11.227 Euro! Fette Diäten für den Mega-Bundestag
Die Vergütung für Abgeordnete steigt in drei Jahren um 1.250 Euro. Ohne Kontrolle. Ist das angemessen? Eine Telepolis-Kolumne.
734 Abgeordnete – so groß war der Bundestag noch nie. So gut verdient haben Abgeordnete auch noch nie. Noch vor der Sommerpause im Juli sollen die Diäten im Bundestag um 635 Euro auf dann 11.227 Euro steigen. Ist das angemessen? Eine Einordnung und ein Gesamtblick auf die Einkünfte und Vergünstigungen der Abgeordneten.
Viele Jahre hat es gedauert, bis eine Mehrheit im Bundestag im letzten Jahr eine winzige Wahl- und Parlamentsreform verabschiedet hat, die mit der nächsten Wahl 2025 in Kraft tritt.
Es gäbe so viel zu reformieren, zu demokratisieren, aber es ging leider nur darum, die Größe des Bundestags, deren Mitglieder immer zahlreicher wurden, wieder etwas zu reduzieren.
Dabei hat die Ampel hauptsächlich wieder Parteitaktik walten lassen und die besondere Bedeutung der Wahlkreise eingeschränkt. Wer also einen Wahlkreis gewinnt, ist nun nicht mehr auch unbedingt im Parlament.
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Das ärgert die CSU, sollte aber offenbar vor allem die Linke treffen. Bisher reichten drei Direktmandaten, damit sie nicht nur mit den drei Wahlkreissiegern, sondern dann anteilig ihres Stimmergebnisses berücksichtigt wurde, auch wenn sie insgesamt unter fünf Prozent liegen. Die Änderung gilt dann aber natürlich für alle Parteien.
Die Fünf-Prozent-Hürde, die viel diskussionswürdiger ist, wurde nicht verändert.
Immer größer wird der Block der Nichtwähler und auch das Reservoir der "Sonstigen", also der Parteien, die unter den fünf Prozent bleiben.
Bei dieser Europawahl war es noch einmal anders. Dort haben über 17 Prozent Parteien gewählt, die nicht über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen sind und noch mal elf Prozent, die es knapp geschafft haben.
Skandal Fünf-Prozent-Hürde: Jeder vierte Wähler muss bangen
Jeder vierte Wähler müsste bei einer Hürde darum bangen, wirklich repräsentiert zu werden, wird dann also eventuelle anders wählen.
Gerade junge Wähler stimmen für kleine Parteien. Das Wahlalter ändert sich im Bund auch nicht und überhaupt bleibt das Wahlrecht sehr freundlich gegenüber den etablierten, großen Parteien.
Nichts hat sich daran geändert, wie man die Bezüge, Vergünstigungen von Abgeordneten regelt. Auch dies hätte man in einer wirklichen Reform angehen könne.
Es bleibt dabei, dass man sich regelmäßig eine Erhöhung selbst genehmigt und dies immer wieder öffentlich diskutiert wird. Diesmal also gleich ein Plus von 635 Euro.
Diäten und Vergleiche
In der Öffentlichkeit geht es meist nur um die Diäten, dabei sind sie nur ein Teil der Einkünfte und Vergünstigungen. Vom Abnehmen kommt der Begriff "Diät" nicht, sondern von lateinisch "dies", der Tag. Es war ursprünglich ein Tagesgeld gemeint, eine Entschädigung für den Verdienstausfall.
Auf der Bundesebene gibt es ja längst die Vollprofis, also Politiker mit vollen Bezügen. Diäten sollten dafür sorgen, dass Abgeordnete sich auf ihren Dienst an der Bevölkerung konzentrieren und sie dies unbestechlich, also von anderen Einkünften und damit Einflüssen unabhängig tun.
Im vergangenen Bundestag, dessen Wahlperiode mit der Wahl Ende 2021 endete, bekam jeder Abgeordnete am Ende 9.985 Euro. So war es schwarz auf weiß auch auf meiner letzten Abrechnung als Parlamentarier zu lesen.
11.227 Euro für Abgeordnete im Bundestag
Ab Juli 2024 stehen dann da für alle derzeitigen Abgeordneten 11.227 Euro. In nicht mal drei Jahren eine Steigerung um fast 1.250 Euro. Das ist sicher üppig. Ist es dennoch angemessen?
Vergleicht man das summierte Jahresgehalt von 135.000 Euro mit dem Durchschnittsverdienst eines MDAX (Zweite deutsche Börsenliga) Vorstandsmitglieds von etwa 1,8 Millionen Euro, dann liegen Welten dazwischen.
Ich habe gern den Vergleich mit einem Filialleiter einer deutschen Bank angestellt, der es im durchschnittlichen Jahresgehalt auf etwa 70-85.000 Euro kommt.
Ich denke, man könnte noch von angemessen sprechen, wenn ein Parlamentarier etwas mehr bekommt. Selbst wenn man den Durchschnittsjahreslohn für eine Vollzeitstelle hierzulande von etwa 55.000 Euro zu Grunde legt, könnte man die doppelte Summe vielleicht noch halbwegs rechtfertigen. Aber dabei bleibt es ja nicht.
Das 1.250.Euro-Plus
Zunächst sollte man erwähnen, dass die Rentenbezüge mit jeder Diätenerhöhung ebenfalls steigen. Zu den Rentenansprüchen und den Diäten kommen weitere Budgets und Vergünstigungen.
Da wäre etwa die Bahncard 100 für die erste Klasse. Niemand kann dabei überprüfen, wie oft ein Abgeordneter die Bahn auch privat nutzt.
Ich fand die Bahncard sehr nützlich und auch erklärbar. Aber muss es wirklich 1. Klasse sein?
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Natürlich können auch Flug- und andere Dienstreisen abgerechnet werden. Dann gibt es ein Budget für Mitarbeiter, was ich aber für sehr gerechtfertigt halte, weil die Zu- und Mitarbeit dringend erforderlich ist, gerade wenn man dem Profitlobbyismus etwas entgegensetzten will.
Es kommen so viele Anfragen rein, es muss so viel organisiert werden, die Arbeit kann ein Abgeordneter nur mit einem guten Team schaffen. Was allerdings nicht geht ist, dass diese Mitarbeiter auch für Parteiarbeit eingesetzt werden. Leider kenne ich diese gängige Praxis nur zu gut.
Die steuerfreie Pauschale
Das kritischste zusätzliche Budget ist zweifellos eine steuerfreie Pauschale, die mittlerweile auf über 5.000 Euro monatlich erhöht wurde. Grundsätzlich sollte der Abgeordnete sein Wahlkreisbüro, seine Zweitwohnung in Berlin und überhaupt seine politische Arbeit davon finanzieren.
Nun weiß ich genau, dass diese Summe von vielen nicht ausgeschöpft wird. Keiner muss darüber Rechenschaft ablegen – alles, was übrigbleibt, behält der Abgeordnete. Es lädt geradezu zum Missbrauch ein, zum Beispiel kein eigenes Büro zu eröffnen, vielleicht auch, sich nur an einem Parteibüro zu beteiligen.
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Weniger Einsatz vor Ort, weniger Veranstaltungen, weniger Aufwand bedeutet also gleichzeitig, mehr Geld auf dem eigenen Konto. Das ist absurd.
Zudem scheint es den Trend zu geben – dem sollten Journalisten mal nachgehen – hauptsächlich in Berlin zu wohnen und nur gelegentlich in den Wahlkreis zu reisen, um dort geballt einige Termine wahrzunehmen.
Dies bedeutet: keine Zweitwohnung und kein eigenes Wahlkreisbüro. Damit spart man viel Geld ein. Auch für den Austausch und damit die Demokratie wäre dies nicht förderlich.
Der Wahlkreis ist meist der letzte Ort, an dem der Abgeordnete noch mit der "normalen" Bevölkerung aufeinandertrifft, wo er nicht nur Kontakt zu Lobby oder seinen Kollegen hat. Hier bedarf es sicher einer Reform.
Nebentätigkeit und Einflussnahme
Kommen wir zurück darauf, dass die Diäten allein sicher ausreichen, sich vollständig auf seine Aufgabe als Abgeordneter zu konzentrieren. Das tun aber immer weniger. Nicht weil sie faul sind, sondern weil sie teilweise zahlreichen Nebentätigkeiten nachgehen.
Im derzeitigen Bundestag hatte bereits bis zum Sommer 2023 fast jeder vierte MdB nach eigenen Angaben – es gibt mittlerweile eine Meldepflicht gegenüber der Verwaltung – mindestens eine bezahlte Nebentätigkeit.
Nach nur 1,5 Jahren flossen so bereits 25 Millionen Euro zusätzlich in die Taschen der Abgeordneten. Die Summe liegt inzwischen sicher deutlich höher und nicht alles wird auch rechtzeitig gemeldet.
Dies schafft ein doppeltes Problem. Nicht nur, dass es die Arbeitsleistung im Bundestag und vor allem im Wahlkreis reduziert, es führt bei einer Reihe von Nebentätigkeiten zu externen Beeinflussungen.
Wenn ein Abgeordneter etwa gleichzeitig als Anwalt einen wichtigen CumEx-Verbrecher – immerhin handelt es sich um den größten deutschen Steuerraub – für ein hohes Entgelt vertritt und gleichzeitig Sitzungen leitet, bei denen über den Umgang und mögliche Gesetze mit Cum-Ex debattiert wird, dann gibt es da natürlich eine Befangenheit.
Wenn ein Abgeordneter viel Geld für Vorträge oder Spendengelder von Lobbyisten erhält, dann ist er befangen und wird seine Politik danach ausrichten.
Gleichzeitig ist dieser Weg einer Karriere nicht abträglich. Wolfgang Kubicki hat als Jurist besagte Rolle bei Cum-Ex gespielt und ist heute Vize-Bundestagsvizepräsident. Peer Steinbrück, der wegen seiner Vorträge in der Finanzwelt mal der Hauptnebenverdiener im Parlament war, wurde Kanzlerkandidat.
Beides sind bei Weitem keine Einzelfälle. Im Gegenteil: Immer mehr Abgeordnete versuchen, mehr als gut mit einigen Lobbys auszukommen.
Hinzu kommen Abgeordnete, die Unternehmen leiten, oder dort weiter Positionen besetzen und dann gerade in der Fachpolitik im Bundestag dazu mitbestimmen. Eigeninteressen stehen da über den Interessen der Bevölkerungen. Hier brauch es nicht nur eine Reform, sondern strikte Verbote und Einschränkungen.
Ein "angemessenes" Fazit
Für sich gesehen, könnte man die Gesamthöhe der Diäten als vertretbar ansehen. Eine erneute, deutliche Erhöhung ist schon schwieriger zu rechtfertigen, auch wenn man sich an den durchschnittlichen Lohnerhöhungen orientiert.
Aber alle Fraktionen, bis auf die Linke und das BSW, werden im Bundestag wohl zustimmen. Das Verfassungsgericht hat zwar einmal beschlossen, dass der Bundestag für die Diäten zuständig bleibt, aber es hindert ihn nichts daran, dass er, wie beim Mindestlohn, eine unabhängige Kommission einsetzt, der über die Höhe berät. Den Vorschlägen könnte er dann einfach im Bundestag per Beschluss folgen.
Vollständig unangemessen ist es, wenn gerade diejenigen, sie sich jede Erhöhung und Vergünstigung ohne Skrupel genehmigen, auf der anderen Seite aber jede kleine Erhöhung, Anpassung an die gestiegenen Preise bekämpfen.
Bei der Anpassung des Bürgergeldes ging es um ein Plus von 62 Euro monatlich. Mit dann 563 Euro monatlich liegt das Bürgergeld in Gänze insgesamt sogar unter der jetzigen Erhöhung der Diäten.
Die nächste Steigerung des Mindestlohns auf 14 Euro statt wie geplant 12,80 Euro würde auch nur etwa monatlich 230 Euro mehr bedeuten.
Ein Politiker, der daraus den Untergang des Abendlandes macht, sollte ganz sicher vorher bei seinen eigenen Einkünften anfangen, bei denen er anscheinend immer vergisst, dass die auch von der Bevölkerung bezahlt werden.
Wer über "Angemessenheit" und eine "verdiente" Vergütung reden möchte, der könnte die 11.000 Euro rechtfertigen, wenn er die anderen Einkünfte außerhalb der Diäten reglementiert und einschränkt.
Und wenn er ernst nimmt, dass er seinen Dienst für die Bevölkerung leistet. Dazu müssten die Nebenverdienste abgeschafft werden. Das wäre angemessen.
Und wenn man schon dabei ist, sollte auch das Wahlrecht wirklich reformiert werden. Wenn die Parteien Angst davor haben, dann könnten sie ja einen Bürgerrat berufen, der würde sicher etwas Angemesseneres vorschlagen.
Zur Abwechslung (und nicht nur zur öffentlichen Show) könnte der Beschluss dieses einmaligen Rates dann mal in eine Gesetzesinitiative fließen, die im Bundestag ohne Fraktionszwang geheim beschlossen wird.