Spannungen zwischen Nato-Staaten und China: Analyse einer zunehmenden Rivalität

Einsatzfahrzeug der chinesischen Polizei in Xinjiang. Bild: Dbjm1 / CC BY-SA 4.0 Deed

China gewinnt an Bedeutung, doch auch der Widerstand wächst. Vorwürfe vor allem aus Nato-Staaten. Wie sich der Konflikt auswirkt. Eine Analyse in drei Teilen. (Teil 1)

Mit dem ökonomischen Aufstieg und der wachsenden politischen Bedeutung der Volksrepublik China hat sich der Ton der Berichterstattung und Diskussion über die Volksrepublik sowohl in der Politik wie in den Medien vor allem der Nato-Staaten außerordentlich verschärft. Nicht nur, dass das Verhältnis zur Volksrepublik von einem der Kooperation zur Rivalität herabgestuft wurde.

Wachsende Spannungen: China im Fokus der NATO-Staaten1

Die Volksrepublik wird offen als "größte Bedrohung für die innere und internationale Sicherheit" bezeichnet (Premierminister Rishi Sunak). China würde "Technologie stehlen" und "Universitäten infiltrieren", sagte Sunak. Die Regierung in Peking unterstütze außerdem Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dessen Krieg gegen die Ukraine und bedrohe Nachbarn wie Taiwan.

Sie foltern, inhaftieren und indoktrinieren ihre eigene Bevölkerung, in Xinjiang und Hongkong.

Zeit online, 25.7.2023

Die Volksrepublik wird mit Sanktionen überzogen und es wird vor zu engen Kooperationen sowohl in der Wirtschaft wie in der Wissenschaft gewarnt. Wo immer die Gründe für diese Konfrontation liegen, es wird schon offen von einer militärischen Auseinandersetzung vor allem der USA – und mit ihr der Nato – und der Volksrepublik gesprochen.

Ein wesentliches Element, vielleicht sogar ein Instrument dieser Auseinandersetzung besteht in den Vorwürfen schwerer Menschenrechtsverletzungen, insbesondere an den Minderheiten in Tibet und seit einiger Zeit vorwiegend an den Uiguren in Xinjiang.

Anklagen des Völkermordes und Menschenrechtsverletzungen

Die Parlamente von Frankreich, Kanada und den Niederlanden haben die chinesische Regierung des Genozids beschuldigt. US-Präsident Joseph Biden hat unmittelbar nach seinem Amtsantritt China vorgeworfen, in Xinjiang einen Völkermord begangen zu haben, wofür es "die Kosten tragen" werde.2

Insbesondere das Newlines Institute for Strategy and Policy in Washington D.C. hat im März 2021 eine umfangreiche Studie zu den Vorwürfen mit dem Titel "The Uyghur Genocide: An Examination of China's Breaches of the 1948 Genocide Convention" vorgelegt.3

Norman Paech ist Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik und der Universität Hamburg i.R..

Der Direktor von Human Rights Watch, Wenzel Michalke, hat die Vorwürfe kurz im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestags zusammengefasst. Die chinesische Regierung habe sich fast aller der in Artikel 7 des Statuts von Rom des Internationalen Gerichtshofs aufgelisteten Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht: Mord, Folter, Überwachung, kulturelle und religiöse Auslöschung, sexuelle Gewalt und Zwangsarbeit sein Teil eines "flächendeckenden systematischen Angriffs" auf die Bevölkerungsgruppe der turkstämmigen Muslime und hätten ein nie zuvor dagewesenes Ausmaß erreicht.4

Beweise und Berichte: Das Dossier über Xinjiang

Der Weltkongress der Uiguren in München spricht nach wie vor vom "anhaltenden Völkermord an unserem Volk" und der "aktiven Auslöschung der kulturellen und religiösen Identität der Uigur:innen", die Präsident Xi Jinping auf seiner jüngsten Reise nach Xinjiang zugegeben hätte (Presseerklärung v. 28.8.2023).

Die neueste Veröffentlichung des Journalisten Mathias Bölinger wird im Klappentext als Erläuterung der "langen Vorgeschichte der Vernichtungskampagne gegen die Uiguren" vorgestellt, "die zeigt, dass die Verfolgung bis heute zwar unsichtbarer, dafür aber umso perfider fortbesteht" (2023).

Auch er spricht von der "Zerstörung der ethnischen Identität" (u.a. S. 152), ein völkerrechtlich zweifellos relevanter Tatbestand. Im deutschen Fernsehen werden Uiguren im Ausland mit Vorwürfen zitiert, wie:

Die Machthaber in China haben entschieden, die uigurische Identität, Kultur und Religion auszulöschen.

Mamuti Abdudureyimu, ZDF v. 1.7.2022

Der deutsche Anthropologe Adrian Zenz, nach Wikipedia Senior Fellow für Chinastudien an der "Victims of Communism Memorial Foundation", USA, wird gern als Quelle für die schweren Menschenrechtsvorwürfe herangezogen. Er hat vor allem aus geleakten und gehackten Dokumenten unbekannter Herkunft, die als China Cables bekannt wurden, die sog. Xinjiang Police Files zusammengestellt. Sie dienen als Grundlage für die Vorwürfe über die sog. Umerziehungslager in Xinjiang.

Auf diese Files bezieht sich auch Alexander Görlach in der Deutschen Welle, wenn er von "Konzentrationslagern …, in denen die Menschen eingesperrt und gefoltert werden" spricht. Und von China als "Terrorregime", welches "wie in Tibet Kulturgüter zerstören lässt, um so das Erbe der zu unterjochenden Menschen auszuradieren" (25.5.2022).

Dem fügen die Erzählungen des Spiegels von der Reise seines Autors Georg Fahrian nichts Neues hinzu (17.5.2023; zur Kritik vgl. Spennrath). Er hätte das alles auch in Hamburg von den einschlägigen Quellen abschreiben können.

Die Empörung scheint kaum mehr steigerungsfähig, wenn ganz Xinjiang als "Freiluftgefängnis" bezeichnet wird, in dem die "Rundumüberwachung" von "Orwellschem Ausmaß" ein in der Menschheitsgeschichte bisher "einmaliges Verbrechen" sei (Deuber 2019, 10).

Internationale Empörung und Reaktionen

Die USA haben den Import von Produkten aus Xinjiang verboten und einige hohe Beamte sanktioniert. Auch die Europäische Union hat verschiedenen Hohen Beamten die Einreise in die EU untersagt und ihr Vermögen eingefroren.

Vor diesem medialen Hintergrund hat der "Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags" am 19. November 2020 und 17. Mai 2021 zwei Anhörungen zur "Völkerrechtlichen Bewertung der Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren" mit insgesamt 14 Sachverständigen veranstaltet.

Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, haben nur Eva Pils von der School of Law am King's College, London, von einem "Anfangsverdacht" des Völkermords und Adrian Zenz, diesmal als Professor der European School of Culture and Theology, von dem Risiko eines "schleichenden Völkermords" gesprochen. Der Vorwurf schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde jedoch von allen Sachverständigen außer von Mechthild Leutner und mir erhoben.

Parlamentarische Untersuchungen in Deutschland

Der Ausschuss hat zum Abschluss der Anhörungen eine Erklärung mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimme der Fraktion Die Linke verabschiedet – die AfD war nicht anwesend. In ihr heißt es unter anderem:

Aus zahlreichen Zeugenberichten und Recherchen von Journalisten und Menschenrechtsexperten wurde inzwischen bekannt, dass die Insassen in diesen Lagern regelmäßig Opfer von Folter, sexueller Gewalt und psychischem Terror werden. Durch tägliche Indoktrinationen zur Verinnerlichung der kommunistischen Staatsideologie sollen die Uiguren sowohl in Freiheit und noch stärker in Gefangenschaft systematisch ihrer kulturellen Identität beraubt werden.

Zudem müssen Angehörige der ethnischen Minderheiten in Xinjiang massenhaft Zwangsarbeit leisten, Frauen werden gegen ihren Willen sterilisiert und unter Androhung von Lagerhaft zur Abtreibung gezwungen.

Inzwischen dokumentieren selbst offizielle Statistiken der chinesischen Regierung die Folgen dieser brutalen Strategie, mit der China zahlreiche von ihm unterzeichnete Menschenrechts abkommen missachtet.

Die Geburtenrate der Minderheiten in Xinjiang ist seit Beginn dieser systematischen Kampagne von Staat und Partei vor einigen Jahren massiv eingebrochen. In der Langzeitwirkung ist das Volk der Uiguren durch diese ebenso brutale wie systematische Strategie in seiner Existenz gefährdet…

Auch aufgrund dieser fachlichen Stellungnahmen kommt der Ausschuss zu dem Schluss, die schweren Menschenrechtsverletzungen an den ethnischen und religiösen Minderheiten in Xinjiang als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bezeichnen.

Da die Legislaturperiode kurz nach der Erklärung endete, kam es nicht mehr zu einer Beratung und Entschließung im Plenum des Bundestags. Der Ausschuss hatte den Vorwurf des Völkermordes zwar fallen gelassen, aber schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit für erwiesen erklärt.

Bei dieser Eindeutigkeit konnte es nur eine Frage der Zeit sein, dass in der neuen Legislaturperiode eine erneute Initiative in Richtung einer Verurteilung Chinas durch den Bundestag erfolgte. Das lag ausdrücklich in der Perspektive der Mehrheit im vergangenen Menschenrechtsausschuss, das einmal verfolgte Ziel nicht an der Hürde des Legislaturwechsels scheitern zu lassen.

So hat sich in jüngster Vergangenheit ein "Parlamentskreis Uiguren" gegründet, mit dem Abgeordnete aus FDP, Grüne, SPD und CDU die Öffentlichkeit über die "fortlaufenden Menschenrechtsverletzungen" informieren wollen. Der Initiator, der FDP-Abgeordnete Peter Heidt, nannte dabei sein "persönliches Ziel, dass wir die Handlungen der chinesischen Regierung in Xinjiang im nächsten Jahr im Bundestag als Genozid anerkennen" ("China muss die Lager schließen", FAZ, 6.9.2023, 4).

Wir können also davon ausgehen, dass der aktuelle Ausschuss diese Initiative demnächst wieder aufnehmen und den Bundestag zu einer Entscheidung über Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Volksrepublik China auffordern wird.

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