Mariano Rajoy - der Plasma-Ministerpräsident am Ende
Vier Jahre regierte der Ziehsohn eines Franco-Minister Spanien autokratisch, verweigert Debatten und saß Probleme aus und wurde dafür abgestraft
Vorgänge wie am vergangenen Donnerstag im galicischen Pontevedra wollte der graubärtige spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy Brey stets vermeiden. In der Stadt, in der der 60-Jährige aus Santiago de Compostela einst Abitur machte, 1983 zum Stadtrat gewählt und schon 1986 Präsident der Provinzregierung wurde, erhielt er von einem 17-Jährigen einen Fausthieb an den Kopf, der seine Brille zerstörte und ihn straucheln ließ.
Dieser Vorgang symbolisierte schon vor den Wahlen die Lage des ultrakonservativen Politikers. Der Jugendliche, dessen Eltern Rajoy persönlich kennen, begründete seine Tat mit der Korruption in dessen Volkspartei (PP), die viele im krisengeschüttelten Spanien wütend macht. Und das wurde an den Wahlurnen entsprechend gewürdigt. Zwar wurde die PP mit knapp 29% noch stärkste Kraft, aber sie brach um gut 16 Prozentpunkte ein und damit ist Rajoy der große Wahlverlierer. Er ist sehr weit entfernt von der absoluten Mehrheit, die seine Partei vor vier Jahren mit knapp 45% erhielt. Seine PP kann auch nicht gemeinsam mit den rechten Ciudadanos (Bürger) regieren, die mit knapp 14% weit hinter allen Erwartungen und hinter allen Prognosen zurückblieb (Podemos sorgt in Spanien für eine kleine Revolution).
Möglich wäre eine große Koalition, die Rajoy den Sozialisten (PSOE) schon vorsorglich angeboten hatte. Die Sozialisten verloren erneut fünf Punkte und schafften es mit gut 22% gerade noch, knapp vor die neue linke Podemos zu kommen. Deshalb steht die PSOE nun vor der Frage, ob sie eine "portugiesische Lösung" zulässt, um den Wandel und ein Ende der Austeritätspolitik auch im großen Nachbarland zu ermöglichen. Denn es kommt einer kleinen Revolution gleich, dass die Empörten die 2011 ungewollt Rajoy zum Wahlsieg von Rajoy beitrugen, nun nicht nur ins Parlament einziehen, sondern mit knapp 21% drittstärkste Kraft knapp hinter der wenig glaubwürdigen PSOE wird. Und die rechten ultraneoliberalen Bürger haben bei weitem mit knapp 14% nicht das gehalten, was sie sich versprochen hatten. Statt einem Wahlsieg wurden sie abgeschlagen auf den vierten Rang verwiesen.
Das "Bad in Massen" war ein Ergebnis des Marketings, das die Parteistrategen ihm nach dem Wahldebakel im Mai verordnet hatten, als die PP die Macht in fast allen Regionalparlamenten verlor. Genutzt hat es nichts, dem gläubigen Katholiken Volksnähe zu verordnen. Denn dabei wurde der "Plasma-Präsident" schon vor den Wahlen deutlich abgewatscht, was die Wähler an den Urnen bestätigt haben. Plasma-Präsident wird er genannt, weil er stets distanziert und bürgerfern regierte. Trat er im Land überhaupt vor die Presse, geschah das lange oft nur per Plasmabildschirm, wie im Fall, als ihm ein massiver Korruptionsskandal in den Händen explodierte. Fragen durften nicht gestellt werden. Wichtiges verkündet gerne auf Auslandsreisen, wo er sich ganz anders darstellt. Allerdings konnten die Journalisten in Berlin im Rahmen des großen Korruptionsskandals feststellen, wie sich der Präsident auszudrücken pflegt. "Es ist alles falsch, bis auf einige Sachen", sagte er auf der Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel.
Auch im Wahlkampf ging er dem Disput aus dem Weg. Bei einer geplanten TV-Debatte mit seinen drei jungen Herausforderern sah er alt aus. Er schickte seine Sprecherin und Vize Soraya Saénz de Santamaría. Bei einer per Internet übertragenen Debatte der großen Tageszeitung El País blieb sein Stuhl leer, da die keine Ersatzfrau akzeptierte. Nur dem Duell mit dem sozialistischen Oppositionsführer Pedro Sánchez stellte er sich.
Der ultrakonservative Rajoy will nicht wahrhaben, dass das Zweiparteiensystem angesichts neuer Parteien wie der linken Podemos (Wir können es) und der rechten Ciudadanos (Bürger) nur noch ein Zombie ist. Dabei ist möglich, dass die Sozialisten (PSOE) auf dem dritten oder sogar vierten Rang landen, wie im September bei den Regionalwahlen in Katalonien (Unabhängigkeitsbewegung gewinnt Wahlen in Katalonien).
Der Niedergang der PP kann in Rajoys Heimat und einstiger Hochburg Galicien angeschaut werden. Im Nordwesten regierte die PP, vom Ex-Minister der Franco-Diktatur Manuel Fraga Iribarne gegründet, Jahrzehnte mit absoluter Mehrheit. In Pontevedra wurde sie aber schon 1983 abgewählt. Als Rajoy in den Stadtrat gewählt wurde, musste seine PP die Macht an den linken Galicischen Nationalistischen Blocks (BNG) abgeben. Und in Rajoys Geburtsstadt Santiago de Compostela regiert seit Mai eine von Podemos gestützte Bürgerkandidatur.
2005 verlor sein politischer Vater die absolute Mehrheit. Erstmals mussten die PP die Macht an eine Koalition aus Sozialisten (PSOE) und BNG abgeben. Der Altfaschist Fraga, der sich wie die PP nie vom Putsch gegen die Republik und von der blutigen Diktatur distanziert hat, blieb bis zu seinem Tod 2012 PP-Ehrenpräsident. Er schickte Rajoy nach Madrid, um den Ex-Falangisten José María Aznar zu kontrollieren, dem Fraga die Parteiführung 1990 übergeben hatte. So wurde der studierte Jurist 1989 Abgeordneter im Madrider Parlament. Der Vater zweier Kinder wurde enger Weggefährte Aznars. Als der 1996 die Wahlen gewann, da die PSOE tief in Skandalen um Korruption und Todesschwadronen gegen Basken steckte, wurde der einstige Liegenschaftsbeamte Minister für öffentliche Verwaltung, 1999 Bildungsminister und 2001 Innenminister.
Nachdem Aznars wegen seiner Lügen zu den blutigen Anschlägen vor den Wahlen 2004 mit Schimpf und Schande abgewählt worden war, ernannte er Rajoy zum Parteichef, mit dem der sich inzwischen aber längst überworfen hat. Zwei Mal scheiterte Rajoy. Erst in der schweren Krise wurde er mangels Alternative 2011 Regierungschef. Daran hatte die Empörten-Bewegung einen großen Anteil, die sich gegen die Sparpolitik der Sozialisten wendete, wie es populistisch auch Rajoy tat. Der hatte die Erhöhung der Mehrwertsteuer der Sozialisten als "Säbelhieb einer schlechten Regierung" bezeichnet. Er brandmarkte sie korrekt als "ungerecht, weil die besonders getroffen werden, die weniger haben, weil damit das Defizit nicht gesenkt wird, und es ist eine neue kalte Dusche für eine Wirtschaft, die sich schon in der Schockstarre befindet."
Doch der Merkel-Liebling verstieß schnell praktisch gegen alle Wahlversprechen. Er erhöhte sofort die Mehrwertsteuer, Arbeitsrechte wurden geschleift, Einschnitte ins Bildungs- und Gesundheitssystem vorgenommen. Und Banken wurden gerettet. Bankia hatte ein Rajoy-Freund ruiniert, der ehemalige PP-Vizepräsident und IWF-Chef Rodrigo Rato. Dafür musste Spanien unter den Rettungsschirm gehen, was Rajoy aber noch heute realitätsverweigernd bestreitet.
Er wird als Chef einer Partei in die Geschichte eingehen, die sich "mindestens 18 Jahre illegal finanziert hat", gab sogar sein früherer Schatzmeister Luis Bárcenas zu (Spanische Regierungspartei: "18 Jahre illegale Finanzierung"). Den hatte Rajoy per SMS zum "Durchhalten" aufgefordert, als Millionen-Schmiergelder in der Schweiz aufflogen. "Luis, die Sache ist nicht einfach, aber wir tun, was wir können. Kopf hoch", schrieb er ihm per SMS. Nach Bárcenas Buchführung soll Rajoy aus Schwarzgeldkassen die größte Gesamtsumme, unversteuert und in Bar, erhalten haben ("Sie schaden dem Land, treten Sie zurück"). Doch an einen Rücktritt wollte er nie denken, sondern er versuchte auch diesen Skandal auszusitzen.
Er steht auch dafür, dass seine Dialogverweigerung und Repression den Konflikt mit Katalonien so zuspitzte, dass die Katalanen sich inzwischen auf den Weg in die Unabhängigkeit gemacht haben. Er hat auch die Chance im Baskenland zu einer Friedenslösung vertan, nachdem die Untergrundorganisation ETA vor vier Jahren die Waffen streckte. Er weigert sich sogar, an deren Entwaffnung teilzunehmen und ließ unabhängige internationale Beobachter vor Gericht zerren. Und er ließ "Knebelgesetze" verabschieden, bei denen sich sogar Richtervereinigungen an die Franco-Diktatur erinnert fühlen. Die New York Times urteilte in einem Leitartikel, dieses Gesetz "wirft Spanien in die dunklen Tage des Franco-Regimes zurück" (Meinungsfreiheit futsch und alles kann in Spanien nun Terrorismus sein).
Angesichts des Klimawandels wird Rajoy in die Annalen eingehen, der aus dem Land, das Vorreiter beim Ausbau erneuerbarer Energien war, durch eine Vollbremsung nicht nur das Land drittklassig machte, sondern auch noch die zugehörige Industrie zerstörte und damit zehntausende Arbeitsplätze. Am Absturz des Abengoa-Konzerns hat sein erratischer Kurs einen großen Anteil. Wie das Zweiparteiensystem bisher ein Zombie war, der nun am Sonntag beerdigt wurde, ist Rajoy nun ein Zombie, dessen Zeit abgelaufen ist. Hätte sie nie begonnen, wäre Spanien viel erspart geblieben.