Virtuelle Hausrechte
Zensur zwischen öffentlich und privat. Teil 4: Privatisierte Zensur
Angesichts der Verflechtung von staatlichen Zertifizierungsstellen, Branchenorganen und großen Medienunternehmen stellt sich die Frage, ob es nicht angebracht wäre, Zensur nicht mehr nur als öffentliche Regulierung zu betrachten, sondern als Bestandteil der Kulturindustrie, als "letzten Schliff" den Medienkonzerne ihren Produkten geben und mit dem sie potentielle Konkurrenz aussperren können. Auch und vor allem weil schon Gesetzgebungskonsultationen immer mehr von Industrie und Branchenverbänden bestimmt sind – wie sich besonders gut am mittlerweile ausgesprochen zensurrelevanten Urheberrecht feststellen lässt (Vgl. Im Bereich des Halbwahnsinns).
Das Phänomen der Privatzensur erfordert auch ein Umdenken in der Frage der Zensierbarkeit des Internets. Tatsächlich, so der Internet-Bürgerrechtler John Perry Barlow, war der Schein der Unzensierbarkeit nur eine mittlerweile überwundene technische Inkompetenz auf Seiten der Mächtigen. Der durch relativ erfolglose nationalstaatliche Zensurversuche in den 1990er Jahren entstandene Ruf der Zensurresistenz verflüchtigt sich durch Privatzensur zunehmend (Vgl. Internet-Zensur durch Medienkonglomerate?).
In den 1990er Jahren wurde gegenüber der Tatsache, dass nicht nur Regierungen sondern auch Unternehmen die Redefreiheit einschränken können, eine bemerkenswerte Blindheit an den Tag gelegt.1 Das Internet erfordert nach Ansicht des Stanford-Juristen Lawrence Lessig jedoch eine Umstellung unseres Bildes davon wer reguliert und wie Regulierung funktioniert.2 Lessig fragte sich woraus der "Cyberspace" eigentlich besteht, und kam zu der verblüffend einfachen Einsicht: aus rechtlichem und technischem "Code."3 Zwar erschwerte dieser Code bisher traditionelle nationalstaatliche Formen der Kontrolle, dieser Effekt ist aber nicht auf ewig festgeschrieben sondern ändert sich zunehmend. Gewährt der Code auf dem das Internet basiert Exklusivitäts- oder Monopolrechte, dann kann mit ihm kontrolliert werden.4 Wenn aber der "built-in-freedom" des Netzes verschwindet, verwandelt es sich in einen Ort, an dem Kontrolle noch wesentlich perfekter als in der "realen Welt" möglich ist. 5
Die "entscheidende Schlacht" über Zensur im Internet, das "Armageddon of digital control" wird nach Barlow nicht um Pornographie, Neonazis, Bombenbau, Blasphemie oder traditionelle politische Fragen ausgetragen, sondern um das "Geistige Eigentum".
Ein erstes Beispiel für diese neue Art von Internet-Privatzensur fand sich bereits 1995, als die Church of Scientology wegen einer von ihr als Verletzung des Urheberrechts eingestuften Weitergabe von Scientology-"Geheimnissen" in Scientology-kritischen Newsgroups die Herausgabe des Namens eines Benutzers eines beliebten anonymen Remailers in Finnland erzwingen[…]."6 und auf diese Weise Kritik an ihren Lehren mit dem Urheberrecht unterbinden konnte. Geradezu zynisch wirkt da eine Äußerung L. Ron Hubbards aus den 1980ern: "My philosophy has been that wisdom is not something that should be locked away. It belongs to any who seek it […]."7
Jugendgefährdendes Dschungelbuch
Mittlerweile ist der Einsatz von Urheber- und Markenrechten zu Zensurzwecken Alltag geworden – auch wenn der Verbraucher die Privatzensur oft nicht als solche erkennt (Vgl. Der Balken im Auge). Das DVD-Regionalcode-System etwa beruht nicht auf einem direkten staatlichen Verbot des Imports von Playern die DVDs mit außereuropäischem Regionalcode abspielen können, sondern auf mittels Urheber- und Patentrecht geschaffenen virtuellen Hausrechten.8 Die Regionalcodes wurden eingeführt, damit man lokalen Lizenznehmern ein exklusives Vertriebsrecht geben konnte. Sprich: um Wettbewerb zu vermeiden und um die Preise künstlich hochzuhalten.9 Ein Medienkartell hat über die Organisationen DVD Forum und DVD Copy Control Association ein Monopol auf die Lizenzierung von DVD-Playern, Laufwerken und Software. Die beiden Organisationen nutzen ihre Stellung, um nicht genehmen Produkte die Lizenzen zu verweigern. Für die Hersteller von DVD-Geräten und Software heißt das: Geräte ohne Regionalcode-Beschränkung können nicht legal verkauft werden. Fertigt ein Hersteller seine Soft- oder Hardware nämlich nicht nach dem Willen der Medienindustrie, so sieht dies das Kartell als Urheberrechts- und Patentverletzung.
In Deutschland konnte die Medienindustrie sogar den Import von DVDs aus anderen Regionen verbieten lassen. Die Medienindustrie berief sich in ihrer Rechtsauffassung, dass der Verkauf importierter Code-1-DVDs illegal sei, darauf, dass die DVDs nicht von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) auf ihre jugendschutzrechtliche Unbedenklichkeit geprüft wurden. Das traf selbst Filme, welche das amerikanische Rating-System durchlaufen hatten. Tatsächlich dürfen nach § 12 des Jugendschutzgesetzes Bildmedien nur dann vertrieben werden, wenn sie von der jeweiligen Landesbehörde oder der FSK mit einer Altersstufe gekennzeichnet und freigegeben worden sind. Das Medienkartell unterlässt nun bewusst Anträge für die Code-1-Fassungen bei der FSK, so dass diese die Filme gar nicht kennzeichnen kann. Aufgrund dieses kreativen Einsatzes des Jugendschutzrechts dürfen sich Erwachsene beispielsweise keine RC-1-Version von Walt Disneys "Dschungelbuch" kaufen, sondern müssen aus Gründen des Jugendschutzes zur wesentlich teureren RC-2-DVD greifen (Vgl. Die Rückkehr des Volksempfängers mit anderen Mitteln).
Richtete sich die staatliche Zensur im 18. und 19. Jahrhundert vorwiegend gegen politische Kritik, so dient die Privatzensur immer öfter dazu, kritische Verbraucher mundtot zu machen. Ein Beispiel ist die Lizenz der Microsoft SQL-Server, welche die Verpflichtung erhielt, dass diese nicht für Performancetests verwendet werden dürfen. Auch Benutzern von Microsoft Frontpage wurde in den "Lizenzbedingungen" verboten, auf den damit hergestellten Seiten Negatives über Microsoft-Produkte zu schreiben. Dort hieß es wörtlich: "Sie sind nicht berechtigt, die Software in Verbindung mit einer Site zu verwenden, die Microsoft, MSN, MSNBC, Expedia oder deren Produkte oder Dienstleistungen herabsetzt." (Vgl. : Microsoft verbietet im Kleingedruckten "Herabsetzung")
Trusted Computing und DRM
Nun wären solche "Lizenzvereinbarungen" ohne technische Hilfe nur schwer durchsetzbar, weil sie als sittenwidrig eingestuft werden könnten. Abhilfe soll eine Kombination aus "Trusted Computing" und "Digital Rights Management" (DRM) schaffen, an deren Einführung seit längerem gearbeitet wird – mal von mehr, mal von weniger öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet. Der Einsatz von elektronischen "Lizenzen" (EULAs) zusammen mit DRM-"Zugangsschutztechnologie" hebelt die rechtliche Beschränkungen der Lizenzwillkür aus, die bisher noch die Grenzen zur Erpressung abstecken. Auch gegen sittenwidrige Regelungen kann in solchen Fällen wegen des Verbots eines Selbstbehelfs im neuen Urheberrecht nicht wirksam vorgegangen werden (Vgl. Content is King! oder die Diktatur des Kleingedruckten). Mit DRM ist sogar die Durchsetzung von Regeln denkbar, in denen steht, dass sie jederzeit geändert werden können – wie beispielsweise im EULA des MSN Messenger.
Voraussetzung für DRM sind neben Änderungen im Betriebssystem - die Microsoft mit Vista nur teilweise umsetzen konnte - auch Veränderungen an der Hardware wie sie durch das Standardisierungsgremium "Trusted Computing Group", zu dem sich die großen Hersteller zusammengeschlossen haben, Wirklichkeit werden sollen. Ein Rechner mit der entsprechenden Software und Trusted-Computing-Hardware gehorcht im Zweifelsfall nur den zentralen Kontrollstellen der Software- und Contentfirmen – nicht dem Benutzer. Und nicht der Benutzer, sondern die Kontrollstellen entscheiden dann welche Dokumente der Benutzer aufrufen und was er mit ihnen tun darf. Kurzum: Der Anwender kann über seinen Computer soviel entscheiden wie ein Vierjähriger über sein Fernsehprogramm: Ohne Zustimmung von außerhalb geht nichts mehr.10 Solch eine Hardware-basierte Zensur gefährdet auch die bisher relativ zensurresistenten privaten Kommunikationsteile des Internets.
Zu Teil 1: Wer wacht über die Wächter?
Zu Teil 2: Kinder, Pornos, Killerspiele
Zu Teil 3: Von Tittmonning nach Tuntenhausen
In Teil 5 der Serie wird es um Zensur durch Überwachung gehen.