Spanien erhält (wahrscheinlich) seine erste Koalitionsregierung

Pedro Sánchez zur Übernahme der Regierungsbildung. Bild: Pool Moncloa / Borja Puig de la Bellacasa

Den Weg für die nötige Enthaltung der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) hat der juristische Dienst zunächst freigemacht, aber es gibt noch den großen Stolperstein JEC

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Nun ist der Kalender für die spanische Regierungsbildung geklärt. Wahrscheinlich wird der Sozialdemokrat Pedro Sánchez ab dem 7. Januar die erste Koalitionsregierung der neueren spanischen Geschichte anführen. Die Parlamentspräsidentin Meritxell Batet hat den Fahrplan veröffentlicht, wonach die Investitur am 4. Januar beginnt.

Auf den zweiten Wahlgang kommt es an

Am 5. Januar wird Sánchez in der ersten Abstimmung durchfallen, weil ihm und seinem Koalitionspartner Unidas Podemos (Gemeinsam können wir es/UA) eine absolute Stimmenmehrheit fehlt. Doch mit aller Wahrscheinlichkeit wird er nun, anders als im vergangenen Juli, im zweiten Wahlgang abgenickt. Dann reicht es, mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen zu bekommen.

Entscheidend dafür, dass es nun doch eine Linksregierung unter Einbeziehung von Podemos gibt, was Sánchez lange verhindern wollte, sind weiterhin die Stimmen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Auch das wollte er verhindern. Deshalb wurden die zweiten vorgezogenen Neuwahlen in nur einem Jahr angesetzt, da er eine Koalition mit der rechten Ciudadanos (Bürger) anstrebte.

Doch Sánchez fuhr im November gegen die Wand. Seine rechten Koalitionsträume zerstoben und plötzlich ging es mit den Verhandlungen mit Unidas Podemos ganz schnell.

Die Forderungen der ERC

Mit der ERC ging es nun nicht so schnell. Denn anders als im Sommer stellte sie Forderungen und wollte ihm die Enthaltung nicht mehr gratis geben, da ihre Wähler das Verhalten nicht goutiert haben. So forderten ERC-Anführer auch in Telepolis-Gesprächen klare Verhandlungen zur Lösung des spanischen Konflikts mit Katalonien.

Die ERC soll erreicht haben, dass zukünftige "Abkommen demokratisch über eine Abstimmung der Bevölkerung in Katalonien" bestätigt werden sollen, um die Basis zur Sánchez-Zustimmung zu bewegen.

Was diese wachsweiche Formel bedeuten soll, ist unklar. Soll es ein Referendum über die Unabhängigkeit geben, wie allseits in Katalonien gefordert wird oder soll es nur um eine Abstimmung über ein verändertes Autonomiestatut geben? Das hatte Sánchez bisweilen in die Debatte geworfen.

Gefordert wurden auch klare Gesten in der Frage der Gefangenen und daran kam die Regierung, besonders im Fall des inhaftierten ERC-Chefs Oriol Junqueras nicht vorbei, zumal der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gerade die allgemeine Rechtsanschauung bestätigt hat, dass Junqueras nicht im Gefängnis, sondern im Europaparlament sitzen muss, da er Immunität genießt.

Unterstützung bekam die Regierung aus Straßburg, da auch das Europaparlament nun den ehemaligen Regierungschef Carles Puigdemont und den Ex-Minister Toni Comín als Parlamentarier zugelassen hat. Spanien hatte die Exilpolitiker ebenfalls unrechtmäßig über juristische Tricks ausschließen lassen.

Entscheidung am Donnerstag

Die ERC wird am 2. Januar darüber entscheiden, ob sie Sánchez abnickt. Doch alles spricht bisher dafür, dass das geschieht, zumal die Regierung nun die von der ERC geforderte Geste gezeigt hat. So hat auch die sogenannte "Abogacía del Estado" (der rechtliche Dienst der Regierung) am Montag entschieden, dass Urteil des EuGH anzuerkennen, wonach die spanischen Behörden zu Unrecht Junqueras an der Aufnahme seines Mandats gehindert hatten.

So soll der Oberste Gerichtshof nun dem Politiker gestatten, zum Sitz des Europaparlaments zu reisen, um die nötigen Formalitäten zu erledigen. Der EuGH hatte bestätigt, dass die parlamentarische Immunität von Europaabgeordneten greife, sobald das Wahlergebnis verkündet sei. Es sind keine Formalitäten notwendig wie etwa ein Schwur auf die Verfassung, wie die spanische Regierung behauptet hatte.

Die Behörden hatten es Junqueras plötzlich verweigert, seinen Schwur abgeben zu können. Das war umso durchsichtiger, da kurz zuvor anders verfahren wurde. Als er zum spanischen Abgeordneten gewählt worden war, hatte man ihn an der konstituierenden Sitzung in Madrid teilnehmen und schwören lassen.

Eine "eingebaute Falle"?

Das EuGH hatte auch geurteilt, dass Spanien beim Europaparlament die Aufhebung der Immunität hätte beantragen müssen, um Junqueras während der Parlamentssitzungen in Haft halten zu können. Genau das regt der juristische Dienst jetzt an, weshalb der katalanische Jurist Jaume Cuevillas davon spricht, dass hier schon wieder "eine Falle" eingebaut wurde.

Er bezieht sich auf Seite 6 in dem Gutachten, in dem die Regierungsjuristen dem Nationalen Wahlrat (JEC) plötzlich Kompetenzen in der Frage zuschreiben würden. Der massiv politisierte JEC hat ein Eigenleben und trifft bisweilen höchst absurde Entscheidungen, die selbst von spanischen Gerichten gekippt werden. Er gebärdet sich gerne wie ein Zensurrat.

In dem Schreiben der Regierungsjuristen sieht auch der renommierte Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo "unsinnige Einfälle". Der hatte stets erklärt, dass die spanische Justiz in der Frage der Ausschlüsse aus dem Europaparlament rechtswidrig handelt und das Recht beugt. Er meint, Spanien habe sich fatal in eine Sackgasse manövriert. Er hatte die Verteidigung von Junqueras und Puigdemont aufgefordert, vor den EuGH zu ziehen, wo sie nun klar gewonnen haben.

Nun erklärt er, dass auch die Staatsjuristen keinen neuen Weg einschlagen, um die Sackgasse zu verlassen, sondern dass man sich sogar noch tiefer hineinbegibt. Hier spielt er darauf an, dass der JEC nun am Freitag darüber entscheiden soll, ob der amtierende katalanische Regierungschef des Amts enthoben wird, obwohl es bisher kein rechtskräftiges Urteil gegen ihn gibt.

Royo weist darauf hin, dass der Wahlrat kein juristisches Organ ist, sondern ein administratives und deshalb keine Kompetenzen über gewählte Vertreter haben kann. "Zu verlangen, dass man Quim Torra vom Amt enthebt, ist daher Unsinn." Und sollte der JEC am 3. Januar tatsächlich Torra illegitim aus dem Amt treiben, könnte dieser Vorgang noch die Regierungsbildung torpedieren.

Im Fall Junqueras sei der "Unsinn sogar noch größer", schreibt der andalusische Professor. Er verweist darauf, dass der eigentlich nicht einmal hätte verurteilt werden dürfen, denn wegen seiner Immunität hätte der Prozess ausgesetzt werden müssen:

Seit der Status von Oriol Junqueras als Europaabgeordneter seit dem 13. Juni anerkannt ist, darf er nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden, bis ein Antrag an das Europäische Parlament gerichtet wird und dieses entscheidet.

Pérez Royo

Darüber könne sich niemand stellen weder der Oberste Gerichtshof in Spanien und noch weniger ein Wahlrat. Dass die Staatsjuristen dem JEC in dieser Frage Kompetenzen zuweisen, "ist eine so große Zurschaustellung von Unwissenheit, die unerklärlich ist", resümiert der Verfassungsrechtler zu dem Gutachten der Regierungsjuristen.