Medienethik: Süddeutsche Zeitung auf dem Prüfstand

Schriftsteller und Krimiautor Jörg Fauser prüft die SZ. Archivbild (1986): Leoiwnl13

Die SZ steht im Zentrum einer hitzigen Debatte um Medienethik und journalistische Verantwortung. Was bedeutet das für die Glaubwürdigkeit der Presse?

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) sieht sich gerade mit einer manchmal in vielerlei Hinsicht unangenehmen Akteurin der Demokratie konfrontiert: der freien Presse.

Denn die SZ ist derzeit selbst Gegenstand der Berichterstattung, und dies, weil es um ihre eigene Berichterstattung geht und ihren Umgang mit der öffentlichen Beschäftigung mit dieser.

Was nicht nur kompliziert klingt. Denn eines der grundlegenden Probleme im Journalismus ist die Unwilligkeit, selbst in den Fokus von Journalismus zu geraten.

SZ unter Beobachtung: Medieninsider eröffnet mit Vorwurf

Was derzeit unter Schlagzeilen wie "Süddeutsche sucht nach 'Maulwurf'" durch die Presse geistert, begann am 18. Dezember 2023 mit dem Vorwurf des Branchendienstes Medieninsider, Texte der stellvertretenden Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid wiesen Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit Beiträgen in anderen Medien auf.

Medieninsider hatte dabei auf eine Software zur Plagiatssuche gesetzt. Gegenüber der FAZ verteidigte sich Föderl-Schmid, bei den kritisierten Passagen handele es sich nicht um "geistige Eigenleistungen", sondern "um Faktenbeschreibungen und Definitionen". Sie bedaure aber, "möglicherweise aus einer Quelle zu viel wörtlich übernommen" zu haben.

Interne Diskussion öffentlich gemacht: Wer ist der Maulwurf?

Zwei Tage nach dem Bericht von Medieninsider diskutierte die SZ-Belegschaft über diese Berichterstattung, - bzw. "über unsere journalistischen Standards", wie es nun in einem Statement von Chefredaktion, Betriebsrat und Redaktionsausschuss heißt.

Über Inhalte dieser Redaktionsbesprechung berichtete wiederum Medieninsider, woraufhin die SZ-Chefredaktion versuchte, die Quelle für diese Weitergabe vertraulicher Informationen zu finden, – also, den "Maulwurf" zu finden.

SZ pocht auf Redaktionsgeheimnis

Auch dieses Vorgehen wurde publik, und zwar wiederum durch Medieninsider, der sich dabei unter anderem erneut auf eine vertrauliche Redaktionskonferenz berief.

Dieser Artikel zog eine Fülle von Nacherzählungen anderer Medien nach sich, so dass die SZ-Chefredaktion mit einem Statement "in eigener Sache" drei Tage später auch selbst an die Öffentlichkeit trat.

Darin pocht sie, gemeinsam mit dem Betriebsrat und dem Redaktionsausschuss ("ein von der Redaktion gewähltes Vertrauensgremium"), auf das Redaktionsgeheimnis, das sie hier "in jedem Fall" verletzt sieht. Dass Informationen, gar komplette Mitschnitte aus dem geschützten Raum Redaktionskonferenz nach außen dringen, wolle man "nicht einfach so hinnehmen".

Redaktionsgeheimnis vs. Pressefreiheit: Ein Balanceakt

Die Suche, "ob es Datenverkehr zwischen den IP-Adressen der Redaktion (SZ) und des Branchendienstes (Medieninsider) gegeben habe", brachte jedoch nichts zutage. Christian Bartels kommentierte dazu in der MDR-Kolumne "Altpapier":

Dass in einer Redaktion, die ja mit großem Hallo und oft auch publizistischem Erfolg zugespielte "Panama-" und andere Papers auswertet, viele wissen, welche Spuren Datenverkehr hinterlässt, muss nicht überraschen.

Christian Bartels

Die SZ-Chefredaktion sieht das Redaktionsgeheimnis durch die Weitergabe von Interna verletzt. Andere – wie "Reporter ohne Grenzen" – sehen in der Suche nach dem "Maulwurf" selbst eine Gefährdung des Redaktionsgeheimnisses, namentlich des Quellenschutzes.

Der Ärger, sicherlich nicht nur der SZ-Chefredaktion, sondern auch zahlreicher Redakteure innerhalb und außerhalb der Süddeutschen, ist verständlich. Diesen Ärger so öffentlich zu machen, allerdings nicht.

Denn fast aller investigativer Journalismus lebt genau von einem solchen Vertrauensbruch.

Wen es treffen kann

Nicht nur über Behörden schwebt stets die Drohmacht, jemand aus dem eigenen Hause könne sich – ob nun ethisch berufen oder karrieretechnisch verärgert – mit vertraulichem Material an die Presse wenden.

Es kann auch kleine Firmen oder Einzelpersonen treffen (man denke an Fynn Kliemann oder Luke Mockridge).

Und natürlich kann es auch Zeitungsredaktionen treffen, wie geradezu genrebildend Günter Wallraffs Enthüllungen aus dem Innenleben der Bild-Zeitung zeigen. Oder aus jüngerer Zeit eine öffentliche Diskussion um Strukturen beim NDR.

"Vertraulichkeit des Wortes" ist kein Sonderrecht der Presse

Die SZ erklärt, bei dem vermuteten Vertrauensbruch durch Weitergabe interner Informationen aus der Redaktion handele es sich "möglicherweise sogar um eine Straftat nach Paragraf 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes)".

Das ist sicherlich richtig, gilt aber eben für einen Großteil investigativer Publikationen. Die "Vertraulichkeit des Wortes" ist kein Sonderrecht der Presse – im Gegenteil, der Straftatbestand wird weit ausgelegt, sehr zum Verdruss von uns Journalisten.

In seiner Wallraff-Entscheidung formulierte das Bundesverfassungsgericht in den Leitsätzen 1984 dazu:

Die Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter oder erlangter Informationen wird vom Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) umfasst. Auch insoweit kommt es jedoch auf die Schranken des Grundrechts an.

In Fällen, in denen der Publizierende sich die Informationen widerrechtlich durch Täuschung in der Absicht verschafft hat, sie gegen den Getäuschten zu verwerten, hat die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben.

Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Bedeutung der Informationen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung einseitig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und für die Rechtsordnung nach sich ziehen.

BVerfG 1 BvR 272/81

Die abstrakt geltenden, stets jedoch nur einzelfallbezogen von Gerichten konkret zu ziehenden rechtlichen Grenzen der Pressefreiheit, stehen jedoch für die medienjournalistische Debatte gar nicht an erster Stelle. Gesetze sind änderbar, Rechtsprechung ist ständig in Entwicklung.

Journalistische Recherche, wie sie die SZ selbst kennt

Interessanter ist, wie ein Medium damit umgeht, wenn es journalistische Recherche erlebt, die es naturgemäß selbst ständig betreibt.

Bei der SZ mag man aus jüngster Zeit an ihre wohl intensiv zu nennende Berichterstattung rund um ein Flugblatt denken, das zu Schülertagen in einer Tasche von Hubert Aiwanger gefunden wurde und zu der die Frage aufkam, ob Vertraulichkeitsbruch sie befördert habe.

Aber just auch die Plagiatssuche, die nun Ausgangspunkt für die eigene Fallwerdung war, ist natürlich immer mal wieder Thema der Zeitung. (Siehe dazu Interview mit Plagiatsgutachter Stefan Weber.)

Medienjournalismus und Selbstkritik: Ein seltenes Phänomen

Aus inzwischen drei Jahrzehnten Medienjournalismus sei versichert: Keine Berufsgruppe gibt so selten und wenn so unwillig Auskunft über ihre Arbeit wie Journalisten.

Dass Anfragen an Redaktionen oder einzelne Mitarbeiter schon beim ersten Mal beantwortet werden, ist eher Ausnahme als Regel. Selbst eigens dafür eingerichtete Pressestellen bei den Verlagen und Rundfunkanstalten reagieren oft gar nicht.

Dabei dürften sich Anfragen zur journalistischen Arbeit in Grenzen halten. Medial thematisiert wird sie jedenfalls selten. Wenn, dann geht es um Personalien oder politische Positionen, kaum hingegen um die Qualität des Journalismus und die journalistischen Arbeitsweisen.

Die geringe Übung in öffentlicher Debatte über die eigene Arbeit dürfte ursächlich dafür sein, dass "die SZ-Medienprofis die Dynamik einer medialen Öffentlichkeit nicht verstehen", die sie nun gerade erleben, wie Benedict Neff in der NZZ analysiert.

Dafür spricht auch, zu wie vielen Hinweisen auf Fehler, Unvollständigkeiten oder Einseitigkeiten in ihren Beiträgen Redaktionen etwa auf X schlicht gar nicht reagieren. Als existiere nicht, was außerhalb des eigenen Blattes oder Senders diskutiert wird.

Konkurrenz und Koexistenz: Medien im Wettbewerb

Hinzu kommt, dass Medien zunächst Wirtschaftsbetriebe sind. Ob sie nun Kunden und Werbetreibende gewinnen oder die ihnen zugeteilten Gebühren rechtfertigen müssen, zuallererst wollen wohl alle Berufstätigen mit ihrer Arbeit Geld verdienen.

Da mag eine für die Öffentlichkeit relevante Aufklärung nicht immer an oberster Stelle stehen, wenn es darum geht, mit welchen publizistischen Beiträgen das Unternehmen Geld umsetzt. Im Zweifel sind alle anderen Konkurrenten.

Mit Konkurrenten kann man auch ohne Worte einen "Stillhaltepakt" schließen nach dem Motto: Wir lassen euch in Ruhe und ihr uns. Es ist nicht nur in diesem Falle just ein kleines Special-Interest-Medium, das die Geschichte ausgegraben hat. Nun kann jeder sagen: "Medieninsider war's" – und somit trotzdem über den Konkurrenten berichten.

Vertraulichkeit ist unbenommen wichtig, aber eben nicht nur in Redaktionen, sondern zunächst einmal überall, wo sich Menschen darauf verlassen, sich in einem geschützten Raum auszutauschen. Wann ein öffentliches Interesse überwiegt, wird von Journalisten sicherlich nicht ganz konsistent ausgelegt.

Die eigene Arbeit möchte man jedenfalls nicht gerne ohne Zustimmung coram publico seziert sehen. Die der anderen aber womöglich schon.

Marion Horn, Chefredakteurin der Bild, schreibt: "Nur fürs Protokoll: SZ ist die Redaktion, die sich in Artikeln damit rühmt, bei Bild mitzuhören, was wir intern besprechen."

Nachtrag: Seit dem Donnerstagmorgen (8. Februar) gilt Alexandra Föderl-Schmid als vermisst. Die Polizei hat bei ihrer Suche einen Abschiedsbrief gefunden.