Die Freiheit von Julian Assange: Gute Nachricht in dunklen Zeiten

Julian Assange im Anflug auf den Flughafen Bangkok für die Zwischenlandung. Bild: Wikileaks

175 Jahre Gefängnis drohten. Nun kommt er frei, nach zwölf Jahren Eingesperrtsein. Wird dieser Sieg ein Dominostein, der andere kippt? Ein Kommentar.

Als ich gestern Morgen die Nachricht im Radio hörte, dass Julian Assange auf dem Weg in die Freiheit sei, kam ein Gefühl der Erleichterung und Freude auf. Das hat auch eine persönliche Note.

Treffen mit Stella Assange

Ich hatte seine Frau, die Rechtsanwältin Stella Assange, vor vier Wochen bei der Re:publica in Berlin getroffen. Sie hatte mir dort im Interview geschildert, dass es Julian Assange immer schlechter geht.

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Das ist auch kein Wunder: 23 Stunden am Tag isoliert und allein in einer zwei mal drei Meter kleinen Zelle, und das seit über fünf Jahren (insgesamt zwölf Jahre de facto Haft, wenn man die Zeit in der ecuadorianischen Botschaft mitrechnet), kaum Kontakte nach außen, ein Mini-Schlaganfall, Depressionen, steigendes Suizid-Risiko, dazu Infektionen durch den ständigen Stress der möglichen Auslieferung an die USA, wo ihm bis zu 175 Jahre hinter Gittern drohten.

Das Ehepaar Assange hat zwei Jungen, die fünf und sieben Jahre alt sind, die ihren Vater nie in Freiheit erlebt haben, sondern nur als Inhaftierten und Verfolgten – und vieles, was über ihn in der Öffentlichkeit verbreitet wurde, war abfällig.

Auch wenn Stella Assange nach außen gefasst und fokussiert wirkte über die Jahre, die Kinder werden ihre untergründige Sorge, die ständige Angst vor dem Schlimmsten, im Hintergrund gespürt haben.

Familie mit Kindern

Gestern erklärte sie, als der Deal sich abzeichnete, dass sie es ihren Söhnen noch nicht gesagt habe:

Ich mache mir auch Sorgen, weil ich das so gewohnt bin. Es könnte alles Mögliche passieren. Ich mache mir Sorgen, solange es noch nicht vollständig unterschrieben ist, aber es sieht so aus, als hätten wir es geschafft. Ich werde es wirklich glauben, wenn ich ihn vor mir habe und ihn in die Arme nehmen und umarmen kann, und dann wird es echt sein.

Die beiden Jungen selbst sind bereits in gewisser Weise zu öffentlichen Personen geworden. Man konnte sie dann und wann in Posts von Stella Assange sehen, die derart auf das Schicksal von Julian Assange hinweisen wollte, der getrennt von seiner Familie im Gefängnis sitzen musste, ohne jemals angeklagt worden zu sein.

Die Erfindung des kriminellen Journalisten

Er war letztlich ein politischer Gefangener der Vereinigten Staaten von Amerika, die Inhaftierung exekutiert vom Vereinigten Königreich, das sich wie ein Vasall verhielt: untertänig.

Es war ein unhaltbarer, empörender Zustand, eine Attacke auf den investigativen Journalismus und die Pressefreiheit. Denn Assanges einziges Verbrechen ist es gewesen, Kriegsverbrechen der USA, wie den auf Video festgehaltenen Angriff eines US-Kampfhubschraubers, der im Irak zwölf Zivilisten, darunter zwei Reporter, tötete und zwei Kinder schwer verletzte, öffentlich gemacht zu haben.

Dieser Skandal hat nun ein Ende – aber viele weitere ähnliche gehen weiter, von dem US-Journalisten Evan Gershkovich im russischen Gefängnis bis zu den Tötungen von Journalisten im Gazastreifen.

Der Tribut der Abschreckung

Für die Freiheit von Julian Assange musste jedoch ein Preis gezahlt werden. Er muss sich in einem Punkt gemäß dem US-Spionagegesetz schuldig bekennen, die Strafe wird symbolisch mit den Jahren im Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsh/London für abgegolten erklärt.

Dieser Deal mit dem US-Justizministerium wird auf den Nördlichen Marianen-Inseln abgewickelt (ein Außengebiet der USA, was nach kolonialen Wirren Ende des 19. Jahrhunderts auch mal zum Deutschen Reich zählte) – möglichst nahe der Heimat von Assange, Australien, wohin er mit seiner Familie zurückkehren kann.

Es ist der Tribut, der an einen Staat entrichtet werden musste, der sein Abschreckungspotenzial gegen Journalisten und Whistleblower (siehe Edward Snowden im Moskauer Exil), die die schmutzigen Wahrheiten von Krieg und globaler Dominanzausübung der Weltbevölkerung vor Augen führen, behalten will. Es ist zugleich ein Armutszeugnis für die Biden-Regierung in den USA, die erneut die Glaubwürdigkeit der Stärke über die Glaubwürdigkeit von Werten setzt.

Lektionen für Ungehorsame

Das, was Assange praktizierte, ist das, was investigative Journalisten tagtäglich machen. Im Gespräch sagte mir Stella Assange, dass wohl niemand einen Journalisten finden kann mit mehr Auszeichnungen als Julian Assange.

Genau das ist es gewesen, sein Mut und seine Entschlossenheit, was ihn zur Bedrohung für die US-Regierung werden ließ, wobei Ex-Präsident Donald Trump die Verfolgung startete. Der Wikileaks-Gründer traf mit seinen Enthüllungen die verletzlichen Stellen des US-Imperiums, das sich solchen Ungehorsam nicht gefallen lassen kann. Nach dem Motto: Das könnte Nachahmer inspirieren.

Seth Stern, Direktor bei der Organisation Freedom of the Press Foundation, sagte, nachdem die Nachricht von der Freilassung Assange bekannt wurde:

Der Deal hat nicht die Präzedenzwirkung eines Gerichtsurteils, aber sie wird noch jahrelang über den Köpfen von Journalisten, die über nationalen Sicherheit berichten, hängen.

Die Niederlage der USA

Es ist dieses abgeschwächte Signal, das Washington nun aussendet: In diesem Fall lassen wir Gnade vor Recht ergeben. Wobei Gnade heißt: nach zwölf "harten Jahren", wie Stella Assange sich ausdrückt, inklusive Gefängnisbedingungen, die der Ex-UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, als Folter bezeichnet, Freilassung. Und Recht das Schreddern des ersten Verfassungszusatzes und der Pressefreiheit in den USA einschließt.

Aber die gewonnene Freiheit für Assange ist auch eine Niederlage für die USA. Die Regierung musste letztlich nachgeben. Und das ist der Erfolg von unermüdlichen Bewegungen weltweit, die sich für den Journalisten und sein Recht zu publizieren einsetzten.

Über viele Jahre waren es Mahnwachen, Petitionen, Politikergespräche, Kampagnen und Aufklärungsarbeit, die den Druck auf die USA erhöhten. Die Medien haben, mit Ausnahmen, eher nicht zur Freilassung von Assange beigetragen (viele haben den Kopf eingezogen und dürftig berichtet), manche sogar durch Charakter-Blaming (als ob es um Assange als Person ginge) das Gegengeschäft betrieben.

Am Ende forderte der US-Verbündete Australien von der Biden-Regierung ein Ende der Verfolgung. Selbst Kanzler Olaf Scholz (SPD) schloss sich dem dann im März dieses Jahres an, während seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) es vorzog, weiter zu schweigen, obwohl sie auf dem "Free-Assange"-Ticket Wahlkampf betrieben hatte.

Der gefürchtete Domino-Effekt

Die gute Nachricht von gestern kommt in düsteren Zeiten. Wenn die erkämpfte Freiheit für Assange progressiven Bewegungen Mut und Kraft gibt weiterzukämpfen, dann wäre das viel wert. Nach der Devise: Erfolg kommt von Folgen.

Ungerechtigkeiten und globale Gefahren gibt es wie Sand am Meer, von den Kriegen in der Ukraine und Gaza über die globalen Eskalationen mit China bis zur Klimakrise. Für all das braucht es zivilgesellschaftliche Mobilisierungen mit langem Atem, um internationale Kooperation sowie ziviles und entschlossenes Handeln von Regierungen zu initiieren.

Die Freiheit von Assange könnte als Bestärkung wirken, dass es Sinn macht, sich unerschrocken für Werte und die Wahrheit einzusetzen. Genau dieser "Domino-Effekt" ist es ja, den die USA wie viele Regierungen fürchten und verhindern wollen. Aus ihrer Perspektive betrachtet: verständlich.