Milliarden für Aufrüstung: Wird die Schuldenbremse extra für Waffen ausgesetzt?
Ampel debattiert über Rüstungsfinanzierung. Sozialkürzungen stehen im Raum. Auch die IG Metall will die Waffenindustrie stärken – unter einer Bedingung.
Nachdem sich die Gewerkschaft IG Metall den Kopf über die Zukunft der Rüstungsindustrie zerbrochen und dazu vor einigen Tagen sogar eine gemeinsame Presseerklärung mit dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sowie dem SPD-Wirtschaftsforum und "industriepolitische Leitlinien" herausgegeben hat, wird in der Ampel-Koalition heftig über Rüstungsfinanzierung diskutiert.
Soll die Schuldenbremse eigens dafür ausgesetzt oder grundsätzlich reformiert werden? Die neue Debatte über die Finanzierung gewollt steigender Militärausgaben hat sich nicht zuletzt an der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende entzündet.
Aufrüstung in den 2030er-Jahren: Welche Rolle spielen Wahlen?
"Deutschland investiert dieses Jahr und auch in den kommenden Jahren, in den 20er-, den 30er Jahren un darüber hinaus, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung", hatte der Kanzler, dessen Partei in bundesweiten Umfragen zuletzt bei 14 bis 16 Prozent stand, am Samstag in der bayerischen Landeshauptstadt vor zahlreichen Staats- und Regierungschefs erklärt.
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Scholz hatte diesen Aufrüstungskurs in der Münchner Rede als alternativlos dargestellt – "unabhängig davon, wie Russlands Krieg in der Ukraine endet, unabhängig auch davon, wie anstehende Wahlen diesseits oder jenseits des Atlantiks ausgehen". 2028 läuft das von ihm 2022 verkündete 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr aus.
Militärausgaben: Was folgt auf das Bundeswehr-Sondervermögen?
Sein Ziel sei es, "dass wir nach dem Auslaufen des Sondervermögens die Ausgaben für die Bundeswehr aus dem allgemeinen Haushalt finanzieren". Das bedeutet im Klartext, dass an anderer Stelle gespart werden muss, möglicherweise am Etat für Soziales, um das Zwei-Prozent-Aufrüstungsziel der Nato zu erreichen.
Letzteres war schon Jahre vor dem russischen Angriff auf die Ukraine beim Nato-Gipfel 2014 in Wales ausgerufen worden, inzwischen wird aber oft der Ukraine-Krieg als Begründung angeführt, warum es eingehalten werden müsse. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hält das längerfristig nicht für ausreichend. Er betonte anlässlich der Sicherheitskonferenz, zwei Prozent seien damals nur als Untergrenze gedacht gewesen.
Kanzler Scholz befand gegenüber der Süddeutschen Zeitung am Wochenende, die meisten Menschen würden verstehen, dass zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben werden müssten, "um unsere Sicherheit zu bewahren, Frieden, Demokratie, Rechtsstaat und unseren Wohlstand zu sichern".
Versprechen an Waffenindustrie ohne Konsens mit Parteifreunden
Der Spiegel rechnete vor, dass dies im Jahr 2028 voraussichtlich Militärausgaben in Höhe von fast 108 Milliarden Euro wären. Aktuell umfasst der Verteidigungsetat 52 Milliarden Euro.
Innerhalb der SPD-Fraktion waren Scholz’ Äußerungen offenbar nicht ausdiskutiert worden: Der Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic gab gegenüber dem Spiegel die Einschätzung ab, dass ein "Aussetzen der Schuldenbremse immer unausweichlicher" werde, wenn trotz der angekündigten Militärausgaben noch der soziale Zusammenhalt in Deutschland "mit allen notwendigen Investitionen" garantiert werden soll.
Der SPD-Politiker Ralf Stegner warnte davor "innere und äußere Sicherheit" gegeneinander auszuspielen: "Deshalb sind entweder ein Sondervermögen für die Modernisierung unseres Landes oder zumindest eine Reform der Schuldenbremse notwendig".
Lindner will die nächste Zeitenwende – aber in dieselbe Richtung
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte dagegen die Notwendigkeit einer "zweiten Zeitenwende" um Investitionen in die Rüsutungsindustrie zu vereinfachen. "Regulatorische Hürden in der EU und Deutschland werden wir abbauen", sagte Lindner gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger betonte gegenüber dem Spiegel, sie könne nur "eindringlich vor einer weiteren verheerenden Kürzungsdebatte warnen" und sehe da "null Spielräume, wenn wir den Wohlstand, unsere Sicherheit und den Konsens in der Gesellschaft in diesen ernsten Zeiten nicht gefährden wollen".
Kriegstüchtig für Deutschland: Sinneswandel der IG Metall
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet die IG Metall, die noch vor wenigen Jahren den DGB-Aufruf "Abrüsten statt Aufrüsten" mitgetragen und dafür geworben hatte, die Gelder stattdessen für Bildung, sozialen Wohnungsbau und eine klimagerechte Energie- und Verkehrswende auszugeben, inzwischen ganz andere Sorgen hat.
IG-Metall-Vize Jürgen Kerner warnte in der besagten Pressemitteilung vor allem davor, dass das Sondervermögen Bundeswehr nicht automatisch zur Stärkung der heimischen Industrie beitrage, wenn die Rüstungsgüter vor allem "in Übersee" gekauft würden "und die Regierung keine Sorge trägt, dass Betriebe in Deutschland Wartung und Upgrades übernehmen".
Bereits seit beim DGB-Bundeskongress 2022 hatte sich eine Aufweichung antimilitaristischer Grundsätze abgezeichnet.