Das Tempo des Lebens: Vorsichtige Annäherung an den Futurismus
Seite 7: Strafexpedition nach Florenz
- Das Tempo des Lebens: Vorsichtige Annäherung an den Futurismus
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- Futuristische Malerei
- Strafexpedition nach Florenz
- Wir machen Musik
- Kunst für 20 Cent: Urformen der Bewegung
- Befreiung des Wortes
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- Der futuristische Krieg
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Bei vielen zeitgenössischen Kritikern stieß so etwas auf Unverständnis. Die erste große Futuristenausstellung wurde am 30. April 1911 in Mailand eröffnet. Boccioni, Carrà und Russolo zeigten etwa 50 Werke. Ardengo Soffici, Anhänger des Impressionismus und einflussreicher Mitarbeiter der florentinischen Zeitschrift La Voce, unterbrach eine Reise von Paris nach Florenz, um die Ausstellung sehen zu können. Anschließend schrieb er eine vernichtende Kritik, in der von „dummer Possenspielerei“ die Rede ist und von der „albernen und hässlichen Großsprecherei von wenig skrupelhaften Herren, die die Welt trübe sehen, ohne poetisches Gefühl, mit den Augen des dickhäutigsten Schweinehändlers von Amerika“.
Nach Erscheinen seines Artikels saß Soffici abends vor einem Café in Florenz und erfreute sich an einem von einer Militärkapelle dargebotenen Opernmedley. Ein Mann trat an seinen Tisch und fragte, ob er Herr Soffici sei. Der Kritiker hatte das kaum bejaht, als er bereits ein paar heftige Ohrfeigen erhielt. Soffici ging mit seinem Spazierstock auf den Angreifer los, der allerdings zwei Helfer mitgebracht hatte. Die wilde Prügelei konnte erst von einem starken Polizeiaufgebot beendet werden. Auf der Wache erfuhr Soffici, wer die Angreifer waren: Marinetti, Boccioni und Carrà.
Tags darauf warteten die drei Futuristen am Hauptbahnhof von Florenz auf den Zug nach Mailand, als Soffici erschien. Mit dabei hatte er fast die gesamte Redaktion von La Voce. Gleich war wieder eine wüste Prügelei im Gange, wieder musste die Polizei eingreifen. Während ein Kommissar herauszufinden versuchte, wer angefangen hatte, kamen die Streithähne ins Gespräch und tauschten Visitenkarten aus. Soffici schloss sich später sogar Marinettis Bewegung an und schrieb von nun an sehr wohlwollende Artikel. Wer glaubt, Kunstgeschichte müsse immer langweilig sein, hat noch nichts vom Futurismus gehört.