Olaf Scholz: der Genosse der Bankster

Wenn Sie sich fragen, was Sie da wieder für obskure Leute getroffen haben, sieht das etwa so aus. Foto: Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0-DE

Die Laufbahn des Bundesfinanzministers und SPD-Kanzlerkandidaten: deutsche Zeitgeschichte anhand einer Politikerkarriere (Teil 2 und Schluss)

Teil 2: Das Gedächtnis lässt nach

Als Hamburgs Erster Bürgermeister regierte Scholz ansonsten gemütlich vor sich hin, bis ihm 2014 der gute alte Slogan "Law and Order is a Labour Issue" wieder einfiel und er in den Stadtteilen St. Pauli und Sternschanze großräumig "Gefahrengebiete" errichten ließ. Auf einen angeblichen oder tatsächlichen Angriff vermummter Gestalten auf die berühmte Davidwache auf der Reeperbahn reagierte der Senat, indem er über weite Teile Hamburgs den Ausnahmezustand verhängte.

Konkret hieß "Gefahrengebiet": Die Polizei legte eigenständig das Gebiet und die Dauer fest, in der verdachtsunabhängige Personen- und Taschenkontrollen durchgeführt, Platzverweise ausgesprochen oder auch Ingewahrsamnahmen durchgeführt werden konnten. Sie legte eigenständig fest, wie oft und mit wie viel Personal diese Kontrollen durchgeführt wurden. Das alles, um "sehr deutlich" zu machen, "dass die Polizei Hamburg alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen wird, um Leib und Leben ihrer Beamten zu schützen", wie sie in einer Presseerklärung vom 3. Januar 2014 mitteilte.

Die Absurdität dieses Unterfangens wurde symbolisiert durch eine Klobürste, die es als Zeichen des Widerstands gegen diese Form der Polizeiwillkür bis in die Tagesschau schaffte. Im Mai 2015 stellte das Oberverwaltungsgericht Hamburg fest, dass diese Praxis mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Wieder ein Rückschlag für Scholz.

Gastgeschenk beim Fressgelage

Da traf es sich gut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den G-20-Gipfel 2017 in Deutschland ausrichten wollte. Ende November 2015 stand fest, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen würde. Nun brauchte die Kanzlerin noch einen passenden Austragungsort. Da fiel ihr der gute alte Arbeitsminister Scholz wieder ein. Dieser hatte zudem gerade noch eine Schlappe hinnehmen müssen, da sich die Hamburger Bevölkerung in einer Volksabstimmung mehrheitlich gegen die Austragung der Olympischen Spiele 2024 in der Hansestadt ausgesprochen hatten.

G-20 in Hamburg? Eine Win-win-Situation für beide. Das dachte nicht nur Merkel, sondern auch Scholz. Bei der Matthiae-Mahlzeit, einem vom Senat ausgerichteten traditionellen Fressgelage für die oberen Zehntausend, gab Merkel - nicht Scholz - bekannt, dass der G-20-Gipfel 2017 in der Hansestadt stattfinden werde; sozusagen ihr Gastgeschenk.

"Polizeigewalt hat es nicht gegeben"

Scholz nahm an und beschloss, den Gipfel am 7. und 8. Juli in den Hamburger Messehallen zu veranstalten. Diese liegen im Karolinenviertel - mitten in dem Areal, das er noch kurz zuvor als Gefahrengebiet auserkoren hatte. Die dort ansässige linksautonome Klientel verstand die Kampfansage und bereitete ihrerseits den Widerstand vor. Die Einheimischen hatten größtenteils weder Lust auf den Gipfel noch auf die Proteste. Leider verabsäumten beide Seiten, sie danach zu fragen und zogen ihr Ding durch. Das endete bekanntermaßen in einer Katastrophe.

Die Polizei führte sich von Anfang an als beinharte Ordnungsmacht auf und ließ zu Beginn der G-20-Woche friedliche Protestcamps auflösen. Die Proteste eskalierten schließlich am Freitagabend, stundenlang waren die Einheimischen im Schanzenviertel dem Chaos ausgesetzt, die eingesetzten Beamten waren unpässlich: Sie mussten gewährleisten, dass die hohen Damen und Herren und ihre Entourage störungsfrei vom Rathaus in die Elbphilharmonie transferiert werden konnten. Später wurde das Schanzenviertel mit einem martialischen Aufgebot an bewaffneten Uniformierten und entsprechenden Gerätschaften geräumt. Dabei sei es zu massiver Polizeigewalt gekommen, hieß es von Seiten dort Anwesender.

Dieser Vorwurf wurde auch in Bezug auf die gewaltsame Auflösung der "Welcome to Hell"-Demo in St. Pauli erhoben. Die Polizei habe die Demo-Beteiligten in Richtung Elbe gedrängt. Sie seien zum Teil panisch über die Kaimauer geklettert - und die Uniformierten hinterher, so dass die Getriebenen sich zwischen Elbe und Staatsgewalt eingekesselt sahen, berichteten Betroffene im Anschluss. Die Einsatzkräfte hätten alle gejagt, unabhängig davon, ob die fraglichen Personen vermummt gewesen seien oder nicht. Verstöße gegen das Vermummungsverbot waren der Anlass für den Angriff auf die Demo - während die Veranstalter versuchten, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer davon zu überzeugen, Gesicht zu zeigen. Polizeigewalt vermochte Scholz indes nicht wahrzunehmen. So sagte er laut Berichten der Zeit und des NDR:

Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise.

Dennoch wurden später 115 Ermittlungsverfahren, 92 davon wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizeibeamte eröffnet. Soweit bekannt führte dies in keinem Fall zur Anklage, geschweige denn zu einer Verurteilung. Dafür wurden G-20-Gegner teilweise zu harten Strafen verurteilt.

Beginn einer wunderbaren Freundschaft

Nach dem Gipfel ging es heiß her in Hamburg - im Parlament, in den Medien und am Stammtisch; jeder beschimpfte jeden, (fast) niemand wollte Verantwortung für das Desaster übernehmen. Der Senat - allen voran Scholz - verortete die Verantwortlichen für die Hamburger Chaostage bei den G-20-Gegnern, diese im Senat und in der Polizeiführung. Alle bekamen ihr Fett ab - nur eine nicht: Angela Merkel. Es ging völlig unter, dass sie diejenige war, die letztlich die Verantwortung trug.

Sie hatte sich um die Ausrichtung des Gipfels beworben, hatte die Umsetzung Scholz aufs Auge gedrückt, obwohl auch in Berlin bekannt gewesen sein muss, welche Risiken der Veranstaltungsort barg, hatte Hof gehalten, während die Hamburger Polizei das Unmögliche möglich machen musste. Für Merkel war der Gipfel ein voller Erfolg - und der Auftakt zum Bundestagswahlkampf, der in ihrer Wiederwahl am 24. September 2017 gipfelte.

Fast schien es, als hätte Scholz den Wahlkampf für Merkel eröffnet. Als dieser aber unmittelbar nach dem Gipfel die Kanzlerin auf eine Dienstreise begleiten durfte, war klar, dass G-20 in Hamburg der Beginn einer wunderbaren Freundschaft war, die Scholz zurück nach Berlin bringen sollte. Was er risikoreich, aber clever im Sommer 2017 einfädelte, zahlte sich im März 2018 aus, als Scholz nicht nur zum Bundesfinanzminister, sondern auch zum Vizekanzler ernannt wurde.

La Famiglia

Kaum im Amt, bahnte sich für Scholz der nächste Skandal an, der allerdings in der Öffentlichkeit wenig Beachtung fand. Seit 1998 ist Scholz mit Britta Ernst verheiratet, die am 28. September 2017 in Brandenburg zur Ministerin für Bildung, Jugend und Sport ernannt wurde. Für das Politikerpaar bot sich ein Ortswechsel von Hamburg-Altona nach Brandenburg an. Genauer gesagt, Britta Ernst mietete nach ihrer Ernennung eine Wohnung in Potsdam an, in der das Paar nun lebt. Das Problem ist nicht die Wohnung, sondern wer sie vermietet. Britta ernst schloss den Mietvertrag laut Stern mit Frau Mosdorf. Diese ist verheiratet mit Siegmar Mosdorf, einem früheren SPD-Politiker. Die "rote" Familie sorgt füreinander.

Das wäre allerdings nicht anrüchig, wenn Siegmar Mosdorf nicht ein bekannter Berliner Lobbyist wäre. Er ist dem Stern zufolge "seit 2002 Gründungspartner der PR- und Lobbyagentur CNC Communications". Diese soll bis November 2017 auch die Interessen einer Firma vertreten haben, die "in direkten Geschäftsbeziehungen mit dem Finanzministerium steht. Es handelt sich um die Bundesanzeiger Verlag GmbH; CNC gab die Firma im November im EU-Lobbyregister als Kunden an." Die Bundesanzeiger Verlag GmbH betreibe "auf Geheiß des damals noch von Wolfgang Schäuble (CDU) geführten Finanzministeriums das deutsche Transparenzregister, in dem Firmen laut Geldwäschegesetz die Namen ihrer wirtschaftlich Berechtigten angeben müssen", so der Stern.

Wie es der Zufall so will, gehörte auch die Bundesdruckerei, die im Jahr 2000 privatisiert worden war, zu der Kundschaft von CNC. Beim Auftrag des Finanzministeriums an die Bundesanzeiger Verlag GmbH soll dem Magazin zufolge gemauschelt worden sein. Allerdings unter Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), wie Olaf Scholz nicht ganz zu Unrecht anmerkt. Und seine Ernennung zum Finanzminister sei damals nicht absehbar gewesen. Sowohl die Organisationen Lobbycontrol als auch Transparency International Deutschland äußern im Stern dennoch Bedenken und fordern ein Lobbyregister.

Der Genosse der Bankster

Ein ganz anderer Skandal wird Scholz auch noch nach der Bundestagswahl am 26. September beschäftigen - egal, wie er beziehungsweise die SPD abschneidet: Der Cum-Ex-Skandal, genauer gesagt die Verstrickung der Hamburger Warburg-Bank darin und die Eigentümlichkeit, dass das Finanzamt Hamburg auf die Rückzahlung von rund 47 Millionen Euro verzichtete - just nachdem Scholz in Kontakt mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Bank, Christian Olearius, stand. Drei Treffen soll es gegeben haben, zwei davon waren ihm indes entfallen. Das Alter macht ihm offenbar allmählich zu schaffen.

Damit ihm das nicht auch passiert, hat Olearius alle Kontakte fein säuberlich in einem kleinen Notizbuch vermerkt, das bei einer Durchsuchung im März 2018 in die Hände der Staatsanwaltschaft Hamburg fiel. Ob Scholz Gedächtnis tatsächlich nachlässt, oder ob er schlicht gelogen hat, sei mal dahin gestellt. Eine entsprechende Nachfrage von Telepolis blieb unbeantwortet. Fakt ist jedenfalls, dass seine Aussage vor dem Cum-Ex-Ausschuss des Bundestages falsch war.

Auch vor dem Hamburger Cum-Ex-Ausschuss hielt Scholz sich sehr bedeckt, kommenden Herbst soll er erneut geladen werden. Der ehemals enge Vertraute des "Genossen der Bosse", Gerhard Schröder, stand am Ende als Genosse der Bankster dar.

Tricksereien mit Aktien und Dividenden

Hinter Cum-Ex verbirgt sich eine Trickserei mit Kapitalertragssteuern, bei der Bescheinigungen über Dividenden zwischen Aktionären hin und her geschoben werden, sodass am Ende die Finanzbehörden den Überblick verlieren und mehr Bescheinigungen ausstellen, als tatsächlich Kapitalertragssteuern gezahlt wurden. Die Rede ist von sogenannten Leerverkäufen, wie die Süddeutsche Zeitung erläuterte:

Dabei geht es um den Handel mit Aktien, die noch nicht im Besitz der Verkäufer sind, sondern von diesen erst noch beschafft werden müssen. Das macht solche Geschäfte unübersichtlich, da vorübergehend unklar ist, wem welche Papiere gehören, wer Dividenden bekommt, wer Steuern zahlen muss und wer Anspruch auf Steuererstattungen hat. Diese Verwirrung nutzten zahlreiche Banken, Börsenhändler und Aktienfonds, um den Fiskus mit mehrmaligen Steuererstattungen auszunehmen.

Kling seltsam? Ist es auch, dennoch soll der Staat um mehr als zehn Milliarden Euro betrogen worden sein. Allein die Hamburger Warburg-Bank müsste inklusive Zinsen 167 Millionen Euro zurückzahlen, wie die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht in ihrem Video "Finanzgauner, Bankster und ihre Hintermänner - am Beispiel Olaf Scholz" erklärt. In der Süddeutschen Zeitung war von rund 190 Millionen die Rede, 146 Millionen Grundschuld plus Zinsen. Anfang 2016 ließ die Hamburger Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume der Bank durchsuchen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.

Daraufhin wurde laut einem Bericht der taz die vom heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) geleitete Finanzbehörde informiert, "dass sich Warburg durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte rechtswidrig um 47 Millionen Euro bereichert hatte". Eine Forderung, die Ende 2016 zu verjähren drohte. Doch nach monatelangem Hin und Her verzichtete die Finanzbehörde darauf, das Geld einzufordern. Angeblich die Entscheidung der zuständigen Finanzbeamtin. Sicherlich rein zufällig spendete 2017 die Warburg-Bank 45.000 Euro an die Hamburger SPD.

Hätte Scholz sich einmischen müssen?

Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt auch gegen Warburg-Aufsichtsratschef Olearius und etliche weitere Beschäftigte, die sich allesamt auch persönlich auf diese Weise bereichert haben sollen, wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall. Bei einer weiteren Durchsuchung im März 2018 wurde Olearius Tagebuch beschlagnahmt, in dem die Treffen mit Scholz vermerkt sind, eines davon drei Wochen vor der Entscheidung der Finanzbehörde, das Geld nicht zurückzufordern. Scholz behauptet, in diese Entscheidung nicht eingegriffen zu haben. taz-Autor Marco Carini wunderte sich:

Hätte Scholz, nachdem ihm die Fakten bekannt waren, als Bürgermeister nicht sogar aktiv handeln müssen - nicht zugunsten von Warburg, sondern zugunsten der Staatskasse, der so 47 Millionen Euro flöten gingen? Ist ihm nicht genau sein jetziges Beharren darauf, sich überhaupt nicht eingemischt zu haben, vorzuwerfen - als Unterlassungssünde zulasten Hamburgs? Doch diese Frage - die vielleicht relevanteste überhaupt - wird bislang nur selten gestellt.

Im März 2020 wurde die Warburg-Bank vom Landgericht Bonn verurteilt, 176 Millionen. Euro an Kapitalertragssteuer zurückzuzahlen. Die Hamburger Behörde forderte schließlich 160 Millionen, die Bank hat die Steuerschulden unterdessen beglichen. Das war im April 2020. Im Juni 2020 wurde das II. Corona-Steuerhilfegesetz verabschiedet. Damit sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die regeln, unter welchen Bedingungen die Cum-Ex-Gelder zurückgefordert werden können.

Das klingt vernünftig, "ehrenwert", wie Sahra Wagenknecht sagt. Doch In dieses Gesetz hat Finanzminister Scholz der Linke-Politikerin zufolge einen Passus "hinein gemogelt", dass es sich auf alle ausstehenden Forderungen bezieht, die im Juli 2020 noch nicht verjährt waren. Das traf aber auf die meisten Cum-Ex-Geschäfte zu. Linke und Grüne beantragten, diesen Passus zu streichen, doch die Koalitionsparteien stimmten dagegen. Was das für die Rückforderung an die Warburg-Bank bedeutet, die zwar die Steuerschulden zurückzahlte, aber dagegen den Rechtsweg beschritt, ist nicht klar.

Tricksen, Tarnen und Vertuschen

Der Finanzexperte der Linksfraktion im Bundestag, Fabio de Masi, fasste die Ereignisse für Telepolis wie folgt zusammen:

Die Anwälte von Warburg - Thomas Fischer und Peter Gauweiler - haben in der Hamburger Bürgerschaft klipp und klar formuliert, worum es bei den Gesprächen von Warburg Bankier Olearius ging: Die Steuerrückforderung wegen krimineller Cum Ex Geschäfte sollte sich in Luft auflösen. Ohne die Weisung des Finanzministeriums gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg wäre dies von Erfolg gekrönt gewesen. Im Jahr 2016 war bereits eine Verjährung von 47 Millionen Euro erfolgt und im Jahr 2017 drohte eine weitere Verjährung von 43 Millionen Euro.

Es war damals noch nicht absehbar, dass es eine Fortentwicklung der Rechtsprechung durch einen mutigen Richter und die gesetzliche Möglichkeit der nachträglichen Vermögensabschöpfung von steuerlich verjährter Cum Ex Tatbeute im Strafverfahren geben würde.

Olaf Scholz hält daran fest, dass es keinen Einfluss auf ein laufendes Steuerverfahren gegeben hätte, obwohl er sich als Hamburger Bürgermeister mehrfach mit dem Beschuldigten Olearius in einem laufenden Ermittlungsverfahren traf. Die Hamburger Betriebsprüfer von Warburg kämpften zeitgleich bis zur Erschöpfung für den Vollzug der Steuerforderung. Dies erinnert fatal an den Umgang mit erfolgreichen hessischen Steuerfahndern, die zur Aufgabe gezwungen und deren berufliche Existenz vernichtet wurde. Die Treffen zwischen Scholz und Oleraius wurden Bürgerschaft und Bundestag mehrfach verheimlicht.

Zudem hat Herr Olearius in seinem Tagebuch festgehalten, dass Herr Scholz die Auffassung geteilt habe, wonach die Deutsche Bank wohl zum Nachteil der Warburg Bank geschont werden solle. Hätte Herr Scholz auch den Immobilienhai Felix Osmani getroffen? Zunächst wurde das Treffen mit Herrn Olearius am 10. November 2017 - am Tag als die Weisung des Finanzministeriums zur Abwendung der Verjährung der kriminellen Cum Ex Tatbeute in Hamburg postalisch eintraf - durch die Senatskanzlei in einer Antwort an die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft verheimlicht.

Dann wurden mir im März 2020 trotz konkreter Nachfrage die weiteren Treffen von Herrn Scholz mit Herrn Olearius verheimlicht. Es brauchte zwei weitere Sitzungen des Finanzausschusses des Bundestages - eine davon als VS-vertraulich eingestuft - und eine weitere Veröffentlichung investigativer Journalisten, um die weiteren Treffen offenzulegen. Angeblich hat Herr Scholz erst dann seinen Kalender geprüft.

Ebenso wurde mir die Erneuerung der Weisung des Finanzministeriums gegenüber Hamburg am 1. Dezember 2017 trotz meiner konkreten parlamentarischen Anfrage hierzu verheimlicht und erst durch ein Versehen offenbart. Es ist vollkommen unglaubwürdig, dass eine einzelne Finanzbeamtin sich auf eigene Faust zweifach einer Weisung des Finanzministeriums widersetzt haben soll und eine Verjährung von Millionenbeträgen für ihre Stadt in Kauf genommen haben soll. Zumal das Hamburger Finanzministerium - die Finanzbehörde - in die Diskussionen über die Weisung einbezogen war.

Mittlerweile wissen wir, dass Herr Olearius Herrn Scholz ein Papier mit der Argumentation der Warburg Bank übergab. Auch dieses Dokument wurde trotz meiner konkreten Nachfragen nicht offenbart und wurde nicht veraktet. Stattdessen forderte Herr Scholz Herrn Olearius auf, den Vermerk "kommentarlos" an den damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Herrn Tschentscher weiterzuleiten. Warum kommentarlos, wenn er sich mit Herrn Tschentscher nicht über den Sachverhalt ausgetauscht haben will? Und warum sollte ein Dokument mit handschriftlichen Anmerkungen von Finanzsenator Tschentscher nach unten erneut in die Finanzverwaltung durchgereicht werden? Es lag doch dort längst vor!

(Fabio De Masi, Finanzexperte der Fraktion Die Linke im Bundestag)

Der nächste Bankenskandal

Noch während Scholz Cum-Ex um die Ohren flog, bahnte sich die nächste Katastrophe an: Der Wirecard-Skandal, der wohl größten Bankenskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Den "erbte" er im Grunde von seinem Vorgänger Schäuble, dennoch gab es zu Beginn seiner Amtszeit konkrete Hinweise auf Unstimmigkeiten im Unternehmen, die der Finanzbehörde unterstellte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurde auch tätig - zugunsten von Wirecard - und Scholz ließ sie gewähren.

Wirecard stieg 1998 als Dienstleister für den Onlinehandel ein, bot Lösungen für bargeldlosen Zahlungsverkehr, Kreditkarten, seit 2008 auch Prepaid-Kreditkarten, die wie Handykarten mit Guthaben geladen werden können, das nach und nach verbraucht wird, und etablierte sich schnell auf dem Markt. Vor allem Pornoanbieter und deren Kundschaft griffen aufgrund der gewährleisteten Anonymität gern auf diese Dienstleistung zurück. 2007 wurde Wirecard Asia Pacific in Singapur gegründet, die sich gut zehn Jahre später als absolute Luftnummer entpuppen und für das Ende des Unternehmens sorgen sollte.

Bereits 2008 veröffentlichte ein Blogger eine kritische Analyse, der aber weiter keine Beachtung geschenkt wurde. Allerdings nahm Wirecard daraufhin zum ersten Mal die Dienste des Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young (EY) in Anspruch. Dieses konnte keine Unstimmigkeiten feststellen.

2016 warfen Analysten Wirecard illegale Praktiken vor, das endete mit einem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft München gegen die Kritiker. Es ging um sogenannte Leerverkäufe - also wie erwähnt Aktienkäufe, mit denen die Verwirrung gestiftet wurde, die zum Cum-Ex-Skandal führten.

Zeugin: erst gehackt, dann überfallen

2017 berichtete das Manager Magazin über intransparente Bilanzierungen. 2018 bezichtigte Fahmi Quadir, eine sogenannte Shortsellerin, Wirecard krimineller Machenschaften und nannte es "eine gigantische Geldwaschanlage". Der Berliner Zeitung zufolge wetten Shortseller "auf fallende Kurse eines Unternehmens oder auf den Niedergang eines Staates. Manche Shortseller lancieren gezielt Attacken, um die Kurse künstlich nach unten zu treiben. Andere beschäftigen sich akribisch mit Unternehmen und prüfen, ob deren Geschäfte solide sind."

Vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages berichtete Quadir, ihr sei seltsam erschienen, dass ein Unternehmen mit Prepaid-Kreditkarten derart viel Vermögen anhäufen könne. Sie ging der Sache auf den Grund und wurde zur Zielscheibe von Wirecard: Zunächst durch Hackerangriffe, später wurde sie überfallen. Bis heute ist unklar, wer hinter diesem Überfall steckt. Dass er von Wirecard in Auftrag gegeben wurde, kann sie nicht beweisen.

Während eine junge Frau in den USA aktiv wurde, blieben die zuständigen Behörden in Deutschland, dem Sitz des Mutterkonzerns untätig. Auch dann, als, ebenfalls 2018, die Financial Times berichtete, dass Wirecard Singapur ihre Umsätze erfinden würde. Erst im Februar 2019 wurde die BaFin tätig - allerdings pro Wirecard. Im September 2019 warb Kanzlerin Merkel bei einer Chinareise für das Unternehmen.

Die Wirecard-Luftblase platzt

Im Oktober 2019 wurde das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG beauftragt. Der Bericht wurde Ende 2020 veröffentlicht - mit dem Ergebnis, dass nicht alle Vorwürfe entkräftet werden könnten. Da war die Wirecard-Luftblase jedoch schon geplatzt, im Juni 2020 meldete das Unternehmen Insolvenz an. Jan Marsalek, ehemaliges Vorstandsmitglied und maßgeblich verantwortlich für die Singapur-Geschäfte, setzte sich ab und wird bis heute mit internationalem Haftbefehl gesucht. Im Juni 2020 erstattete die BaFin schließlich Anzeige wegen Marktmanipulation. Übrig bleibt ein riesiger Scherbenhaufen, die vor allem kleine Anleger zusammen kehren müssen, die ihr sauer verdientes und mühsam Erspartes in Wirecard-Aktien investierten.

Zehn Jahre lang prüfte Ernst & Young die Geschäftsbücher von Wirecard, neun Jahre fielen den Wirtschaftsprüfern angeblich keine Unstimmigkeiten auf. 2020 beanstandeten sie erstmals einen Geschäftsbericht, den für 2019. Das tat dem Vertrauen, das die Bundesregierung in das Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen setzt, keinen Abbruch: 2020 schlossen das Bundesgesundheits-, das Verkehrs- und das Wirtschaftsministerium Beraterverträge mit Ernst & Young über insgesamt 28 Millionen Euro ab.

Abgesehen von der Vorgeschichte stellt sich da die Frage: Was machen Bundesbehörden eigentlich selber? Wie viele Schulen hätten beispielsweise für dieses Geld mit Luftfilteranlagen ausgerüstet werden können?

Scholz will Kanzlerin werden

Ungeachtet all dessen schickt Scholz sich an, auf den Höhepunkt seiner Karriere zuzusteuern: Er will Bundeskanzlerin werden. Pardon, Bundeskanzler. Nach 16 Jahren Merkel in diesem Amt müssen wir uns erst wieder an diesen Begriff gewöhnen - es sei denn, Annalena Baerbock von den Grünen macht das Rennen. Die Prognosen stehen nicht gerade zugunsten der SPD, die für einen Kanzler Scholz stärkste Kraft werden müsste.

Von 2001 bis 2019 gehörte Scholz dem Parteivorstand an, nach dem Rücktritt von Martin Schulz, dessen Zug im Bundestagswahlkampf 2018 furchtbar entgleist war, übernahm er kommissarisch den Vorsitz. Am 22. April 2018 wurde Andrea Nahles zur Parteivorsitzenden gewählt. Nach deren Rücktritt im Juni 2019 schloss er zunächst eine Kandidatur für den Parteivorsitz aus, um sich dann gemeinsam mit Klara Geywitz zur Wahl zu stellen. Das Duo unterlag schließlich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die am 30. November 2019 offiziell als neue Parteivorsitzende benannt wurden. Überraschend wurde Scholz dennoch im August 2020 vom Parteivorstand zum Kanzlerkandidaten gekürt.

"Ich will das machen", ist auf seiner Webseite zu lesen:

Ich will, dass wir gut durch die Krise kommen und kraftvoll durchstarten können - und unser Land nach vorne bringen, die großen Zukunftsfragen lösen. Ein starkes, soziales Land für uns alle - mit Respekt voreinander. Mit gerechten Steuern, guten Arbeitsplätzen und Löhnen. Ich will mutige Schritte zur Rettung des Klimas gehen. Natürlich können wir nicht alles allein lösen. Lasst uns Europa sozialer und stärker machen. Deutschland in eine gute Zukunft führen und unsere Demokratie stark machen - darum geht es.

(Olaf Scholz)

Erreichen will er das vorgeblich durch Klimaschutz, mehr Mobilität und Digitalisierung; auch das Gesundheitssystem verspricht er zu verbessern:

Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen möglichst lange gesund bleiben. Wenn sie erkranken, sollen sie eine bedarfsgerechte und individuelle Behandlung in Anspruch nehmen können und nicht unnötigen Nebenwirkungen ausgesetzt sein. Pflegebedürftigkeit darf nicht Armut bedeuten. Eine Bürgerkrankenversicherung und eine Bürgerversicherung in der Pflege.

Außerdem will er "Innovationen und neuen Methoden, wie zum Beispiel zuletzt bei BioNTech" fördern. Nachfragen von Telepolis, insbesondere im Hinblick auf die Tilgung der enormen Schuldenlast, die durch die Corona-Maßnahmen entstanden ist, lässt der SPD-Kanzlerkandidat unbeantwortet. Ebenso die Frage, ob der Kanzleramtschef im Falle seiner Wahl Christoph Krupp heißen wird.

"Ein guter Freund von mir", wie Scholz sagt, der dem Ruf des jetzigen Finanzminister seit einem Jahrzehnt folgt: Vom Bezirksamt im Hamburger Stadtteil Bergedorf ins Rathaus an der Alster, von Hamburg nach Bonn und schließlich von Bonn nach Berlin, dort versucht er im Auftrag der Bundesregierung das Impfstoffchaos zu beseitigen. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass er seine Aufgabe von Berlin aus erledigt. Dass sich dieses Chaos gelichtet hätte, davon ist bislang nichts zu spüren.

Wer soll das bezahlen?

Bekannt aber ist, dass Scholz auf schnelle Schuldentilgung drängt. Das hält die promovierte Volkswirtin Sahra Wagenknecht für problematisch, wie sie Telepolis gegenüber erläutert:

Finanzminister Olaf Scholz hat zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bei den Corona-Hilfen ein schlecht gemachtes und an falschen Schwerpunkten orientiertes Programm aufgelegt und so viele Solo-Selbständige und kleine Unternehmen durch ungenügende Hilfe am langen Arm verhungern lassen.

Olaf Scholz macht zudem den Leuten etwas vor, wenn er trotz gigantischer Milliarden-Kosten durch die Corona-Krise sowie dringend notwendiger Investitionen in Bildung, Gesundheit und Klimaschutz möglichst bald die Schuldenbremse wieder einführen will, sich aber einer angemessenen Steuer und Vermögensabgabe für Multimillionäre verweigert. Das würde letztlich dazu führen, dass auch diese Jahrhundertkrise von den Arbeitnehmern und Rentnern bezahlt werden muss.

(Sahra Wagenknecht)

Es sei erschütternd, dass der sozialdemokratische Kanzlerkandidat nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre weiter diese Position vertrete.