Steinmeier: "Es sind zu viele, die sich wohlfühlen im Schlechtreden unseres Landes"

Seite 4: Abwertung der Empörung

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Erinnert sei an die "Kampfschrift" "Empört euch!" des französischen Widerstandkämpfers und Essayisten Stéphane Hessel, mit der dieser die Bürger Europas zur Empörung, unter anderem gegen eine Politik des Sozialabbaus und über die Diskriminierung von Ausländern, aufruft. Wie sieht es mit der von Hessel geforderten Empörung aus? Sollte man sich über sie nun auch empören?

Gewiss, der geneigte Leser hat es bemerkt: Steinmeier spricht nicht von Empörung, sondern von Empörungsfetzen. Mit viel Geschick wird hier Bürgern nicht einmal ihre Empörung zugestanden. Ihre "Empörung" wird als "Fetzen" abgewertet und damit delegitimiert. Diese Delegitimierung des politischen Protestes ist immer wieder zu beobachten. Die kritisierten Eliten, die aufgrund ihrer Kapital- und Strukturvorteile über Benennungs- und Klassifizierungsmacht verfügen, verstehen sich darin, die unliebsamen Stimmen aus der Bevölkerung in schöner Regelmäßigkeit abzuwerten, in dem sie Form und/oder Inhalt des Protestes als illegitim abqualifizieren.

Mit dieser Methode kann bis tief in die Sprache eingedrungen werden, indem selbst die Worte, die die Bürger gebrauchen, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen, stigmatisiert werden. Man beraubt so förmlich Bürgern die Möglichkeit, sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen, getreu dem Prinzip: Bürger, ihr dürft euren Protest zum Ausdruck bringen. Aber hier ist die Liste dessen, was nicht gesagt und getan werden darf.

Es passt ins Bild, dass Steinmeier in den folgenden Aussagen geradezu ein Musterbeispiel für die hier angestellten Überlegungen liefert.