Der Irak-Krieg - der Anfang vom Ende der Bush-Regierung?
Zum Jubiläum eines völkerrechtswidrigen Kriegs
Eigentlich sollte es in diesen Tagen ein Fest geben, eine glamouröse Triumphbogen-Veranstaltung der Sieger, die das einjährige Jubiläum ihres Feldzugs im Irak feiern. Doch längst beherrscht der Katzenjammer die Bush-Krieger, die sich ihres Sieges nicht wirklich erfreuen können, weil die Probleme größer denn je zuvor sind und kaum ein Tag ohne neue Anschläge vergeht. Die "Neue Weltordnung nach dem 11.September", die einige vorschnell ausriefen und in der sich Bush wohl als Zentralgestirn eines omnipotenten amerikanischen Empire sah, könnte zum historischen Intermezzo verkümmern. Wurden Bush bisher keine Denkmäler gesetzt, werden die Chancen, dass der US-Präsident diesen Krieg schließlich doch noch politisch gewinnt bzw. ihn in seiner Wiederwahl überlebt, immer geringer. Bush hat seinen Krieg gewollt und bekommen - nur eben zu Konditionen, die ihm erst die Wirklichkeit eröffnet haben.
There have been disagreements in this matter, among old and valued friends. Those differences belong to the past. All of us can now agree that the fall of the Iraqi dictator has removed a source of violence, aggression, and instability in the Middle East. It's a good thing that the demands of the United Nations were enforced, not ignored with impunity. It is a good thing that years of illicit weapons development by the dictator have come to the end. It is a good thing that the Iraqi people are now receiving aid, instead of suffering under sanctions. And it is a good thing that the men and women across the Middle East, looking to Iraq, are getting a glimpse of what life in a free country can be like.
US-Präsident Bush am 19.3.2004
Zur Genese eines geplanten Krieges
Unbeirrt verfolgte die Bush-Regierung ein Kriegsziel, das wohl schon zu Beginn der Präsidentschaft feststand. Monate vor "Nine/Eleven" erklärte die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, dass "Routineschläge" auf den Irak nicht mehr ausreichen würden, die irakischen Verletzungen der Flugverbotszonen zu ahnden (Der Baulöwe von Bagdad). Das war bereits die Kriegserklärung, lange vor der politischen Blankettermächtigung "Terror", die es so einfach machte, missliebige Regime als Terroristen bzw. Achsenmitglieder des "Bösen" zu outen.
Nach der Vergeltungsaktion in Afghanistan, die retrospektiv auch mehr als Triebabfuhr erscheint denn als eine politisch effektive Aktion, war es soweit. Bush II. wollte das im ersten Golfkrieg ausgebliebene Finale nun als Teil seiner vorgeblich kohärenten Weltsicherheitspolitik präsentieren. Bush I. hatte konkrete Gründe, eine politisch, religiös und kulturell chaotische Region unter der düsteren Machtglocke Saddam Husseins zu belassen. Die von Bush II. so betonten unerträglichen Inhumanitäten des Hussein-Regimes - Kurdenverfolgung, Terror und Folter gegenüber dem eigenen Volk - alles das konnte man in Amerika zuvor gut ertragen.
Dass die Humanität als später Rechtfertigungsgrund die offensichtliche Schwäche des primären Kriegsgrunds "Vernichtung von Massenvernichtungsmitteln" kompensieren sollte, war der Weltöffentlichkeit nur bedingt vermittelbar. Insbesondere die diplomatischen Geplänkel gegenüber dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il, der mit Atomwaffendrohungen nicht gerade sparsam umgeht und der noch nie eine Schwäche in der Unterdrückung von Menschenrechten zeigte, präsentierten einen Kriegsherren Bush, der mit zweierlei Maß hantierte. Humanität war hier auch nichts anderes als ein vordergründiges Argument politischer Opportunität.
Vor Bush befürchtete man für eine Post-Hussein-Ära eine politisch unabsehbare Destabilisierung der Region, die man nicht wegen der Menschenrechtsverletzungen riskieren wollte. Bush der Jüngere hat dieses Wissen verdrängt, vielleicht um überhaupt eine außenpolitische Agenda zu besitzen, die ihm, dem außenpolitischen Greenhorn, bei Amtsantritt ohnehin niemand wirklich zutraute. Bei der bestehenden Übermacht der amerikanischen Super-Armada war es militärisch keine Frage, wie der zweite amerikanische Golf-Krieg enden würde. Mit diesem Wissen lässt sich scheinbar leicht Politik machen, wenn man von den ungleich verschlungeneren Interessenlagen der Weltgesellschaft abstrahiert. Vom Sieg in Afghanistan zum Sieg im Irak, das erschien wie der Beginn einer gloriosen Military-Tour, die viele Stationen bis hin zu Syrien und vielleicht gar dem Iran haben könnte.
Doch die Diffusität dieses Zivilisationsrettungs-Programms wurde im Irak schnell deutlich. So sollte der irakische Herrscher vom brutalen Provinzpotentaten, der Menschenrechte mit Füßen tritt, zunächst zum propagandistisch aufgeblähten Weltbedroher, Seite an Seite mit Usama bin Ladin, avancieren. Dieser Etikettenschwindel war nur über die Fiktion der irakischen Massenvernichtungsmittel und erdichteter Beziehungen zwischen dem Autokraten Bagdads und global agierenden Terroristen möglich. Dabei waren schon nach oberflächlicher Betrachtung Husseins Gelüste auf regionalen Einfluss und die eher weltweit angelegten Terrorfantasien nicht in Einklang zu bringen. Dieses schlecht geschneiderte Globalmäntelchen der Terrorstrategie von passte nicht und wurde schnell politisch zu eng, als sich auch noch ganz Europa darunter verkriechen sollte.
Friktionen des Medienkriegs
Das Irak-Abenteuer, das wie ein simpler Reißbrettkrieg erschien, nicht viel mehr als eine Strafexpedition mit kräftigen Optionen auf den Ölreichtum des Landes, stand für die angloamerikanischen Kriegstreiber von Anfang an unter einem schlechten Stern. Die US-präsidiale Simpelpropaganda, die Vermessung des Globus in schwarz-weiße Feindbilder, versagte hier in ihrer bisher entscheidenden Bewährungsprobe gänzlich. Zwar war die amerikanische Bevölkerung propagandistisch mobilisierbar. Aber die patriotischen Begeisterungsstürme Amerikas sind bekanntlich oft sehr laut und vordergründig, regelmäßig jedoch nicht von Dauer und weichen dann schnell dem eher nüchternen Kalkül von "Ich-Patrioten".
Die größere Überraschung für die Strategen im Weißen Haus und Pentagon dürfte aber der Umstand gewesen sein, in Europa und diversen anderen Staaten nicht die Unterstützung zu finden, die mehr oder minder fest eingeplant war. Was kann es schon Europa bekümmern, wenn im Mittleren Osten ein Potentat abgestraft wird, wenn gute Geschäfte folgen und die überlegene westliche Kultur sich in einem relativ blutleeren Sieg feiern darf?
Die "Koalition der Willigen", das ebenso willkürlich konstruierte Gegenstück zur "Achse des Bösen", also jener Nationen, die sich der amerikanischen Strategie aus Gründen anschlossen, die im Einzelnen nicht so genau auf ihre politische Integrität befragt werden sollten, war Teil einer moralischen Kartografie, die dem vorgeblichen Differenzierungsniveau hochkarätiger Think-Tanks Amerikas wenig angemessen erscheint. Hier wurde nicht rationalisierbare Prämissen einer Sicherheitspolitik prätendiert und Bündnisse überstürzt projektiert, die eher zu den schlechten alten Zeiten des Kalten Kriegs passten, aber einer komplexer gewordenen Weltlage nicht Rechnung trugen.
There is no neutral ground -- no neutral ground -- in the fight between civilization and terror, because there is no neutral ground between good and evil, freedom and slavery, and life and death.
US-Präsident Bush am 19.3.2004
Was hier als Typus eines neuartigen globalen Anti-Terror-Kriegs verkauft werden sollte, war ideologisch zutiefst dem Block-Denken des Kalten Kriegs verschuldet, das noch das letzte Weltzipfelchen als geopolitisch unhintergehbare Schranke verkauft. Dass die westliche Freiheit nicht in Bagdad verteidigt wird, leuchtet inzwischen wohl selbst jenen ein, die glauben, zumindest am Hindukusch hätten westliche Soldaten einen Brückenpfeiler der Demokratie zu verteidigen.
In den Sog einer unbotmäßigen Öffentlichkeit gerieten fast alle, die sich Hals über Kopf in dieses Abenteuer hineinstürzten, das doch keines sein sollte. Tony Blairs These der 45-Minuten-Mobilisierungsgeschwindigkeit von gefährlichsten Waffenpotenzialen eines skrupellosen Feindes war nicht irgendein Fehlschlag in der Koordination geheimdienstlichen Wissens oder ein bedauerlicher Fingerfehler des Regierungschefs (Das Theater mit den Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen). Es war eine notwendige Prämisse, um den Zeitdruckterror gegenüber der UNO und Europa plausibel zu machen. Dass Blair diese kalkulierte politische Strategie, die eben nicht den britischen Geheimdiensten in die Schuhe zu schieben war, bisher überlebte, lässt erhebliche Zweifel an der Kontrollfähigkeit demokratischer Gemeinwesen wachsen.
Der Irak-Krieg musste vermeintlich nur auf dem Feld der Propaganda geschlagen werden, weil das militärische Ergebnis leicht zu antizipieren war. Doch die "Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten", die bereits vor Kriegsbeginn einsetzte, war wenig erfolgreich. In Europa zeigte sich sehr schnell das Propaganda-Desaster der überstürzten "Krieg um jeden Preis"-Politik, die immer durchschaubarer wurde, während die Bush-Regierung Uno und UN-Sicherheitsrat in unwürdiger Weise unter Druck setzte (Das Geheimherz der Lügenfabrik). Vor allem der vom britischen Premier, der bereits frühzeitig unter politischem Druck stand, "verschuldete" Umweg über den UN-Sicherheitsrat wurde für die amerikanischen Kriegsherren eine mehr als lästige Weichenstellung.
Zu keiner Zeit ist es Bush und Blair gelungen, die Kritik an ihrem völkerrechtswidrigen Krieg durch ihre Propagandamaschinen zum Verstummen zu bringen. Die Proteste der Straße in Paris, London, Berlin oder Madrid waren massiv und relativieren den Glauben an die Manipulierbarkeit der Massen mit klassischen Propagandamitteln. Selbst die amerikanische Bevölkerung und die demokratische Opposition hielten nur - wie üblich - während der heißen Phase des Kriegs in der patriotischen Wagenburg still. Inzwischen klagen die Familien von amerikanischen Irak-Kriegsopfer immer massiver die Regierung an, ihnen doch die Gründe für diesen Krieg zu nennen (Vgl. auch Ansehen der Bush-Regierung weiter gesunken). Und wie nicht anders zu erwarten war, präsentiert der demokratische Herausforderer John Kerry jetzt just die Argumente gegen diesen Krieg, die Bush zuvor empört zurückwies, als sie von diversen alteuropäischen Kollegen geäußert wurden.
Die Front der Märchenerzähler
Bush und seine Mannen waren zu keiner Zeit bereit, die Kooperationsangebote des Irak zur Kenntnis zu nehmen. Diese Öffnung des Irak erfolgte zwar ausschließlich auf Grund des Druckspiels der Alliierten, aber war deshalb nicht zwangsläufig als Täuschung zu klassifizieren, wie es Bush nicht müde wurde zu behaupten. Mit einer noch nie da gewesenen Ignoranz und Arroganz der Macht wurde die Arbeit der Uno-Waffeninspektoren abgewiesen. Beweismittel wurden fabriziert, überdramatisiert oder unterdrückt. Selbst die späteren Reparaturversuche, die unglaublich dreiste Verantwortungsverlagerung auf die Geheimdienste, haben die Öffentlichkeiten nicht überzeugt und das Image der Regierungen in Washington und London noch stärker ramponiert.
Während Bush I. seinen Irak-Krieg vor allem auch als Medienkrieg gewonnen hat und Colin Powell gerade darauf stolzer war als auf den Sieg selbst, hat Bush II. sich nicht nur einen katastrophalen Kriegfrieden im Irak eingehandelt, sondern trotz großen Aufwands die globalen Aufmerksamkeitsschlachten nicht für sich entscheiden können. Die erstmals in die US-Armee eingebetteten Journalisten förderten zwar den öffentlichkeitswirksamen Fetisch der Echtzeitberichterstattung, doch die medial verordnete Humanchirurgie des ersten Golfkriegs, die wenigstens die Kriegsphase politisch überschaubar hielt, konnte auch nicht erfolgreich wiederholt werden. Fast tragisch erscheint die gestörte Wahrnehmung dieser Regierung, einschließlich ihrer besonneneren Köpfe, ihre Märchen und Legenden vom Weltbösen, würden schließlich doch die Wahrheit und ihre dialektischen Verschlagenheiten verdrängen.
Der Freund ist die Frage unserer eigenen Gestalt
Der Irak-Krieg war politisch für alle Beteiligten, für Befürworter wie Zauderer, eine vorzügliche politische Lehre: Die Europäer konnten lernen, dass der amerikanische Hegemonialanspruch den politischen Komplexitäten einer Welt nach den Blöcken von West und Ost nicht standhält. Was hier als Scheideweg des Weltschicksals, des Schicksals der Nationen und schließlich der Zivilisation überhaupt verkauft wurde, war politisch kurzatmiges Feuerwerk. Zu lernen war, dass politische Drohungen dieser US-Regierung im Blick auf die ungetreuen Gefährten nicht allzu ernst zu nehmen sind.
Das europäische Selbstverständnis erwies sich dagegen als Fiktion und just die Schwierigkeiten eines innereuropäischen Einigungsprozesses prägten auch das Bild der außenpolitischen Position Europas zum Krieg. Gerade die uneingeschränkt solidarischen Atlantiker der CDU/CSU, die bereits den Teufel der totalen politischen Isolation an die Wand malten, wurden gründlich Lügen gestraft. Der Kriegsabstinenzler Schröder, der angeblich Jahrzehnte deutsch-amerikanischer Freundschaft aufs Spiel setzte, ist nun wieder - selbstverständlich mit mehr als einem Körnchen Salz - der Nachkriegsfreund des kriegsversehrten US-Präsidenten (Petze beim Großen Bruder und Christian Homeland Security). Bush mag eben - expressis verbis - Leute, die ihn zum Lachen bringen. Und der Kanzler gehört dazu.
And the winner is: Alteuropa! - Jene vorgeblich verbrauchte Gesinnungslandschaft, die sich Donald Rumsfeld für den rhetorischen Hausgebrauch zurechtschnitzte, um bald erkennen zu müssen wie schnell die amerikanische Überheblichkeit hier ihr Ende finden könnte. Ohnehin scheint der Machtzyniker Rumsfeld vielleicht mehr als andere Mitglieder der US-Regierung begriffen zu haben, dass die mit heißer Nadel gestrickte Anti-Terror-Agenda im Irak-Krieg ihr relatives Ende gefunden hat. Nun also beobachten wir die Ironie der Geschichte, dass der Sieger um die politische Gunst seiner abtrünnigen Verbündeten buhlen, geradewegs hausieren gehen muss, um noch weitere Gesichtsverluste zu vermeiden.
Und was ist von der Koalition der Willigen übrig geblieben? Blair ist politisch weiterhin angeschlagen. Der Ideal-Strahlemann von New Labour ist nicht mehr wiederzuerkennen. Der designierte spanische Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero hat angekündigt, die spanischen Truppen aus dem Irak abzuziehen. Und das könnte nur der erste Abtrünnige sein, wenn sich nicht bald Amerika selbst aus dem Irak verabschiedet (Bush verlor am Ebro).
Nun ist die spanische Ankündigung durchaus eine Aufmunterung für Terroristen, ihre Mittel weiterhin für probat halten zu dürfen. Hat al-Qaida nicht nur in Spanien die Wahlen gewonnen, sondern auch bereits massiven Einfluss auf die irakische Nachkriegsordnung genommen? Mit anderen Worten: Welche Zeichen gibt man Terroristen?
Diese nun allenthalben ventilierte Abwägung zwischen Härte und einer lauen Politik, wenigstens den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, dürfte zu kurz gegriffen sein. Sicher ist der Terrorismus in seiner perfiden Logik viel zu unberechenbar, als dass einsinniges Verhalten in dieser oder jener Richtung konkrete Effekte haben können. Der Irak-Krieg als Rohrkrepierer einer erträglichen Nachkriegsordnung macht deutlich: Antiterrorkampf ist mehr als das Design von Sicherheitsmaßnahmen, sondern muss mindestens ebenso langfristige, Legislaturperioden überdauernde Maßnahmen vorstellen, um die Genese des Terrors ideologisch, wirtschaftlich, sozial etc. in statu nascendi zu bekämpfen.
Final Bush-Log
Der Präsident mit den guten alten Werten eines manichäischen Ober-Pfadfinders muss nun begreifen, dass sich seine politische Landkarte nicht mit dem Terrain deckt. Geopolitik ist etwas anderes, als feindliche Regime und ihre dickschädeligen, unbelehrbaren Diktatoren in Kellerlöcher zu bomben. Gegenüber echten Gespenstern wie dem toten oder lebenden Usama bin Ladin und seinen global verstreuten Todesengeln bleiben Bomben wirkungslose Wutwaffen.
Der schwelende, schwer zu fokussierende Kriegfrieden im Irak ist eine einzige Kette von Desastern, Anschlägen, Unsicherheiten, militärischem und politischem Chaos, für das Amerika allenfalls Teillösungen bereithält. Erst der Krieg nach dem Krieg ist der wahre Krieg, der diesen Namen verdient, weil die Angst nun wieder auf allen Seiten herrscht.
September the 11th, 2001 taught a lesson I will never forget. America must confront threats before they fully materialize. In Iraq, my administration looked at the intelligence information, and we saw a threat. Members of Congress looked at the intelligence, and they saw a threat. The United Nations Security Council looked at the intelligence, and it saw a threat. I had a choice to make, either take the word of a madman, or take such threats seriously and defend America. Faced with that choice, I will defend America every time.
US-Präsident Bush am 18.3. in Fort Campbell
Bushs amerikanischer Internationalismus, seine Anti-Terror-Agenda bis an das Ende aller Tage des Bösen, funktioniert so wenig wie seine Demokratie-Bescherungspolitik, demnach alle Gesellschaften am Wesen der westlichen Demokratien zu genesen haben. Für Bushs Wahlkampf der selbst gefälligen Stilisierung als Mann, der die Erde sicherer gemacht hat, sind die Anschläge von Madrid ein politisches Desaster, geradezu der Afterburner seines unendlichen Irak-Feldzugs. "Istanbul, Moskau, Madrid - der Terrorismus, den man mit diesem Krieg stoppen wollte, ist unendlich stärker als vor einem Jahr", klagt EU-Kommissionspräsident Romano Prodi.
Wenn die Koalition der Willigen längst Geschichte ist, wird der Terror ein dämonisches Prinzip der Politik bleiben, weil es sich den klassischen Mitteln von Politik, Krieg und Diplomatie entzieht (Vgl. Der Krieg gegen den Terrorismus ist gescheitert). Diese Dämonie, die Bush - wenn auch in einem anderen Sinne - ständig konstatierte, lässt sich nicht ausrotten, sondern nur mehr oder weniger erfolgreich eindämmen.
Weder Appeasement noch Krieg, sondern solche Maßnahmen sind notwendig, die sub specie aeternitatis zwar keine umfassende Sicherheit garantieren, aber dafür auch nicht ständig an der Elle der eigenen Hybris gemessen werden müssen. Bush besaß nie eine Nachkriegslösung für den Irak, was vor allem deshalb so fatal ist, weil gegenwärtig weder die Aufrechterhaltung der Besatzung noch ein schneller Abzug probat erscheinen.
Wenn politische Konzepte fehlen, mag Hoffnung darin bestehen, die dramatis personae auszutauschen. Ein neu gewählter US-Präsident würde durch einen schnellen Abzug nicht zwangsläufig sein Gesicht verlieren. Auch die Terroristen wissen, dass nicht jeder US-Präsident ihnen die Freude äußerster Reizbarkeit beschert. "Nine/Eleven" kann, wie Madrid gezeigt hat, sich schon morgen wieder ereignen. Weltinnenpolitik heißt nach Madrid: Es ist egal, wo ich stehe und gehe, ich bin immer im Fadenkreuz. Der Feind kann nicht hinter der Grenze verortet werden, er ist nicht in Kabul oder Bagdad, sondern immer schon da und doch nirgendwo.
Wer aus diesem Wissen ein brauchbares Anti-Terror-Instrumentarium schmiedet, hat mehr für die Menschheit getan als Schlachtenlenker a la Bush. Wie immer gilt: Man darf sich nicht irre machen lassen, weder von staatlichen noch antistaatlichen Akteuren. Aber wie soll das möglich sein, wenn etwa in Londons U-Bahnhöfen Riesenplakate verkünden, verwaistes Gepäck sofort den Underground-Sheriffs zu melden. New York, Bagdad, Madrid, Istanbul, Moskau, London, Paris, Berlin - die Namen könnten austauschbar werden als Orte der Angst und Paranoia.