Spanien erneut wegen Meinungsfreiheit am Straßburger Pranger
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nimmt auch die Klage des Rappers Valtònyc an, der vor der Inhaftierung in Spanien nach Belgien fliehen musste
Allein die Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nun über den Fall des Rapper Josep Miquel Arenas (alias Valtònyc) entscheiden wird, kann als Vorentscheidung gewertet werden. Denn die überwiegende Mehrzahl der Beschwerden wird in Straßburg abgelehnt. Die Annahme dürfte damit zu tun haben, dass Spanien längst gut am EGMR bekannt ist, denn das Land wurde in den vergangenen Jahren immer wieder auch wegen Folter und Misshandlungen, Verstößen gegen das Recht auf Meinungsfreiheit und wegen unfairen Verfahren verurteilt.
Im Fall des Rappers aus Mallorca geht es wieder einmal um die Meinungsfreiheit, um die es wahrlich nach den Strafrechtsreformen und Maulkorbgesetzen nicht gut bestellt ist, dort kann inzwischen leicht alles zu Terrorismus oder Terrorismusverherrlichung gestempelt werden. So geschah es auch im Fall des jungen Musikers. Er soll nebenbei auch noch die Monarchie beleidigt haben. Deshalb wurde er zu einer Gefängnisstrafe dreieinhalb Jahren verurteilt.
Doch es ist die erste Watsche für Spanien, dass der EGMR in Straßburg gegenüber dessen Anwälten nun die Annahme der Beschwerde bestätigt hat. "Der Fall wird so schnell wie möglich gemäß den Unterlagen und Informationen geprüft, die von Ihnen zur Verfügung gestellt wurden", heißt es in einem Brief, der der Zeitung Público vorliegt. Das Gericht werde sich jetzt an den Juristischen Dienst des Staates wenden, damit der sich zu der Beschwerde äußern kann. Das Verfahren könne sich über Jahre hinziehen, erklärte Valtònycs Anwältin Isabel Elbal.
Meinungsfreiheit im Fall Otegi
Der Rapper war zur Flucht nach Belgien gezwungen, um der Strafverbüßung zu entgehen. Sonst hätte der EGMR - wieder einmal - erst nach der Strafverbüßung das Urteil für ungültig erklärt. So geschah es kürzlich im Fall von fünf baskischen Politikern, die wie der linke Arnaldo Otegi auf Basis eines unfairen Verfahrens mehr als sechs Jahren illegal inhaftiert waren. Otegi wurde auch, da er auch ein Amtsverbot erhalten hat, die Möglichkeit genommen, bei den Wahlen 2016 baskischer Regierungschef zu werden.
Die Anwaltskanzlei Boye & Elbal argumentiert in ihrer Beschwerde am Menschenrechtsgerichtshof auch mit einem anderen EGMR-Urteil zu Otegi, das Spanien in seinem Fall schon drei Mal verurteilt hat. Im ersten Fall ging es nicht um eine angebliche "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", sondern um Meinungsfreiheit. Otegi hatte als baskischer Parlamentarier 2003 den spanischen König den "Chef der Folterer" genannt, was für den EMGR durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Otegi hatte dies nach der illegalen Schließung der baskischen Tageszeitung gesagt, dessen Journalisten ebenfalls gefoltert wurden. Er war zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Straßburg kassierte die Urteile und verurteilte hingegen Spanien, den Politiker mit 20.000 Euro zu entschädigen. Tatsächlich ist der König auch Militärchef und zum Militär gehört auch die Guardia Civil. Die taucht immer wieder in Folterberichten auf und die baskischen Journalisten wurden die von der Guardia Civil unter Folter erpressten Geständnisse verworfen. Aber dann wurde nicht gegen die Folterer ermittelt, wie Straßburg geurteilt hat. Nur Einzelfällen wird vernünftig ermittelt und werden Beamte für Folter und Mord verurteilt. Sie werden dann meist schnell begnadigt, wie auch ein Mörder und General der Guardia Civil.
Die Anwälte von Valtònyc verweisen auch darauf, dass Spanien Katalanen verurteilte, die Bilder des Königs verbrannt hatten. Auch sie waren wegen Königsbeleidigung zu 15 Monaten Haft verurteilt worden. Das Verbrennen des Fotos sei zwar provozierend, weil es um die Aufmerksamkeit der Medien für eine "politische Kritik" ging, die Aktion ist aber von der Meinungsfreiheit gedeckt, urteilte der EGMR vor einem Jahr. Im Fall des Rappers hätten die spanischen Gerichte den Kontext nicht in Betracht gezogen, schreiben die Anwälte des Rappers in ihrer Beschwerde. Er war gerade 18 Jahre alt war, als er die Songs komponierte, habe keiner gewalttätigen Organisation angehört und weder die ETA noch GRAPO waren zu dem Zeitpunkt noch aktiv. Seine Texte hätten keinerlei Risiko für irgendeine Person oder Gruppe dargestellt.
Belgische Justiz spielte nicht mit
Eine Vorentscheidung ist schon in Belgien gefallen. Wie im Fall der katalanischen Exilanten konnte auch in diesem Fall die belgische Justiz die Anschuldigungen nicht nachvollziehen und hat es deshalb abgelehnt, den Musiker nach Spanien auszuliefern, da seine Lieder durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind.
In Spanien ist auffällig, wie einseitig derlei Vorwürfe gegen linke Aktivisten erhoben werden. Wenn ein rechtsradikaler Radiomoderator zu "Aktionen" gegen Deutschland aufruft und meint, es könnten "Biergärten in Bayern" explodieren, oder er von möglichen "Geiseln" auf Mallorca spricht, wird nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. So drastisch hatte Federico Losantos darauf reagiert, dass Deutschland es abgelehnt hat, den ehemaligen katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont wegen einer erfundenen Rebellion oder Aufruhr nach Spanien auszuliefern. Er und andere Exilanten sitzen deshalb nicht im Prozess auf der Anklagebank, während ehemalige Regierungsmitglieder und Aktivisten bis zu 25 Jahre Haft drohen.
Josep Miquel Arenas bestreitet stets, dass er Terrorismus unterstützen oder die Opfer habe demütigen wollen. Er ist der Meinung, dass es in seinen Texten keinerlei Gewalt gibt, die er an ganz anderen Stellen sieht: "Gewalt ist, wie Eltern herumjonglieren müssen, um ihre Familie zu ernähren", erklärte er im Interview. Gewalt sei es auch, sein Essen bei einer Tafel zu bekommen und verprügelt zu werden, wenn man auf die Straße geht, um seine Rechte zu verteidigen. Gewalt sei, dass "Menschen, die ihr gesamtes verdammtes Leben lang gearbeitet haben, eine beschissene Rente erhalten und man ihnen in einem Brief mitteilt, dass sie um 30 Cent erhöht wurde".