Sicherheit und Kriminalität im Spreebogen

Seite 7: Plätze und Straßen am Spreebogen

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Schon bei den Einweihungsfeiern für den neuen Hauptbahnhof in Anwesenheit der Bundeskanzlerin gab es einen ersten Zwischenfall: Zu dem Spektakel mit Feuerwerk am 26. Mai 2006 waren 500.000 Jubelberliner herbei geströmt. Als die Lichtershow vorbei war und die Schaulustigen sich auf den Heimweg machten, lief der sechzehn Jahre alte Schüler Mike Rene P. im Alkoholrausch (2,2 Promille) Amok.

Zwischen Reichstagsgebäude und Luisenstraße attackierte er 41 Heimkehrer wahllos von hinten mit einem Messer. Dabei wurden 8 Personen lebensgefährlich verletzt. Zwar befanden sich keine Politiker unter den Opfern, dennoch ist es bedenklich, dass ein Schüler mitten im Regierungsviertel fast ein Massaker hätte anrichten können, bis er endlich von einem Wachmann eines privaten Sicherheitsunternehmens gestoppt wurde. Am 23. März 2007 verurteilte das Landgericht den Amokläufer zu einer Jugendstrafe von nur 7 Jahren. In der Urteilsbegründung hieß es, der Schüler habe sich dazu entschlossen, „als Herr über Leben und Tod zu agieren“, aber er habe die „Arg- und Wehrlosigkeit“ der feiernden Menschen nicht bewusst ausgenutzt.

Außerdem verliefen die Rettungsmaßnahmen chaotisch. Erst nach eineinhalb Stunden war die Situation „unter Kontrolle“. In einer Erklärung der Berliner Berufsfeuerwehr vom Mai 2007 hieß es:

Eine unbekannte Anzahl von Personen begab sich selbstständig in Krankenhäuser. Durch die große Besucherzahl des Hauptbahnhofes und die dadurch blockierten umliegenden Straßen gestaltete sich die Anfahrt zu den einzelnen Einsatzstellen als schwierig, zumal aufgrund der verschiedenen Meldungswege (Polizei, Polizei des Bundestages und Bürgern) und der dicht zusammenhängenden Örtlichkeiten nicht sofort ersichtlich war, um wieviele Einsatzstellen es sich wirklich handelte und einige alarmierte Einsatzkräfte von Passanten angehalten wurden, sodass sie ihre ursprüngliche Einsatzadresse nicht erreichen konnten. Vorsorglich wurde die Alarmstufe auf „Massenanfall an Verletzten – 2“ (MANV2) erhöht und ein Verletztenbehandlungsplatz eingerichtet bzw. geplant.

Die Straße des 17. Juni am Brandenburger Tor wird ständig für Großveranstaltungen genutzt, daher kommt es dort immer wieder zu Zwischenfällen, obwohl die jeweiligen Veranstalter auf Plakaten das Mitführen von „Waffen, Sprengstoff und Glasflaschen“ ausdrücklich untersagen. In den Jahren 2001 und 2002 gab es Bombendrohungen gegen die Loveparade, allerdings fiel die Polizei im letzten Fall nur auf die aufgebauschten Informationen eines ihrer V-Leute herein, der von einer albanisch-moslemischen Terrorzelle faselte.

Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 verfolgten zeitweise über eine Million Zuschauer auf der Fanmeile die Spiele auf Großbildschirmen. Wegen der befürchteten Terrorgefahr waren entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen worden. Dennoch durchbrach am 2. Juli 2006 gegen 15.30 Uhr ein Autofahrer die Polizeiabsperrungen in der Friedrich-Ebert-Straße und raste in die Zuschauer vor dem Brandenburger Tor. Weil sich zu dem Zeitpunkt relativ wenig Menschen auf der Fanmeile befanden, wurden „nur“ 26 Personen verletzt. Weil nach einer ersten Untersuchung „dringende Gründe für die Annahme verminderter oder aufgehobener Schuldfähigkeit“ vorlagen, wurde der indische Amokfahrer Rahmat S. in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Der Platz der Republik vor dem Reichstag wurde 2005 Schauplatz für einen spektakulären Selbstmord: Am 22. Juli 2005 überflog der Hobbypilot Volker Klawitter, ein ehemaliger Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit, den Reichstag und stürzte sich daraufhin im Sturzflug auf den Platz, wo sich gerade rund 30 Personen aufhielten. Der Pilot hatte zuvor seine Ehefrau im Streit erschlagen und war dann vom Flugplatz Strausberg, der für seine laxen Sicherheitsstandards bekannt ist, zu seinem Kamikazeflug gestartet. Bei dem zerschellten Flugzeug handelte es sich um einen Doppeldecker „Platzer Kiebitz“ mit einer Länge von 6,9 m, einer Spannweite von 7,6 m und einem maximalen Gewicht von 450 kg. Nachdem die ersten Notrufe eingegangen waren, löste die Feuerwehr „Alarm: Flugzeugabsturz Land“ aus und rückte mit 100 Feuerwehrmänner und dreißig Fahrzeugen an.

Zum damaligen Zeitpunkt war der Luftraum über der Hauptstadt bereits eine „Kontrollzone D“, in die Flugzeuge nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch die Fluglotsen der Luftraumüberwachung hineinfliegen durften. Zuständig dafür war die Regionalstelle Ost der Deutschen Flugsicherung (DFS) auf dem Flughafen Tempelhof. Nach der Selbstmordaktion, die Erinnerungen an den 11. September weckte, wurden die Bestimmungen noch einmal verschärft. Der damalige Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe erließ mit Wirkung vom 1. August 2005 über der Berliner Innenstadt die 5,5 km breite Flugbeschränkungszone ED-R 146. Mit der neuen Regelung soll bei terroristischen Luftangriffen eine Vorwarnzeit von 90 Sekunden erreicht werden. Allerdings können Piloten, die unterhalb der Radargrenze von 600 m Höhe fliegen, in der Regel gar nicht geortet werden.

Die internationale Pilotenmitteilung (NOTAM) zur Einrichtung der neuen Flugverbotszone hat folgenden Wortlaut:

„EDBB
FROM 05/08/01 00:01 UNTIL PERM E1009/05
RESTRICTED AREA ED-R146 BERLIN ESTABLISHED BY MINISTRY OF TRANSPORT, BUILDING AND
HOUSING. RADIUS 3NM AROUND 523107N 0132234E.
ALL ACFT OPERATIONS ARE PROHIBITED EXC:
1. POLICE FLTS, ACTUAL MISSIONS OF GERMAN ARMED FORCES AND RESCUE FLTS.
2. IFR-FLTS FROM/TO BERLIN-TEGEL AND BERLIN-TEMPELHOF ON PUBLISHED INSTRUMENT PROCEDURES.
3. VFR-FLTS FROM/TO BERLIN-TEGEL AND BERLIN-TEMPELHOF ON PUBLISHED VFR PROCEDURES (RMK: FLT TIME AND DISTANCE INSIDE ED-R146 SHALL BE LIMITED TO THE ABSOLUTE OPERATIONAL MINIMUM).“

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein ging noch weiter: „Geprüft werden muss der Einsatz von Luftabwehrraketen und Kampfhubschraubern. Wir müssen die Fähigkeit haben, mit jedem Flugobjekt fertig zu werden.“ Dem Herrgott sei Dank wurde dieser Vorschlag nicht in die Praxis umgesetzt, andernfalls müssten jetzt alle Berliner und Berlintouristen zwischen Kudamm und Alex wegen drohender Kollateralschäden ständig mit Stahlhelm und Splitterschutzweste rumlaufen.