Wie viele Milliarden sollen es denn für die Ukraine werden?

Seite 2: Nach den Wahlen wird die Ukraine des Preis für die schnelle Hilfe zahlen müssen

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Verwegene Vorstellung: Die EU soll anstatt Russland Energie in die Ukraine liefern

Der ukrainische Übergangs-Ministerpräsident Jazenjuk entwickelt angesichts der desaströsen Lage in seinem Land auch schon absonderliche Vorstellungen, was die Solidarität Europas gegenüber der Ukraine angeht. Es scheint, er hat übersehen, wie die EU sogar mit Mitgliedsländern umspringt. Er fordert, dass die EU nun die bisherige Rolle Russlands einnimmt und das Land weiter mit billiger Energie beliefert. Die Gaspipeline solle dazu genutzt werden, die Energie "in umgekehrter Richtung" fließen zu lassen. "Wir alle müssen den Preis für Frieden, Stabilität, Sicherheit und Werte bezahlen", sagte er. "Der beste Weg, um Russland zu kontrollieren, ist die Nutzung wirklichen wirtschaftlichen Drucks."

Es ist angesichts der Energieabhängigkeit Europas natürlich ein Witz, dass nun die EU die Ukraine mit subventioniertem Gas versorgen könnte. Die europäischen Gasfirmen, die etwa 350 Dollar für je 1000 Kubikmeter Gas verlangen, werden kaum solidarisch einspringen, damit die Ukraine weiter Gas für 270 Dollar erhält. Ohnehin wären Gaslieferungen an die Ukraine nur kurzfristig möglich, vor allem weil der milde Winter dazu geführt hat, dass die Gaslager noch gut gefüllt sind. "Die EU ist gar nicht in der Lage, die Erdgasmengen zu liefern, die nötig wären, um die Ukraine von russischen Lieferungen unabhängig zu machen", meint der Grünen-Energieexperte und Präsident des internationalen Netzwerks Energy Watch Group, Hans-Josef Fell.

Denn Europa ist selbst von den Gasimporten aus Russland abhängig. "Russland exportiert über 70 Prozent der eigenen Energie-Ressourcen, die in den Handel gehen, in die Europäische Union und die EU, einschließlich Deutschland, ist zu fast 40 Prozent, was Gas angeht, und über 30 Prozent, was Öl angeht, von russischen Lieferungen abhängig", sagt auch Gernot Erler. Der Russland-beauftragte der Bundesregierung geht davon aus, dass sich die Importe nur "vorübergehend aber nicht langfristig ersetzen lassen". Er betont auch die "große Verlässlichkeit", die es bisher auf beiden Seiten gegeben habe.

Einige Länder sind zum Teil noch deutlich abhängiger als Deutschland. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hängen Bulgarien, die Slowakei, Finnland und Polen sogar zu 100% von Gas aus Russland ab. Ungarn erhält etwa 70% und Griechenland 54%. Im Durchschnitt beziehe die gesamte EU fast ein Drittel allein aus Russland. Aber auch wenn schon von einem Handelskrieg mit Russland fabuliert wird (Auf dem Weg in den Handelskrieg), müsste eine weiter schwer angeschlagene EU angesichts einer Abhängigkeit auf verschiedenen Ebenen mit dem Klammerbeutel gepudert sein, sich auf ein solches Szenario einzulassen.

Europa ist nicht nur von der Energie Russlands abhängig

Die Reaktionen in der vergangenen Woche an den Kapitalmärkten zeigen ohnehin, dass dort nicht von einer Eskalation ausgegangen wird. Auch Erler wiegelte in Bezug auf harte Sanktionen längst ab: "Insofern ist natürlich klar, wenn man über Sanktionen redet und dann überlegt, wie die andere Seite reagieren könnte, dann stößt man irgendwann auf diese wechselseitige Abhängigkeit und damit auch eigentlich auf einen Zwang, letzten Endes politische Lösungen anzustreben."

Das ist vielen klar, dass sich Europa eine Zuspitzung nicht leisten kann, weshalb darauf verwiesen wird, "wie Russland-Sanktionen Europas Wirtschaft bedrohen" würden. Denn anders als die USA, die einen schärferen Ton anschlagen, ist Europa nicht nur von Energielieferungen aus Russland abhängig. Da zur Krisenlösung in der EU vor allem auf Exporte gesetzt wird, würde ein Einbruch der Exporte in das große Land diverse Länder hart treffen.

Deutschland hat sogar noch engere Verbindungen zu Russland als viele andere europäische Länder. Mit 6000 Betrieben seien mehr deutschstämmige Firmen in Russland tätig als aus allen anderen EU-Staaten zusammen, meint Rainer Lindner, Geschäftsführer beim Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. 300.000 deutsche Arbeitsplätze hängen direkt vom Russland-Geschäft ab.

In der Tschechischen Republik fordern Wirtschaftsverbände eine Zurückhaltung bei Wirtschaftssanktionen. Nach der tschechischen Wirtschaftskammer könnten Wirtschaftssanktionen direkt 20.000 Arbeitsplätze gefährden, insgesamt seien bis zu 50.000 Arbeitsplätze gefährdet. Gefordert wird eine "nüchterne" Position gegenüber weiteren Sanktionsandrohungen.

Kritik in den Reihen der Sozialdemokraten

Auffällig ist auch, dass sich vor allem in der deutschen Sozialdemokratie kritische Stimmen mehren. Während Erler versucht zu bremsen, wurde sein Parteifreund und früherer EU-Kommissar Günter Verheugen besonders deutlich. Er hinterfragte gerade, wem da eigentlich in der Ukraine solidarisch beigesprungen werde. Der Sozialdemokrat sprach von einem "fatalen Tabubruch, dem wir auch noch applaudieren". In der Ukraine säßen nämlich "richtige Faschisten" in der Regierung. Und Verheugen verweist auf die Sanktionen vor 15 Jahren gegen Österreich, weil die FPÖ von Haider an der Regierung beteiligt war. Im Vergleich zu dem, "was wir in der Ukraine mit Swoboda haben", sei die FPÖ "aber wirklich ein Kindergeburtstag" (Die Freunde des Westens: Swoboda-Abgeordnete in Aktion).

Für "eigentlich unverantwortlich" hält auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda, dass Milliarden an die Ukraine fließen sollen. "Ich möchte zuerst eine frei gewählte Regierung haben, einen frei gewählten Präsidenten haben, der klar macht, in welche Richtung das Land gehen soll." Auch Swoboda geht offensichtlich nicht davon aus, dass es bei elf Milliarden Euro bleiben wird. Er wundert sich, wie EU plötzlich wieder einmal die Spendierhosen anhat. "Wenn wir im Europäischen Parlament für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nur um 100 Millionen oder um eine Milliarde mehr wollen, sagt man: Es gibt kein Geld, wir haben das nicht. Jetzt hat man plötzlich elf Milliarden."

Die Hilfe wird ihren Preis haben

Doch klar ist auch, dass die Bevölkerung in der Ukraine letztlich die Kredite teuer bezahlen wird. Tomasz Konicz hatte schon aufgezeigt (Die Ukraine als Griechenland des Ostens?), dass der Internationale Währungsfonds (IWF) und europäische Institutionen gerade dabei sind, die künftige Reform- und Wirtschaftspolitik der Ukraine festzulegen. Damit steht der Bevölkerung der Ukraine die übliche neoliberale Schocktherapie bevor. Er sei von dem Reformeifer der neuen Machthaber "positiv überrascht", erklärte der Chef der Europa-Abteilung des IWF, Reza Moghadam.

Klar ist, dass sich auch der IWF, wie in den europäischen Krisenländern, an den Milliardenhilfen für die Ukraine beteiligen wird. Denn damit bekommt er den Hebel in die Hand, um (natürlich erst nach den Wahlen) auch die Troika-Politik in der Ukraine umzusetzen. Sogar die Bundeskanzlerin Angela Merkel schwärmt schon: "Es gibt erhebliche Fortschritte bei den Verhandlungen des IWF-Programms." Doch das bedeutet für die Bevölkerung nur, nach den Wahlen den Gürtel noch deutlich enger schnallen zu müssen, Entlassungen und Gehaltskürzungen bei Staatsbetrieben, Privatisierung der Staatsbetriebe usw. Man darf gespannt sein, wie die Bevölkerung darauf reagieren wird.

Im Übergangs-Ministerpräsidenten Jazenjuk hat man jedenfalls schon den richtigen Partner auf den richtigen Stuhl gesetzt. Der erklärt längst lautstark, dass die "Regierung alle IWF-Auflagen erfüllen" werde. Seinen Wählern hatte er dagegen noch 2009 versprochen, dass er strikt gegen die Privatisierung von Gas- und Ölbetrieben sei. Er verwies dabei auch darauf, was bei anderen Privatisierungen passiert ist, wo zum Teil Milliarden spurlos verschwunden sind.

Solche Troika-Politiker sind bekannt. So hatten die Konservativen in Portugal die Sozialisten wegen deren Sparkurs fallen lassen. Doch nach ihrem Wahlsieg setzten sie die Axt am Sozialsystem an, oft sogar verfassungswidrig. Beim spanischen Nachbar versprach der konservative Rajoy vor den Wahlen, es werde keine Bankenrettung, keine Steuererhöhungen und keine Einschnitte im Bildungs- und Gesundheitsbereich geben. Alle Versprechen warf er schnell über Bord. Und für die Bankenrettung musste auch Spanien unter den Rettungsschirm gehen.