Oberstes Gericht in Spanien erweitert den Terrorismusbegriff
Die spanische Justiz schafft eine neue Definition von Terrorismus, die nicht mehr auf der Anwendung oder Androhung von Gewalt, sondern auf der politischen Einstellung basiert
Der Oberste Gerichtshof in Madrid hat nach dem Bruch der Waffenruhe der baskischen Untergrundorganisation ETA schnell drei Jugendorganisationen als "terroristisch" definiert. Das Urteil hatten die Richter zuvor mehrfach aufgeschoben. 2005 hatte ein Madrider Sondergericht dieses Attribut noch verworfen, weil zur Definition des Terrorismus der Einsatz von "Waffen oder Sprengstoff" notwendig sei. Mit dem Urteil wird der Begriff unendlich gedehnt, dessen Definition international bisher nicht gelingt. Die Organisationen standen zwar schon seit Jahren auf der EU-Liste terroristischer Organisationen (Die Terror-Liste der EU) arbeiten aber in Frankreich legal weiter.
Terrorismus wird meist so definiert, dass mit Entführungen, Attentaten, Anschlägen oder anderen gewaltsamen Mitteln Angst und Schrecken verbreitet werden sollen, um ein politisches System zu beeinflussen. Ziel sei, darüber einen politischen Wandel herbeizuführen. Seit Jahren haben konservative Politiker versucht, den Begriff weit und weiter zu dehnen und sogar auf Globalisierungsgegner anzuwenden (EU-Präsidentschaft: Globalisierungsgegner sind Terroristen).
Was ist Terrorismus? Eine Definition des Begriffs ist schwierig. Das zeigt sich auch immer dann, wenn die Vereinten Nationen sich daran machen, den Begriff zu definieren. Das gelang ihr auch auf den Konferenzen zum Thema in den letzten Jahren nicht (Ein Jahr ohne Aufklärung). Im vergangenen Jahr stellte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan zwar eine Globale Antiterror-Strategie vor, eine Definition des Begriffs lieferte aber auch er nicht (Das Internet im Visier).
Höchste spanische Richter haben damit keine Probleme und fassen den Begriff nun sehr weit. Am Freitag sprach der Oberste Gerichtshof in Madrid sein Urteil im Revisionsverfahren gegen drei baskische Jugendorganisationen. Er erklärte Jarrai (Weitermachen), Haika (Aufstehen) und Segi (Fortführen) als "terroristisch". Der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón hatte einst in seiner Anklage ausgeführt, die Organisationen gehörten zur ETA. Die nun verurteilten 23 Jugendlichen seien "Mitglieder einer bewaffneten Bande, Organisation oder terroristischen Gruppe", urteilte das Gericht.
Das muss schon deshalb erstaunen, weil es in dem Revisionsverfahren keine neue Beweisaufnahme gab. Doch angesichts der Beweislage urteilte der Nationale Gerichtshof 2005 ganz anders, weil sich sogar das Sondergericht an die allgemein übliche Definition hielt. "Kriminelle Handlungen" müssten unter Einsatz von "Schusswaffen, Bomben, Granaten, Explosivstoffen oder ähnlichem" ausgeführt werden, um von Terrorismus zu sprechen. Doch bei den Durchsuchungen wurde nichts dergleichen gefunden. Für die angebliche "Unterordnung unter die ETA" gäbe es keine Beweise. Auch für die angebliche Steuerung der so genannten Kale Borroka (militanter Straßenkampf) durch die Organisationen oder die Angeklagten konnte ebenfalls kein Beweis erbracht werden.
Statt der geforderten Strafmaße von bis zu 112 Jahren Haft verurteilte der Nationale Gerichtshof 24 Personen (von ursprünglich 42 Angeklagten) zu Strafen zwischen 15 Tagen und vier Jahren Haft, weil sie in der Führung einer "illegitimen Organisation" betätigt hätten. Auch dieses Urteil war wohl eher der Tatsache geschuldet, dass etliche Angeklagte zum Teil bis zu vier Jahren hinter Gittern verbracht hatten, ohne ihnen eine konkrete Straftat zuschreiben zu können. Illegitim wurde die Betätigung in den Organisationen zudem erst nach dem vorläufigen Verbot durch Garzón wegen der angeblichen Unterordnung unter die ETA.
Zwar liegt die genaue Urteilsbegründung des Obersten Gerichtshof noch nicht vor, doch er kann nur auf Garzóns Anklage rekurrieren. Im Unterschied zum vorhergehenden Urteil unterscheidet der Gerichtshof nicht, oder kann nicht unterscheiden, welche Bedeutung die einzelnen Personen jeweils gehabt haben sollen. Deshalb werden nun 23 Personen (es gab einen Freispruch) nun unterschiedslos zu sechs Jahren Haft verurteilt. So wird schlicht die politische Gesinnung zur strafbaren Handlung, weil dem Konstrukt des Ermittlungsrichters gefolgt wird. Nach Garzón gehören alle Organisationen zur ETA, die ebenfalls für ein vereintes, unabhängiges und sozialistisches Baskenland eintreten. Aus dieser Haltung haben die Angeklagten nie einen Hehl gemacht.
Das Urteil geht noch weit über die schon ausgeweitete Terrorismusdefinition der EU hinaus. Auf was sich die Richter nun argumentativ stützen, darf gespannt erwartet werden. Denn der Nachweis eine Gewaltausübung ist unabdingbar nach der Definition der EU. Neben Straftaten wie Mord, Entführung, Geiselnahme, Raub oder Besitz von Waffen, sollen auch "schwere Beschädigungen an staatlichen oder öffentlichen Einrichtungen, einem Transportsystem, einer Infrastruktur" zu Terrorismus gehören, wenn "Menschenleben gefährdet oder ein beträchtlicher wirtschaftlicher Schaden hervorgerufen werden kann" (Einig bei der Definition des Terrorismus).
Dass die EU einschreiten wird, darf nicht erwartet werden, schließlich wurden die Organisationen seit Jahren auf der EU-Liste terroristischer Organisationen geführt, nur weil die Regierung unter der konservativen Volkspartei (PP) dies einst beantragte. Dass bis zum Freitag kein spanisches Gericht den Behauptungen der Regierung folgte, ändert daran nichts. Besonders sticht in der EU der unterschiedliche Umgang hervor. Alle baskischen Organisationen, die seit der Einleitung der Verbotswelle durch die PP 1998 als terroristisch verboten wurden, arbeiten in Frankreich weiter legal und unterhalten dort Büros.
Die französische Justiz verweigert auch beharrlich die Auslieferung von Mitgliedern verbotener Organisationen an Spanien, wenn es sich um französische Staatsbürger handelt. Ein politisch bestimmtes Vorgehen führt auch zu solchen Absurditäten, dass eine baskische Liste zu den Europaparlamentswahlen in Spanien verboten wurde und im französischen Baskenland legal antrat (In Spanien verboten, in Frankreich legal).
Erweiterung des Terrorismusbegriffs wird zum Präzendenzfall werden
Selbst beim spanischen Gerichtshof ist das Urteil umstritten. So fiel die Entscheidung der Richter mit drei zu zwei Stimmen äußerst knapp aus. Die Richter Joaquín Giménez García und Andrés Martínez Arrieta stellten sich gegen die Ansicht der konservativen Mehrheit. Bei dem Urteil war auch auffällig, dass der Gerichtshof die Entscheidung mehrfach mit dem Hinweis auf die "Komplexität des Falls" vertagt hatte.
Beobachter gingen davon aus, dass sich die von der PP entsandten Richter bislang schwer damit taten, dem siechenden Friedensprozess mit einem solchen Urteil den Rest zu geben, weil sie sich damit in direkten Widerspruch zur Regierung begeben hätten. Mit der ETA-Bombe zum Jahreswechsel auf den Flughafen in Madrid scheint auch die juristische Komplexität des Falls verschwunden zu sein. Die bis zum 15. Februar ausgebotene Bedenkzeit schöpfte der Gerichtshof bei weitem nun nicht mehr aus.
Es handelt sich hier um einen typischen Fall, wie der Begriff Terrorismus zur Aushöhlung elementarer Rechte verwendet wird, vor der auch Kofi Annan stets gewarnt hat. Mit der neuen Definition wurde nun auch Präjudiz für weitere Verfahren geschaffen, die noch geführt werden sollen oder schon laufen. Im ersten Massenprozess, bei dem über die ersten Verbote verhandelt wird, sah es bisher noch schlechter für eine Verurteilung aus, wie im Fall der jetzt verurteilten Jugendlichen. Da es nun aber nur noch um politische Gesinnung geht, ist nun mit der Verurteilung von mehr als 200 Personen aus etlichen Organisationen der linken Unabhängigkeitsbewegung zu rechnen.
Mit der neuen Definition könnte auch das Verfahren gegen die vor vier Jahren geschlossene baskische Tageszeitung doch noch "erfolgreich" geführt werden, obwohl hier sogar die Staatsanwaltschaft kürzlich die Einstellung forderte. Einer friedlichen Beilegung des Konflikts dient diese von der PP festgezurrte Definition auch nicht, doch daran hatte sie ohnehin nie ein Interesse. Dass das Urteil vom Verfassungsgericht kassiert wird, ist unwahrscheinlich, denn auch hier dominieren die von der PP eingesetzten Richter.
Die ebenfalls unter ihrer Regierung verbotene Partei Batasuna (Einheit) will sich trotz aller Rückschläge weiter für einen Frieden einsetzen und ging erstmals soweit, direkt von der ETA eine Waffenruhe zu fordern. Diese hat sich inzwischen zu dem Anschlag bekannt und erneut eine Waffenruhe beschlossen. Die PP eröffnet die Verbotsdebatte dagegen erneut und will nun auch die neue Kommunistische Partei der Baskischen Territorien (EHAK) verbieten lassen.