Wut und Boden – unsere Bauern und ihr Dilemma

Bauernprotest am Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Bauernprotest_18.12.23_Leipzig_Voelki.png:Foto: Z6ehswhha5HGRTd / CC-BY-SA-4.0

Naturausbeutung ist kurzfristig profitabel. Langfristig zerstört sie die Geschäftsgrundlage. Warum die EU das Höfesterben nicht stoppt. (Teil 2 und Schluss)

"Gute Eigenschaften" von Pflanzen und Tieren sind vom Standpunkt ihrer Vermarktung aus ganz andere als vom Standpunkt der Konsumenten: Haltbarkeit, Transportfähigkeit, Farbe, eine schöne Schale und Pestizidresistenz sind wichtiger als Geschmack, Gehalt, Bekömmlichkeit.

Ganz wesentlich für die Bauern sind daher die Forschungsergebnisse der Wissenschaft und ihre Anwendung in Form von Düngemitteln, Pestiziden und Wachstumshormonen. Die Forschungsabteilungen ehrbarer Institute und die Produktionsstätten deutscher Großkonzerne tun permanent eine ganze Menge dafür, Naturprozesse bedingungslos rentabel zu machen.

Wie Agrarchemie unsere Gesundheit gefährdet

Die Landwirte setzen die angepriesenen Mittel ein, um ihre Erträge zu steigern – mit den bekannten Folgen: Der Einsatz von Pestiziden, zum Beispiel Glyphosat, und Wachstumshormonen sowie die in der Massentierhaltung nötigen Antibiotika wirken sich gesundheitsschädlich auf die Konsumenten aus.

Allergien, zunehmende Lebensmittelunverträglichkeiten, sogar Krebserkrankungen werden als Folgen gelistet. In regelmäßigen Abständen kommt es zu Lebensmittelskandalen, wenn der kreative Einsatz neu entwickelter Gifte, Wachstumshormone oder interessanter Futtermittel aus Abfallprodukten eine besonders krasse Folge hat.

Die Bio-Illusion: Für viele Menschen schlicht zu teuer

Diese Konsequenzen der "traditionellen" Agrarproduktion bilden die Grundlage für die Abteilung "Bio", in der der Kundschaft versprochen wird, dass die Lebensmittel gesünder produziert werden, weshalb sie erheblich teurer und für Teile der Bevölkerung unerschwinglich sind.

Da allerdings die Bio-Landwirte auch im Hochpreis-Segment den ökonomischen Notwendigkeiten der Konkurrenz letztlich nicht entkommen, finden sich bei ihnen erneut viele der altbekannten Probleme wieder – bis hin zu handfesten "Skandalen" (das auszuführen wäre ein eigenes Thema!).

Weitere Folgen: Die Qualität des Grundwassers wird durch die Schadstoff-Einträge der Landwirtschaft beeinträchtigt. Viele Tiere – von den Insekten aufwärts – verlieren ihre Lebensräume, weil die Vielfalt der Pflanzenwelt fehlt. Der Einsatz von Kunstdünger und der immer größer werdenden Landmaschinen lässt die Böden erodieren. Der Beitrag der Landwirtschaft zum CO2-Ausstoß ist ebenfalls beträchtlich (etwa zehn Prozent).

Der wahre Preis von Billig-Lebensmitteln

Die Bauern nehmen all diese "Kollateralschäden" nicht deshalb in Kauf, weil sie charakterlich besonders verdorben sind und für Profit alles tun. Das gibt es natürlich auch. Aber der Normalfall sieht anders aus.

Der Grund für die stetige Vergrößerung der Flächen und die rücksichtslose Effektivierung der Produktionsmethoden liegt in den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Marktes: der Konkurrenz, die sich die Landwirte untereinander machen und dem Druck, den die großen Abnehmer – Molkereien wie Lebensmittelketten – auf die Landwirte erzeugen, was bei diesen als ständiger Zwang, ihre Kosten weiter zu senken, ankommt.

Nationale Interessen und Marktkräfte

Auf beides müssen sie sich unter den gegebenen Verhältnissen – die sie ja durchaus begrüßen – beziehen. Die Gesetze des Marktes haben für sie den Charakter von "Sachzwängen".

Was sie in der Hand haben, ist dann das: Mit den erwähnten Mitteln, mit Böden, Tieren, Saisonarbeitskräften und Produkten umgehen und so das Geld zu erwirtschaften, das eine Bedienung der Bankkredite und damit ein Fortbestehen des Hofs mit seiner Tradition von Generationen oder auch der Agrargenossenschaft mit den Arbeitsplätzen, die an ihr hängen, möglich macht.

Dass sie dabei selbst ständig das "Level" erhöhen, was gegen sie selbst zurückschlägt und sie vielleicht demnächst zur Aufgabe zwingt, ist dabei unvermeidlich.

Ruinös für Natur und menschliche Gesundheit

Nun ist die ganze Agrarwirtschaft heute in massiver Art und Weise staatlich, das heißt auf EU-Ebene geregelt. Der Grund dafür liegt ganz generell darin, dass die marktwirtschaftlich verfassten Staaten an dieser Stelle zwei sich widersprechende Zwecke verfolgen.

Erstens wollen sie eine Ökonomie, die überall auf dem Prinzip der marktwirtschaftlichen Konkurrenz beruht – und bemerken, wie ruinös sich das im Agrarsektor auf große Teile ihrer Bauern, auf die Brauchbarkeit der Natur und der Gesundheit der Bevölkerung auswirkt.

CSU-Chef lobt Beitrag der Landwirtschaft

Zweitens wollen sie eine verlässliche nationale Lebensmittelversorgung. Der "Nährstand" soll die Versorgungslage der Nation zumindest in wesentlichen Punkten gewährleisten und nicht den Importen aus dem Ausland überantworten.

Die Landwirtschaft erbringe einen großen Beitrag für Deutschland, betonte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Söder am 13. Januar im Deutschlandfunk. Anders als etwa bei Medikamenten sei Deutschland bei Lebensmitteln durch die lokale Landwirtschaft noch unabhängig von globalen Lieferketten. Das müsse auch so bleiben.

EU-Agrarhaushalt ist größte Gemeinschaftsaufgabe

Auf dieser Basis haben sich die EU-Staaten darauf verständigt, dass jedes einzelne Land ein Recht auf seine landwirtschaftliche Versorgung hat und gleichzeitig ein System entwickelt, das die dafür nötigen Subventionen weitgehend gemeinsam managt; das hat dazu geführt, dass der EU-Agrarhaushalt die größte finanzielle Gemeinschaftsaufgabe ist.

Allerdings soll auch dieser Posten nicht aus dem Ruder laufen. Die nationale Lebensmittelversorgung soll vorhanden sein, aber ihrerseits möglichst kostengünstig. Die von der großen Masse der Bevölkerung benötigten Lebensmittel, aber auch viele Grundstoffe für weitere Verarbeitung, sollen billig vorhanden sein. Das ist nämlich – im Hinblick auf niedrige Löhne und andere Produktionskosten – ein wesentliches Mittel der nationalen Standortkonkurrenz.

Das Streben nach Weltmarkttauglichkeit

Und auch die EU denkt konsequent vorwärts und achtet darauf, dass die subventionierte europäische Landwirtschaft weltmarkttauglich wird. Mit den Überschüssen, die über den nationalen und den EU-Bedarf hinaus produziert wurden, sollen Exportgeschäfte gemacht werden. Eine permanente Steigerung der Effizienz in der landwirtschaftlichen Produktion ist deshalb aus EU-Sicht unverzichtbar.

Das setzt die EU nach innen durch, indem immer wieder die Subventionen auf den Prüfstand gestellt und auch mal gestrichen werden – zum Beispiel die für die Produktion von Zucker oder Reis.

Zugleich erpresst sie – wo es geht – andere Länder und ganze Kontinente dazu, die EU-Überschüsse auf den eigenen Märkten zuzulassen, egal wie ruinös das für die dort ansässigen heimischen Kleinbauern ist – das zeigen beispielsweise auch die Auswirkungen des EPA-Abkommens in den afrikanischen Ländern.

Weiteres Höfesterben ist politisch gewollt

Die hiesige Staatsgewalt will also weiteres Höfesterben – egal, was die jeweiligen Landwirtschaftsminister den Bauern und ihren Verbänden sagen. Andererseits soll dieser Prozess "reguliert" vor sich gehen – in zweierlei Hinsicht. Es sollen nicht allzu viele Bauern in den Ruin getrieben werden, um sozialen Aufruhr, aber auch zu viele Armutsfälle zu vermeiden, die staatliche Unterstützung brauchen.

Im Ergebnis dieses Konglomerats von Kalkulationen beziehen deutsche Bauern etwa 50 Prozent ihrer Einnahmen aus EU-Zahlungen. Nutznießer dabei sind die großen profitablen Unternehmen, die über die größten Flächen verfügen (meist ostdeutsche Betriebe) und die großen Fleischproduzenten.

Auch Bayer und RWE kassieren

Zudem öffentliche Einrichtungen (die Sozialversicherung der Landwirte und die diversen Ministerien); aber auch Bayer kassiert – für die Flächen, auf denen die Pestizide experimentell getestet werden – oder RWE für die ehemaligen Bergbauflächen, die renaturiert werden.

Mit dem System der Zahlungen wollen die Agrarpolitiker gleichzeitig Einfluss auf die Landwirtschaft nehmen. So gibt es neben den klassischen Subventionen auch Prämien für Junglandwirte, für "nachhaltige Bewirtschaftung", für "Blühstreifen" am Ackerrand, für Streuobstwiesen, für Ziegen- und Schafzucht etc.

Der Grund für Raubbau an der Natur bleibt bestehen

Daran wird deutlich, dass die Staaten mit diesen Instrumenten auch die Folgen der von ihnen selbst geförderten "industriellen" Landwirtschaft angehen wollen.

Allerdings nicht so, dass der Grund des Raubbaus an der Natur aus dem Verkehr gezogen wird; dafür sind die ins Recht gesetzten Interessen der Eigentümer und des Staats an den Resultaten dieser konkurrenzgetriebenen Agrarproduktion viel zu wesentlich.

Brutalste Konsequenzen sollen abgemildert werden

Aber eben so, dass die brutalsten Konsequenzen – das zunehmende Artensterben, die Erosion der Böden, die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und nicht zuletzt der Klimawandel – etwas ausgebremst werden.

Diese Maßnahmen des Gesetzgebers für eine nachhaltige kapitalistische Landwirtschaft fassen die Bauern mehrheitlich als Ausbund "bürokratischer Idiotie" auf und hassen "Brüssel" mit seinen "Auflagen".

Kurz- und mittelfristige Standesinteressen der Bauern

Dass die Staaten damit versuchen, die Grundlagen des bäuerlichen Geschäfts wenigstens gegen die härtesten zerstörerischen Folgen zu schützen, die die Konkurrenz geschäftstüchtiger Landwirte mit sich bringt, interessiert sie wenig bis nicht – darin sind sie durchaus hartleibige Vertreter ihrer Standesinteressen.

Die Streichung der Rückerstattungen für Agrardiesel im Zuge der Haushaltsbereinigung hat für die Bauern jetzt das Maß voll gemacht und war Auslöser der aktuellen Proteste. Die durch die westlichen Sanktionen gegen Russland gestiegenen Energie- und Düngemittelpreise wurden von Rewe & Co. zwar voll an die lieben "Verbraucher" weitergegeben; was davon bei den Produzenten angekommen ist, ist eine andere Frage.

Jedenfalls begreifen die jetzige Streichung durch "die Ampel" als nicht hinnehmbaren Angriff auf ihre Interessen – darin sind sich die kleinen Bauern völlig einig mit den großen Agrarkonzernen, die sie demnächst kaputt konkurrieren werden.

Was Bauern von Gewerkschaften unterscheidet

Wenn "der Staat" so auf den Interessen seines Nährstandes herumtrampelt, kriegt er dessen Wut zu spüren – und im Gegensatz zu den meisten Gewerkschaften, die sich für jede Störung des Betriebsablaufs schon vorher entschuldigen – demonstrieren die Bauern durchaus selbstbewusst, wie man diese Republik mit ihrem minütlich nötigen Transport von Waren und Personen empfindlich treffen kann.

Die ökonomischen Grundlagen wie die zitierten Verlaufsformen einer Landwirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen sind für die Bauern kein Thema. Jedenfalls keines, gegen das sie irgendwie anstinken wollen; stattdessen bringen sie ihre prekäre Lage und ihren permanenten (Über-)Lebenskampf als Belegmaterial dafür ins Spiel, wie berechtigt ihre Forderungen sind.

Formell freie Unternehmer

Dass sie zwar formell freie Unternehmer sind, tatsächlich aber an einer ganzen Reihe harter und für sie widersprüchlicher Kalkulationen hängen und sich daran abarbeiten – den Banken, die ihnen Kredit geben, den Firmen, die ihnen die Mittel ihrer Produktion verkaufen, den Abnehmern, die sie mit ihrer Monopol-Stellung erpressen können, der EU und ihren agrarpolitischen Entscheidungen –, lösen die meisten von ihnen auf in ein ziemlich unangebrachtes Selbst-Bewusstsein.

Im Unterschied zu den vom Lohn Abhängigen begreifen sie sich (selbst als Nebenerwerbslandwirte) immer noch als stolze Eigentümer von Grund und Boden (der ursprünglichsten Eigentumsform). Dass die gesamte Restgesellschaft von dem lebt, was sie herstellen, führen sie "den Städtern" liebend gerne auf ihren großen Traktoren vor. Wie sehr sie in ihrem Protest von rechts "unterwandert" werden, erscheint also durchaus fraglich.

System zum Nachteil von Bauern und Konsumenten

Weder die bäuerlichen Produzenten noch die Konsumenten werden mit dieser kapitalistischen Landwirtschaft glücklich. Klar: Einige Agrarkonzerne, der Groß- und Einzelhandel und die Banken machen richtig Geld in diesem "ältesten Gewerbe" der Menschheit.

Für viele Bauern aber ergibt das kein sonderlich großes und vor allem kein verlässliches Einkommen. Ihre Einkommensquelle ist und bleibt prekär, auch wenn sie mit Millionen an Kapitaleinsatz hantieren und egal, mit wie viel eigenem Einsatz und mit wie viel Rücksichtslosigkeit gegenüber den Saisonarbeitskräften und der Natur sie wirtschaften.

Was schon Marx erkannt hat

Umgekehrt kriegt der größte Teil der von ihnen "versorgten" Kundschaft weder gute noch gesunde Lebensmittel zu essen – und kann sich selbst das immer weniger leisten.

Vor mehr als 150 Jahren hat es ein früher Kapitalismuskritiker mal so zusammengefasst: "Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter." (Marx, Kapital, 1. Band)

Eigentlich war damit alles gesagt.