Unsichtbare Hand des Strommarktes: Merit-Order im Detail erklärt
Die Liberalisierung des Strommarktes führte zur Einführung der Merit-Order. Was einst als revolutionär galt, scheitert an den Herausforderungen der Zukunft.
Mit der Liberalisierung des europäischen Stromhandels Ende der 1990er-Jahre hat sich der Strommarkt grundlegend verändert. Neben festen Stromlieferverträgen etablierte sich mit der Liberalisierung des europäischen Stromhandels und dem Unbundling, der Trennung von Infrastruktur und Handel, das Konzept der Merit-Order.
Aus anderen freien Märkten mit homogenen Gütern war dieser Effekt bereits bekannt. Im kurzfristigen Stromhandel auf dem Spotmarkt der Großhandelsebene war er jedoch neu. Letztlich markiert es einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie Strom gehandelt und bewertet wird.
Das Prinzip der Merit-Order und Preisbildung
Die Merit-Order, übersetzt "Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit", ist ein wesentliches Prinzip der Preisbildung an den Stromgroßhandelsmärkten. Sie bestimmt, wie sich der Börsenstrompreis bildet, indem sie die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke nach ihren Produktionskosten ordnet. Sie ist nicht vom Gesetzgeber vorgegeben und stellt somit kein Gesetz zur Koordinierung des Kraftwerkseinsatzes dar.
Interessanterweise werden dabei die Investitionskosten nicht berücksichtigt. Der Preis wird durch die Grenzkosten des Kraftwerks bestimmt, das gerade noch benötigt wird, um die aktuelle Stromnachfrage zu decken. Dieser Preis gilt dann auch für alle Kraftwerke, die günstiger produzieren können. Die Energiewirtschaft bezeichnet diesen Preisbildungsmechanismus als "uniform pricing".
Optimierung der Stromversorgung durch Merit-Order
Kraftwerke, die kontinuierlich sehr günstig Strom produzieren, werden gemäß der Merit-Order zuerst zur Einspeisung zugeschaltet. Danach werden Kraftwerke mit höheren Grenzkosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. Mit diesem Verfahren soll eine volkswirtschaftlich optimale Stromversorgung gewährleistet werden. Dieser Preis gilt jedoch nur für die verkaufte Menge.
Die Annahme hinter dem Merit-Order-Modell ist, dass Kraftwerksbetreiber immer ihre Kosten für die nächste produzierte Megawattstunde decken wollen, sonst würden sie diese nicht produzieren. Kraftwerke mit niedrigen Grenzkosten können daher einen niedrigeren Preis für ihren Strom anbieten und werden daher häufiger bezuschlagt als Kraftwerke mit höheren Grenzkosten.
Langfristige Perspektiven und Herausforderungen im Strommarkt
Langfristig wird kein Kraftwerksbetreiber daran interessiert sein, Strom nur zu Grenzkosten zu verkaufen. Damit auch in Zukunft in den Kraftwerkspark investiert wird und neue Kraftwerke gebaut werden, muss das Strommarktmodell weiterentwickelt werden.
Internationale Vernetzung und ihre Auswirkungen auf den Strommarkt
Der europäische Strommarkt ist stark vernetzt und Veränderungen in einem Land können sich auf die Strompreise in anderen Ländern auswirken. Beispielsweise kann eine erhöhte Nachfrage nach Kraftwerkskapazitäten in Frankreich zu Preissteigerungen in Deutschland führen.
Dies könnte der Fall sein, wenn bestimmte Kraftwerke in Frankreich wegen Revisionen oder Niedrigwasser in den sie speisenden Flüssen nicht mit voller Leistung oder gar nicht betrieben werden. Um die benötigten Strommengen liefern zu können, werden zusätzliche Kraftwerke in Betrieb genommen, die höhere Erzeugungskosten haben. Dadurch steigt der Strompreis für die Zeit des Mehrbedarfs.
Staatliche Eingriffe und ihre Auswirkungen auf den Strommarkt
Es gab Überlegungen, solche Preissteigerungen staatlich zu begrenzen und die Mehrkosten auf die Steuerzahler umzulegen. Dies könnte jedoch langfristige Auswirkungen auf den deutschen Strommarkt haben.
Eine künstliche Begrenzung der Stromexporte würde die Kosten derzeit begrenzen. Im Falle eines erhöhten Strombedarfs in Deutschland würde dies jedoch dazu führen, dass der Strompreis hierzulande stärker steigt oder die Stromexporte begrenzt werden müssten, was zumindest regional zu einem Brown-out führen würde.
Rückkehr zu traditionellen Preismodellen im Strommarkt
Als Alternative zum derzeit üblichen Arbeitspreis, der sich an den Grenzkosten der Stromerzeuger orientiert, könnte man auch zu dem früher üblichen System der Leistungspreise zurückkehren. Dieses System war wesentlich einfacher, aber auch wesentlich unflexibler. Ziel der Flexibilisierung der Strommärkte war es, die Kosten für die Erzeugung von Strom, der ins Netz eingespeist wird, zu senken.
Leistungspreise, auch Grundpreise genannt, sind die Preise für die vom Lieferanten bezogene Leistung in Euro pro Kilowatt (kW). Je nach Preismodell wird die höchste gemessene Leistung des Jahres, der Jahresleistungspreis oder die eines Monats, der Monatsleistungspreis, berechnet. Es ist also der Preis für die höchste abgerufene Leistung über den gesamten vereinbarten Zeitraum zu zahlen.
Durch zeitweisen Lastabwurf können Lastspitzen geglättet werden. Verbraucher mit Lastabwurf haben spezielle Verträge und zahlen in der Regel deutlich weniger für ihren Strom. Je nach Vertrag wird neben dem Leistungspreis auch der Arbeitspreis für die jeweils bezogene Strommenge berechnet.
Herausforderungen und Chancen der Dezentralisierung im Strommarkt
Das derzeitige Strommarktmodell der Europäischen Union muss weiterentwickelt werden, um dem technologischen Fortschritt und den Bedürfnissen des Kapitalmarkts Rechnung zu tragen.
Die kleinteilige Dezentralisierung der Stromerzeugung und die Etablierung von mehr Einzelverbrauchern wie Wärmepumpen und Wallboxen zum Laden von E-Mobilen sowie die Sektorenkopplung im Rahmen der Entwicklung neuer Wärmenetze werden ohne Digitalisierung und digitale Zwillinge sowie bidirektionales Laden nicht gelingen. Die Flexibilität von heute reicht für den Markt von morgen nicht mehr aus.
So einfach wie die Merit-Order im Strommarkt wird die Preisbildung im Energiemarkt der Zukunft nicht mehr sein. Das müssen alle Beteiligten noch lernen.
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