Wagenknecht-Partei BSW: Ausgegrenzt wegen Friedenspolitik und Phantom-Kommunismus

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht polarisiert, ist aber längst Teil des bürgerlichen Spektrums. Foto: penofoto / Shutterstock.com

Das BSW positioniert sich migrations- und minderheitenfeindlich. Damit gehört es zum bürgerlichen Wahlzirkus. Kritisiert wird es oft aus falschen Gründen. Ein Kommentar.

Von der erhöhten Aufmerksamkeit rund um die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wollen auch Zeitgenossen profitieren, die jede Gelegenheit suchen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie auch noch da sind. Daher muss der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk den Wahltermin nutzen, um in einem Interview mit der Welt vor BSW und AfD zu warnen. Dabei kann sich der Historiker noch einmal als SED-Jäger inszenieren.

Das kommt natürlich in der rechtskonservativen Welt, dem langjährigen Flaggschiff des Springer-Konzerns, besonders gut an. Denn Antikommunismus ist seit Jahrzehnten dessen Kerngeschäft. Bis in die 1980er-Jahre hinein besorgte dies unter anderem politisches Personal, das sich schon zwischen 1933 und 1945 im Kampf gegen den "jüdischen Bolschewismus" bewährt hatte.

Im Kalten Krieg wurde der Bolschewismus weiter bekämpft, nur jetzt ohne Adjektiv. Der Antisemitismus wurde ausgelagert. Wie das in Deutschlands größtem Medienkonzern ablief, davon zeugte später unter anderem die Ausstellung "Axel Springer und die Juden".

Wagenknecht und Bürgerrechtler vs. rechte Bürger

Mittlerweile konnten Generationen weiterer Antikommunisten in der Welt reüssieren. Nach 1989 kamen DDR-Bürgerrechtler hinzu, die oft einfach rechte Bürger wurden. Manche waren 1989 bis Anfang der 1990er-Jahre noch linke DDR-Oppositionelle, die für eine antiautoritäre DDR eintraten. Doch der Weg nach rechts setzte bei vielen bald ein. Interessant ist, wie sie sich heute noch eine Bedeutung anmaßen, die sie längst nicht mehr haben. So heißt es in einem Teaser zum Interview:

"Niemand regt die Ostdeutschen vor den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg so sehr auf wie der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk mit seiner These vom Freiheitsschock."

Das hat schon fast etwas Satirisches. Denn tatsächlich interessiert kaum einen Ostdeutschen, was der Historiker vor den Wahlen zu sagen hat. Es ist nur eine kleine Blase, die sich immer wieder selbst zitiert und ermutigt, die hier den Eindruck erweckt, es wäre eine große Diskussion im Gange.

Offener Brief gegen BSW und AfD schnell vergessen

Der beste Beweis dafür ist der offene Brief einiger Ex-DDR-Bürgerrechtler, in dem auch schon die Wagenknecht-Partei BSW mit der AfD auf eine Stufe gestellt wurde, um die CDU vor einer Zusammenarbeit in den ostdeutschen Bundesländern zu warnen.

Auch damals schon war Kowalczuk mit dabei. Nur: Dieser offene Brief wurde weitgehend ignoriert. Nur wenige Medien berichteten überhaupt und oft kritisch. Nach zwei Tagen war das Thema vergessen. Deshalb – und um sein "Freiheitsschock"-Buch zu bewerben – musste Kowalczuk im Welt-Interview noch einmal nachlegen.

Dabei wiederholt er nur, was er schon in dem offenen Brief vertreten hat: Sahra Wagenknecht sei eine verkappte Leninistin, die die Demokratie von innen angreife. Das ist wenig originell und klingt auch wie ein Revival aus den 1990er-Jahren, in denen Wagenknecht noch als Gesicht der Kommunistischen Plattform bei der PDS fungierte.

Dass sie sich längst von jeglichen kommunistischen Vorstellungen verabschiedet und Lenin gegen Ludwig Erhard getauscht hat, muss Kowalczuk vergessen haben. Hauptsache, das Feindbild stimmt. Dabei fällt auf, dass Kowalczuk das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nicht da kritisieren, wo es aus emanzipatorischer Sicht tatsächlich heftigen Widerspruch verdient hätte.

Nämlich in seiner Flüchtlingspolitik, die kompatibel mit CDU, aber auch, der AfD wäre. Stattdessen wird hier noch einmal das Bild einer angeblich kommunistischen Revolutionärin Wagenknecht angestrengt, das mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat.

BSW als Teil des bürgerlichen Parteienzirkus

Wagenknecht und ihre Partei sind eine weitere bürgerliche Kraft, die im Wahlzirkus mitspielen will. Damit unterscheidet sie sich wenig von den anderen bürgerlichen Parteien. Dafür wäre auch eine Wagenknecht-Partei zu kritisieren. Dass sie für die bürgerliche Gesellschaft eine Gefahr wäre, gehört dagegen zu den Phantomen, an die Kowalczuk wahrscheinlich sogar selbst glaubt.

Real ist das BSW Teil des bürgerlichen Politikbetriebs. Genau dies zu kritisieren, kommt Kowalczuk und Co. natürlich nicht in den Sinn. Sie inszenieren sich vielmehr als Sturmgeschütze der bürgerlichen Demokratie.

Der von ihm diagnostizierte "Freiheitsschock" der Ostdeutschen in den Jahren ab 1990 könnte der Schock sein, der viele traf, als sie gewahr wurden, wie hoch die Mieten im Kapitalismus sind und wie schnell man dort gefeuert werden kann. Die kapitalistische Landnahme war tatsächlich ein Schock für viele DDR-Bürger – Freiheit gab es vorwiegend für Alteigentümer jeglicher Couleur, die nun wieder mit "ihrem Besitz" machen konnten, was sie wollten.

Es war die kapitalistische Freiheit, die da Einzug hielt – und viele waren schockiert, weil sie sich eingestehen mussten, dass in diesem einen Punkt die SED-Propaganda richtig gelegen hatte: in der Beschreibung des real existierenden Kapitalismus.

Freiheitsschock: Maß an Unterwerfung, die der Westen verlangt

Es ist schon fast zum Fremdschämen, wenn man heute Kowalczuks peinliche Freiheitsfurore liest, vor allem, wenn man weiß, dass er in den frühen 1990er-Jahren auch einmal libertäre Vorstellungen hatte, die nichts mit dem realen Kapitalismus in Deutschland 2024 zu tun hatten.

Man fragt sich: Wieso musste so ein kluger Kopf, der einst die Distanz zu jeder Staatsmacht betonte, so tief sinken, dass er bei der rechts-neoliberalen Welt Lobgesänge auf die aktuellen Macht- und Eigentumsverhältnisse singt? Auf der Suche nach einer Antwort wird man vielleicht in der berühmten Rede des Schriftstellers Ronald M. Schernikau vor der letzten Tagung des DDR-Schriftsteller-Kongresses fündig:

Meine Damen und Herren, Sie wissen noch nichts von dem Maß an Unterwerfung, die der Westen jedem einzelnen seiner Bewohner abverlangt. Was sie vorerst begriffen haben: Der Westen ist stark. Sie haben, statt das gute Geschäft ihrer schlechten Regierung zu fördern, die Feinde der Regierung ins Land geholt. Sie haben sich einen Kulturminister geben lassen, der schon ein paar grünen Jungs vom Spiegel gegenüber vollkommen hilflos ist, eine widerliche Niederlage.

Aus der Rede von Ronald M. Schernikau auf dem letzten DDR-Schriftstellerkongress

Schon in den wenigen Sätzen von Schernikaus Rede sind mehr Ansätze für die Frage, wie sich die aktuelle Entwicklung in Ostdeutschland erklären lässt, als in den meisten der heute gängigen Erklärungsversuche. Die heutige Entwicklung hat auch damit zu tun, dass die Mehrheit der DDR-Bevölkerung und auch die vorher allmächtige SED sich dem Kapitalismus fast widerstandslos ergeben haben.

Der Versuch von linken DDR-Oppositionellen, gegen die autoritäre DDR-Herrschaft eine libertäre Gesellschaft zu etablieren, wurde vom BRD-Kapitalismus überrollt. Hierüber könnte Kowalczuk auch aus persönlichem Erleben berichten. Stattdessen will er von diesen Versuchen nichts mehr wissen, singt das Lied der aktuell Mächtigen.

BSW: Wenn eine Antikriegspositionen Populismus sind

Die DDR-Bevölkerung musste auch lernen, wie wahr der alte marxistische Grundsatz ist, dass Kapitalismus immer wieder zu Kriegen führt. Nur wenige Jahre nach der Wiedervereinigung führte Deutschland wieder Krieg, wo auch schon die Nazi-Wehrmacht gebombt hatte, nämlich im ehemaligen Jugoslawien.

Kaum jemand aber stellt sich heute die Frage, ob die größere Opposition gegen immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine in Ostdeutschland nicht noch ein Erfolg der SED-Lehrgänge über das Verhältnis von Kapitalismus und Krieg ist. Auch wird nicht gefragt, ob es nicht positiv ist, dass man zumindest derzeit im Osten die Bevölkerung nicht so schnell in Kriege ziehen kann.

Stattdessen verbucht Sebastian Haak Antikriegspositionen des BSW unter der Rubrik Populismus. In einem Artikel für die Ex-DDR-Tageszeitung Neues Deutschland (ND) untersucht er zunächst AfD-Wahlplakate auf populistische Elemente, die er so zusammenfasst: Populismus sei, wenn "die Mär von einem angeblich homogenen Volk verbreitet wird, das einen homogenen Willen hat und sich gegen angeblich bösartige Eliten wehren muss."

Dann kommt Haak zu dem Schluss: "Das ist eine Lesart der Welt, die neben der AfD in einem erheblichen Umfang auch das BSW verbreitet, zum Beispiel gekleidet in den Vorwurf, ganz anders als die Bundesregierung wollten ‚die Menschen‘ vorwiegend ‚im Osten‘ doch ‚Frieden‘ und ‚mehr Diplomatie‘ im Ukraine-Konflikt."

Dann folgt Haaks Kommentar: "Wo immer das BSW und seine Vertreter in diesen Tagen auftreten, verbreiten sie diese Botschaft, ganz so, als würde die Bundesregierung (sprich: ‚die Eliten‘) den Krieg in der Ukraine gezielt anheizen, gegen den Willen einer überwältigenden Mehrheit der Menschen im Land."

BSW-Kritik an der Bundesregierung: Dürfen die das?

Hier zeigt sich, wie ein Feindbild Populismus erst gezimmert wird, um sich dann darauf einzuschießen. Das BSW spricht von einer Bundesregierung, die anders als große Teile der Bevölkerung für einen aggressiven Kurs in der Ukraine-Politik eintritt. Haak übersetzt dann Bundesregierung einfach freihändig in "Eliten", damit die Populismusdefinition passt.

Kein einziges Mal fragt sich Haak nach dem Realitätsgehalt der Behauptungen des BSW. Gibt es nicht Umfragen, die in Ostdeutschland eine Mehrheit für eine diplomatische Lösung sehen? Hat die Bundesregierung nicht die militaristische Zeitenwende ausgerufen und gibt es keinen Verteidigungsminister Pistorius, der davon spricht, dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden muss?

Und hat nicht Deutschland in der Ukraine schon 2014 gezündelt, als mit dem Maidan-Umsturz die prodeutschen Nationalisten an die Macht kamen, ohne die es die Konfrontation mit Russland kaum gegeben hätte? Statt über solche Fakten zu reden, wird doch sehr freihändig mit dem Populismusbegriff umgegangen.

Stasi-Vorwürfe eines staatsnahen Recherchedienstes

Dass nun kurz vor den Landtagswahlen auch noch mal die Stasi-Keule gegen das BSW geschwungen wird, dürfte 2024 nicht mal mehr ein Lachen hervorrufen. Das ist ganz alter Wein in auch schon alten Schläuchen.

Bemerkenswert ist, welche Richtung Correctiv jetzt einschlägt, nachdem es mit den Enthüllungen über das rechte Geheimtreffen in Potsdam, kurzzeitig eine bürgerliche Massenbewegung gegen Rechts auslösen konnte, die allerdings organisatorisch auch von Linken getragen wurde.

Was weniger Leute mitbekommen haben: Manches an der Enthüllungsstory war selbst populistisch. Wenn nun ausgerechnet Correctiv, das durchaus keine Distanz zu BRD-Geheimdiensten hat, skandalisieren will, dass es beim BSW auch Menschen gibt, die vor 35 Jahren einmal den Sicherheitsorganen eines anderen Staates nahestanden, wirkt das eher komisch. Correctiv dürfte mit solchen Storys noch mehr von seinem bereits angekratzten Renommee verlieren.

Das Datenleck, das es nicht geben darf

Zumal Correctiv noch in einer anderen Sache gegen das BSW schießt. Es geht um ein Datenleck, das dazu geführt hatte, dass Tausende interne Daten offenlagen. Das BSW sprach von einem Cyberangriff, was so neu nicht ist. In den vergangenen Monaten wurde immer wieder über tatsächliche oder vermeintliche Cyberangriffe auf Bundestagsparteien berichtet, schnell wurden die Hinterleute in Russland ausgemacht.

Es konnte aber meist nie zu einer abschließenden Klärung kommen. Im Fall des BSW hingegen wird bei Correctiv der mögliche Cyberangriff nicht besonders ernst genommen, obwohl doch auch hier die Vorwürfe unabhängig untersucht werden müssten. Dagegen ist im Correctiv-Artikel ausfällig oft die Rede von möglichen Schadenersatzansprüchen von Menschen, deren Daten offengelegt gelegt wurden.

Es fragt sich, was das mit der selbstgesetzten Rolle von Correctiv als unabhängige Rechercheplattform zu tun hat. Was für ein Niedergang in wenigen Monaten vom Sturmgeschütz der Demokratie gegen die rechte Gefahr zum Tippgeber für Schadenersatzklagen wegen Datenlecks.

Kritik am BSW ist nötig, aber nicht so

Vor dem Hintergrund, dass sich berechtige Kritik mit aufgebauschten Vorwürfen, Kriegshysterie und Kommunismus-Paranoia mischt, kann auch erst einmal niemand ahnen, aus welcher Ecke ein Mensch kommt, der Sahra Wagenknecht bei einem Wahlkampfauftritt mit roter Farbe bespritzt: Wollte er eine vermeintliche Kommunistin markieren, oder sieht er sich selbst als Linker?

Bei diesen erwartbaren Angriffen gegen das BSW kurz vor den Wahlen sollte nicht vergessen werde, dass diese Partei tatsächlich heftigen Widerspruch verdient – aufgrund ihrer migrationsfeindlichen Politik und ihres tatsächlichen Populismus gegen Minderheiten, der in Wahlkampfparolen wie "Rechnen ist wichtiger als Gendern" ausdrückt.

Es bleibt festzuhalten, dass es gute Gründe gibt, das BSW als Teil der allgemeinen Rechtsentwicklung zu sehen, die mehrere bürgerliche Parteien betrifft. Das kann man feststellen, ohne in die Kampagnen von Kowalczuk und Co. einzustimmen.