Ukraine-Krise: Eskalation bis zur Explosion?

Das Feuer wird immer weiter angeheizt – aber wann knallt es? Bild: Mark Pellegrini (Raul654), CC BY-SA 3.0

Themen des Tages: Dringend gesucht – diplomatische Lösung für den Krieg in der Ukraine. Sozialproteste in Deutschland. Lebensmitteltafeln droht Überlastung.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Heute geht es darum, wie sich die militärische Lage in der Ukraine zur globalen Krise mit womöglich langfristigen Folgen zuspitzt.

2. Wie Unmut und soziale Probleme im Osten zunehmen, aber wohl nicht auf ihn beschränkt bleiben.

3. Heute bei Telepolis: Umfragen zur Ukraine, explodierende Nebenkosten und Zulauf zu den "Tafeln".

Doch der Reihe nach.

Ukraine Krise: Deutschland findet seine Rolle nicht

In der Ukraine-Krise werden die Töne schriller, die Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln größer. Die Lage zwischen Russland und dem Westen gleicht einem Druckkessel, vor dem beide Seiten eine Schaufel Kohle nach der anderen ins Feuer geben. Wer traut sich, die Glut weiter anzuheizen? Gibt einer auf? Und wenn nicht: Wessen Schaufel Kohle wird zu der für beide Seiten verheerenden Explosion führen?

Verantwortungsvolles Verhalten hieße nun, dass Akteure beider Seiten Schritte zur Deeskalation unternehmen. Doch Russland und der Westen scheinen eine perverse Lust daran gefunden zu haben, die Eskalation voranzutreiben – und sogar mit dem nuklearen Feuer zu spielen.

Die Annexion von rund 90.000 Quadratkilometern ukrainischen Territoriums durch Russland schürt die Spannungen in dieser Woche weiter. Russlands Präsident Wladimir Putin folgt stur seinem Fahrplan: In der Nacht erkannte er per Dekret die von der russischen Armee und Separatisten besetzten ukrainischen Territorien Cherson und Saporischschja als "unabhängige Gebiete" an.

Am heutigen Freitagnachmittag sollen die beiden Regionen und die "Volksrepubliken" Donezk sowie Luhansk ihre Aufnahme in die Russische Föderation beantragen und bewilligt bekommen. In Folge wird der nukleare Schutzschirm Moskaus voraussichtlich auf diese Gebiete erweitert.

Die USA liefern indes immer schwerere und modernere Waffensysteme an die Ukraine, während Regierung und Armeeführung in Kiew die Rückeroberung der sogenannten Volksrepubliken, der anderen besetzten Gebiete und der Krim-Halbinsel zum militärischen und politischen Ziel erklärt haben.

Angesichts der harscheren Rhetorik Washingtons hat der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew erneut betont, seine Regierung sei bereit, Atomwaffen einzusetzen, "wenn das notwendig sein sollte". Auch Putin hatte in seiner Rede zur Teilmobilmachung gesagt: "Dies ist kein Bluff."

Die Bundesregierung könnte eine konstruktive Rolle einnehmen, kommt in der Debatte über die Lieferung schwerer Waffen aus der Defensive aber nicht heraus. Für die Hardliner in Washington und London ist die Lage weitaus weniger brisant: Die britische Kapitale trennen 3.000 Kilometer vom Kriegsschauplatz, Washington 9.000 Kilometer.

Osten in Aufruhr: Blühende Inflation statt blühender Landschaften

Die unmittelbaren Folgen von Krieg und Gaskrise sorgen auch in Deutschland für neue Verhältnisse. Das wird vor allem im Osten der Republik sichtbar, wo die Menschen angesichts steigender Preise und zunehmender Unsicherheit auf die Straßen gehen. Klar: Blühende Landschaften gibt es da nicht. Dafür blüht die Inflation.

Was das bedeutet, merken gerade die Sozialdemokraten in Brandenburg. Dieses Bundesland war lange in SPD-Hand. Kurz vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr lag die Partei von Olaf Scholz bei 34 Prozent in den Umfragen. Zuletzt kamen die Genossen gerade noch auf 24 Prozent.

Die AfD, die sich fast uneingeschränkt gegen die EU-Sanktionen und für Energiegeschäfte mit Russland ausspricht, hat einige Prozentpunkte zugelegt und liegt gleichauf mit der SPD – ebenfalls bei 24 Prozent der Wählergunst.

Das wird, entspannt sich die Lage politisch und wirtschaftlich nicht, kein Einzelfall bleiben. Im Osten rumort es zuerst, weil die Menschen bei Löhnen, Gehältern und Posten gut drei Jahrzehnte hinten anstanden. Die Reserven und die Geduld sind geringer als im Westen. Aber auch dort wächst der Unmut. So spiegeln sich die geopolitischen Umbrüche auch auf nationaler Ebene. Bewegte Zeiten.

Es ist beachtlich, wie die Berliner Republik auf diese Lage reagiert. Die PCK-Raffinerie in Schwedt ist zwar unter Treuhandverwaltung gestellt, langfristige Sicherheit haben die Beschäftigten aber nicht; gleiches gilt für andere Energiebetriebe im Osten.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) sagte unlängst ja in Lubmin, Deutschland werde über den Winter kommen, wenn man "ein bisschen Glück mit dem Wetter" habe. In seiner Aussage waren noch ein paar weitere Wenn enthalten, im Kern aber gestand der Vizekanzler damit ein, dass die Situation energiepolitisch außer Kontrolle geraten ist.

Es mag sein, dass führende Politiker der Ampel-Koalition auf ein mildes Wetter hoffen (das derzeit nicht absehbar ist).

Auf die Milde der Bürgerinnen und Bürger darf das Kabinett aber wohl nicht mehr zählen. Und die dürfen ja auch irgendwann wieder an die Wahlurnen.

Umfragen: Kluft zwischen Nato-Politik und Mehrheitsmeinung

Eine Kursänderung vom Westen, die auf Deeskalation und Verhandlung setzt, schreibt Telepolis-Redakteur David Goeßmann heute, hätte durchaus die Unterstützung der Bevölkerung.

So zeigt eine aktuelle Umfrage von Data for Progress in den USA, dass die Amerikaner:innen von ihrer Regierung einen entschlossenen diplomatischen Einsatz zur Beendigung des Ukraine-Kriegs wünschen. Die meisten Wähler:innen, rund 60 Prozent der Befragten, wollen laut Umfrage, dass der Krieg "so schnell wie möglich" beendet wird – selbst wenn die Ukraine dafür Zugeständnisse an Russland machen müsste.

David Goeßmann

In Deutschland sprechen sich 77 Prozent der Bundesbürger:innen für Verhandlungen des Westens über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs aus. Weitere Zahlen finden Sie hier.

Lebensmitteltafeln stoßen an Grenzen

In Potsdam kämen viele Menschen ohne Lebensmittel der "Tafeln" nicht über die Runden, zitiert Telepolis-Autor Bernd Müller die Chefin der lokalen Lebensmitteltafeln, Imke Georgiew. Inzwischen versorge die Einrichtung 1.700 Menschen und habe einen Aufnahmestopp verhängen müssen, so Georgiew zur Nachrichtenagentur dpa.

Die Inflation soll im September ein neues Hoch von zehn Prozent erreichen.

Kündigungsschutz von Mietern soll besser werden

Wegen steigender Energiekosten und zunehmender Zahlungsschwierigkeiten vieler Haushalte befürchten Sozialverbände, Gewerkschaften und Mietervereine eine Welle von Wohnungskündigungen, schreibt heute Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin.

In einem Offenen Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) fordern sie einen effektiveren Kündigungsschutz. Auch die Neue Richtervereinigung und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein haben das Schreiben vom 28. September unterzeichnet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.