Bedingt einige Union

Herbert Reul (CDU) und Markus Ferber (CSU) im Telepolis-Interview zur Europawahl

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In Deutschland treten am 25. Mai zweiunddreißig politische Gruppierungen zur Europawahl an. Telepolis hat bekannten Kandidaten der sieben wichtigsten davon einige Fragen gestellt. Mit Herbert Reul (CDU), dem Vorsitzender der Union im Europäischen Parlament, und mit dem Spitzenkandidaten der CSU, Markus Ferber, unterhielt sich Reinhard Jellen über die Einwanderungsdebatte, das TTIP-Abkommen und die EU-Skepsis der Bürger.

Herr Reul - es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Gleichbehandlung der ökonomisch recht unterschiedlich ausgeprägten EU-Staaten auch hierzulande zu massiven sozialen Verwerfungen führen könnte: Da ein deutscher Mindestlohn beispielsweise in Bulgarien und Rumänien ein Hochlohn ist, wird es vermutlich nicht ausbleiben, dass Menschen aus diesen Ländern versuchen werden, hier mit um diese Jobs konkurrieren, was eine Senkung des hiesigen Lohnniveaus mit sich ziehen könnte. Müsste hier die EU nicht vor Ort Maßnahmen treffen, damit in den betreffenden Ländern gewisse Sozialstandards eingehalten werden?
Herbert Reul: Ich glaube dass ist weniger eine Frage der Sozialstandards als eine der Wirtschaftsentwicklung: Wenn wir es schaffen, die wirtschaftliche Leistung in diesen Ländern anzukurbeln, dann wird es auch für die Menschen dort bessere Lebensstandards und Perspektiven geben. Das ist die einzig richtige Antwort. Alles andere zielt daneben.
Verhindert die EU generell, dass die einzelnen Länder eine auf ihre individuellen Bedürfnisse angepasste Wirtschaftspolitik betreiben können?
Herbert Reul: Das sehe ich nicht. Natürlich müssen die nationalen Besonderheiten berücksichtigt werden, aber das verhindert nicht, dass wir in der EU eine effektive, gemeinsame Wirtschaftspolitik betreiben können. Auch wenn es momentan sehr schwierig ist, es führt kein Weg dran vorbei. Einige Länder sind sozialdemokratisch regiert und einige konservativ, es gibt Unterschiede, aber trotzdem müssen wir uns auf eine gemeinsame Linie einigen, um als europäischer Wirtschaftsraum auf die Herausforderungen der Globalisierung angemessen reagieren zu können. Hierzu brauchen wir klare politische Prinzipien.
Welche Position vertreten Sie bei den Verhandlungen um das TTIP-Abkommen?
Herbert Reul: Eine relativ einfache: Solange ich den Text nicht gelesen habe, kann ich nicht feststellen was drin steht und mich auch nicht festlegen. Deswegen bin ich verwundert, dass viele Leute über das Abkommen urteilen und so tun, als ob sie wüssten, was drin steht.
Ich bin aber aus Prinzip für dieses Abkommen, weil es den Wirtschaftsraum der Europäischen Union vergrößert und damit die Möglichkeiten für mehr ökonomisches Wachstum und die Chancen auf Wohlstandsmehrung der Bürgerinnen und Bürger in der EU erhöht. Ich bin zuversichtlich, dass die strittigen drei bis fünf Punkte während der Verhandlungen beigelegt werden können und ich denke auch nicht, dass sie negative Auswirkungen auf die europäischen Standards haben werden. Die negative deutsche Berichterstattung darüber ist für mich recht befremdlich.
Bei diesem Abkommen wird auch die Intransparenz kritisiert. Es wird moniert, dass nur wenige EU-Abgeordnete die Verhandlungstexte einsehen können. Was denken Sie?
Herbert Reul: Das ist ein nachrangiges Problem, weil das bei Verhandlungen zwischen Staaten üblich ist. Wichtig ist nicht, dass hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, sondern dass am Ende alle Texte auf den Tisch kommen, damit die Abgeordneten angemessen darüber entscheiden können.
Können Sie die EU-kritische Tendenzen in der Bevölkerung verstehen und was muss sich innerhalb der EU ändern, damit diese keine Grundlage mehr haben?
Herbert Reul: Es gibt berechtigte und unberechtigte kritische Stimmen, wobei mich nur die interessieren, die berechtigt sind. Die Überregulierungen in der EU, die bis ins Detail gehen, wie etwa die Leistung von Staubsaugern und das Glühbirnenverbot müssen aufhören. Andere Sachverhalte wie etwa die Verschuldungsfrage müssen gemeinschaftlich reguliert und angegangen werden.
Was halten Sie von den Euro-Rettungsschirmen?
Herbert Reul: Ich halte sie für sinnvoll, weil wir damit den überschuldeten EU-Staaten helfen, ihre Krise zu bewältigen und ihre Haushalte zu konsolidieren, was ja auch funktioniert, aber gleichzeitig müssen wir dafür von diesen Staaten Solidität erwarten können. Die wirtschaftliche Stabilität dieser Staaten ist aber noch nicht erreicht.
Deswegen aber eine Aufweichung der Maastrichtkriterien zu fordern, wie etwa Martin Schulz dies tut, ist unsinnig, weil damit die Fortschritte bei der Konsolidierung der EU-Haushalte wieder verspielt und die damit verbundenen Probleme mit Geld zugekleistert werden.
Was halten Sie von den Unabhängigkeitsbestrebungen innerhalb der EU - in Schottland, Katalonien et cetera?
Herbert Reul: Das kann ich letzten Endes schwer beurteilen, weil mich diese Probleme nicht direkt betreffen. Grundsätzlich aber denke ich, dass wir dahin kommen müssen, die Unterschiedlichkeiten der Regionen schätzen, aber gleichzeitig die drängenden Fragen gemeinsam zu beantworten.

Die Antworten von Markus Ferber (CSU)

Herr Ferber - es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Gleichbehandlung der ökonomisch recht unterschiedlich ausgeprägten EU-Staaten auch hierzulande zu massiven sozialen Verwerfungen führen könnte: Da ein deutscher Mindestlohn beispielsweise in Bulgarien und Rumänien ein Hochlohn ist, wird es vermutlich nicht ausbleiben, dass Menschen aus diesen Ländern versuchen werden, hier mit um diese Jobs konkurrieren, was eine Senkung des hiesigen Lohnniveaus mit sich ziehen könnte. Müsste hier die EU nicht vor Ort Maßnahmen treffen, damit in den betreffenden Ländern gewisse Sozialstandards eingehalten werden?
Markus Ferber: Sicherungssysteme und Mindestlöhne sind in nationaler Zuständigkeit. Die sozialen Leistungen und die Voraussetzungen für ihre Gewährung werden auf einzelstaatlicher Ebene festgelegt.
Verhindert die EU generell, dass die einzelnen Länder eine auf ihre individuellen Bedürfnisse angepasste Wirtschaftspolitik betreiben können?
Markus Ferber: Nein. Die EU verhindert keine angepasste Wirtschaftspolitik der einzelnen EU-Mitgliedstaaten.
Welche Wirtschaftsrahmenpolitik würden Sie empfehlen?
Markus Ferber: Eine an Stabilität und Wettbewerb orientierte Wirtschaftsrahmenpolitik, die Anreize schafft und nicht alles vorschreibt.
Welche Position vertreten Sie bei den Verhandlungen um das TTIP-Abkommen?
Markus Ferber: Wenngleich ein Freihandelsabkommen zwischen den EU und den USA einige gewichtige Vorzüge mit sich bringt, ist für mich vollkommen klar, dass dieses Abkommen nicht um jeden Preis zustande kommen darf. Zwar ist das TTIP-Abkommen eine große Chance für die bayerische Exportindustrie, vor allem in den Branchen Automobil und Maschinenbau, aber wir werden unsere hohen Qualitätsstandards nicht verscherbeln.
Genmais, Hormonfleisch und chloriertes Hühnerfleisch dürfen nicht auf den europäischen Markt gelangen. Ich sage: Freihandelsabkommen und Harmonisierung im technischen Bereich, ja, aber im Lebensmittelbereich werden wir mit dem Amerikanern nie auf einen grünen Zweig kommen, deswegen sollte hier auch nicht weiter verhandelt werden.
Können Sie die EU-kritische Tendenzen in der Bevölkerung verstehen und was muss sich innerhalb der EU ändern, damit diese keine Grundlage mehr haben?
Markus Ferber: Die EU muss sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Was vor Ort entschieden werden kann, soll von den Kommunen und Ländern geregelt werden. Beim Datenschutz, Verbraucherschutz und in der Außenpolitik ist es sinnvoll, enger zusammenzuarbeiten. Dann hat die EU auch wieder mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern und EU-Kritikern wird die Substanz automatisch entzogen.
Was halten Sie von den Unabhängigkeitsbestrebungen innerhalb der EU - in Schottland, Katalonien et cetera?
Markus Ferber: Das sind innerstaatliche Fragestellungen in Großbritannien und Spanien, die nicht in den Aufgabenbereich der EU fallen.

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