Streit um die Schulden beim G-20-Gipfel
Die USA wollen die Konjunktur mit weiteren Schulden ankurbeln, während die EU auf Sparpläne setzt
Am Wochenende wird sich in Kanada die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zum G-20-Gipfel treffen. Bevor die Staats- und Regierungschefs in Toronto zusammen kommen, treffen sich die Staats- und Regierungschefs der acht führenden Industrienationen (G8) separat in einem Luxus-Ressort in Huntsville. Auf beiden Treffen soll im Vordergrund stehen, wie der weitere Weg in der Wirtschafts- und Finanzkrise aussehen soll.
Zugespitzt könnte man von einem Duell zwischen Berlin und Washington oder Angela Merkel gegen Barack Obama sprechen. Während die Bundeskanzlerin Europa weitgehend auf einen Sparkurs eingeschworen hat, setzt der US-Präsident auf weitere staatliche Konjunkturprogramme, um die schwächelnde Wirtschaft anzuschieben. Zwar müssten die Defizitprobleme langfristig gelöst werden, doch dürfe dies nicht auf Kosten des kurzfristigen Wachstums gehen, argumentiert man in den USA. "Wir haben außerordentlich hart gearbeitet, das Wirtschaftswachstum wieder in Schwung zu bringen", schreibt Obama in einem Brief an die G-20-Staaten. Man dürfe nicht zulassen, dass das Wachstum nun ins Stocken gerät oder schwächer wird.
Tatsächlich stellte Anfang Juni Eurostat ein minimales Wachstum von 0,2% in der EU fest. Die Sparpläne in Litauen, Estland, Irland, Griechenland haben die Länder nach einem Wachstum in Vorquartalen zum Teil wieder tief ins Minus gedrückt. Besonders krass wird das am Fall Litauen deutlich. Von einem Wachstum von 1,3% im vierten Quartal 2009 schrumpfte die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2010 um 3,9%. Obama stellt letztlich die Frage, ob sich Europa zu Tode sparen will (Europa spart sich zu Tode). Denn der große Teil der Sparpakete wurde erst später beschlossen oder wird gerade erst verabschiedet. Vor allem die Wirkung von Sparplänen in großen Volkswirtschaften wie Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien und stehen aus. Obama kann sich bei seiner Argumentation auf Experten wie den Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman berufen. Der hält die europäischen Sparprogramme für ein "sehr große Dummheit" und meint, es seien "Verrückte an der Macht".
Allerdings ist Obama auch nicht sehr konsequent, schließlich lobte er einhellig mit Merkel auch die spanischen Sparpläne. Dabei hätte gerade das südeuropäische Land mit seiner geringen Staatsverschuldung noch Spielraum, anstatt die Rekordarbeitslosigkeit von über 20% weiter anzuheizen. Denn das führt nicht nur zu neuen Löchern in Sozialkassen, wie Krugmann erklärte, sondern bringt auch Banken und Sparkassen durch steigende Kreditausfälle immer heftiger in Bedrängnis. Das wiederum könnte zu einer weiteren teuren Rettungsaktion wie in Griechenland führen, über die ohnehin schon spekuliert wird.
Tatsächlich werden die Sparprogramme das schwache Wachstum in der EU weiter belasten. Allerdings, und da liegt Merkel mit ihrer nationalistisch ausgerichteten Politik richtig, trifft es ein Land wie Deutschland weniger, das vor allem vom Export lebt. So hat die britische Regierung mit der Vorstellung ihrer Sparpläne die Wachstumsprognose genauso gesenkt, wie auch in Spanien angesichts der Sparpakete mit einem Einbruch gerechnet wird. Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) hat gerade die Prognose für Deutschland für 2011 nach unten korrigiert. Statt 2,0% gehen die HWWI-Experten nur noch von einem Wachstum von 1,6% aus. Letztlich müssen die Programme längerfristig auch Deutschland treffen, das vor allem in die EU exportiert.
Die Frage ist aber, ob hier nicht ein scheinbarer Gegensatz als Nebelkerze gezündet wird, um davon abzulenken, dass weder die G-8 noch die G-20 in der Regulierung der Finanzmärkte groß vorangekommen sind. Im November 2008, nach Ausbruch der Krise, hatte man getönt, dass kein Finanzmarktprodukt, kein Finanzplatz und kein Finanzakteur mehr ohne Regulierung bleiben dürfe. Davon ist man aber auch fast zwei Jahre später noch weit entfernt.
Es ist nicht einmal damit zu rechnen, dass eine allgemeine Bankenabgabe beschlossen wird. Hier bremst zum Beispiel Kanada. Für die ungeliebte Finanztransaktionssteuer sieht es noch finsterer aus, denn hier treten auch die Briten auf die Bremse, obwohl die gerade die Bankenabgabe einführen. Ob die EU darin einen Alleingang wagt, darf schon angesichts der Beschlüsse des EU-Gipfels bezweifelt werden.
Klar ist, dass die Ärmsten weltweit besonders unter der Krise leiden, aber kaum Gegenstand der Verhandlungen sein werden. Vor den Gipfelgesprächen in Kanada haben die UNO und Unicef an die Staats- und Regierungschefs appelliert, die UN-Millenniumsziele nicht aufzugeben. Dabei ist schon jetzt klar, dass die globale Halbierung der extremen Armut bis 2015 nicht erreicht wird. Tatsächlich gingen die Ausgaben für Arme schon vor der Krise zurück. Ganz offen fahren Staaten ihre Ausgaben für Entwicklungshilfe mit den Sparplänen weiter zurück.
Im Zwischenbericht zu den angepeilten Zielen machte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon deutlich, dass die Zahl der Hungernden weiter steigt. Nach Schätzungen der UNO waren Anfang der Neunzigerjahre gut 800 Millionen Menschen unterernährt. Ende 2009 waren es schon über eine Milliarde. Auch das UN-Kinderhilfswerk macht deutlich, dass immer mehr Kinder unter Armut, Hunger und Krankheit leiden, heißt es im Jahresbericht der Unicef, der in Berlin vorgestellt wurde. Doch damit werden sich die Regierungschefs in Kanada wohl nicht beschäftigen, deren Treffen an diesem Wochenende etwa 900 Millionen Euro kosten wird (Sicherheit von politischen Großereignissen wird inflationär teuer).