Deutsche Waffen für Terroristen?
Die ukrainische Regierung wird von Deutschland massiv gegen Separatisten unterstützt, doch an separatistische Kräfte in Kurdistan sollen Waffen geliefert und damit ein "Tabubruch deutscher Außenpolitik" begangen werden
Die Argumentationslinien im Westen und in Deutschland im Besonderen kommen immer tiefer durcheinander. Ein Tabubruch folgt dem nächsten, wie wir dies schon aus auf der Finanzkrise gewohnt sind (Wie ein Krisenmechanismus zum Normalzustand mutiert). Und hatte der sozialdemokratische frühere EU-Kommissar Günter Verheugen kürzlich den "fatalen Tabubruch" kritisiert, dass für die Einheit der Ukraine gegen Separatisten sogar "richtige Faschisten" unterstützt werden, folgt nun der nächste Tabubruch (Wie viele Milliarden sollen es denn für die Ukraine werden?). Die Bundeskanzlerin und die SPD-Führung wollen nun Waffen direkt in ein Kriegsgebiet liefern. Ausgestattet werden sollen damit die Kurden, die seit Jahrzehnten für einen eigenen Staat kämpfen. Es ist klar, dass die Waffen auch in die Hände der PKK gelangen werden, die sogar in Deutschland als "Terrororganisation" gilt.
Es wurde schon aufgezeigt, dass die Argumentationen des Westens im Fall Kosovo im Vergleich zum freien Anschluss der Krim an Russland nach einer Volksabstimmung kaum entgegengesetzter sein könnten. Am Fall Kosovo wurde deutlich, dass mit Nato-Bomben in einem völkerrechtswidrigen Krieg ein eigener Staat und eine Abtrennung von Ex-Jugoslawien praktisch erst herbeigebombt wurden (Heuchelei zu Krim-Unabhängigkeitsbestrebungen). Damals wurde die Büchse der Pandora definitiv geöffnet, um unter einer neuen Doktrin - mit der Vorgabe der "humanitären Intervention" - in Kriege ziehen zu können, die vom Völkerrecht nicht gedeckt sind.
Und so wird nun auch immer wieder daran erinnert, dass nun Russland diese Doktrin angesichts der humanitären Katastrophe in der Ostukraine für sich nutzen könnte, um seinerseits humanitär beim Nachbar zu intervenieren. Mit Hilfskonvois (Russland kündigt neuen Hilfskonvoi an) macht Russland deutlich, dass in der Ostukraine längst eine humanitäre Katastrophe vorliegt.
Und längst wird Russland von denen vor einer solchen Intervention gewarnt, die diese Doktrin erst geschaffen und damit einen neuen Geist aus der Flasche gelassen haben.
Humanitäre Gründe werden nun auch erneut auch im Nordirak angeführt. Die Debatte um die Vorgänge dort erinnern an die früheren Argumente zum Kosovo-Konflikt. Warben damals auch Grüne in der Koalition mit Sozial- und Christdemokraten für ein kriegerisches Eingreifen, so sind heute erneute führende Mitglieder der einstigen "Friedenspartei" dafür, mit Waffenlieferungen direkt in einen Konflikt einzugreifen.
Das Wichtigste sei jetzt, die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) zu stoppen: "Deutschland muss da helfen, wo es in Absprache mit den europäischen und amerikanischen Partnern den sinnvollsten Beitrag leisten kann" und Waffenlieferungen sollte man "nicht von vornherein ausschließen", sagte der Grünen-Chef Cem Özdemir.
Er blies damit ins Horn der Bundesregierung und des SPD-Präsidiums. Denn auch das hat sich mit Verweis auf eine "Ausnahmesituation" für deutsche Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak ausgesprochen. Allerdings stellt sich der Partei-Vize Ralf Stegner gegen den Kurs. Er erinnert in einem Interview auch daran, wie es zu der verfahrenen Lage im Irak kam, für den ein völkerrechtswidriger Angriff eine zentrale Ursache war.
Die Amerikaner haben mit ihrem angezettelten Krieg im Irak genau die staatlichen Strukturen kaputt gemacht, mit denen die Minderheiten dort heute geschützt werden könnten.
Und das zeige, wohin Waffenlieferungen in ihrer bittersten Konsequenz führen könnten:
Denn es sind einst von den USA gelieferte Waffen, mit denen die islamischen Terroristen kämpfen, und die nun wiederum mit US-Waffen bekämpft werden. Auf Waffenlieferungen liegt kein Segen. Das zeigt sich nicht nur im Irak.
Doch solche Hinweise fechten Angela Merkel und viele SPD-Genossen nicht an. Die wollen die die kurdischen Gegner der IS nun mit Waffen beliefern und eventuell auch militärische Berater schicken. Im Sommerinterview der ARD erklärte Merkel: "Da wird vor aller Augen ein Völkermord verübt!"
Die Kurden hätten den Vormarsch der radikalen Islamisten gestoppt, so Merkel. Für sie ist klar:
Sich da einfach abseits zu stellen, war für uns keine Option.
Sie verwies auch darauf, dass solche Entscheidungen nicht neu seien. Schon in der Vergangenheit habe es vergleichbare Beschlüsse von ähnlicher Tragweite gegeben, erklärte sie mit Blick auf den Kosovo oder die Entsendung deutscher Kampftruppen nach Afghanistan.
Dabei vergisst sie, dass die frühzeitige Anerkennung der Abspaltungen Sloweniens und Kroatiens durch die Bundesregierung unter ihren politischen Ziehvater Helmut Kohl den Krieg auf dem Balkan angeheizt hat.
Schon damit wird deutlich, dass die Rhetorik reine Heuchelei ist, die Ukraine vor einem Zerfall schützen und angeblich das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine gegen die Separatisten schützen zu wollen, die wiederum als Terroristen bezeichnet werden. Das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine führt zum Beispiel Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU\CSU-Bundestagsfraktion - wie auch andere Mitglieder der großen Koalition - immer wieder als Argument für die massive Unterstützung Kiews an.
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Merkel beschwört auch, dass "die territoriale Integrität und das Wohlergehen der Ukraine wesentliches Ziel der deutschen Politik" sind. Und dafür will sie gerade erneut 500 Millionen Euro locker machen, womit Deutschland unweigerlich noch stärker zur Kriegspartei wird.
Die beschriebene Art des Selbstbestimmungsrechts und der territoriale Integrität von Staaten war den gleichen Protagonisten im Fall Jugoslawien allerdings völlig egal. Und im Kosovo zogen sogar die Grünen an der Regierung mit wehenden Fahnen gegen Serbien in einen Krieg, für den es nicht mal ein UN-Mandat gab. Offenbar ist nun auch die "territoriale Integrität" des Iraks den Sozialdemokraten, Unionsparteien und Führungsmitgliedern der Grünen egal, mit der sie in der Ukraine dagegen immer wieder argumentieren.
Erneut wird mit Ausnahmesituationen, Völkermord und humanitären Katastrophen argumentiert. Doch hatte man einst die Kurden mit Waffen beliefert, als Saddam Hussein sie mit 1988 mit Giftgas angriff? Nein. Damals blickte man im Westen geflissentlich weg, schließlich führte der Irak gerade Krieg gegen den einstigen Bösewicht Iran und die Kurden galten als böse Separatisten.
Zudem war der Irak unter Hussein von den USA militärisch aufgebaut worden. "Die internationale Gemeinschaft? Scheiß auf die!", stand sogar im Spiegel über die "Empörung im Westen, so groß wie heuchlerisch" über die Giftgasangriffe zu lesen und dass die irakischen Giftgasfabriken "Made in Germany" waren.
Obwohl sogar der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag die Giftgaseinsätze später als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufte, wurden die Kurden nicht gegen Völkermörder und Kriegsverbrecher unterstützt, sondern weiter militärische und wirtschaftliche Beziehungen zum Irak gepflegt (Giftgas: Wiederkehr des Verdrängten). Das Giftgas und andere Massenvernichtungswaffen wurden erst dann als Argumentation aus der Schublade geholt, als man 15 Jahre später völkerrechtswidrig gegen den Irak in den Krieg ziehen wollte.
Plötzlich erinnerte sich Präsident Bush an die Giftgasangriffe, vergaß aber zu sagen, dass der einstige Verbündete für sie verantwortlich war (Ankündigung von Überraschungen und andere eindeutige Vieldeutigkeiten) Und bekannt ist auch, dass die Massenvernichtungswaffen, mit denen der Krieg gerechtfertigt und der Irak ins Chaos gestürzt wurde, dann aber niemals gefunden wurden.
Und so geht die Heuchelei bis heute auch in der Bundesrepublik weiter. Nun also werden die Kurden mit Waffen versorgt, weil sie als Schutzmacht gegen die Islamisten auftreten. Dass sie ganz und gar nicht für die territoriale Integrität des Landes stehen, ist nun wirklich kein Geheimnis.
Was bei der Halbinsel der Krim zum Stein des Anstoßes wurde, stört bei den Kurden im Irak nicht
Sie kämpfen seit Jahrzehnten für ihre Unabhängigkeit. Für die setzt sich auch der Kurdenpräsiden im Nordirak Masud Barzani ein. Im Interview erklärt er kürzlich. "Unabhängigkeit ist keine Sünde", allerdings sei man früher für diese Forderung im Gefängnis gelandet. "Unabhängigkeit ist das natürliche Recht einer Nation. Wer das leugnet, tut den Menschen Unrecht." Und seine Peschmerga-Milizen sollen nun Waffen erhalten.
Dabei bereitet Barzani das vor, was dem Westen auf der Krim so sauer aufgestoßen ist und ihn zu schmerzhaften Sanktionen trieb (Russland-Sanktionen lassen deutsche Wirtschaft schrumpfen) - und offenbar ist man sogar zu einer Ausweitung des kriegerischen Konflikts bereit. Auch der Parteinahme für Russland unverdächtige Gremien wie das Council on Foreign Relations kommen zum Ergebnis, dass die Hauptschuld an der Eskalation in der Ukraine-Krise beim Westen liegt (Council on Foreign Relations sieht Hauptschuld an Ukraine-Krise beim Westen).
Was bei der Halbinsel der Krim zum Stein des Anstoßes wurde, stört bei den Kurden im Irak nicht. Denn Barzani macht aus seinem Vorhaben kein Geheimnis. "Bevor wir aber die Unabhängigkeit erklären, werden wir das Volk fragen. Wir arbeiten mit dem kurdischen Parlament an einem Referendum zu dieser Frage", erklärte Barzani. Im Kosovo hatte man sogar eine einseitige Unabhängigkeitserklärung anerkannt, die nicht durch ein Referendum demokratisch legitimiert war.
Es ist zudem kein Geheimnis, dass auch die Arbeiterpartei Kurdistans PKK in ihrem Rückzugsgebiet im Nordirak über große Camps verfügt und an der Seite der Peschmerga in die Kämpfe gegen die Islamisten eingreift und entscheidend an der Rettung der Jesiden beteiligt war. Für die Unterstützung im Kampf hat sich Barzani auch ausdrücklich bei den Guerillakämpfern aus dem Nachbarland bedankt, die die gleiche Sprache sprechen (Waffen für die PKK?). Und da sind wir bei der nächsten Heuchelei. Denn Merkel beteuert, dass keine deutsche Waffen in die Hände der PKK gelangen: "Die PKK kommt in diesem Zusammenhang nicht in Frage als Empfänger von Waffen", sagte die Kanzlerin gerade im Sommerinterview.
Wer ist der terroristischere Terrorist?
Das ist purer Unfug. Und das lässt sich in der Situation gar nicht verhindern. Es wäre auch absolut kontraproduktiv, wenn die erfolgreichen PKK-Kämpfer in der Gegend nicht so ausgerüstet würden, um den Islamisten effektiver begegnen zu können. Und damit ist klar, warum der Nato-Staat Türkei sich deutlich pikiert über die politische Wende in der Bundesrepublik zeigt.
Schließlich ist die PKK, zu der über kleine Umwege nun auch deutsche Waffen gelangen werden, seit langem in Deutschland als "terroristisch" verboten und ihre Mitglieder werden verfolgt. Angemerkt sei auch, dass die PKK, anders als Barzani offiziell keinen eigenen Staat mehr anstrebt, sondern eine Selbstverwaltung innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen der Türkei eintritt.
Aber die PKK gilt nicht nur in Deutschland als Terrororganisation, sondern steht auf der EU-Terrorliste. Über die willkürliche Listung von Organisationen auf dieser Liste ist schon viel geschrieben worden (Existenzvernichtung per Willkürakt). So stehen darauf auch Organisationen und Parteien, die beispielweise in Spanien als Terroristen gelten und verboten sind, während sie sich in Frankreich legal betätigen und an Wahlen teilnehmen können (Oberstes Gericht in Spanien erweitert den Terrorismusbegriff).
2010 hatten sich auch Anwälte 2010 bemüht, die PKK wieder von der absurden Liste zu streichen. Denn die Nennung der PKK sei "auch politisch falsch", argumentierten sie. Denn damit werde "letztlich eine politische Lösung der Kurdenfrage erheblich erschwert" und sie bilde eine Grundlage für weitere Parteiverbote in der Türkei. Doch passiert ist das nicht).
Letztlich unterstützt nun also Bundesregierung eine Vereinigung, die sie gleichzeitig als terroristische Vereinigung brandmarkt. Eigentlich müsste in diesem Fall die Bundesstaatsanwaltschaft nach Paragraph 129 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung tätig werden. Der Tatbestand ist längst auch auf Organisationen anwendbar, die nur im Ausland tätig sind (Der Paragraph 129 b und die Rechtsstaatlichkeit).
Das wäre formaljuristisch ganz besonders auch deshalb der Fall, da die Bundesregierung und Merkel die IS zwar "Terrormilizen" nennen, aber sich die IS bisher nicht auf der EU-Terrorliste findet. Aus der Sicht geht also die terroristische PKK gegen die nicht-terroristische IS in einem Drittland vor.