Pläne der Ampelkoalition für gesunde Ernährung sind gescheitert
Die Ernährungsstrategie der Bundesregierung sollte Deutschland gesünder machen. Ein Jahr später ist davon wenig zu sehen. Woran das Vorhaben scheiterte.
Energydrinks sollen wach machen und das Nervensystem stimulieren, indem sie den Blutdruck erhöhen, den Puls steigern und damit die Leistungsfähigkeit erhöhen. Die Getränke enthalten Koffein, Taurin und Zucker und sind für Kinder und Jugendliche besonders schädlich. So enthält eine 250-ml-Dose im Schnitt etwa 80 Milligramm Koffein.
Ein Teenager mit 50 Kilogramm Körpergewicht liegt schon mit zwei Dosen über dem empfohlenen Grenzwert. Bei einem hohen Konsum der Süßgetränke drohen Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und eine Schädigung des Herzmuskels, aber auch Magen-Darm-Beschwerden und Schlaflosigkeit.
Kinder und Jugendliche, insbesondere wenn sie am Herzen erkrankt sind und unter Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht leiden, sollten vom Konsum von Energydrinks absehen, rät Felix Oberhoffer, Kinderkardiologie am LMU-Klinikum in München. Pro Tag sollten maximal drei Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht konsumiert werden. Besonders gefährlich ist der Konsum der Energydrinks in Verbindung mit Alkohol und anderen Partydrogen, Sport oder Stress.
Im Rahmen einer von Oberhoffer durchgeführten Studie von 2021 konsumierten Kinder und Jugendliche an zwei Tagen Energydrinks bzw. ein Placebo-Getränk ohne Koffein. Das echte Getränk enthielt mit drei Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht – die von der EFSA als unbedenklich eingestufte Koffein-Tageshöchstdosis. Dabei zeigte sich eine signifikante Erhöhung des Blutdrucks und eine Veränderung des Herzrhythmus.
Anlass zur Untersuchung gab der Fall einer 16-jährigen Schülerin, die infolge einer Überdosis an Energydrinks gestorben war. Wie sich später herausstellte, hatte sie vorher unbemerkt eine Herzmuskelentzündung durchgemacht. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) haben knapp zwei Drittel aller Kinder und Jugendlicher in ihrem Leben bereits Energydrinks getrunken.
Verkaufsverbot von Energydrinks für Minderjährige gefordert
Neben allem persönlichen Leid bei ernährungsbedingten Krankheiten entstehen auch enorme Kosten. So schätzt eine Studie von 2015 die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Adipositas in Deutschland auf rund 63 Milliarden Euro pro Jahr. Schon seit vielen Jahren warnen Ärztinnen und Ärzte, Verbraucherorganisationen sowie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor dem Risiko für Herz und Kreislauf durch übermäßigen Konsum von Energydrinks bei Kindern und Jugendlichen.
In Litauen und Lettland gibt es bereits ein Verkaufsverbot von Aufputsch-Drinks für Minderjährige. Hierzulande hatte der Bürgerrat "Ernährung im Wandel" im Frühjahr eine Altersgrenze empfohlen. Im September sprachen sich zudem mehrere Ärzte in einem Fachgespräch mit dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft dafür aus. Längst wurde auch ein Verkaufsverbot der Aufputsch-Drinks für Minderjährige gefordert.
CDU blockiert Zuckersteuer und Werbeverbot
Jeder zehnte Mensch hierzulande ist zuckerkrank. Peter von Philipsborn, der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu Ernährung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung forscht, befürwortet zielgenaue Steuern auf ungesundes Essen. In Großbritannien, das mit ähnlichen Problemen kämpft, wurde bereits eine Zuckersteuer auf Softdrinks eingeführt. Seitdem enthält eine Fanta weniger Zucker als in Deutschland.
Doch der CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger lehnt eine Zuckersteuer auf Softdrinks ab. Man dürfe den Leuten nicht mit zu vielen Verboten in ihre persönlichen Entscheidungen hineinregieren, so die Begründung.
Ferner hatte Cem Özdemir bereits ein weitreichendes Gesetz zu einem Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel vorgelegt. Dieses wurde von der Werbe- und Lebensmittelindustrie sowie von der FDP scharf kritisiert. Die Regeln würden große Teile des Lebensmittelangebots umfassen und wären zu breit angelegt, argumentieren die Kritiker. Vor allem die FDP blockierte, und das Gesetz kam nie voran. Auch die CDU kritisierte das Werbeverbot für Ungesundes als zu weitreichend und in der Praxis als nicht umsetzbar.
Ambitionierte Ziele wurden verfehlt
Bereits vor einem Jahr verabschiedete die Bundesregierung die Ernährungsstrategie "Gutes Essen für Deutschland". Diese definiert ambitionierte strategische Ziele:
- ausgewogen essen mit angemessener Nährstoff- und Energieversorgung,
- pflanzenbetonte Ernährung stärken, mit mehr Gemüse, Obst und Hülsenfrüchten,
- sozial gerechten Zugang zu gesunder und nachhaltiger Ernährung schaffen,
- vielseitig essen in Kita, Schule und Kantine – Gemeinschaftsverpflegung verbessern,
- das Angebot nachhaltig und ökologisch produzierter Lebensmittel erhöhen,
- Essen wertschätzen: Lebensmittelverschwendung reduzieren.
Bis 2030 sollen die DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kitas und Schulen verbindlich werden. Der Bio-Anteil in der Außer-Haus-Verpflegung soll sich erhöhen. Trinkwasserspender in sozialen Einrichtungen werden gefördert. An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt soll eingeschränkt werden.
Für gesündere Ernährung werden Milliarden Euro benötigt
Doch in vielen Kantinen, Schulen und Supermärkten und anderen öffentlichen Einrichtungen hat sich am Ernährungsangebot nichts bis wenig geändert. Bisher fördert das Ministerium im Rahmen des "Modellregionenwettbewerbs" zehn regionale Projekte mit rund zwölf Millionen Euro. Doch das reiche bei Weitem nicht aus, um die sehr ambitionierten Ziele zu erreichen, kritisiert der Mediziner Peter von Philipsborn.
Was nützen Leuchtturmprojekte dieser Art, wenn das Geld nicht ausreicht, um sie flächendeckend umzusetzen, kritisiert auch Michael Polster vom Deutschen Netzwerk Schulverpflegung. Allein um Schulküchen und Speisesäle passend auszurüsten, braucht es Investitionen von rund zwei Milliarden Euro, wie der wissenschaftliche Beirat des Ernährungsministeriums ausrechnete.
Tafeln geraten an ihre Kapazitätsgrenzen
Nicht alle Menschen können sich gesunde Ernährung leisten. Viele können sich überhaupt kein Essen mehr leisten. Rund 1,6 Millionen Menschen sind hierzulande auf die Tafeln angewiesen. Und die Anzahl an Bedürftigen steigt: Zu den mittellosen Deutschen kommen immer mehr Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Ländern.
Wegen der höheren Nachfrage müssen die Tafeln inzwischen im bundesweiten Schnitt fünfzig Prozent mehr Menschen versorgen. Nach Angaben des Tafel-Dachverbandes müssen derzeit rund 60 Prozent der Tafeln die Ausgabe von Lebensmitteln reduzieren.
Glaubt man Andreas Steppuhn, Vorsitzender des in Berlin ansässigen Tafel-Dachverbandes, versucht ein Drittel, mit temporären Aufnahmestopps oder Wartelisten zu arbeiten. Andere rationierten die Lebensmittel, um so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Der Verbandsvorsitzende rief die Politik dazu auf, die Armut "endlich ernsthaft" zu bekämpfen.
Die ehrenamtlich arbeitenden Tafeln könnten nicht mehr übernehmen, was der Staat seit Jahrzehnten nicht mehr schafft: dass Menschen unterhalb der Armutsgrenze nicht hungern müssen. Um zu vermeiden, dass große Teile der Bevölkerung in die Armut abrutschen, braucht es eine ausfinanzierte Kindergrundsicherung, bezahlbaren Wohnraum sowie krisenfeste Löhne und Renten.