Das Böse steckt im System
Auch Verteidigungsminister Rumsfeld entschuldigt sich wegen der Misshandlungen irakischer Gefangener, aber das von der Bush-Regierung seit dem 11.9. etablierte Unrechtssystem bleibt unangetastet
Wie zu erwarten, sucht Verteidigungsminister Rumsfeld seinen Posten zu retten und das Pentagon zu decken, indem er sich nun als voll verantwortlich für die bekannt gewordene Folter und Demütigung von Irakern bezeichnet, gleichzeitig ist er aber noch nicht bereit, Konsequenzen für sich und andere führende Mitarbeiter des Pentagon zu ziehen. Wie ebenfalls zu erwarten, war von Rumsfeld auch nichts darüber zu hören, ob und wie die systematisch betriebene oder in Kauf genommene Verletzung von Menschenrechten durch US-Militärs und ihre Alliierten wie den Warlords oder Söldnern abgestellt wird. Die Konzentration auf die Souvenirbilder der Misshandlungen lenkt bislang noch vom Unrechtssystem ab, das die Bush-Regierung seit dem 11.9. für die "Bösen" etabliert hat.
Besonders zerknirscht sah Donald Rumsfeld nicht aus, als er sich vor dem Senatsausschuss entschuldigte, den Kongress nicht über die schon länger bekannten Misshandlungen informiert zu haben, und als er den Misshandelten und ihren Familien sein "tiefstes Bedauern" mitteilte. Er darf sich auch noch immer der Unterstützung von Präsident Bush sicher sein, auch wenn der sicherheitshalber schon ein wenig Abstand genommen hat, um Handlungsfreiheit im Wahljahr zu wahren. Seine Begründung ist allerdings nicht sehr argumentativ, aber vielleicht typisch für Bush:
Secretary Rumsfeld is a really good Secretary of Defense. Secretary Rumsfeld has served our nation well. Secretary Rumsfeld has been the Secretary during two wars. And he is -- he's an important part of my Cabinet, and he'll stay in my Cabinet.
Klar ist, dass Rumsfeld sich damit aus der schwierigen Lage herausmanövrieren will, in die das Pentagon nicht nur durch laxe Kontrolle, sondern auch durch Förderung von solchen Foltermethoden die gesamte US-Regierung gebracht hat - und das auch noch zu einem Zeitpunkt, in dem man nicht mehr gerne von den angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund spricht, sondern von der selbstlosen Befreiung der Iraker von einem Diktator, der die Menschenrechte mit Füßen getreten und Menschen in eben jenem Gefängnis gequält hat, in dem nun US-Soldaten für alle sichtbar in die Nachfolge der Hussein-Schergen getreten sind. Der Schaden ist wohl nicht mehr gut zu machen, die Glaubwürdigkeit der Bush-Regierung auf dem Tiefststand ("Saddam Hussein ist jetzt der moralische Kompass des Westens"). Dass die bekannten, für die Misshandlungen verantwortlichen Soldaten nicht einmal wirklich bestraft, sondern höchstens aus dem Militär entlassen werden, zeigt, dass man nicht nur sie schützen will, sondern auch das gesamte System.
Noch dazu machte nun auch der Direktor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Pierre Krähenbühl, darauf aufmerksam, dass es sich keineswegs um einzelne Fälle handelte, dass die Misshandlungen nicht auf Abu Ghraib beschränkt gewesen sind und vor allem dass das Pentagon schon vor über einem Jahr auf die Vorfälle hingewiesen wurde. Nach einem IKRK-Bericht wurden Gefangene nicht nur nackt in leeren und dunklen Zellen eingesperrt, sondern man hatte männliche Gefangene zur Demütigung gezwungen, Frauenunterwäsche zu tragen, es sei sogar vorkommen, dass Soldaten von Wachttürmen auf unbewaffnete Gefangene geschossen und einige getötet hätten: "Das war ein Muster und das war ein System."
Tatsächlich sagte Rumsfeld vor dem Ausschuss, dass es noch eine Menge an Fotos und Videos über die Folterungen und Misshandlungen von Gefangenen gebe:
Apparently the worst is yet to come. There are lot more pictures and many investigations underway. . . . If these are released to the public, obviously it's going to make matters worse. I looked at them last night, and they're hard to believe. Be on notice. . . . It's not a pretty picture.
Aber das ist so, als habe er damit eigentlich gar nichts zu tun, da er nun nur der wache und schonungslose Aufklärer ist. Und auch wenn Rumsfeld ansonsten der große Transformateur des Militärs ist, so ist für ihn an dem Skandal eher die Technik des Informationszeitalters als die systematische Missachtung der Menschenrechte schuld, wobei er noch wenig lügt, weil die Bilder schon im Pentagon gewesen sein müssen, wenn selbst Generalstabschef Myers - erfolgreichen - Druck auf den Sender CBS ausgeübt hatte, ihre Veröffentlichung noch zu verschieben:
We're functioning in a - with peacetime restraints, with legal requirements in a wartime situation, in the information age, where people are running around with digital cameras and taking these unbelievable photographs and then passing them off, against the law, to the media, to our surprise, when they had not even arrived in the Pentagon.
Rumsfeld will auch alles gerne so verstanden wissen, dass niemand an der Spitze der Regierung und des Pentagon davon irgendetwas wusste:
But I certainly never gave the president a briefing with the impact that one would have had you seen the photographs or the video. I mean, let there be no doubt about that. He was just as blindsided as the Congress and me and everyone else.
Auch für Generalstabschef ist eigentlich nichts wirklich schief gelaufen. Man habe stets das Notwendige zur richtigen Zeit gemacht und die bekannten Vorfälle untersucht. Aber schon die Konzentration auf die nur jetzt bekannt gewordenen Fälle, angeblich werden 35 vom Militär untersucht, weist daraufhin, dass die anderweitig auch mit Billigung von ganz oben betriebenen Verletzungen der Menschenrechte im Guantanamo-System uneingeschränkt fortgesetzt werden sollen (möglicherweise muss man aber gar nicht nur auf Terroristen schauen: For more prison abuses, go to Texas).
Misshandlungen sind durch das von der Bush-Regierung eingeführte System der Willkürjustiz angelegt
Der Zustand der Rechtlosigkeit für oft genug willkürlich Verhaftete, die irgendwann - vielleicht aber auch nicht - wieder freigelassen werden bzw. wurden, ist alleine schon Merkmal eines Unrechtsstaates, eine Praxis, die auch in Diktaturen gang und gäbe ist und die von der US-Regierung von Anfang an mit dem Status von "feindlichen Kämpfern" als Willkürjustiz geschaffen wurde. Dass Folter, wie immer "lite", von ganz oben gebilligt wurde, war ebenso bald klar, wie die Praxis, manche Gefangene in Drittländer zu bringen, um sie dort foltern zu lassen (With a little help from my friends ....). Wenn man die Menschen wie US-Präsident Bush aufteilt in die, die mit den USA gehen, und diejenigen, die gegen sie sind und sich mit dem Bösen verbinden, das man nicht nur eliminieren darf, sondern auch muss, dann ist der Krieg gegen den Terrorismus als Folge davon eine Art Ungezieferausmerzung, bei der es auch nicht schlimm ist, wenn ein paar Unschuldige in Form von "Kollateralschaden" - mit drauf gehen.
Die Behandlung der Gefangenen, so Rumsfeld, habe nicht "mit den Werten unserer Nation" übereinstimmt, sie sei "sicherlich grundsätzlich unamerikanisch". Das wird hoffentlich so sein, aber die US-Regierung und das Pentagon haben wohl bewusst vom 11.9. an akzeptiert, dass Gefangene, wie die über 1.000 Araber, die in den Tagen nach den Anschlägen festgenommen und monatelang in Isolationshaft ohne Anklage und ohne rechtlichen Beistand eingesperrt wurden, als Menschen zweiter Klasse behandelt werden (Liberty Dies by Inches).
Das Prinzip willkürlicher Festnahmen wurde auch in Afghanistan praktiziert (Die vergessenen Kriegsgefangenen). Noch vor Guantanamo (Kuba Transfer) hatten die Amerikaner ein Massaker der Kämpfer des mit den USA alliierten Warlords Dostum an Tausenden von Taliban-Kämpfern geduldet, vielleicht auch dazu beigetragen, auf jeden Fall keinerlei Interesse an dessen Aufklärung gezeigt (Das Massaker, das nicht sein darf). Ein CIA-Mitarbeiter hatte vermutlich durch seine rüde Behandlung von vermeintlichen al-Qaida-Mitgliedern in der Festung Kala-i-Dschangi eine Revolte ausgelöst, bei der er dann getötet, aber von den Amerikanern anschließend kritiklos als "Held" gefeiert wurde (USA: Im Krieg ist das Recht eingeschränkt). Dann wurden die in der Festung Befindlichen massiv bombardiert und schließlich bis auf einige Wenige, die sich in einen Tunnel retten konnten, getötet. Teilweise waren sie noch gefesselt. Hier wurde auch John Walker Lindh, der "American Taliban", festgenommen und entsprechend behandelt(Poor Boy Walker). Eine Untersuchung des ganzen Vorgangs fand nicht statt.
Die Bilder und Vorfälle aus dem Abu Ghraib-Gefängnis sind in diesem Sinne tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs, dessen Fundament eine manichäisches, in vielerlei Hinsicht höchst gefährliches Politikverständnis ist, das eine Parallelwelt der Rechtlosigkeit oder der Willkürjustiz aufgebaut hat. Die Menschen, die hier hineingeraten, sind ihrer Menschenwürde und -rechte beraubt. Sie werden ihnen ebenso willkürlich zugestanden wie aberkannt. Mit den "Bösen" kann man auch "böse" umgehen: Das haben die US-Soldaten und Söldner auf der untersten Ebene exekutiert. Fatalerweise ist diese Degradierung der Menschen, für die Rechtstaatlichkeit und selbst Kriegsrecht nicht mehr gelten, nur ein Spiegelbild der Haltung der islamistischen Terroristen, für die das Leben der Ungläubigen auch keinen Wert darstellt und für die der Krieg gegen den Westen das Opfer von Unschuldigen rechtfertigt.
Leider sieht auch die Mehrheit der Amerikaner einer aktuellen Umfrage zufolge keine Notwendigkeit für einen Rücktritt Rumsfelds aufgrund des Skandals. Erstaunliche 70 Prozent scheinen der Meinung zu sein, dass Rumsfeld weiter im Amt bleiben soll, als habe er tatsächlich keine Verantwortung. Und immer noch 48 Prozent sind der Meinung, dass Präsident Bush mit der Situation angemessen umgeht - der sich schlicht nur davon distanziert, wofür auch er einstehen müsste. Bei der "administration" ist man schon kritischer, 40 Prozent sagen, dass sie versucht habe, die Vorfälle zu vertuschen, aber 40 Prozent sind auch der Meinung, dass sie ernsthaft die Vorfälle vor ihrem Bekanntwerden untersucht habe.