Warum Richter und Staatsanwälte in Spanien erneut streiken
Die Juristen wehren sich gegen die dauernde politische Einmischung in die Justiz sowie fehlende Mittel und treten deshalb zum zweiten Mal in den Ausstand
Es sind zwei Vorgänge an einem spanischen Dienstag, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben und doch eng miteinander verknüpft sind. Auf der einen Seite sind Richter und Staatsanwälte zum zweiten Mal in einen ganztägigen Streik getreten. Nach diversen kürzeren Streiks und Protesten haben sie nun erneut einen ganzen Tag gestreikt. Mit einer Beteiligung von 65,4% nach Angaben ihrer Vereinigungen und 56% nach Angaben des Justizkontrollrats war die Beteiligung hoch.
Erstmals waren sie 2013 in den Ausstand getreten, während sich am gleichen Tag Ministerpräsident Mariano Rajoy im Parlament rechtfertigen musste, da seine Volkspartei (PP) von Korruptionsaffären erschüttert wird. Zudem hatte schon damals die Politik mit massiven Einmischungen und Gesetzesveränderungen einen guten Teil der Justiz gegen sich aufgebracht. Geändert hat sich nichts, es wurde sogar immer schlimmer. Die PP versinkt immer tiefer in Korruptionsskandalen und wird trotz allem von den angeblichen "Korruptionsbekämpfern" der Ciudadanos (Bürger) weiter an der Macht gehalten. Die neoliberalen spanischen Nationalisten hatten eigentlich vor den Wahlen versprochen, Rajoy nicht wieder an die Macht zu bringen.
Und damit sind wir beim mit dem Streik verknüpften zweiten Thema. Denn mit Eduardo Zaplana wurde am Dienstag erneut ein PP-Führer und ehemaliger Regierungssprecher festgenommen. Der ehemalige Arbeitsminister unter der PP-Regierung von José María Aznar ist eine der vielen "Ausnahmen", wie die zahllosen Fälle in der Korruptionspartei genannt werden. Sie bekommen Uni-Masterabschlüsse geschenkt oder, wie der ehemalige Vizepräsident Rodrigo Rato, ruinieren eine Großbank und bereichern sich dabei. Bis zum Regierungschef Rajoy haben nach Angaben des ehemaligen Schatzmeisters etliche PP-Führer "Zusatzlöhne" in bar - natürlich steuerfrei - erhalten. Die sind aus Schmiergeldern geflossen, für die Unternehmen im Gegenzug an öffentliche Aufträge kamen. Mindestens 20 Jahre soll sich die PP darüber illegal finanziert haben.
Auch Zaplana soll Millionen veruntreut und sich der Geldwäsche schuldig gemacht haben, weshalb er erst einmal inhaftiert wurde und heute in Madrid vernommen wird. Vermutlich, wie bei PP-Führern üblich, wird er nicht lange sitzen, da man die Partei über den Einfluss in der Justiz meist schnell für eine Haftverschonung sorgt. Auch dagegen haben die Richter und Staatsanwälte gestreikt und in einem allerdings verwässerten Kommuniqué diverser Vereinigungen von einer "Verstärkung der Unabhängigkeit der Justiz" gesprochen. Allerdings wird schon damit klar, dass von Unabhängigkeit nicht gesprochen werden kann.
"Wir haben die Regierung, das Justizministerium …"
Wie die Einflussnahme zum Beispiel läuft, wie missliebige Richter abgesägt oder unter Druck gesetzt werden, die sich trauen, gegen die PP - oder in Andalusien gegen korrupte Sozialdemokraten zu ermitteln, hatte Zaplana im Gespräch mit einem Korrupten Kumpan deutlich gemacht. Der hatte sich mit dem damaligen Regionalpräsident Madrids Ignacio Gonzalez ausgesprochen und damit die aufrechten Teile der Justiz weiter erzürnt.
Er wusste dabei nicht, dass die Ermittler das Büro von Gonzalez mit Mikrophonen ausgestattet hatten, da er über unverschlüsselte Telefone plötzlich nicht mehr redete. Ausgerechnet der Chef der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft soll ihn über die Ermittlungen informiert haben, der unter zweifelhaften Umständen von der PP auf den Posten gehoben worden war, ihn inzwischen auch wieder räumen musste, da er sogar versucht hat, Hausdurchsuchungen beim korrupten ehemaligen Regierungschef der Hauptstadtregion zu verhindern.
In seinem Büro redete Gonzalez mit Zaplana, wie den PP-Konservativen der Schnabel gewachsen war. "Wir haben die Regierung, das Justizministerium... und wenn da ein Richter ist, der keine feste Stelle hat... weg damit an den Arsch der Welt." Er erklärte genau das, was dem Richter Pablo Ruz passiert ist, der die Korruptionsermittlungen angeführt hat und sogar die PP-Zentrale durchsuchen ließ, wo man aber die Festplatten des Schatzmeisters schon professionell zerstört hatte. Früher zog man auch schon missliebige Richter ganz über Amtsverbot bisweilen ganz aus dem Verkehr.
Ideologie Nähe zur Regierung zählt
Die Politisierung beschreibt Ignacio González Vega, Sprecher der "Richter für die Demokratie" zum Beispiel damit, dass für die Ernennung in den Justizkontrollrat nicht die Fähigkeit, sondern die "ideologische Nähe" zur Regierung zählt.
Das ist im Fall der Ernennung der Richter für das Verfassungsgericht aber noch krasser. Allein aus dem Senat, in dem die PP mit nur 33% der Stimmen eine absolute Mehrheit hat, ernennt 4 der 12 Richter, 2 ernennt die Regierung direkt, womit praktisch die Regierungsmehrheit in dem völlig politisierten Gericht gesichert ist. Um nichts anbrennen zu lassen, ernennt aber auch der Kontrollrat, der ebenfalls von der Regierung dominiert ist, noch zwei Richter, womit man praktisch kein Verfassungsgericht, sondern ein Regierungsgericht hat. Deshalb muss man sich über Urteile des Gerichts nicht wundern, das auch stets Gewehr bei Fuß steht, wenn es die Regierung will, in wenigen Stunden entscheidet und sogar Maßnahmen verhängt, die niemand beantragt hat, um das Ziel einer Beschwerde der Regierung zu sichern, ohne über eine Annahme zu entscheiden.
Mit dem Streik haben die Juristen auch fehlende Mittel gefordert, die Computersysteme sind völlig veraltet. Die Justizreform der PP hatte es zudem mit sich gebracht, dass nun in sechs Monaten auch komplizierte Korruptionsfälle ermittelt werden sollen. Die Verhandlungen mit dem Justizministerium hätten aber "enttäuschender" nicht sein können, beklagen die Juristen. Es seien keine zusätzlichen Richter und Staatsanwälte eingestellt worden, um die Vorgänge beschleunigen zu können. Da keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt wurden, ist es ein schier unmögliches Unterfangen, komplexe Korruptionsfälle in der vorgeschriebenen Zeit zu bearbeiten.
Der Streikaufruf nahm keinen ausdrücklichen Bezug auf den Konflikt um Katalonien. Es ist aber offensichtlich, wie in den vergangenen Monaten die Regierung die Justiz instrumentalisiert hat, die Tricks, die Rechtsbeugung und Rechtsumgehung wurden von etlichen Verfassungsexperten kritisiert, mit denen die Umsetzung des Wahlergebnisses verhindert wird. Mehr als 650 Juristen aus dem gesamten spanischen Staaten hatten sich deshalb schon in einem Schreiben an den Europarat gewandt, um die "Judikalisierung" der spanischen Politik und "schwerwiegende Verstöße gegen Rechte und Freiheiten" anzuzeigen. Der Professor Joaquin Urías spricht sogar schon einem "stillen Staatsstreich", da nun sogar die Regierungsbildung präventiv verhindert wird, weil den Unionisten in Madrid die katalanischen Minister nicht passen.