USA und China streiten über den "freien Informationsfluss"

China wirft den USA einen Informationsimperialismus vor, Google will sich gar nicht ganz aus China zurückziehen und soll für die US-Behörden eine Hintertür in Gmail-Accounts eingebaut haben, die Hacker nutzen können

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Nachdem Google lautstark angekündigt hatte, sich aus China zurückzuziehen, wenn man weiterhin gezwungen würde, die von der chinesischen Regierung verordnete Zensur ausführen zu müssen, und der Suchmaschinenkonzern von Angriffen aus China auf Server und von gehackten Emailkonten von chinesischen Menschenrechtlern sprach, schaukelt sich der Konflikt zwischen den USA und China hoch (Google will in China nicht mehr zensieren). Für Google würde der (vorläufige) Verlust des chinesischen Marktes keinen großen finanziellen Schaden bringen, die Aktion könnte aber das Ansehen des Konzerns stärken, der wegen des Sammelns von Daten und seiner zunehmenden Macht über das Internet, stärker ins Visier der Kritik gerückt ist und mitunter bereits als "evil" gilt.

Offenbar kam Googles Parade auch der US-Regierung gelegen, der außenpolitisch bislang nicht viel geglückt ist. Schnell sprang Außenministerin Clinton auf die Seite von Google, warnte die Regierung vor den Konsequenzen von Cyberangriffen und der Unterdrückung des freien Informationsflusses, schon seit dem Kalten Krieg ein wichtiger Topos der US-amerikanischen Politik. China verbat sich die Kritik, erklärte, dass Hacken verboten sei und geahndet werde, und forderte, dass sich Google wie alle anderen Unternehmen den gesetzlichen Vorschriften des Landes unterwerfen müsste. Googles Pose als Kämpfer für Meinungsfreiheit und gegen Zensur wurde allerdings vom Konzern schnell selbst untergraben. Google-Chef Eric Schmidt verkündete, man wolle sich keineswegs aus dem chinesischen Markt zurückziehen. Die Kritik habe sich nur gegen die Internetzensur gerichtet, es gebe aber noch "viele weitere Geschäftsmöglichkeiten".

Aber auch die chinesische Regierung scheint die Kritik eine gute Gelegenheit zu sein, um ihrerseits die USA kritisieren zu können. Man ist schon lange genervt über die ständig von westlichen Ländern bei jeder Gelegenheit geübte Mahnung, Menschenrechte und Meinungsfreiheit zu achten. In einem Kommentar wurde den USA schon einmal "Informationsimperialismus" vorgeworfen. Die Forderung nach dem "free flow of information" (Free Flow of Information) sei der Versuch, unter dem Deckmantel der Demokratie anderen Ländern die eigenen Werte aufzudrängen. Ganz allgemein sei Freiheit relativ, heißt es auch China.

In den staatlichen chinesischen Medien kritisiert man nun den zweifachen Maßstab der USA. Auch die US-Regierung zensiere das Internet, wenn es um "Terrorismus, Pornografie, Rassendiskriminierung und andere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit" gehe. Verwiesen wird auf den Patriot Act, der die Telefon- und Internetüberwachung entscheidend erweitert habe. Die USA würden zwar andere Staaten wegen Internetregulierungen kritisieren, diese aber selbst durchführen. Zudem hätten die USA als weltweit erstes Land das Konzept des Internetkriegs entwickelt und die ersten Cyber-Soldaten eingestellt.

Es sei weltweiter Konsens, dass das Internet "zugunsten einer gesunden Entwicklung" reguliert werden müssen: "Kein verantwortlich handelndes Land nimmt eine Laissez-faire-Haltung gegenüber dem Internet ein." Und es sei ganz normal, dass ausländische Unternehmen den Gesetzen und Regulierungen sowie den öffentlichen Interessen und kulturellen Traditionen des Landes folgen, in dem sie tätig werden. Das habe auch Microsoft-Chef Steve Ballmer bestätigt, der in der Tat deutlich das Geschäftsinteresse über alles andere gestellt hatte. Die Menschen, so der Kommentar, würden wünschen, dass die US-Regierung Tatsachen anerkennt, alle gleich behandelt und sich nicht moralisch höher stellt. Und überhaupt, so sagte ein Sprecher des Außenministeriums, sei Chinas Internet offen und durch Gesetze reguliert, die Meinungsfreiheit sei in der Verfassung verankert.

Ein weiterer Kommentar weist darauf hin, dass die USA weiterhin die "Hegemonie" über das Internet innehaben, was man daran sehen könne, dass die USA über ICANN – eine "Quasi-Regierungsorganisation des US-Wirtschaftsministerium" - das DNS-System mit den Root-Servern kontrolliere. Hier habe es schon vor Jahren Kritik gegeben. Es sei etwa während des Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) gefordert worden, die Internetverwaltung den Vereinten Nationen oder einer anderen internationalen Regierungsorganisation zu übertragen. Die USA hätten sich dem widersetzt, weil nach der Militärdoktrin die Überlegenheit auch im Internet zu bewahren sei. Argumentiert habe man, dass nur durch die US-Kontrolle der freie Informationsfluss gewährleistet werden könne. Auch unter Obama hat sich hier bislang nichts bewegt (Kalter Krieg im Cyberspace?).

US-amerikanischer Internetkrieg?

Schwergewichtiger ist jedoch der Vorwurf, die USA würden mithilfe der CIA das Internet aus politischen und wirtschaftlichen ausspionieren. So seien "Bugs" entwickelt worden, um in Server einzudringen, zudem sei weiträumig Internetkommunikation abgehört worden, beispielsweise um Informationen über die iranische Führung zu erlangen. Über das Internet und Soziale Netzwerkdienste wie Twitter oder YouTube versuche man, wie im Iran nach den Wahlen die Opposition zu stärken. Der Widerstand der US-Regierung gegen den Filter Green Dam, den die chinesische Regierung einführen wollte, und das Bestehen auf den freien Informationsfluss werden als Versuche gesehen, China über das Internet zu infiltrieren.

Hinter der Forderung nach Meinungsfreiheit stehe lediglich eine politische Strategie, wird den USA von einem Kommentator der kommunistischen Partei vorgeworfen. Die Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen seien durch einen "online warfare", durch einen Internetkrieg seitens der USA mittels Twitter und YouTube entstanden. Dadurch seien Gerüchte verbreitet und Konflikte geschürt worden. Das ist vermutlich genau das, was man in China fürchtet, wenn die Schleusen des Internet geöffnet werden und die Massen sprechen können. In dieser Hinsicht stimmen die chinesischen Kommunisten mit den westlichen Konservativen überein, die unter dem Stichwort eines "digitalen Maoismus" die Angst vor den Massen beschwören.

Ein Artikel nach dem anderen erscheint nun in den chinesischen Medien. Das Internet sei für China überaus wichtig, so ein weiterer Kommentar. Daher würde man den freien Informationsfluss nicht einschränken, müsse aber, wie alle anderen Länder dies auch tun, für Sicherheit sorgen. Google wird vorgeworfen, freien Zugang zu Pornografie und die Verletzung des geistigen Eigentum von chinesischen Autoren zugelassen zu haben. Die Kooperation zwischen US-Regierung und Google führt ein anderer Artikel auf die "Internetstrategie der USA" zurück. Unter dem Deckmantel scheinbar "universeller Werte" nutze die Supermacht USA ihre wirtschaftliche und technische Vormachtstellung, um ihre "Politik, Wirtschaft und Kultur zu exportieren". Hackerangriffe gebe es in allen Ländern, Google könne offensichtlich auch Zensur in "Deutschland, Frankreich und Indien" akzeptieren

Der an den Kalten Krieg erinnernde Schlagabtausch zwischen den beiden Supermächten wird von einer Behauptung des Sicherheitsexperten Bruce Schneier noch einmal zugespitzt. Er sagt, Google habe der US-Regierung eine Hintertür in die Gmail-Accounts eingebaut, um den Sicherheitsbehörden die Ausführung von Durchsuchungsbefehlen zu ermöglichen. Diese Hintertüren, die auch andere westliche Regierungen verlangen, würden es aber auch Hackern ermöglichen, auf die Daten zuzugreifen. Was Google und die US-Regierung also monieren, sei also Folge der Überwachungsgelüste der westlichen Regierungen. Die technisch installierten Überwachungsmöglichkeiten seien allesamt Missbrauchsmöglichkeiten für Kriminelle oder für alle, die die Hintertüren finden. Zudem werden die technischen Überwachungsmöglichkeiten exportiert, sie dienen also auch autoritären Regimen zur Unterdrückung der Opposition. Siemens und Nokia unterstützen das iranische Regime, US-amerikanische Firmen der Kontrolle des chinesischen Internet.

Every year brings more Internet censorship and control, not just in countries like China and Iran but in the U.S., the U.K., Canada and other free countries, egged on by both law enforcement trying to catch terrorists, child pornographers and other criminals and by media companies trying to stop file sharers.

Bruce Schneier