Mosul: Schiitische Milizen und Türkei auf Konfrontationskurs

Bild: Irakisches Verteidigungsministerium

Irakische Einheiten sind bereits in Mosul eingedrungen, aber die unterschiedlichen Interessen in der Anti-IS-Koalition vertiefen mit den Erfolgen die Unvereinbarkeiten

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Es war von vorneherein klar, dass die Befreiung von Mosul von den Kämpfern des "Islamischen Staats" bis zu den Grenzen der Großstadt schnell vorankommen würde. Erwartet wurde, dass es dann wochen- oder monatelange Kämpfe geben könnte und die Stadt weitgehend durch die Bombardierung und die Sprengungen des IS in Schutt und Asche liegen könnte. Angeblich soll der IS bereits Mosul nicht mehr als Hauptstadt des Kalifats bezeichnen, verletzte IS-Kämpfer würden aus den Krankenhäusern in Mosul weggeschafft. Möglicherweise bereitet sich der IS auf einen Rückzug vor.

Jetzt scheinen die Truppen überraschend schnell voranzukommen. So sollen irakische Truppen im Südwesten der Stadt in das Viertel Judaidat al-Mufti eingedrungen sein. Gemeldet wird, irakische Sonderheiten des Counter-Terrorism Service (CTS) hätten bereits im Osten die Stadtgrenze von Mosul überschritten und seien in den Stadtteil Gogjali vorgedrungen, wo sich auch ein Fernsehsender befindet. Berichtet wurde von schweren Kämpfen. Im Norden und Osten rücken die Peschmerga Richtung Mosul vor. Sie sollen allerdings ebenso wie die schiitischen Milizen nicht in die Stadt eindringen. Der Sprecher des irakischen Innenministeriums, der Brigadegeneral Brigadier General Saad Moen, sagte gestern, es würden in den befreiten Dörfern um Mosul und in den Stadtteilen Polizeistationen und Zivilverteidigungszentren eingerichtet. Das Innenministerium sei für die befreiten Gebiete zuständig.

Betont wurde auch in US-Medien, dass die irakischen Sonderheiten Counter-Terrorism Service (CTS) von US-Truppen des ausgebildet wurden und auch während der Offensive begleitet werden. Schon am Montag das Pentagon berichtet, dass der Vormarsch erfolgreich sei und dass die von der US-geführten Koalition mit Luftangriffen unterstützten irakischen Soldaten und Peschmerga-Kämpfer das Momentum im Augenblick hätten, also im Vorteil und Vorrücken seien. Bei Luftangriffen am Dienstag seien vier Einheiten von IS-Kämpfern bombardiert, neun Fahrzeuge, eine Fahrzeugbombe und eine Fahrzeugfabrik zerstört, 20 Fahrzeuge beschädigt und ein Tunnel getroffen worden. Ob dabei auch Zivilisten oder zivile Ziele getroffen wurden, wird wie üblich nicht berichtet.

Ähnlich wie das Pentagon die Leistung der Luftschläge detailliert, aber für Außenstehende nicht überprüfbar auflistet, um den Erfolg zu belegen, macht dies auch der IS mit Infografiken als eine Art von Geschäftsbericht der Todes- und Vernichtungsmaschinerie, zuletzt am Montag. In der zweiten Woche seien 437 irakische Soldaten und Peschmerga-Kämpfer getötet und 18 Selbstmordanschläge ausgeführt worden. Der IS unterscheidet ebenfalls zwischen der Zerstörung von angeblich 8 gepanzerten Fahrzeugen, einem Panzer, einer Drohne, 14 Fahrzeugen und 28 Hummer-Geländewagen sowie der Beschädigung von 5 Abrams-Panzern.

Die zynische Strategie der irakischen Regierung

Wie viele IS-Kämpfer und vor allem wie viele Menschen sich noch in der Stadt befinden, die vor dem Überfall des IS 2014 um die 1,5 Millionen Einwohner hatte, ist weiterhin Anlass für Spekulationen. Wenn Save the Children von 1,5 Millionen Einwohnern, darunter 600.000 Kindern spricht, ist das sicherlich übertrieben. Bislang sollen um die 40.000 Menschen aus Mosul geflohen sein.

Der irakische Regierungschef al-Abadi will allerdings eine kaum mehr bewältigbare Flüchtlingsflut aus Mosul verhindern und fordert die Einwohner weiterhin auf, in ihren Häusern zu bleiben, den IS nicht einzulassen und zu verhindern, dass Sprengfallen gelegt werden. Das könnte man auch als Zynismus verstehen, da die Bewohner damit rechnen müssen, vom IS benutzt oder von den Angreifern durch Bombardierung oder Artilleriebeschuss ins Ziel genommen zu werden. Gerade wenn sich Kämpfe in den Straßen abspielen sollten, wären die Zivilisten von beiden Seiten bedroht. Allerdings müssten die Luftangriffe und der Artilleriebeschuss vorsichtiger als zuvor in Falludscha oder Ramadi erfolgen, wo erst einmal die Bevölkerung zum Verlassen der Stadt aufgefordert wurde. Das aber würde wiederum die Eroberung behindern und gefährlicher machen, aber auch die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur könnten geringer sein. Schon jetzt fehlt dem Irak das Geld zum Wiederaufbau der befreiten, aber zerstörten Städte, zudem sind bereits in der Region alleine 3 Millionen Menschen vertrieben oder geflüchtet, die versorgt werden müssen.

Die UN-Flüchtlingskommission geht davon aus, dass der IS unter Zwang 25.000 Zivilisten an Orte in und um Mosul bringen will, um dort als menschliche Schutzschilde zu dienen, was ein Kriegsverbrechen sei. So sollen am Montag viele Lastwagen und Minibusse nach Hamam al-Alil im Süden von Mosul geschickt worden sein, um Zivilisten zu holen und zu verteilen. Zwar seien wegen der Kampfflugzeuge viele nicht nach Mosul gekommen, einige hätten es aber geschafft. Zudem seien bereits Zehntausende mit Gewalt verschleppt worden. OHCHR berichtet auch von Massenexekutionen.

Befürchtet wird, dass sich noch bis zu einer Million Menschen dort aufhalten könnten, und dass es vor allem dann eine Massenflucht geben wird, wenn die schiitischen Milizen von al-Hashd al-Shaabi, die teilweise von Iran gesteuert werden, mit in die Stadt vordringen. Bekannt ist, dass sie aus Rache Menschen willkürlich verhaften, foltern, exekutieren und verschwinden lassen, die sie für IS-Sympathisanten betrachten. Die sunnitische Bevölkerung hat Angst vor den schiitischen Milizen und schließt sich auch deswegen mitunter dem IS an. Es kursiert ein Video, auf dem zu sehen sein soll, wie schiitische Milizen aus Mosul geflüchtete Kinder quälen und traktieren.