Trommelfeuer für neue Konjunkturprogramme

Während Russland und China eine neue Leitwährung wollen, fordern die USA, Großbritannien und Japan neue Konjunkturprogramme

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Gestern Abend hat in London der Weltfinanzgipfel mit einem Empfang bei Königin Elisabeth II. begonnen, zuvor kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizei. Demonstranten hatten Fenster bei der Bank of England und einer Filiale der Royal Bank of Scotland eingeschmissen und waren in letztere eingedrungen. Die Polizei kesselte über 1000 Demonstranten ein. Es kam zu zahlreichen Festnahmen.

Auf dem Treffen wollen die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) über Maßnahmen zur Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise reden und den Grundstein für eine neue Finanzarchitektur legen. Große Hoffnungen sollte man nicht hegen. Einigkeit wird zwar angesichts der Krise beschworen, aber Machtkämpfe toben und Konzepte fehlen. Die Uneinigkeit ist so groß, dass Frankreich schon mit der frühzeitigen Abreise drohte.

Schon vor dem Weltfinanzgipfel in der britischen Hauptstadt kristallisierten sich die massiven Konfrontationslinien heraus, die den Gipfel beherrschen und lähmen werden. Die Konflikte gehen quer durch die Lager und von einer Einheit sind auch die EU-Länder weit entfernt. Dass die Bundesregierung kürzlich beim EU-Gipfel, entgegen eigener Positionen, doch dem EU-Konjunkturpaketchen zustimmte, um auf dem G20-Gipfel dann einig auftreten zu können, hat nichts genutzt (Und nun kommt doch ein "EU-Konjunkturpaket"...).

Der britische Premierminister Gordon Brown den US-Kurs, denn immer wieder hatten die Regierung unter Barack Obama deutlich größere Konjunkturprogramme gefordert. Dass Obama mit Brown vor dem Gipfel gemeinsam die Positionen abgestimmt haben, macht deutlich, in welcher Allianz sich die Briten sehen.

Unterstützt werden Forderungen nach weiteren Konjunkturprogrammen aber auch von Japan und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Berlin wird von der OECD direkt angesprochen. Deutschland unternehme deutlich weniger als etwa die USA - obwohl der nötige Spielraum vorhanden sei. "Es bedarf weiterer Ankurbelungsmaßnahmen, die schnell umgesetzt werden müssten", fordert die OECD im neuesten Wirtschaftsausblick, der gestern veröffentlicht wurde. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, wird auch für Deutschland die bisherige Prognose deutlich nach unten korrigiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde in diesem Jahr sogar um 5,3 % einbrechen, heißt es in dem Sonderbericht zum Weltfinanzgipfel.

Japan wirft der Bundesregierung sogar mit klaren Worten vor, die Ernsthaftigkeit der Lage nicht zu verstehen. Premierminister Taro Aso sagte in einem Interview: "Es gibt Länder, die verstehen die Bedeutung fiskalischer Maßnahmen, und es gibt Länder, die verstehen sie nicht." Deutschland gehöre zur zweiten Gruppe: "Das ist der Grund, weshalb Deutschland diesen Standpunkt vertritt."

Während Merkel nach der 50-Milliarden Mittelstandsförderung bei neuen Konjunkturprogrammen weiter auf die Bremse tritt, bastelt Japan schon am dritten Paket. Nach den 90 Milliarden Euro, die schon bisher zur Ankurbelung der Konjunktur ausgeben wurden, sollen nun fast 160 Milliarden folgen. Tokio will "alle verfügbaren Mittel mobilisieren". Doch ob deren hektische Aktivitäten etwas bringen, ist fraglich. Nach der Prognose der OECD wird Japans Wirtschaft 2009 sogar um 6,6 % schrumpfen und die gefährliche Neigung zur Deflation nimmt in Japan ebenfalls nicht ab.

Obwohl die Verbraucherpreise im Februar gegenüber dem Vormonat erneut gesunken sind, geben die Konsumenten immer weniger Geld aus. Der Umsatz im Einzelhandel fiel gleichzeitig um 5,8 % niedriger aus. Damit dreht sich das gefährliche Karussell schon: Angesichts drohender Massenarbeitslosigkeit, allgemeiner Unsicherheit und fallender Preise werden Anschaffungen aufgeschoben. Die Konsumenten hoffen, das Produkt bald noch billiger erstehen zu können. Das schwächt die schwache Binnennachfrage der zweitgrößten Volkswirtschaft weiter, zehrt an Unternehmensgewinnen, vertieft die Rezession und treibt die Krise weiter an. Analysten und die Notenbank befürchten einen Preisverfall auf breiter Front.

Obwohl Japan, nach der geplatzten Immobilienblase in den 1990er Jahren, nun erneut unter gravierenden Problemen leidet, will ausgerechnet Aso den Lehrmeister spielen: "Wegen unserer Erfahrungen in den vergangenen 15 Jahren wissen wir, was notwendig ist, während die USA und europäische Länder eine solche Situation wohl zum ersten Mal erleben", sagte er. Doch wie er die Schulden bezahlen will, weiß wohl auch Aso nicht. Die Neuverschuldung des Staates ist schon fast doppelt so hoch als das Inlandsprodukt. Auch deshalb fordert er neue Pakete, damit über den Export die japanische Wirtschaft wieder in Gang kommt. Mit seinen ungewöhnlich scharfen Worten nach außen versucht der schwer angeschlagene Premier wohl innenpolitisch zu überleben.

Sonderbare Allianzen

Vor dem Gipfel haben sich sonderbare Allianzen gebildet. Nach zwei massiven Streiks im Lande, die von dem überwiegenden Teil der Bevölkerung unterstützt werden, setzt sich Frankreichs Nicolas Sarkozy an der Seite Deutschlands – in der gewohnt großmäuligen Art – für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte ein. Als Signal an Obama und Brown warnte er vor einem Eklat, wenn die Abschlusserklärung nicht deutlich verbessert werde. Die derzeitigen Entwürfe stellten weder Deutschland noch Frankreich zufrieden, erklärte Sarkozy. Für einen "falschen Kompromiss" sei er nicht zu haben. Er drohte, den Gipfel platzen zu lassen und ohne Unterzeichnung des Dokuments abzureisen.

Es soll eine bessere Kontrolle aller Akteure auf den Finanzmärkten, auch für Hedge-Fonds und Steuerparadiese geben. Es dürfe "kein Ort, kein Finanzmarktprodukt und keine Finanzmarktinstitution mehr ohne Überwachung und Transparenz" existieren, forderte Merkel vor der Abreise nach London. "Wir werden dafür sorgen, dass konkrete Vereinbarungen getroffen werden, von denen man sich nicht wieder zurückziehen kann", unterstützte sie Frankreichs Position.

Die "historische Chance", die in dieser Krise liege, müsse genutzt werden, um zu einer neuen Weltfinanzarchitektur zu kommen, versuchten Sarkozy und Merkel gemeinsam in einem Brief die EU-Mitgliedsländer auf ihre Linie einzustimmen. "Auf lange Sicht bedroht übermäßige Haushaltsverschuldung die globale Stabilität", wettern sie auch dagegen, mit immer neuen Paketen die Verschuldung uferlos auszuweiten. Gemeint ist das als Retourkutsche auf Obamas und Browns Forderungen, deren Haushalte über die verschiedensten Programme längst aus dem Ruder gelaufen sind. Im Fall von Großbritannien wird schon von einem drohenden Staatsbankrott gesprochen.

Zu den Besonderheiten gehört auch, dass Merkel scheinbare Einigkeit mit den Russen signalisiert. Nach einem Treffen zwischen Merkel und dem Präsidenten Dmitrij Medwedew gestern in Berlin wurde beteuert: "Wir haben keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten." Auch für Medwedew steht eine neue Finanzmarktarchitektur im Vordergrund. "Wir fahren mit sehr ähnlichen Erwartungen und Positionen nach London", sagte Merkel. Gemeinsam wolle man dafür sorgen, dass der Gipfel zu einem Erfolg wird. Dazu gehöre eine weltweite Charta für nachhaltiges Wirtschaften unter dem Dach der Vereinten Nationen, womit in der Zukunft eine ähnliche Krise verhindert werden soll. Vor zu großen Erwartungen warnte nach Merkel auch Medwedew. London bilde nur den Auftakt, dem eine Serie von Konferenzen folgen müsse, aus denen ein neues weltweites Finanzsystem entstehen müsse.

Die zur Schau gestellte Einigkeit ist Merkels Wink mit dem Zaunpfahl an Washington. Wie Merkel nämlich zur Frage einer neuen Leitwährung steht, wurde demonstrativ offen gelassen. Denn es darf nicht vergessen werden, dass Moskau angeregt hatte, den US-Dollar als Leitwährung abzuschaffen. Medwedew sagte erneut, die Krise führe die Probleme der verschiedenen Devisenmärkte vor Augen und es zeige sich, dass sie nicht stabil seien. Er bekräftigte dabei die russischen Überlegungen zu einer neuen Währungsarchitektur, die auch eine neue Leitwährung vorsehe.

Der Vorschlag, das Sonderziehungsrecht (SZR) des Internationalen Währungsfonds (IWF) solle den Dollar als Leitwährung ablösen, wird auch von China vorangetrieben. Doch damit würden die USA der einzigartigen Möglichkeit beraubt, eine "Wertschöpfung" über die Notenpresse zu schaffen. Weltweit werden die Steuerzahler dafür über eine versteckte Inflation zur Kasse gebeten. Schon deshalb reagierte Obama sehr gereizt auf den Vorstoß und erklärte, der Dollar sei "unglaublich stark".

Dabei ist der Dollar nur noch einigermaßen stabil, weil China die USA nicht nur mit dem massiven Kauf von Staatsanleihen stützt. Man könnte die gut 2 Billionen Dollar Devisenreserven auch benutzen, um auf Einkaufstour zu gehen, statt demnächst vielleicht auf einem Papierberg zu sitzen, der bald nichts oder nur noch wenig wert ist. Allerdings sind die Folgen eines solchen Vorgehens auch für China schwer abzusehen. Allerdings sind die Chinesen zu Recht besorgt, dass die USA die Notenpresse zu stark anwerfen, um ihre Wirtschaft anzukurbeln und damit deren Dollarreserven stark entwerten.

Langer Marsch Chinas

Dass China und Russland nun in London mit der Forderung einer neuen Leitwährung durchkommen, ist kaum zu erwarten. Ohne Zweifel begeben sich die Chinesen aber erneut auf einen "Langen Marsch". Diesmal geht es aber nicht um die Umwälzung der Verhältnisse im Reich der Mitte, sondern es wird eine neue Weltordnung vorbereitet, deren Institutionen nicht länger amerikanisch und westlich dominiert sind. In diese Richtung wird die USA angesichts der fatalen wirtschaftlichen Situation Zugeständnisse machen müssen.

Die Chinesen sind nun sogar bereit, den einst als "imperialistisch" verteufelten IWF zu stärken und der Institution mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Dafür muss sich aber die Stimmverteilung in der bisher von den USA dominierten Institution verändern, womit Russland und China auch Zustimmung bei anderen Entwicklungs- und Schwellenländern stößt. Haben beide mehr Einfluss, dann sind sie auch bereit, dem IWF eine herausragende Rolle bei der Finanzmarktkontrolle zu gewähren. China hat diverse Druckmittel in der Hand und es wird für die USA kaum zu verhindern sein, zum Beispiel Chinas Stellung im IWF anzupassen. Schließlich handelt es sich um die drittstärkste Wirtschaftsmacht, mit den größten Devisenreserven weltweit. Dass China beim IWF nur knapp 4 % der Stimmen hält, die USA aber rund 17 % (die gesamte EU 32 %) verdeutlich das Ungleichgewicht.

Schon wegen der Konfliktlinien dürfen keine großartigen Ergebnisse von dem Gipfel in London erwartet werden. Dazu kommt, dass eine Ursache, die maßgeblich in diese Krise geführt hat, weiter völlig ausgeklammert bleibt. Da ist der völlig aufgeblähte Finanzsektor, der in den Programmen zur Krisenbekämpfung bisher kräftig weiter alimentiert und aufgebläht wird, anstatt ihn abzuspecken. Es waren die vielen billigen Kredite, es war das viele Geld, das nach dem Platzen der Internetblase zur Krisenbekämpfung und Ankurbelung der Konjunktur in die Märkte gepumpt wurden, die zu neuen und noch größeren Spekulationsblasen geführt haben. Die sind nun geplatzt. Doch wenn dieses abgehalfterte System erneut mit viel Geld am Leben erhalten wird, werden sich die Exzesse, wohl in noch größerem Ausmaß, wiederholen. Daran werden auch neue Kontrollorgane kaum etwas ändern. Betriebsblind haben weltweit die Kontrolleure versagt, die nun ebenfalls erneut eingesetzt werden sollen.