Wir retten Menschenleben mit Menschenleben, ohne darüber zu verhandeln

Seite 3: "Kein geheimer Plan" - Diskussion

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5. Konsequenz

Wenn das Gesundheitssystem nun aber weit entfernt von einem Kollaps ist (ausgerechnet Krankenhäuser melden Kurzarbeit an, werden also für Untätigkeit bezahlt), wir beim grundsätzlichen Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen bleiben (Art. 1 Abs. 1 GG) und akzeptieren, dass der Gesundheitsschutz weder faktisch noch theoretisch über allem steht, sind die derzeitigen Zwangsmaßnahmen in Summe schlicht nicht zu rechtfertigen.

Für die öffentliche Meinung ist der "Corona-Schutz" längst zum Selbstzweck geworden. Jede Verletzung des physischen Mindestabstands wird skandalisiert; Überwachungstechnik, Forderungen nach neuen Maßnahmen oder die Diskussion um jede Menschengruppe sind geleitet von der Idee, es dürfe keine einzige Infektion mehr geben - ganz gleich, was es kostet, völlig egal, ob sie überhaupt irgendeine Auswirkung hätte, unbeachtet der individuellen Bedürfnisse und fern jedes Gedanken daran, dass solch strikte Maßnahmen dann logischerweise künftig immer gelten müssen, für jede Krankheit, für jedes Risiko.

Aus einem vorausschauend verantwortungsbewussten "flatten the curve" ist nach medialem Dauerbeschuss und digital geschlossenen Reihen der Präventionisten längst schlicht Panik geworden. Eltern klagen gegen die Schulpflicht ihrer Kinder nicht, um Oma und Opa zu schützen, sie haben tatsächlich Angst um die Gesundheit ihrer Kinder (und ihre eigene wohl). Dem ist mit Fakten längst nicht mehr zu begegnen - auch dies eine Konsequenz daraus, dass es niemals eine öffentliche Verständigung über den Umgang mit der Pandemie gab.

Dass die meisten die Politik der Herrschenden (noch) gut finden, ändert nichts am demokratischen Problem: Die Zeche für alles, was in diesen Wochen staatlich angeordnet wird, zahlen später andere, und weil Kosten und Nutzen nie öffentlich verhandelt wurden (was vor allem Aufgabe der Medien gewesen wäre), konnten auch die heute Stimmberechtigten gar keine Zustimmung erklären. Der Souverän lässt sich blind "durch die Krise" führen von denen, die auch nicht viel sehen und "auf Sicht fahren", also herumprobieren.

Krisenforscher Frank Roselieb erklärte in einem Interview ganz offen, dass Regierungen in Krisenzeiten undemokratisch agieren sollen; sein Slogan, der leider keine Satire war: "Die Bevölkerung muss nicht alles wissen."

Die inhaltlich identische Aussage des damaligen Innenministers Thomas de Maizière hatte es hingegen noch zum Meme geschafft, nun aber ist es kein Skandal, wenn die Politik bewusst lügt, um die Bevölkerung untertänig zu halten (im Originalwortlaut: "Insgesamt ist die Bundesregierung gut beraten, in der Krisenprävention und Krisenbewältigung lieber zu über- als zu untertreiben").

Hinter dem globalen Shutdown der Wirtschaft und dem Lockdown freier Bürger steckt mit Sicherheit kein geheimer Plan, ganz im Gegenteil: Trotz der ungeheuren Auswirkungen entspricht das politische Handeln genau dem, was wir in Krisenzeiten (ob nun echten oder herbeigeredeten) immer erleben, so wie auch das Verhalten der Bevölkerung insgesamt und das Verhalten der sogenannten Eliten im Besonderen alles andere als ungewöhnlich ist.

Den Ruf nach dem starken Staat gibt es schon immer links wie rechts und in der Mitte, man verfolgt nur unterschiedliche politische Ziele.

Die Kritik richtet sich vor allem an den Journalismus, der es regelmäßig unterlässt, Fakten und Meinungen zu unterscheiden. Experten stützen sich im besten Fall auf Fakten, aber alles, was sie daraus an Handlungsempfehlungen ableiten, sind eben Meinungen - und die müssen diskutierbar sein. Die Notwendigkeit dafür wird umso offenkundiger, je weniger Meinungen als Fakten ausgegeben werden.

Um nur ein Beispiel aus den täglichen COVID-19-Zahlen zu nennen: Wenn es heißt, von den Erkrankten müsse eine bestimmte Zahl beatmet werden, dann ist das eine Meinung. Fakt ist: Sie werden beatmet. Ob das auch notwendig ist, lässt sich einer solchen Zahl nicht entnehmen, denn sie ist das Ergebnis von Meinungen behandelnder Ärzte, meist Intensivmediziner.

Ob die Beatmungen notwendig sind, hängt nicht nur vom Geschäftsmodell der medizinischen Abteilung ab (z.B. Palliativmedizin vs. Intensivmedizin), sondern auch davon, ob man jede Lebensverlängerung für eine unverhandelbare, jede Maßnahme zwingend vorschreibende Pflicht der Gesellschaft hält.