Russischer Lauschangriff: Was der Mitschnitt für den Krieg bedeutet

Taurus-Marschflugkörper auf der ILA. Bild: Sergey Kohl, Shutterstock

Veröffentlichung erhöht Druck auf Berlin. Das gehört zum Kalkül Moskaus. Wie unterschiedlich Medien mit dem Leak umgehen.

Die Veröffentlichung eines internen Gesprächs deutscher Luftwaffen-Offiziere durch russische Medien setzt Militär und Bundesregierung unter Druck. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte am Wochenende die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit: Es sei nun eine gründliche und schnelle Aufklärung notwendig.

In dem abgehörten und veröffentlichten Gespräch diskutieren vier Offiziere Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus im Falle einer Lieferung an die Ukraine. Das deutsche Verteidigungsministerium bestätigte den russischen Lauschangriff inzwischen indirekt:

Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen.

Zuvor schon war gemeldet worden, dass der Militärische Abschirmdienst untersucht, wie Russland an den Mitschnitt gelangte. Es gebe Hinweise darauf, dass sich ein russischer Teilnehmer in die Kommunikation eingewählt habe.

Brisante Inhalte des Gesprächs

Die Konversation ist nicht nur wegen der russischen Spionage brisant, sondern auch wegen der Inhalte, die in der Berichterstattung zunächst nur eine untergeordnete Rolle spielen. Leitmedien behandeln vorrangig mögliche Reaktionen auf den Abhörfall und geben die Kritik der Opposition wieder. Alternativmedien zitieren ausführlich aus dem Mitschnitt, mitunter wurde er dokumentiert.

Unterschiedlicher Blick der Medien

Die Namen aller Teilnehmer des 38-minütigen Gesprächs, das über den als unsicher geltenden Onlinedienst Webex stattfand, tauchen vorwiegend bei alternativen Medien mit einem politischen Ansatz auf, darunter die Onlineportale Nius und Tichys Einblick sowie Anti-Spiegel.

Die Schweizer Weltwoche berichtet unter Berufung auf die Bild, die Bundeswehr versuche, den Schaden zu begrenzen: "Konten im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter), die den Mitschnitt verbreiteten, wurden in Deutschland geblockt."

Beteiligung an Kampfhandlungen?

Das Gespräch zwischen Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz, Brigadegeneral Frank Gräfe sowie den Oberstleutnanten Fenske und Florstedt ist aus mehreren Gründen brisant. Die Luftwaffen-Offiziere sprechen unter anderem darüber, dass sich im Zuge der westlichen Waffenhilfe für die Ukraine mehrere Militärs aus Nato-Staaten bereits in der Ukraine befinden und an Angriffen gegen russisches Ziele beteiligt seien. So heißt es:

Wir wissen ja auch, dass da viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten herumlaufen.

An anderer Stelle ist zu hören:

Wenn es zum Beispiel darum geht, die Missionsplanung zu machen: Ich weiß, wie es die Engländer machen. Die machen es ja komplett im Reachback. Die haben auch paar Leute vor Ort, das machen sie, die Franzosen nicht. Also, sie (supporten) auch die Ukrainer beim Beladen des Skalp, weil sie sagen, Storm Shadow und Skalp ist aus der reinen technischen Perspektive relativ ähnlich. Da haben sie mir schon gesagt: Ja, Herrgott, sie würden auch den Ukrainer beim Taurus-Loading über die Schulter gucken.

Damit bestätigt der Mitschnitt, was Kanzler Scholz zuvor schon gesagt hatte: "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden." Das wisse jeder, der sich mit diesem System auseinandergesetzt habe.

Politische Empörung in Paris und London

Die Aussagen von Scholz über die Militärpräsenz Frankreichs und Großbritannien in der Ukraine und die Beihilfe löste in Paris und London Empörung aus. Dabei kann die Entsendung von Truppen inzwischen als gesichert gelten. Die britische Tageszeitung Telegraph etwa schreibt:

Es ist bekannt, dass Großbritannien nachrichtendienstliche Informationen über russische Ziele liefert, aber es ist unklar, in welchem Umfang ukrainische Truppen, die ihre Raketen am Boden abfeuern, unterstützt werden.

Am Dienstag gab die britische Regierung bekannt, dass sie eine "kleine Anzahl" von Soldaten in der Ukraine stationiert hat, wobei sie nur angab, dass einige von ihnen an der medizinischen Ausbildung beteiligt sind.

Telegraph

Militärische Planung im Fokus

Das ist der heikle Punkt, der auch das abgehörte Gespräch der deutschen Luftwaffen-Offiziere betrifft: Inwieweit sind Nato-Militärs inzwischen an Kampfhandlungen in der Ukraine beteiligt? Dazu äußerte sich Luftwaffeninspektor Gerhartz im internen Austausch:

Wenn man jetzt politisch Sorge hätte, dass diese Linie von (dem rheinland-pfälzischen Fliegerhorst) Büchel direkt nach Ukraine eine zu direkte Beteiligung ist (…), könnte man dann auch sagen: Ok, das Datenfile wird bei (dem Rüstungsunternehmen) MBDA gemacht, und wir schicken unsere ein zwei Experts nach Schrobenhausen (dem Sitz von MBDA). Ist zwar totaler Schwachsinn, aber (…) politisch (…) was anderes, wenn der Datenfile von der Industrie kommt (und) nicht aus dem Verband.

In diesem Zusammenhang diskutieren die deutschen Luftwaffen-Offiziere auch, wie Datensätze in die Ukraine gelangen können, um die deutschen Taurus-Marschflugkörper effektiv gegen russische Ziele einzusetzen.

Die Zieldaten aus Satellitenbildern müssten in Büchel verarbeitet werden, stellt einer der Teilnehmer fest. Dann könnten die Daten zu MDBA nach Schrobenhausen, Bayern, übermittelt werden:

Was natürlich auch geht, dass man unter Umständen das Datenfile nach Polen schickt und man hat den Hand-over/Take-over in Polen irgendwo. Und es fährt jemand mit dem Auto hin. Und ich denke, da muss man im Detail reingucken (…), da wird es auch Lösungsmöglichkeiten geben.

Die Militärs stehen mit diesen Überlegungen durchaus in Einklang mit politischen Planungen. In einem Entschließungsantrag von SPD, Grünen und FDP aus dem Februar dieses Jahres heißt es, die Bundesregierung müsse "langfristige militärische Unterstützung für die ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte bereitzustellen".

Dies beinhalte auch "die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition, um die Ukraine einerseits in die Lage zu versetzten, völkerrechtskonforme, gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors zu ermöglichen".

Langfristige militärische Unterstützung

Folgerichtig haben die deutschen Offiziere entsprechende Szenarien diskutiert. Einer der Teilnehmer stellt Möglichkeiten vor, die Kertsch-Brücke, die Russland mit der Halbinsel Krim verbindet, mit Taurus-Marschflugkörpern anzugreifen:

Die Brücke im Osten ist halt schwer zu erreichen, und die Pfeiler sind relativ klein, und das kann halt der Taurus darstellen, und die Mun(itions)-Depots – da kommen wir halt durch. (…) Da habe ich mir so drei Routen rausgesucht.

Später heißt es:

Ich würde gern nochmal schnell ergänzen wegen der Brücke, weil wir uns die intensiv angeguckt haben. Die Brücke ist leider – aufgrund ihrer Größe wie ein Flugplatz. Das heißt: Es kann durchaus sein, dass ich dafür zehn oder 20 Flugkörper brauche.

Politischer Angriff aus Moskau nach Veröffentlichung

Die Veröffentlichung in Russland wurde umgehend politisch aufgegriffen. Besonders hervorgetan hat sich der ehemalige Staatschef Dmitri Medwedew. In einem Telegram-Beitrag schrieb er: "Die ewigen Gegner, die Deutschen, sind wieder zu unseren Erzfeinden geworden."

Unter Bezugnahme auf das Gespräch bezeichnete er Beteuerungen, Deutschland sei nicht am Ukraine-Krieg beteiligt, als falsch. "Wie soll man darauf diplomatisch reagieren? Ich weiß es nicht", so Medwedew.

Zugleich zitierte er Zeilen des Dichters Konstantin Simonow. Im Jahr 1942 hatte Simonow das Gedicht "Töte ihn" verfasst, das dazu aufruft, Wehrmachtssoldaten umzubringen. "Also töte zumindest einen! Also töte ihn so bald wie möglich! Wie oft du ihn auch siehst, töte ihn so oft!", heißt es darin.

Dieser Appell "aus der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges" sei wieder aktuell, so Medwedew: "Tod den deutschen-faschistischen Besatzern!"

Damit ist klar: Der Konflikt mit der Ukraine spitzt sich weiter zu. Das abgehörte Gespräch deutscher Offizier ist Teil dieser Entwicklung, auf politischer und propagandistischer Ebene.

Beide sollten wahrgenommen werden.

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