Olaf Scholz: der Genosse der Bankster

Seite 3: Tricksereien mit Aktien und Dividenden

Hinter Cum-Ex verbirgt sich eine Trickserei mit Kapitalertragssteuern, bei der Bescheinigungen über Dividenden zwischen Aktionären hin und her geschoben werden, sodass am Ende die Finanzbehörden den Überblick verlieren und mehr Bescheinigungen ausstellen, als tatsächlich Kapitalertragssteuern gezahlt wurden. Die Rede ist von sogenannten Leerverkäufen, wie die Süddeutsche Zeitung erläuterte:

Dabei geht es um den Handel mit Aktien, die noch nicht im Besitz der Verkäufer sind, sondern von diesen erst noch beschafft werden müssen. Das macht solche Geschäfte unübersichtlich, da vorübergehend unklar ist, wem welche Papiere gehören, wer Dividenden bekommt, wer Steuern zahlen muss und wer Anspruch auf Steuererstattungen hat. Diese Verwirrung nutzten zahlreiche Banken, Börsenhändler und Aktienfonds, um den Fiskus mit mehrmaligen Steuererstattungen auszunehmen.

Kling seltsam? Ist es auch, dennoch soll der Staat um mehr als zehn Milliarden Euro betrogen worden sein. Allein die Hamburger Warburg-Bank müsste inklusive Zinsen 167 Millionen Euro zurückzahlen, wie die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht in ihrem Video "Finanzgauner, Bankster und ihre Hintermänner - am Beispiel Olaf Scholz" erklärt. In der Süddeutschen Zeitung war von rund 190 Millionen die Rede, 146 Millionen Grundschuld plus Zinsen. Anfang 2016 ließ die Hamburger Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume der Bank durchsuchen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.

Daraufhin wurde laut einem Bericht der taz die vom heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) geleitete Finanzbehörde informiert, "dass sich Warburg durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte rechtswidrig um 47 Millionen Euro bereichert hatte". Eine Forderung, die Ende 2016 zu verjähren drohte. Doch nach monatelangem Hin und Her verzichtete die Finanzbehörde darauf, das Geld einzufordern. Angeblich die Entscheidung der zuständigen Finanzbeamtin. Sicherlich rein zufällig spendete 2017 die Warburg-Bank 45.000 Euro an die Hamburger SPD.

Hätte Scholz sich einmischen müssen?

Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt auch gegen Warburg-Aufsichtsratschef Olearius und etliche weitere Beschäftigte, die sich allesamt auch persönlich auf diese Weise bereichert haben sollen, wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall. Bei einer weiteren Durchsuchung im März 2018 wurde Olearius Tagebuch beschlagnahmt, in dem die Treffen mit Scholz vermerkt sind, eines davon drei Wochen vor der Entscheidung der Finanzbehörde, das Geld nicht zurückzufordern. Scholz behauptet, in diese Entscheidung nicht eingegriffen zu haben. taz-Autor Marco Carini wunderte sich:

Hätte Scholz, nachdem ihm die Fakten bekannt waren, als Bürgermeister nicht sogar aktiv handeln müssen - nicht zugunsten von Warburg, sondern zugunsten der Staatskasse, der so 47 Millionen Euro flöten gingen? Ist ihm nicht genau sein jetziges Beharren darauf, sich überhaupt nicht eingemischt zu haben, vorzuwerfen - als Unterlassungssünde zulasten Hamburgs? Doch diese Frage - die vielleicht relevanteste überhaupt - wird bislang nur selten gestellt.

Im März 2020 wurde die Warburg-Bank vom Landgericht Bonn verurteilt, 176 Millionen. Euro an Kapitalertragssteuer zurückzuzahlen. Die Hamburger Behörde forderte schließlich 160 Millionen, die Bank hat die Steuerschulden unterdessen beglichen. Das war im April 2020. Im Juni 2020 wurde das II. Corona-Steuerhilfegesetz verabschiedet. Damit sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die regeln, unter welchen Bedingungen die Cum-Ex-Gelder zurückgefordert werden können.

Das klingt vernünftig, "ehrenwert", wie Sahra Wagenknecht sagt. Doch In dieses Gesetz hat Finanzminister Scholz der Linke-Politikerin zufolge einen Passus "hinein gemogelt", dass es sich auf alle ausstehenden Forderungen bezieht, die im Juli 2020 noch nicht verjährt waren. Das traf aber auf die meisten Cum-Ex-Geschäfte zu. Linke und Grüne beantragten, diesen Passus zu streichen, doch die Koalitionsparteien stimmten dagegen. Was das für die Rückforderung an die Warburg-Bank bedeutet, die zwar die Steuerschulden zurückzahlte, aber dagegen den Rechtsweg beschritt, ist nicht klar.

Tricksen, Tarnen und Vertuschen

Der Finanzexperte der Linksfraktion im Bundestag, Fabio de Masi, fasste die Ereignisse für Telepolis wie folgt zusammen:

Die Anwälte von Warburg - Thomas Fischer und Peter Gauweiler - haben in der Hamburger Bürgerschaft klipp und klar formuliert, worum es bei den Gesprächen von Warburg Bankier Olearius ging: Die Steuerrückforderung wegen krimineller Cum Ex Geschäfte sollte sich in Luft auflösen. Ohne die Weisung des Finanzministeriums gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg wäre dies von Erfolg gekrönt gewesen. Im Jahr 2016 war bereits eine Verjährung von 47 Millionen Euro erfolgt und im Jahr 2017 drohte eine weitere Verjährung von 43 Millionen Euro.

Es war damals noch nicht absehbar, dass es eine Fortentwicklung der Rechtsprechung durch einen mutigen Richter und die gesetzliche Möglichkeit der nachträglichen Vermögensabschöpfung von steuerlich verjährter Cum Ex Tatbeute im Strafverfahren geben würde.

Olaf Scholz hält daran fest, dass es keinen Einfluss auf ein laufendes Steuerverfahren gegeben hätte, obwohl er sich als Hamburger Bürgermeister mehrfach mit dem Beschuldigten Olearius in einem laufenden Ermittlungsverfahren traf. Die Hamburger Betriebsprüfer von Warburg kämpften zeitgleich bis zur Erschöpfung für den Vollzug der Steuerforderung. Dies erinnert fatal an den Umgang mit erfolgreichen hessischen Steuerfahndern, die zur Aufgabe gezwungen und deren berufliche Existenz vernichtet wurde. Die Treffen zwischen Scholz und Oleraius wurden Bürgerschaft und Bundestag mehrfach verheimlicht.

Zudem hat Herr Olearius in seinem Tagebuch festgehalten, dass Herr Scholz die Auffassung geteilt habe, wonach die Deutsche Bank wohl zum Nachteil der Warburg Bank geschont werden solle. Hätte Herr Scholz auch den Immobilienhai Felix Osmani getroffen? Zunächst wurde das Treffen mit Herrn Olearius am 10. November 2017 - am Tag als die Weisung des Finanzministeriums zur Abwendung der Verjährung der kriminellen Cum Ex Tatbeute in Hamburg postalisch eintraf - durch die Senatskanzlei in einer Antwort an die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft verheimlicht.

Dann wurden mir im März 2020 trotz konkreter Nachfrage die weiteren Treffen von Herrn Scholz mit Herrn Olearius verheimlicht. Es brauchte zwei weitere Sitzungen des Finanzausschusses des Bundestages - eine davon als VS-vertraulich eingestuft - und eine weitere Veröffentlichung investigativer Journalisten, um die weiteren Treffen offenzulegen. Angeblich hat Herr Scholz erst dann seinen Kalender geprüft.

Ebenso wurde mir die Erneuerung der Weisung des Finanzministeriums gegenüber Hamburg am 1. Dezember 2017 trotz meiner konkreten parlamentarischen Anfrage hierzu verheimlicht und erst durch ein Versehen offenbart. Es ist vollkommen unglaubwürdig, dass eine einzelne Finanzbeamtin sich auf eigene Faust zweifach einer Weisung des Finanzministeriums widersetzt haben soll und eine Verjährung von Millionenbeträgen für ihre Stadt in Kauf genommen haben soll. Zumal das Hamburger Finanzministerium - die Finanzbehörde - in die Diskussionen über die Weisung einbezogen war.

Mittlerweile wissen wir, dass Herr Olearius Herrn Scholz ein Papier mit der Argumentation der Warburg Bank übergab. Auch dieses Dokument wurde trotz meiner konkreten Nachfragen nicht offenbart und wurde nicht veraktet. Stattdessen forderte Herr Scholz Herrn Olearius auf, den Vermerk "kommentarlos" an den damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Herrn Tschentscher weiterzuleiten. Warum kommentarlos, wenn er sich mit Herrn Tschentscher nicht über den Sachverhalt ausgetauscht haben will? Und warum sollte ein Dokument mit handschriftlichen Anmerkungen von Finanzsenator Tschentscher nach unten erneut in die Finanzverwaltung durchgereicht werden? Es lag doch dort längst vor!

(Fabio De Masi, Finanzexperte der Fraktion Die Linke im Bundestag)

Der nächste Bankenskandal

Noch während Scholz Cum-Ex um die Ohren flog, bahnte sich die nächste Katastrophe an: Der Wirecard-Skandal, der wohl größten Bankenskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Den "erbte" er im Grunde von seinem Vorgänger Schäuble, dennoch gab es zu Beginn seiner Amtszeit konkrete Hinweise auf Unstimmigkeiten im Unternehmen, die der Finanzbehörde unterstellte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurde auch tätig - zugunsten von Wirecard - und Scholz ließ sie gewähren.

Wirecard stieg 1998 als Dienstleister für den Onlinehandel ein, bot Lösungen für bargeldlosen Zahlungsverkehr, Kreditkarten, seit 2008 auch Prepaid-Kreditkarten, die wie Handykarten mit Guthaben geladen werden können, das nach und nach verbraucht wird, und etablierte sich schnell auf dem Markt. Vor allem Pornoanbieter und deren Kundschaft griffen aufgrund der gewährleisteten Anonymität gern auf diese Dienstleistung zurück. 2007 wurde Wirecard Asia Pacific in Singapur gegründet, die sich gut zehn Jahre später als absolute Luftnummer entpuppen und für das Ende des Unternehmens sorgen sollte.

Bereits 2008 veröffentlichte ein Blogger eine kritische Analyse, der aber weiter keine Beachtung geschenkt wurde. Allerdings nahm Wirecard daraufhin zum ersten Mal die Dienste des Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young (EY) in Anspruch. Dieses konnte keine Unstimmigkeiten feststellen.

2016 warfen Analysten Wirecard illegale Praktiken vor, das endete mit einem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft München gegen die Kritiker. Es ging um sogenannte Leerverkäufe - also wie erwähnt Aktienkäufe, mit denen die Verwirrung gestiftet wurde, die zum Cum-Ex-Skandal führten.

Zeugin: erst gehackt, dann überfallen

2017 berichtete das Manager Magazin über intransparente Bilanzierungen. 2018 bezichtigte Fahmi Quadir, eine sogenannte Shortsellerin, Wirecard krimineller Machenschaften und nannte es "eine gigantische Geldwaschanlage". Der Berliner Zeitung zufolge wetten Shortseller "auf fallende Kurse eines Unternehmens oder auf den Niedergang eines Staates. Manche Shortseller lancieren gezielt Attacken, um die Kurse künstlich nach unten zu treiben. Andere beschäftigen sich akribisch mit Unternehmen und prüfen, ob deren Geschäfte solide sind."

Vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages berichtete Quadir, ihr sei seltsam erschienen, dass ein Unternehmen mit Prepaid-Kreditkarten derart viel Vermögen anhäufen könne. Sie ging der Sache auf den Grund und wurde zur Zielscheibe von Wirecard: Zunächst durch Hackerangriffe, später wurde sie überfallen. Bis heute ist unklar, wer hinter diesem Überfall steckt. Dass er von Wirecard in Auftrag gegeben wurde, kann sie nicht beweisen.

Während eine junge Frau in den USA aktiv wurde, blieben die zuständigen Behörden in Deutschland, dem Sitz des Mutterkonzerns untätig. Auch dann, als, ebenfalls 2018, die Financial Times berichtete, dass Wirecard Singapur ihre Umsätze erfinden würde. Erst im Februar 2019 wurde die BaFin tätig - allerdings pro Wirecard. Im September 2019 warb Kanzlerin Merkel bei einer Chinareise für das Unternehmen.

Die Wirecard-Luftblase platzt

Im Oktober 2019 wurde das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG beauftragt. Der Bericht wurde Ende 2020 veröffentlicht - mit dem Ergebnis, dass nicht alle Vorwürfe entkräftet werden könnten. Da war die Wirecard-Luftblase jedoch schon geplatzt, im Juni 2020 meldete das Unternehmen Insolvenz an. Jan Marsalek, ehemaliges Vorstandsmitglied und maßgeblich verantwortlich für die Singapur-Geschäfte, setzte sich ab und wird bis heute mit internationalem Haftbefehl gesucht. Im Juni 2020 erstattete die BaFin schließlich Anzeige wegen Marktmanipulation. Übrig bleibt ein riesiger Scherbenhaufen, die vor allem kleine Anleger zusammen kehren müssen, die ihr sauer verdientes und mühsam Erspartes in Wirecard-Aktien investierten.

Zehn Jahre lang prüfte Ernst & Young die Geschäftsbücher von Wirecard, neun Jahre fielen den Wirtschaftsprüfern angeblich keine Unstimmigkeiten auf. 2020 beanstandeten sie erstmals einen Geschäftsbericht, den für 2019. Das tat dem Vertrauen, das die Bundesregierung in das Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen setzt, keinen Abbruch: 2020 schlossen das Bundesgesundheits-, das Verkehrs- und das Wirtschaftsministerium Beraterverträge mit Ernst & Young über insgesamt 28 Millionen Euro ab.

Abgesehen von der Vorgeschichte stellt sich da die Frage: Was machen Bundesbehörden eigentlich selber? Wie viele Schulen hätten beispielsweise für dieses Geld mit Luftfilteranlagen ausgerüstet werden können?