Bröckelndes Vertrauen: Polarisierung untergräbt die Allianzpolitik der USA

Sicherheitswappen in US-Farben zerbröselt

Die USA stehen vor einer ungewissen Zukunft als Führungsmacht. Polarisierung schwächt ihre Allianzpolitik. Wird Trump die Zweifel verstärken?

Werden die USA auch nach dem 20. Januar 2025 eine verlässliche Führungsmacht bleiben? Die Aussicht auf eine zweite Trump-Präsidentschaft lässt die Bündnispartner Amerikas in Europa und Asien daran zweifeln.

Das Problem für die Alliierten der USA besteht nicht allein in der Person von Donald Trump. Der Vertrauensverlust gegenüber Washington hat strukturelle Ursachen und ist insbesondere in der zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Polarisierung begründet.

Spätestens seit der aus Sicht von Präsident Joe Biden missglückten TV-Debatte im Juni 2024 wird in der europäischen Öffentlichkeit und Politik die Möglichkeit einer Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus verstärkt diskutiert. Bidens Aussetzer und das gescheiterte Attentat auf Trump verstärkten den Eindruck, der Republikanische Präsidentschaftskandidat befände sich auf der Siegerstraße.

Auch nach der Nominierung von Vizepräsidentin Kamala Harris zur Spitzenkandidatin der Demokraten bleibt das Rennen um die US-Präsidentschaft offen und das Szenario einer zweiten Trump-Präsidentschaft nicht unwahrscheinlich.

Diese Perspektive löst bei Partnern der USA in Europa – aber auch in Asien – Nervosität bis hin zu Panik aus. Trumps Politik gilt gerade im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik als unberechenbar. Seine Kritik an langjährigen Bündnispartnern und Allianzsystemen wie der Nato ist hinlänglich bekannt.

Einige Äußerungen von Trump wie auch seines running mate J.D. Vance, etwa zum Umgang mit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, deuten auf eine Kehrtwende in der Allianzpolitik hin, sollte das Ticket Trump-Vance die Wahlen gewinnen. Der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link (FDP), beschrieb diese Sorge im Juli 20241:

Die größte Herausforderung in der Vorbereitung (auf einen möglichen Sieg Trumps) ist Trumps Unberechenbarkeit. (…) Trump setzt auf bilaterale Beziehungen und neue transaktionale ‚Deals‘ statt auf bestehende Allianzen und Bündnisse.

Anders formuliert: das Vertrauen in die USA, ein verlässlicher Partner für Europa zu sein, würde unter einer Trump-Präsidentschaft massiv beschädigt werden. Ohne Zweifel könnten die Europäer sich gerade in Fragen der Sicherheitspolitik im Allgemeinen und hinsichtlich der Ukraine-Unterstützung im Besonderen unter einem Präsidenten Trump kaum mehr auf die USA verlassen.

Der Fokus auf Trump unterschätzt jedoch das grundlegendere Problem der sinkenden Vertrauenswürdigkeit der USA als Führungsmacht westlicher Allianzen insgesamt. Dieses besteht auch ohne Trump im Weißen Haus in der Tendenz fort, es hat tiefere strukturelle Ursachen.

Vertrauensquellen zwischen Demokratien

Um die Problematik zu erfassen, muss zunächst gefragt werden, worin das Vertrauensproblem innerhalb von Allianzen gründet und welche Vertrauensquellen im Verhältnis zwischen Demokratien typischerweise bestehen.

Florian Böller
Florian Böller

Zentral ist das sogenannte "Allianz-Sicherheitsdilemma". Es beschreibt einerseits die Angst kleinerer Staaten, von ihren Verbündeten im Stich gelassen zu werden (abandonment), und andererseits die Sorge größerer Staaten, in Konflikte hineingezogen zu werden (entrapment), die nicht in ihrem Interesse liegen. Veränderungen in den Fähigkeiten oder Interessen der Staaten können ihre Bereitschaft beeinflussen, eine Allianz beizubehalten oder sich zurückzuziehen.

Die Angst vor abandonment führt oft dazu, dass Staaten von einer Fremdverteidigung (durch Allianzen) zur Selbstverteidigung übergehen, indem sie ihre eigenen militärischen Fähigkeiten stärken. Sollten sie dazu nicht willens oder in der Lage sein, müssen sie Einbußen ihrer Sicherheit befürchten. Im Gegensatz dazu kann die Angst vor entrapment dazu führen, dass Staaten größere Autonomie anstreben oder ihre Präferenzen ändern.

Gordon Friedrichs
Gordon Friedrichs

Demokratische Staaten sind weniger geneigt, militärische Konflikte auszutragen. Internationale Allianzen mit demokratischen Partnern fördern tendenziell die Entwicklung innerstaatlicher demokratischer Institutionen. Allianzen zwischen Demokratien gelten daher als besonders stabil, da sie auf innerstaatlich ratifizierten Verträgen basieren, die spezifische gegenseitige Verpflichtungen festlegen.

Zudem werden die Regierungen demokratischer Staaten durch verfassungsmäßige Regeln, politische Opposition und Normen des Kompromisses und der Zusammenarbeit eingeschränkt. Diese Faktoren verschaffen demokratischen Verbündeten einen "Vertragsvorteil" – die Fähigkeit, Konflikte durch dauerhafte Vereinbarungen zu lösen, die einen transparenten politischen Prozess durchlaufen und somit weniger anfällig für Täuschung, Bluff oder überraschende Angriffe sind.

Für die Aufrechterhaltung der inneren Stabilität einer Allianz ist es entscheidend, dass die Verpflichtungen der einzelnen Mitglieder gegenüber externen Staaten glaubwürdig sind, da andere Mitglieder diese nicht durchsetzen können. Somit ist von entscheidender Bedeutung, dass externe Akteure vertrauen, ein Staat steht zuverlässig zu seiner Allianz und wird seine Verpflichtungen im Bedarfsfall einhalten.

Verpflichtungen und Signale gelten als fundamentale Elemente einer effektiven und glaubwürdigen Allianz. Während die Verpflichtung die Entscheidung eines Staates beeinflusst, in einen Konflikt einzugreifen (in der Nato gemäß Artikel 5 des Washingtoner Vertrags), ermöglicht das Signalisieren (etwa durch Statements der Regierung) anderen Staaten eine Einschätzung dahingehend, wie glaubwürdig die Bereitschaft ist, sich gegenseitig zu unterstützen.

Die besondere Stabilität und Verlässlichkeit demokratischer Allianzen beruhen auf einem System politischer Verantwortlichkeit, das die außenpolitischen Entscheidungen demokratischer Führungskräfte einschränkt. Hierzu zählen vertikale Einschränkungen, die sich auf die Rechenschaftspflicht durch Wahlen beziehen, sowie horizontale Einschränkungen, die institutionelle Kontrollen der Exekutivgewalt betreffen.

Diese Einschränkungen ermöglichen es demokratischen Eliten, die konsistente Bereitstellung öffentlicher Güter über private Interessen zu stellen, die Normen des außenpolitischen Prozesses einzuhalten und internationale Verpflichtungen glaubwürdig einzugehen.

Beeinträchtigte Vertrauensquellen in der US-Allianzpolitik

Die beschriebenen Vertrauensquellen zwischen Demokratien sind im Falle der US-Allianzpolitik zunehmend beeinträchtigt. Eine wachsende Polarisierung wird in der politikwissenschaftlichen Forschung seit den späten 1970er Jahren festgestellt. Polarisierung beschreibt die gleichzeitige Abweichung und Annäherung von politischen Präferenzen zwischen sozialen Gruppen, insbesondere zwischen politischen Parteien.

Diese Entwicklung führte zu einer stärker ideologischen und parteipolitischen Ausrichtung der Mitglieder im Kongress. Infolgedessen haben sowohl Politiker als auch Wähler negativere Einstellungen gegenüber Andersdenkenden entwickelt, was als affektive Polarisierung bekannt ist.

Diese Dynamik hat im Kongress zu einem verstärkten parteipolitischen Konflikt geführt, der durch legislative Blockaden und eine zunehmend dysfunktionale Regierungsführung gekennzeichnet ist.2

Der Polarisierungstrend hat in den letzten Jahren auch außenpolitische Fragen erfasst. Dies hat dazu geführt, dass der Kongress weniger in der Lage ist, die Außenpolitik zu beeinflussen oder die Exekutive wirksam zu kontrollieren.

Einige Forscher argumentieren, dass die Polarisierung die Verlässlichkeit und Lernfähigkeit der US-Außenpolitik verringert und sie anfälliger für negative externe Einflüsse macht. Kritisch wird es, wenn die USA im Rahmen ihrer Allianzen Verpflichtungen eingehen und Entschlossenheit signalisieren müssen – sowohl gegenüber Verbündeten als auch Widersachern.

Wirksame Verpflichtung und Entschlossenheit erfordern jedoch, dass politische Eliten sich über nationale Sicherheitsfragen einig sind und die nötigen Mittel zur Unterstützung dieser Allianzen bereitstellen. Mit der zunehmenden innerstaatlichen Polarisierung wird jedoch angenommen, dass US-Eliten möglicherweise nicht mehr die gleiche Perspektive auf US-Allianzen teilen und Schwierigkeiten haben, einen Konsens darüber zu erzielen, wie Entschlossenheit glaubwürdig signalisiert werden kann.3

Traditionell genossen Amerikas Allianzen breite Unterstützung sowohl in der US-Öffentlichkeit als auch unter den politischen Eliten. Eingebettet in eine liberale internationale Strategie unterstützte der Kongress kontinuierlich die US-Allianzen durch ein starkes Militär, ein hohes Verteidigungsbudget und Truppenstationierungen im Ausland.

Diese Allianzen wurden als Verlängerungen der amerikanischen Diplomatie und als Rückgrat der globalen wirtschaftlichen Macht der USA angesehen.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die zunehmende Polarisierung jedoch Fragen zur Stabilität und Kontinuität der amerikanischen Außenpolitik aufgeworfen. Angesichts drängender sozial- und wirtschaftspolitischer Problemlagen wurden die Ausgaben für kostspielige Signale der Rückversicherung gegenüber Bündnispartnern zunehmend in Frage gestellt – und zwar nicht erst seit Donald Trump.

Studien zeigen einen Rückgang der parteiübergreifenden Zusammenarbeit im Kongress bei außenpolitischen Abstimmungen, was die Fähigkeit der USA zur zuverlässigen internationalen Zusammenarbeit verringert. Das politische System der USA ist jedoch institutionell auf Kompromiss und überparteiliche Zusammenarbeit ausgelegt – auch in der Außenpolitik.

So müssen internationale Verträge beispielsweise mit Zweidrittel-Mehrheit im Senat ratifiziert werden. Diese Mehrheit ist aufgrund der parteipolitischen Polarisierung bei Abkommen in der Klima-, Rüstungskontroll-, und Menschenrechtspolitik häufig nicht zu erreichen.

Eine weitere Folge des ideologischen Auseinanderdriftens der beiden Parteien ist, dass nach Regierungswechseln ein abrupter Politikwandel erfolgt. So kassierte Trump eine Vielzahl von Beschlüssen und Abkommen der Obama-Administration ein (z.B. das Pariser Klimaabkommen oder den sogenannten Iran-Deal), während Präsident Biden wiederum eine Kehrtwende gegenüber zentralen sicherheitspolitischen Beschlüssen der Trump-Administration vollzog.

Die Polarisierung schwächt somit die Fähigkeit der USA, ihre Macht effektiv zu nutzen, führt zu Volatilität in Richtung, Zielen und Instrumenten der Außenpolitik und mindert die Wirksamkeit bei der Aushandlung internationaler Abkommen. Zudem wird der Rally-around-the-flag-Effekt, der früher als Ressource zur Gewinnung innerstaatlicher Unterstützung in Krisenzeiten diente, zunehmend verkürzt und verliert an Wirkung.

Gegner der USA sehen in der innerstaatlichen Polarisierung ein Zeichen von Schwäche, was die Glaubwürdigkeit der USA, Entschlossenheit zu signalisieren, untergräbt.

Polarisierung kann außerdem vertikale und horizontale Einschränkungen politischer Eliten stören. Politische Blockaden (gridlock) ermutigen die Regierung, horizontale Einschränkungen in der Außenpolitik zu umgehen und ihre bevorzugten Politiken zu verfolgen. Statt der Aushandlung internationaler Verträge setzen Präsidenten auf sogenannte executive agreements, die nicht der Zustimmung des Kongresses bedürfen, damit jedoch weniger überparteilichen Rückhalt und Kontinuität beanspruchen können.

Politisierung von Außenpolitik kann daher die Durchsetzung extremer Präferenzen befördern, um die Kernunterstützer zufriedenzustellen, während der Konsens mit der Opposition vermieden wird.

Die US-Allianzpolitik nach den Wahlen 2024

Die US-Allianzpolitik ist insgesamt in eine Schieflage geraten. Die Verlässlichkeit der US-Führungsrolle, adäquat auf externe Herausforderungen ihrer Allianzen zu reagieren, ist eingeschränkt und in besonderem Maße von exekutiven Handlungen, taktischen Verhandlungen und hauchdünnen Mehrheiten im Kongress abhängig.

Neben der innerstaatlichen Polarisierung tragen internationale Faktoren dazu bei, die Glaubwürdigkeit der US-Allianzpolitik in Zweifel zu ziehen. Hierzu zählt der Aufstieg Chinas, der die ökonomische und militärische Dominanz der USA in Frage stellt und die Bereitschaft zu kostspieligen Signalen der Rückversicherung gegenüber Bündnispartnern sinken lässt.

Die These lautet hier, dass die entrapment-Sorgen des Hegemons umso größer werden, je geringer seine materielle Überlegenheit ist. Nicht von ungefähr speist sich die America First-Politik Trumps aus seinem Versprechen, die Interessen der (weißen) Mittelschicht zu priorisieren, und Verpflichtungen gegenüber internationalen Bündnissen und Organisationen zu kürzen oder zum materiellen Vorteil der USA auszunutzen.

In Rhetorik und Strategie unterschiedlich, aber in der Problemanalyse ähnlich, versprach bereits Barack Obama 2011, sich auf "nation-building at home" zu konzentrieren, anstelle kostspieliger internationaler Demokratieförderungspolitik.

Unbenommen der strukturellen und langfristigen Ursachen würde eine zweite Präsidentschaft Trumps sicherlich als Katalysator des Vertrauensproblems wirken. Der 45. Präsident zeigte in seiner Amtszeit eine deutliche Abneigung gegenüber multilateralen Kooperationsformen und löste eine ganze Reihe bindender internationaler Verträge auf. Trumps Diplomatie kennzeichnete zudem eine ausgeprägte Nähe zu Autokraten, während demokratische Regierungen öffentlich scharf kritisiert wurden.

Insbesondere im Kontext der Nato ließ sich Trumps transaktionales Politikverständnis erkennen. Die Beistandspflicht nach Artikel 5 wurde in Zweifel gezogen oder an höhere Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten geknüpft.

Trump signalisierte außerdem wiederholt die Sorge, dass die USA in einen eskalierenden Konflikt in Europa (gerade mit Blick auf die Ukraine) hineingezogen werden könnte (entrapment). Indem Trump die zentrale Bündnisnorm der Nato untergräbt, vergrößert er europäische Sorgen, von den USA im Ernstfall im Stich gelassen zu werden (abandonment). Dies verringert die Stabilität des Allianzsystems und könnte in Zukunft nationale Alleingänge und autonome Aufrüstungsbemühungen (im Extremfall eine nukleare Proliferationsspirale) befördern.

Im Unterschied zu Trump verspricht eine Präsidentschaft von Kamala Harris Kontinuität, etwa in der Ukraine- und Nato-Politik. Auch in der Klima-, Menschenrechts- und Rüstungskontrollpolitik dürfte es unter Harris eine größere Schnittmenge von Interessen zwischen Europa und den USA geben. Doch auch im Falle eines Wahlsiegs der Demokratischen Kandidatin würde sich der Trend der Polarisierung kaum abmildern

Harris stünde vor dem Problem, glaubwürdige Verpflichtungen gegenüber internationalen Partnern einzugehen. Die monatelange Blockade der Ukrainehilfe durch das Republikanisch dominierte Repräsentantenhaus hat die fehlende Bereitschaft zu parteiübergreifender Kooperation in zentralen Fragen der Allianzpolitik deutlich gemacht.

Die Ratifizierung internationaler Verträge durch den Senat ist angesichts knapper Mehrheitsverhältnisse ohnehin unrealistisch, zudem besteht für die Demokraten das Risiko des Mehrheitsverlusts im Senat – unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen.

Ein Hoffnungsschimmer für die europäischen Bündnispartner besteht in verbleibenden Inseln überparteilicher Zusammenarbeit. Bislang haben beide Parteien die Sanktionspolitik gegenüber Russland mitgetragen. Auch in der Entwicklungshilfepolitik und in Fragen der Truppenstationierungen in Europa stellten sich Teile der Republikaner gegen Trump.

Cover Welttrends

Vieles spricht jedoch dafür, dass die Kritik am sicherheitspolitischen Trittbrettfahren durch die europäischen Verbündeten anhalten wird. Schließlich nehmen sowohl Demokraten als auch Republikaner in seltener Einigkeit den Konflikt mit China als zentrale Herausforderung der USA wahr. Auch dies sorgt dafür, dass kostspielige sicherheitspolitische Verpflichtungen in Europa zunehmend skeptisch bewertet werden.

Die daraus resultierende Sorge, im Stich gelassen zu werden, wirkt bedrohlich, weil Europa trotz vielbeschworener "Zeitenwende" weiterhin von US-Sicherheitsgarantien in konventioneller wie auch nuklearer Hinsicht abhängig ist – und das vor dem Hintergrund einer seit Februar 2022 radikal verschlechterten Sicherheitslage.

Florian Böller (geb. 1983) ist Senior Lecturer am Heidelberg Center for American Studies, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Gordon Friedrichs (geb. 1984) ist Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg.

Der Artikel erschien zuerst in der neuesten Ausgabe von WeltTrends – Nr. 202: Die USA am Scheideweg