gebäudebereich. Blieb einer dieser Sektoren hinter den Zielvorgaben zurück, musste das Ministerium ein Sofortprogramm auflegen, das von einem Expertenrat bestätigt werden musste.
Mit der vom Kabinett beschlossenen Reform des Klimaschutzgesetzes soll dies grundlegend geändert werden. Künftig sollen nicht mehr die Ziele und Ergebnisse der einzelnen Sektoren ausgewiesen werden, sondern es soll eine Gesamtrechnung für alle Sektoren erstellt werden, die erfüllt werden müssen.
In Berlin hält man diese Änderung für sinnvoll, da es für die einzelnen Sektoren unterschiedlich aufwendig ist, die jeweiligen Klimaziele zu erreichen. Insbesondere der Verkehrssektor tut sich schwer, die spezifischen Klimaziele zu erreichen. Auch der Gebäudesektor gehört zu den Sorgenkindern der Klimawende, sowohl bei der Herstellung von Baustoffen als auch beim Betrieb und Heizen mit fossilen Brennstoffen.
Mit der beschlossenen Novelle könnten nun gute Zahlen in der Industrie, die auch durch Werksschließungen oder Verlagerungen ins Ausland entstehen können, sowie Strukturveränderungen in der Landwirtschaft die unerfreulichen Zahlen im Verkehr leicht ausgleichen. Die Schließung kleiner Milchviehbetriebe und die Ausweitung des großflächigen Anbaus von Mais für die Biogasproduktion könnten die Zahlen der Landwirtschaft leicht verbessern, auch wenn eine solche Entwicklung mit einem Verlust an Biodiversität einhergehen würde.
Offensichtlich hat sich die FDP durchgesetzt
Die Vorliebe der FDP für den Verbrennungsmotor als Retter der deutschen Automobilwirtschaft hat sich offensichtlich wieder einmal gegen den Klimaschutz durchgesetzt. Und mit den geplanten Änderungen am Klimaschutzgesetz könnte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sowohl die aktuell unzureichende Bilanz einer Branche als auch die Verantwortung für die Klimaziele in der Zukunft einfach verschleiern.
Schon jetzt ist absehbar, dass der Verkehr seine ursprünglichen Ziele bis 2030 um 192 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verfehlen wird. Da scheint es eine glückliche Fügung des Schicksals zu sein, dass Sektoren, die selbst keinen Beitrag leisten, dieses Verhalten nun in die Zukunft fortschreiben und die notwendigen Einsparungen von anderen Sektoren einfordern können.
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Problematisch wird der Verzicht auf sektorale Ziele auch im Hinblick auf das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021, das eine Verschiebung der Reduktionslasten in die Zukunft und damit auf nachfolgende Generationen nicht zulassen wollte.
Finanzielle Folgen der Gesetzesänderung
Die Bundesregierung kann zwar die sektoralen Ziele für Deutschland aufheben, auf EU-Ebene bleiben sie aber bestehen. Und dort gilt: Wenn ein Land seine Klimaziele in einem Sektor nicht einhält, muss es sogenannte Emissionszertifikate von anderen Ländern kaufen, die ihre Ziele erfüllt haben.
Für den Steuerzahler könnte das teuer werden. Schätzungen gehen derzeit von bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen aus. Hinzu könnten Strafzahlungen der EU kommen, da Deutschland mit dem neuen Gesetz möglicherweise auch gegen EU-Recht verstößt.
Eine Abkehr von den Sektorzielen könnte also zwar die aktuelle Hoffnung der Bevölkerung treffen, aber aufgrund bestehender Verträge und Vereinbarungen kostspielig werden.
Kein Wunder, dass die derzeitige Opposition, die sich Hoffnungen auf einen Regierungswechsel macht, die Aufweichung der Klimaziele letztlich nicht besonders prickelnd findet, denn die Mühlen in Brüssel mahlen langsam, aber unerbittlich und die Strafzahlungen werden mit Sicherheit in der nächsten Legislaturperiode fällig.
Deutschland zählt zur Spitzengruppe der EU-Strafzahlungen
Strafzahlungen der Bundesrepublik wegen verspäteter Umsetzung von EU-Richtlinien sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass vielfach die Auffassung vertreten wird, man könne sich mit der für Richtlinien zwingend vorgeschriebenen Umsetzung in nationales Recht Zeit lassen, da man das EU-Recht ja noch nach deutschen Vorstellungen gestalten könne.
Diese Erfahrung hat dazu geführt, dass aus vielen Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen, in der Regel sogenannte Verordnungen werden, die 21 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in jedem Mitgliedstaat Rechtskraft erlangen.
Bei den EU-Vertragsverletzungsverfahren liegt Deutschland an fünfter Stelle, nur übertroffen von Polen, Italien, Griechenland und Spanien.
Damit sich jeder EU-Bürger ein Bild von der EU-Konformität der Politik seines Landes machen kann, wurde in Brüssel ein Zugang zur Datenbank der Verfahren eingerichtet. Die Kosten für diese Verfahren müssen jeweils aus dem laufenden Haushalt gedeckt werden und verdrängen dort andere Posten.
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