"Alle griechischen Schulden streichen, die durch die Auflagen neu entstanden sind"

Gabi Zimmer (Die Linke) zur Europawahl

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Deutschland treten am 25. Mai zweiunddreißig politische Gruppierungen zur Europawahl an. Telepolis hat bekannten Kandidaten der sieben wichtigsten davon einige Fragen gestellt. Spitzenkandidatin für Die Linke ist die ehemalige PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer, mit der Reinhard Jellen über das TTIP-Abkommen, Lobbygruppen, die Eurokrise, den Krimkonflikt und die NATO sprach.

Frau Zimmer was kritisieren Sie am Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA?
Gabi Zimmer: Ich kritisiere, dass es sich dabei nicht um ein Handelsabkommen handelt, sondern um ein Freihandelsabkommen. Das heißt, alle Handelsbarrieren sollen beseitigt werden, ohne zu berücksichtigen, was es in den verschiedenen Ländern und Regionen an unterschiedlichen Standards und Traditionen gibt. In Europa und den USA herrschen aber verschiedene unterschiedliche Vorstellungen darüber, was etwa die Lebensmittelsicherheit anbelangt.
Es gibt auch ein unterschiedliches Grundverständnis darüber, wie Arbeitsnormen auszusehen haben und welche sozialen Kriterien dabei wichtig sind. Wenn man das alles weglässt, kann man zwar wunderbar Güter handeln und zum besten Preis anbieten, aber damit wird alles unterlaufen, was sich über Jahrzehnte hinweg sich in den jeweiligen Ländern an kulturellen, politischen, sozialen, gewerkschaftlichen und ökologischen Standards entwickelt hat. Das ist nicht gut, weder für die Beziehungen zwischen den Menschen und die Verhältnisse zwischen den Ländern untereinander.
Dazu kommt, dass dieses Freihandelsabkommen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wird: Nur etwa fünf Prozent der Abgeordneten im Europaparlament haben Einblick bekommen - und diese sind zum Stillschweigen verpflichtet. Am Tisch sitzen, wie offen zugegeben wird, Großkonzerne und andere Stakeholder, aber Vertreter von Gewerkschaften und Sozialverbänden sind nicht mit dabei. Wir werden dann im Europaparlament ein ausgehandeltes Abkommen auf den Tisch gelegt bekommen, zu dem wir nur noch "ja" oder "nein" sagen können, ohne die Möglichkeit, Änderungen einzufordern.
Ein weiterer Aspekt, den wir kritisieren, ist, dass TTIP einen Investitionsschutz beinhalten soll. Der würde vorsehen, dass Unternehmen, die investieren, aber zum Beispiel durch politische Entscheidungen oder gewerkschaftliche Aktionen in ihrer Gewinnerwartung getrübt werden, die jeweilige Regierung des Landes vor einem Drei-Personen-Gericht dafür haftbar machen könnten. Gegen solche Entscheidungen gäbe es keine Rechtsmittel. Es gibt bereits Fälle wie den des Energiekonzerns Vattenfall, der die Bundesrepublik auf Schadenersatz wegen des Atomausstiegs verklagt hat.
Ich denke, das hat mit Demokratie nichts zu tun. Da können die Parteien gleich dazu aufgefordert werden, ihre Wahlprogramme zunächst bei den Konzernen einzureichen und zu fragen, ob sie Bedenken haben bezüglich zukünftiger Gewinnerwartungen.
Gabi Zimmer. Foto: Die Linke.
Gibt es hier Bereiche, von denen Sie sich positive Effekte für die Bevölkerung erhoffen?
Gabi Zimmer: Unter diesen Umständen nicht. Ich würde mir sehr wohl von Handelsabkommen positive Auswirkungen erwarten, aber so wie dieses Freihandelsabkommen konstruiert werden soll, muss man diese wirklich mit der Lupe suchen. Zwar wird behauptet, dass damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden würden und sich ein rasantes Wirtschaftswachstum einstellt. Meine Fraktion hat in einer Studie untersuchen lassen, was es mit diesen Prognosen auf sich hat: Die von Befürwortern vorgelegten Zahlen haben teilweise gar keine realen Grundlagen. Im Gegenteil muss zunächst mit erhöhter Arbeitslosigkeit und Mehrausgaben für die Sozialkassen gerechnet werden.
Wenn man sich außerdem andere Freihandelsabkommen anschaut, bei deren Abschluss auch großartige Arbeitsplatzzuwächse in Aussicht gestellt wurden, stellt man fest, dass diese positiven Effekte ausgeblieben sind.

"Eine Zustimmung für NATO-Militäreinsätze wird es mit unserer Partei nicht geben"

Inwiefern hat die aktuelle ökonomische Ausrichtung der EU-Wirtschaftspolitik mit der Euro-Krise zu tun?
Gabi Zimmer: Die neoliberale Ausrichtung der Europäischen Union und ihre Privatisierungs- und Deregulierungsexzesse haben über die letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre hinweg dazu beigetragen, dass die Finanzkrise in dieser Weise ausbrechen konnte. Es konnte zu einer Bankenkrise von diesem Ausmaß kommen, weil die Banken unreguliert auf den Finanzmärkten spekulieren konnten, ohne letztendlich für eingegangene Risiken gerade zu stehen. Es wurden die privaten Schulden der Banken dann in öffentliche Schulden umgewandelt, die Staaten mussten anstelle der Banken haften und wurden dann von den Rating-Agenturen so negativ bewertet, dass sie von den internationalen Finanzmärkten verschwunden sind.
Jetzt haben wir Programme, die von der Troika den jeweiligen Ländern aufgedrückt worden sind, die auf der einen Seite auf eine massive Eindämmung der öffentlichen Haushalte abzielen, was natürlich dramatische Auswirkungen beispielsweise auf das Bildungswesen, die Gesundheitsversorgung, die öffentliche Verwaltung hat und auf der anderen Seite den nicht minder massiven Ausverkauf öffentlichen Eigentums bezweckt. Dies hat beispielsweise in Griechenland dazu geführt, dass die Staatsschulden seit Beginn der Memoranden nicht gesunken, sondern weiter gestiegen sind. Das ist ein ganz offenkundiges Zeichen dafür, dass diese Art von Krisenmanagement absolut gescheitert ist.
Was muss hier geändert werden, um die Krise zumindest ansatzweise zu beheben?
Gabi Zimmer: Für Griechenland würde ich zum Beispiel vorschlagen, alle Schulden zu streichen, die durch die Auflagen der Memoranden neu entstanden sind. Weiter bräuchten diese Länder Investitionen in nachhaltige ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungen, weil nur auf dieser Basis auch wieder ein eigenes Wachstum möglich ist, mit dem Arbeitslosigkeit und Armut bekämpft werden kann. Das gehört zu einem Krisenkonzept unbedingt dazu. Außerdem brauchen wir unbedingt wieder eine Regulierung der Finanzmärkte und eine Verkleinerung der Banken, die dazu führt, dass auch die Banken, die auch heute noch als "to big to fail" gelten, auf ihr Kerngeschäft zurück geführt werden.
: Wie beurteilen Sie denn den Europäischen Fiskalpakt?
Gabi Zimmer: Ich betrachte diesen als ein Instrument, welches Frau Merkel und Herr Schäuble geschaffen haben, um auf Mitgliedsstaaten massiven Druck auszuüben, obwohl diese genau wissen, dass die damit verbundenen Reformen nicht in ihrem Interesse liegen. Es ist ein Eingriffsinstrument in die Haushaltssouveränität der Länder. Es ist ein zwischenstaatlicher Vertrag, der das Mitentscheidungsrecht des Europaparlaments bewusst umgeht. Dies erachte ich politisch und juristisch für höchst problematisch.

"Verbindliche Registrierung für Lobbyisten"

Wie mächtig ist der Einfluss von Lobbygruppen in der EU?
Gabi Zimmer: Dieser ist noch immer nicht völlig kontrollierbar, denn um diesen Einfluss zurückdrängen zu können, müsste es erst einmal öffentliche Informationen dazu geben, wer bei welcher gesetzlichen Initiative mit am Tisch sitzt, von wem eventuell sogar die Initiative dazu stammt und wer bei Änderungsanträgen für bestimmte Richtlinien über Einflussnahme auf Kommission und Abgeordnete mitmischt. Wir fordern deswegen eine verbindliche Registrierung für Lobbyisten und deutliche Regeln für Abgeordnete. Es muss beispielsweise offengelegt werden, wenn man sich von Lobbyorganisationen einladen oder die Reisekosten bezahlen lässt. Wir fordern deswegen einen sogenannten "legalen Fußabdruck": Jeder Bürger muss nachlesen können, wer genau bei einem Gesetz mitgewirkt hat und welche Teile des Gesetzes von ihm beeinflusst wurden.
Die Grundbedingung an einer Mitbeteiligung der Linken an einer rot-rot-grünen Bundesregierung ist die Zustimmung zu NATO-Militäreinsetzen. Nun ist aber deren Ablehnung ein Alleinstellungsmerkmal und Teil der Identität Ihrer Partei. Wie gehen Sie damit um?
Gabi Zimmer: Eine Zustimmung für NATO-Militäreinsätze wird es mit unserer Partei nicht geben. Wer immer will, dass es mit einer rot-rot-grünen Bundesregierung eine andere Politik gibt, muss wissen, dass man sich nicht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Ökologie im eigenen Land einsetzen und gleichzeitig durch Militäreinsätze Menschenleben und die Umwelt zerstören kann. Wenn ich mir den Konflikt der Ukraine mit Russland ansehe, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die NATO langfristig durch ein kollektives Sicherheitssystem ersetzt wird, das die EU, die östlichen Staaten inklusive Russland und die USA mit einschließt, welches sich aber an den Normen der OSZE orientiert.

"Diese Entscheidung muss mit den anderen Landesteilen gemeinsam getroffen werden"

Wie stehen Sie zu den Unabhängigkeitsbestrebungen von beispielsweise Schottland und Katalonien?
Gabi Zimmer: Diese Konflikte können, wie auch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Krim, nur dadurch gelöst werden, wenn alle Beteiligten mit am Tisch sitzen und man zu einer gemeinsamen Entscheidung kommt. Die Frage nach mehr Autonomie oder mehr Föderalismus kann nur in einem gemeinsamen Diskussionsprozess angegangen und die Lösung muss dann von allen Beteiligten getragen werden. Für mich steht die territoriale Unversehrtheit der Grenzen im Vordergrund, dies ist auch ein wesentlicher Bestandteil der UN und des Völkerrechtes. Wenn Menschen in einem Land unzufrieden sind und sich mit einer Region über Referenden selbstständig machen wollen, muss diese Entscheidung mit den anderen Landesteilen gemeinsam getroffen werden. Anders geht es nicht und funktioniert auch nicht, siehe Kosovo.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.