Wut und Boden – unsere Bauern und was sie bewegt

Versammelte Bauern mit Traktoren in Nürnberg. Foto: Foto: Stefan Brending / Lizenz: Creative Commons CC-BY-SA-3.0 DE

Zweierlei Klischees beherrschen die Debatte: Der privilegierte Bauer und das quasi-revolutionäre Subjekt. Wie sie produzieren und wie sie davon leben. (Teil 1)

Die Proteste der Bauern werden ziemlich unterschiedlich kommentiert. Die Bauern selbst finden ihren Unmut natürlich zutiefst berechtigt und greifen tief in die Kiste der Argumente vom Nährstand, von dem alle leben wollen, dem der Staat mit der Streichung der Agrardiesel-Rückerstattung jetzt aber endgültig sein Überleben unmöglich macht.

Die C-Parteien freuen sich über die Blamage der Ampel und finden aktuell Protestformen akzeptabel, für die sie im Fall der Klimakleber Präventivhaft anordnen lassen.

Die Debatte um Privilegien der Bauern

Und während einige der Kommentatoren in den Medien finden, dass die Bauern "privilegiert" sind und genug verdienen, bzw. ausreichend staatliche Subventionen kassieren, entdecken Teile der Linken in den Traktor-Blockaden den Anfang des lang ersehnten Aufstands oder "Generalstreiks".

In diesem Zug werden die bei Linken normalerweise wenig beliebten, weil als reaktionär geltenden Landwirte als verelendete und zumindest tendenziell sozialrevolutionäre Klasse vorstellig gemacht.

Sorge vor Instrumentalisierung der Proteste

Alle, die sich zu Wort gemeldet haben, eint bei sämtlichen Differenzen die staatstragende Sorge, dass sich "die Rechten" unter die Proteste mischen und sie für sich instrumentalisieren könnten.

Angesichts der hitzigen Debatte hier einige eher nüchterne Bemerkungen darüber, wie es um den Bauernstand im 21. Jahrhundert so in etwa steht. Wie produzieren die Bauern "unser täglich Brot" – und wie leben sie davon?

Bauernhof-Erben und Quereinsteiger

Bauer oder Bäuerin ist man im Normalfall, weil man einen Bauernhof geerbt hat. Zwar gibt es inzwischen auch "Quereinsteiger", aber ihre Zahl ist noch immer nicht sonderlich groß.

Findet sich kein Erbe in der Familie, wird meist verpachtet oder verkauft, sodass es inzwischen viele Verpächter und Lohnunternehmer gibt. Dass der Hof regelrecht außerfamiliär übergeben wird, findet dagegen kaum statt – so das Resultat einer Studie der Hochschule Weihenstephan für Bayern.

Eigentumsstruktur in alten und neuen Bundesländern

Die bäuerliche Eigentumsstruktur sieht in den neuen Bundesländern anders aus; die in DDR-Zeiten kollektivierten LPG’s (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) sind dort – gegen zunächst anders lautende Pläne von Privatisierung – oft in Form von Agrargenossenschaften erhalten geblieben.

Aber auch diese haben sich grundlegend gewandelt; vom ursprünglichen Prinzip ist wenig übrig geblieben – außer den großen Flächen. Inzwischen ist auch das Kapital großer Anleger in die Ostländer geflossen: Lebensmittelriesen und Wohnbaukonzerne nutzen die dortigen Agrarbetriebe und deren Flächen als Geldanlage.

Lebensmittelproduktion für den Markt

Gleichgültig, ob es sich um kleinbäuerliches, genossenschaftliches Eigentum oder große Anleger handelt, produzieren die landwirtschaftlichen Betriebe – wie alle anderen Wirtschaftssubjekte in unserer Gesellschaft – für den Markt.

Die Bauern pflügen, säen, ernten oder halten Vieh, um ihre Produkte zu verkaufen und damit Geld zu verdienen. Diese erste Bestimmung ist ebenso banal wie folgenreich.

Das Prinzip Marktwirtschaft im Agrarbereich

Denn sie beinhaltet, dass die Frage nach der Qualität der produzierten Güter – wie gut sie schmecken bzw. wie gesundheitsverträglich sie sind – ebenso wie die Frage, unter welchen Bedingungen produziert wird – von der Länge und Härte des Arbeitstages bis zum Umgang mit Arbeitskräften, Böden und Tieren – unter diesen Zweck subsumiert ist: Möglichst viel Geld zu erzielen.

Das marktwirtschaftliche Prinzip ist generell keine sehr verträgliche Angelegenheit für Produzenten und Konsumenten. Für landwirtschaftliche Produkte gilt das einerseits genauso wie für die Herstellung von Autos und Häusern. Andererseits gelten für die Landwirte, ob kleine Bauern oder große Agrarkapitalisten, ein paar Sonderbedingungen.

Herausforderungen der modernen Landwirtschaft

Sie haben es erstens bei der Aufzucht von Tieren wie beim Wachsen von Salatköpfen mit Naturprozessen zu tun. Ein Hähnchen braucht ein paar Wochen, bis es schlachtreif ist; den Salat kann der Hagel treffen, Dürren oder Regen können den Getreide- und Obstfeldern, Weinreben oder Gemüsekulturen schaden.

All das auszuschalten, was an diesem Herstellungsprozess irgendwie zufällig und von den Launen des Wetters abhängig ist, und ihn – wo das möglich ist – tendenziell immer weiter zu verkürzen, damit das investierte Geld schneller zurückfließt: Das sind die Hauptkennzeichen der modernen Landwirtschaft, die gerne als "industrielle" bezeichnet wird.

Vermarktung und Abhängigkeit von festen Abnehmern

Zweitens sind die Landwirte zwar selbständige Unternehmer; ihre Produkte vermarkten sie allerdings in den meisten Fällen nicht selbst, sondern sie beliefern feste Abnehmer: Molkereien, Schlachthöfe, Lebensmittelverarbeiter bzw. Lebensmittelketten.

Diese Abnehmer bestimmen mit ihrer Marktmacht das, was die vielen kleinen Lieferanten a) loswerden und b) dafür bekommen. Deren Programm als "freie Bauern" (darauf sind sie ja im Unterschied zu den "Lohnabhängigen" sehr stolz!) besteht also darin, sich an den Vorgaben ihrer Kundschaft abzuarbeiten und ihre Produktion angesichts der von den Abnehmern diktierten Preise so aufzuziehen, dass es für sie selbst irgendwie aufgeht.

Wachsen oder Weichen

Das gelingt natürlich umso besser, je größer der Betrieb ist. Maschinen und große Flächen, auf denen sich maschineller Einsatz überhaupt erst lohnt.

Gewächshäuser mit künstlicher Bewässerung, Beleuchtung und Heizung, große Ställe, Kellereianlagen und mehr: "Wachsen oder Weichen", heißt bekanntermaßen die Devise – einfach nur in aller Ruhe einen kleinen, idyllischen Hof oder seine Weinberge zu bewirtschaften, ist keine Option.

Nötige Investitionen: Traktoren für Hunderttausende Euro

In den meisten Fällen müssen Flächen dazu gepachtet oder gekauft werden – was Investitionen erfordert, und zwar – angesichts steigender Bodenpreise – in den letzten Jahren immer mehr.

Das wie den für die Bewirtschaftung nötigen Maschinenpark, z. B. Traktoren, die Hunderttausende Euro kosten, können die Landwirte normalerweise nur per Kredit finanzieren. Banken helfen da gerne weiter – allerdings: Das Schuldverhältnis zur Bank verobjektiviert den Zwang, verlässlich Erträge einzufahren und die nötigen Betriebsziele zu erreichen, enorm.

Die Entwicklung der Betriebsgröße

So werden die Betriebe tendenziell größer. Auch wenn 86 Prozent der Betriebe in Deutschland immer noch weniger als 100 Hektar bewirtschaften, sind die Betriebsflächen erheblich gestiegen; vor sechzig Jahren lag die durchschnittliche Betriebsgröße bei 7,5 Hektar. Heute sind es 63 Hektar.

Im Unterschied zu den meist wesentlich kleineren Betrieben in Westdeutschland verfügen die Agrargenossenschaften der neuen Bundesländer übrigens im Schnitt über 1.136 Hektar Land – ein deutlicher Konkurrenzvorteil.

Höfesterben und Herausforderungen für kleine Bauern

Das bedeutet gleichzeitig, dass in Deutschland, vor allem in den alten Bundesländern, jedes Jahr tausende Höfe aufgeben.

Diejenigen Bauern, die mit größeren Flächen und Maschinen wirtschaften und damit auf günstigere Erzeugerpreise kommen, steigern die Anforderungen für alle, wann eine Landwirtschaft überhaupt noch einigermaßen rentabel betrieben werden kann. Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft zählte Ende 2022 noch 265.000 Höfe; vor 25 Jahren waren es noch doppelt so viele.

Im Jahr 1900 waren laut statistischem Bundesamt noch 38,2 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt, 2022 sind es 1,2 Prozent; der Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung (das sind die Herstellungspreise ohne Gütersteuern) in Deutschland ist von 29 Prozent auf ein Prozent gesunken.

Preisverfall durch gesteigerte Produktivität

Das macht deutlich, wie sehr die Produktion von Industriegütern und Dienstleistungen zugenommen hat und wie sehr die Produktivität der Landwirtschaft gesteigert wurde – ein Bauer ernährt heute achtmal so viele Menschen wie 1960, nämlich 139. Aber auch, wie sehr die Preise für landwirtschaftliche Produkte gefallen sind.

Ausbeutung von Saisonarbeitskräften

Im Kampf um niedrigere Erzeugerkosten als Mittel ihres Konkurrenzkampfs nutzen die Landwirte im Obst-, Gemüse- und Weinbau in ihren vergrößerten Betrieben Saisonarbeitskräfte. Dafür werden heute vorzugsweise Arbeitsmigranten aus den osteuropäischen Ländern eingesetzt, denen man für außerordentlich harte Arbeit minimale Löhne zahlt.

Riskante Wachstumsstrategien

Ein weiteres Mittel ist das schnelle und verstetigte Wachstum von Tieren und Pflanzen, um zuverlässig die Lieferverträge mit den Großabnehmern einhalten.

Dazu gehören ständig veränderte Anbau- und Aufzuchtformen, zum Beispiel auch neues Saat- bzw. Erbgut, das vielfach so gestaltet wird, dass Pflanzen bzw. Früchte oder Tiere widerstandsfähiger gegen Schädlinge sind, aber auch robuster den Prozess von Transport und Vermarktung überstehen (was dazu führt, dass gute Eigenschaften älteren Erbguts eliminiert werden.

Daraus entspringt die Begeisterung für "alte Sorten": "Gute Eigenschaften" von Pflanzen und Tieren sind vom Standpunkt ihrer Vermarktung aus ganz andere als vom Standpunkt der Konsumenten: Haltbarkeit, Transportfähigkeit, Farbe, eine schöne Schale und Pestizidresistenz sind wichtiger als Geschmack, Gehalt, Bekömmlichkeit.

Ganz wesentlich für die Bauern sind insofern die Forschungsergebnisse der Wissenschaft und ihre Anwendung in Form von Düngemitteln, Pestiziden und Wachstumshormonen. Die Forschungsabteilungen ehrbarer Institute und die Produktionsstätten deutscher Großkonzerne tun permanent eine ganze Menge dafür, Naturprozesse bedingungslos rentabel zu machen.