Ölpreis purzelt mit beendeten Iran-Sanktionen

Lost Hills Oilfield in Kalifornien. Bild: Arne Hückelheim/CC-BY-3.0

Der weiter fallende Ölpreis hat fatale Auswirkungen auf viele Länder, Theorien über den Absturz seit 2014 gibt es zu Hauf

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Öl ist extrem billig und wird vermutlich sogar noch billiger werden, wenn nun der Iran massiv auf den Ölmarkt zurückdrängt, nachdem die internationalen Sanktionen wie erwartet aufgehoben wurden. Das geschah ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des Atomabkommen, das den Weg dafür freigemacht hatte (Iran-Atomprogramm: Einigung mit Bruchstellen). Nun kann der Iran wieder so viel Öl verkaufen, wie er will oder kann. Deshalb hatten Experten längst erwartet, dass die Ölpreise weiter deutlich einbrechen werden. Und das hat ganz enorme Auswirkungen auf Länder, deren Wirtschaft vom Ölpreis abhängt.

Schon in Erwartung darauf, dass die Sanktionen, trotz diverser Scharmützel mit den USA, fallen würden, war der Preis für ein Fass Rohöl der US-amerikanischen Sorte WTI (West Texas Intermediate) weiter deutlich gefallen. Erstmals seit 2004 rutschte er unter die Marke von 30 US-Dollar. Der Preis für ein Fass der Nordseesorte Brent schloss am vergangenen Freitag sogar unter dieser Marke. Immer mehr Experten erwarten, dass ein Barrel Öl bald sogar nur noch 20 Dollar kosten könnte.

Seitdem der Ölpreis im Juni 2014 ins Rutschen kam, hat er sich fast auf ein Drittel des damaligen Preises reduziert. Man kann deshalb von einer historischen Dimension sprechen. Denn faktisch kostet dieser Rohstoff nun nicht mehr als vor der ersten und zweiten Ölkrise in den 1970er Jahren, rechnet man die Inflation heraus. Und Theorien gibt es viele, die sich damit auseinandersetzen, warum der Ölpreis so extrem gefallen ist, die Mehrzahl davon entbehrt aber jeglicher Basis.

So wurde zum Beispiel vor gut einem Jahr an der Theorie gestrickt, dass Saudi-Arabien mit einer angeblichen Flutung der Ölmärkte versucht habe, der Fracking-Industrie in Nordamerika die Luft abzudrehen. Das konnte schnell ins Reich der Märchen und Fabeln verwiesen werden, weil es tatsächlich genau umgekehrt war. Die Fracking-Industrie hatte für eine enorme Ölschwemme gesorgt und die Saudis waren schlicht nicht bereit, ihrerseits zur Stützung der Ölpreise (und damit zu Gunsten der USA) die Fördermenge weiter zu senken (Platzt angesichts des Ölpreissturzes nun die Fracking-Blase in den USA?).

Eine andere Theorie griff dagegen die Realität auf, dass tatsächlich die USA für den massiven Verfall des Ölpreises durch eine massive Ausweitung der Förderung mitverantwortlich ist. Und auch auf Telepolis wurde vor einem Jahr vom "großen Ölkrieg" gesprochen (Der große Ölkrieg). Der richte sich gegen Venezuela und Russland, wurde der Präsident Venezuelas Nicolas Maduro zitiert. Demnach sollten mit dem Preisverfall die geopolitischen Gegenspieler des Westens in den ökonomischen Zusammenbruch getrieben werden. Dieser "strategisch geplante Krieg" werde gemeinsam von Saudi-Arabien und den USA geführt, um "Russland zu zerstören", meinte er. Aber der "Ölkrieg" sei auch "gegen Venezuela gerichtet", da er darauf abziele "unsere Revolution zu zerstören und einen ökonomischen Kollaps auszulösen".

Diese Theorie könnte der Realität schon etwas näher kommen. Dafür muss man allerdings unterstellen, dass sich die USA und Saudi-Arabien in der Frage der Ölförderung abstimmen würden, was wiederum der ersten Theorie diametral entgegensteht. Die von Maduro vertretene These kann, anders als die erste These, also nicht gänzlich ins Märchenreich verbannt werden. Denn für sie kann angeführt werden, wie sich die Fördermengen allein in den USA tatsächlich entwickelt haben, weswegen sich dahinter eine Strategie vermuten ließe. Fakt ist, dass sich die Fördermenge dort seit 2008 mehr als fast verdoppelt hat. Wurden in den USA im September 2008 nur noch gut vier Millionen Barrel täglich gefördert, wurde im Januar 2013 schon die Marke von 7 Millionen Barrel überschritten.

Der bisherige Höchststand der Produktion wurde mit gut 9,6 Millionen Barrel im Juni und Juli 2015 erreicht. Seither ging die Fördermenge zunächst leicht, aber beständig zurück. Den Frackern schien angesichts stark gefallener Ölpreise die Puste auszugehen. Im Oktober fiel die Produktion unter die Marke von 9,1 Millionen Barrel. Interessant ist aber, dass die geförderte Menge seither wieder leicht ansteigt, in den ersten beiden Januarwochen ist sie sogar wieder über die Marke von 9,2 Millionen Fass geklettert.

Dass sich die Saudis mit den USA in der Förderfrage koordinieren, um Russland und Venezuela zu zerstören, ist zwar nicht gänzlich unmöglich, aber eher unwahrscheinlich. Denn den Saudis ist die Fracking-Industrie in den USA ja tatsächlich - wie jede massive Konkurrenz - ein Dorn im Auge. Man darf aber davon ausgehen, dass es die Konkurrenz um die Marktanteile ist, die zu fallenden Ölpreisen führt. Aus Sicht der USA waren niedrige Preise aus verschiedenen Gründen sogar sehr erwünscht. Denn billiges Öl treibt die energiehungrige US-Wirtschaft an. Da sie energieintensiv arbeitet, verliert sie an Wettbewerbsfähigkeit, wenn der Ölpreis hoch ist. Als gewünschter Nebeneffekt schwächen niedrige Ölpreise natürlich auch Russland und Venezuela, was den geostrategischen Interessen der USA wieder dient.

Der Ölpreis und das Fracking in den USA

Aber das Fracking in den USA wurde massiv ausgeweitet, als der Ölpreis vor der Finanzkrise auf über 140 Dollar angestiegen war, was der dortigen Wirtschaft schwer zu schaffen machte und zudem den Rivalen viel Geld in die Kassen spülte (Ölpreis auf Rekordstand). Aber über diese hohen Preise wurde eben auch das Fracking besonders lukrativ. Mit der weltweiten Krise ab 2008 gingen die Preise dann zwar in den Keller, doch sie wurden ausgerechnet dann von der OPEC stabilisiert. Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) senkte die Förderung im Januar 2009 um 2,2 Millionen Barrel täglich. Die Rezession, in die viele Industrieländer abrutschten, hatte zuvor den Ölpreis bis auf die Marke von 60 Dollar einbrechen lassen (Opec senkt die Ölfördermenge drastisch). Somit sorgte die von den Saudis bestimmte OPEC dafür, dass das Fracking nicht sofort wieder abgewürgt wurde. Denn zu diesem Zeitpunkt konnte nicht gewinnbringend zu diesen Preisen gefrackt werden.

Diese unkonventionelle Methode wurde auch durch die Geldschwemme und die Nullzinspolitik der US-Notenbank FED enorm gefördert. Geld stand seit Ausbruch der Krise in Unmassen und billig zur Verfügung. Und so wurde eine enorme Blase im Energiebereich aufgeblasen. Das war ein Teil der US-Strategie, um der Rezession zu begegnen. So entwickelte sich der Energiesektor zu einem der wesentlichen Wachstumsfaktoren in den USA. Das Land stieg derweil zum größten Öl- und Gasproduzenten auf, der 2014 Saudi-Arabien den Spitzenplatz raubte (Platzt angesichts des Ölpreissturzes nun die Fracking-Blase in den USA?).

Darüber waren die Scheichs alles andere als erfreut. Daher wird verständlich, warum die Saudis nicht zu weiteren Kürzungen der Fördermengen bereit waren, weil das nur zur weiteren Stützung der Fracking-Industrie und zum Verlust eigener Marktanteile geführt hätte. Statt Kooperation muss also eher von einer Konkurrenz ausgegangen werden. Deshalb wurde weder Ende 2014 noch Ende 2015 eine Drosselung auf der OPEC-Jahrestagung beschlossen.

Ölkrieg gegen Teheran?

Zuletzt wurde die neue Theorie gesponnen, dass die Saudis angeblich mit einer Flutung der Ölmärkte "die iranischen Aspirationen im Keim ersticken" wollten. Das entbehrt wohl jeder Grundlage. Wie schon aufgezeigt, haben die Saudis ihre Fördermenge, anders als die USA, nicht ausgeweitet. Trotz allem wurde gerade behauptet, das Land flute seit einem Jahr "den Markt regelrecht mit Erdöl."

Natürlich bereitet es den Saudis Bauchschmerzen, dass die Schiiten als Regionalmacht zurückkehren. Das mag einer der Gründe sein, warum die Förderung der OPEC trotz der extrem niedrigen Preise im Dezember nicht gedrosselt hat. Es kann aber keinesfalls davon gesprochen werden, die Saudis deshalb den Ölmarkt fluteten, um die Einnahmen Irans gering zu halten. Sie gehören sogar zu den Ländern, die am schärfsten unter den niedrigen Preisen leiden, denn ihre Wirtschaft hängt zu bis 90% vom Ölgeschäft ab. Von einem deutlichen Überschuss von etwa 6,5% im Haushalt 2014 ist dort nun keine Rede mehr. 2015 gab es ein deutliches Defizit von etwa 100 Milliarden Euro, das bis zu 21% der Wirtschaftsleistung ausmachen könnte. Der Staat denkt sogar darüber nach, den Ölkonzern Aramco (der vor der ersten Ölkrise 1973 privat war) jetzt wieder zu privatisieren, um an Einnahmen zu kommen.

Folgen für Russland

Neben den USA war dagegen eine weitere Großmacht daran beteiligt, dass inzwischen eine Überproduktion von knapp zwei Millionen Barrel auf dem Weltmarkt vorhanden ist. In einigen Ländern wurde zwischenzeitlich die Ölproduktion ausgeweitet, während sie die OPEC stabil hielt. Damit versuchten die, einbrechende Einnahmen aus dem Ölgeschäft über eine höhere Produktion zu kompensieren. Und zu diesen Ländern gehört auch Russland, dessen Ölproduktion im vergangenen Sommer einen neuen Rekordwert erreicht hat (Russische Ölförderung erreicht Spitzenwert).

War es also ausgerechnet Russland, das nach Lesart von Maduro den Ölkrieg gegen Venezuela und gegen seine eigenen Interessen verschärft hat? Oder sind es nicht doch vielleicht ganz andere Mechanismen, die hier wirksam werden? Sieht sich Russland angesichts der massiven Rezession und der Probleme im Land nicht vielmehr gezwungen, das eigene Öl zu verramschen und immer billiger auf den Markt zu werfen, weil es an anderen Einnahmequellen mangelt? Ist das nicht ein Dilemma, vor dem viele erdölproduzierende Länder stehen, wie auch Venezuela, das gerade den "Notstand" ausgerufen hat? Und hat das alles nicht damit zu tun, dass es den Ländern nicht gelungen ist, ihre Wirtschaft zu diversifizieren?

Klar ist, dass Russland längst händeringend nach neuen Einnahmequellen sucht. Deshalb sollen auch dort nun Anteile des staatlichen Ölkonzerns Rosneft versilbert werden. "Wir müssen nun eine Entscheidung treffen, woher wir das Geld nehmen", sagte Finanzminister Anton Siluanow am Samstag mit Blick auf das enorme Defizit im Haushalt: "Wir müssen den Staatshaushalt mit neuen Realitäten und schrumpfenden Mitteln konstruieren." Die Wirtschaft des Landes dürfte 2015 um knapp 4% geschrumpft sein. Offiziell geht Moskau zwar noch davon aus, dass die Wirtschaft im laufenden Jahr um 0,7% wachsen soll, doch dagegen sprachen schon Äußerungen von Ministerpräsident Dmitri Medwedew. Der hatte am vergangenen Mittwoch erklärt, das Land müsse sich wirtschaftlich auf das Schlimmste vorbereiten.

Es gibt schon Berichte, wonach die Regierung angesichts des Ölpreisverfalls real davon ausgeht, dass 2016 die Rezession anhält, weil das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um weitere 0,8% schrumpfen soll. Aus einer entsprechenden Prognose des Wirtschaftsministeriums hat die Nachrichtenagentur Reuters zitiert und zwei hochrangige Regierungsmitarbeiter sollen die Echtheit des Dokumentes bestätigt haben. Glaubhaft ist das allemal, da auch Finanzminister Siluanow meint, einen ausgeglichenen Haushalt könne es nur bei einem Ölpreis von 82 Dollar geben. Klar ist auch, dass die bisherigen Wachstumsprognosen der stark vom Öl abhängigen Wirtschaft von einem Ölpreis bei 50 Dollar gemacht wurden. Das nun berechnete Minus von 0,8% basiere auf einem Preis von 40 Dollar. Also kann die Rezession noch deutlich heftiger ausfallen, da der Ölpreis sich schon bei 30 Dollar bewegt. Vieles spricht dafür, dass er zunächst sogar noch weiter in die Knie gehen wird.

Wird der Iran den Ölmarkt fluten?

Es wird damit gerechnet, dass der Iran etwa eine Million Barrel täglich auf den Weltmarkt spülen wird. Dem Land ist es dabei zunächst ziemlich egal, wie niedrig der Preis gerade ist. Das hatte der iranische Ölminister Bijan Namdar Zanganeh kürzlich erklärt. Er kündigte an, das Land könne seine Produktion schnell um eine halbe Million Barrel steigern. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IAE) fördert der Iran derzeit knapp 3 Millionen Barrel pro Tag.

Viel hängt für den Ölpreis davon ab, ob die Vermutungen der Experten zutreffen, wonach der Iran mit einem Schlag 20 bis 30 Millionen Barrel Rohöl auf den Markt spülen könnte, um schnell an dringend benötigtes Geld zu kommen. Dann wird ein weiterer Ölpreisschock erwartet, denn durch eine verstärkte Lagerhaltung könnte diese Ölschwemme kaum noch aufgefangen werden, da die Lager längst zum Bersten gefüllt sind.

Es könnte ein perfekter Sturm heraufziehen, denn neben einem steigenden Überangebot ist da zusätzlich die massive Nachfrageschwäche Chinas, auch in anderen Schwellenländern sieht es nicht gerade rosig aus. Aber vor allem war es lange Jahre China, das praktisch alle Rohstoffe vom Markt saugte. Die Börsen brechen dort seit geraumer Zeit immer wieder wegen schlechter Wirtschaftsdaten ein und drücken damit zusätzlich auf den Ölpreis. Das Vorgehen der Planer im Reich der Mitte wird zunehmend hektischer. So wurde zum Beispiel ein gerade eingeführter Notmechanismus wieder beseitigt, bei dem der Börsenhandel ausgesetzt wird, weil die Kurse schnell fallen (China-Krise nicht zu bändigen). Das geschah, weil eine andere Notmaßnahme auslaufen sollte, die es Großaktionären wieder erlauben sollte, ihre Aktien zu verkaufen, was seit vergangenem Sommer verboten ist. Auch diese Not-Maßnahme wurde deshalb verlängert, um den Absturz an den Börsen aufzuhalten

In China ist man inzwischen auch soweit, weniger schlechte Nachrichten fast als gute Nachrichten aufzufassen. Dass die Exporte aus dem Reich der Mitte seit der schweren Krise ab 2008 erstmals 2015 wieder gesunken sind, ist wahrlich keine gute Nachricht. Im Vergleich zum Vorjahr gingen sie um 1,8% zurück. Die Importe brachen sogar regelrecht um 13,2% ein. Die Ausfuhren waren im Dezember im neunten Monat in Folge gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gingen die Ausfuhren des Exportweltmeisters nun aber "nur" um 1,4% zurück, während die Importe erneut stark um 7,6% zurückgegangen sind.

Positiv wurde dies deshalb gewertet, weil allgemein ein deutlicherer Rückgang der Exporte erwartet worden war. Die Stimmung hellte auch etwas auf, dass nach Umrechnung in die nationale Währung sogar eine Steigerung der Exporte in Renminbi um 2,3% herbeigerechnet werden konnte. Das kann aber nach den deutlichen Abwertungen des "Volksgelds" kaum noch verwundern, womit diese Bilanz aufgehübscht wurde.

Insgesamt wurde diese angebliche Trendwende letztlich auch nicht als solche an den Kapitalmärkten aufgefasst, die trotz dieser angeblich positiven Nachricht weiter in den Keller gingen. Seit Jahresbeginn fielen die Werte weltweit stark. Der chinesische CSI-300-Index, der die Entwicklung der 300 größten Aktienwerte in Shanghai und Shenzhen abbildet, verlor seit Jahresbeginn mehr als 16 Prozent. Der Frankfurter Leitindex Dax verlor im gleichen Zeitraum schon mehr als 11%. Ganz ähnlich sieht es an vielen Kapitalmärkten aus, wobei der Ölpreis dabei eine bedeutende Rolle spielt.