Erinnerungsschwächen von Ex-Regierungschef Rajoy
Im Prozess gegen die ehemalige katalanische Regierung und Aktivisten sprach sogar der ehemalige spanische Regierungschef nicht von Gewalt, auch die Anklage angeblicher Veruntreuung bricht zusammen
Der ehemalige spanische Regierungschef Mariano Rajoy und seine rechte Volkspartei (PP) stehen erneut in einem sehr schlechten Licht. Nachdem er am späten Mittwoch ausgesagt hatte, war am Donnerstag der baskische Regierungschef dran. Klipp und klar hatte Rajoy zuvor bestritten, dass es eine Vermittlung in der zugespitzten Phase des katalanischen Unabhängigkeitsprozesses zwischen Madrid und Barcelona gab. Rajoy wollte sich auf Nachfrage am Mittwoch in der Vernehmung nicht einmal daran erinnern, wann und wie er mit dem baskischen Regierungschef Inigo Urkullu Kontakt hatte, ob das per WhatsApp, Telefon oder wie auch immer war. "Mich haben viele Leute angerufen", wiegelte er Manier ab, die man von ihm kennt.
Dabei war stets klar, dass Urkullu und Mitglieder seiner Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) auf verschiedensten Ebenen eifrig hinter den Kulissen agiert haben, was Rajoy sogar indirekt bestätigte, als er auch den PNV-Präsidenten Andoni Ortuzar als einen der "Anrufer" identifizierte. Urkullu hatte sich auch der EU-Kommission als Vermittler im spanischen Konflikt mit den Katalanen angeboten, allerdings erfolglos. Wie gewohnt antwortete Rajoy in dieser Vernehmung vor dem Obersten Gerichtshof wieder nur ausweichend. So kennt man das schon aus dem Korruptionsprozess gegen seine PP. Darin hielt er eine Aufklärung ohnehin für "nicht sachdienlich".
Rajoy versucht, Vermittlung von Urkullu zu vertuschen
Nun wollte er offenbar keine Aufklärung darüber zulassen, welche Rolle Urkullu in den Wochen um das Referendum am 1. Oktober 2017 gespielt hat. Die Abstimmung gab es nach Aussage des ehemaligen Regierungschefs nicht, obwohl die Bilder weltweit durch das Fernsehen flimmerten, und viele Beobachter wie der Autor ihr beigewohnt haben. Zudem wurde von unabhängigen internationalen Beobachtern ein "Abstimmungsprozess" bestätigt, der anerkannt werden müsse. Die waren "geschockt" über die massive Gewalt der spanischen Sicherheitskräfte in einer "gut vorbereiteten militärähnlichen Operation" gegen friedliche Wähler. Rajoy hatte vor der Abstimmung gebetsmühlenartig angekündigt, "dass es kein Referendum geben werde", im Prozess hielt er daran fest. Das habe auch der Wahlrat am 4. Oktober erklärt, der gar nicht daran beteiligt war: "Es gab eine andere Sache", drückte sich Rajoy gewohnt "präzise" aus.
Er wies ausweichend auf "Ereignisse" hin, nahm das Wort Gewalt nicht in den Mund, sprach aber von "Mobbing". Der Verteidigung gelang aber, ihm doch noch gegen den massiven Widerstand des Vorsitzenden Richters ein Video vorzuspielen, auf dem zu sehen war, wie Sicherheitskräfte auf friedliche Wähler einprügelten. In der Aufnahme des gesamten Prozesstags sind das Video und die Reaktion von Rajoy nach einer Stunde, 35 Minuten und 48 Sekunden zu sehen. Auf die Frage einer Verteidigerin, ob er Kenntnis von diesen Bildern und Vorgängen am Referendumstag hatte, erklärt Rajoy zunächst kleinlaut: "Ich weiß nicht."
Dann aber scheint eine Antwort zu kommen, doch sie kommt dann doch nicht. "Solche Bilder habe ich im Laufe meines Lebens viele gesehen." Und da Angriff die beste Verteidigung ist, schiebt er jede Verantwortung von sich. "Die Verantwortung von politischen Führern ist es zu verhindern, dass es zu Vorgängen kommt, wie wir sie gesehen haben." Fast könnte man darin eine Selbstkritik heraushören. Doch dann legt er mit erhobenem Zeigefinger nach und schiebt die Verantwortung allein den Katalanen zu: "Wenn man den Gesetzen gefolgt wäre, hätte man solche Bilder und ähnliche nicht gesehen."
Dabei ist weder die Durchführung eines Referendums in Spanien kein Delikt, zudem ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker seit 1977 auch in Spanien anerkannt, wie im spanischen Gesetzesblatt nachzulesen ist. Das ist deshalb von Bedeutung, weil Rajoys Vize zuvor schon die Bedeutung einer solchen Veröffentlichung betont hatte. Angemerkt sei, dass eine erste Abstimmung im November 2014, die ebenfalls auf Druck der Rajoy-Regierung vom Verfassungsgericht verboten wurde, völlig friedlich ablief. Es kam zu keinen Prügelorgien, da schlicht keine 6000 Nationalpolizisten und Mitglieder der paramilitärischen Guardia Civil nach Katalonien verfrachtet worden waren.
Anders als Rajoy machte der baskische "Lehendakari" dann aber sehr genaue Angaben über die Vorgänge und zerpflückte die zentrale Aussage von Rajoy vom Vortag völlig. Der hatte erklärt: "Es gab keine Vermittler und rein gar nichts." Dabei gab es ein erstes persönliches Gespräch zwischen Rajoy und Iñigo Urkullu schon im Juli 2017. Dabei sei "ausschließlich" über die Vorgänge in Katalonien gesprochen worden. Die Zusammenkunft fand zwischen dem spanischen und baskischen Regierungschef persönlich am 19. Juli 2017 statt und habe etwa "Stunden gedauert", erklärte der Baske.
Detailreich schilderte er, dass er sich zuvor schon mit der Vizepräsidentin am Flughafen in Barcelona getroffen hatte. An dieses erste Treffen im Regierungspalast in Madrid wollte sich Rajoy aber genauso wenig erinnern, wie an die zahlreichen Kontakte danach, die Urkullu auch bezeugt hat. So hatten sich beide Politiker zum Beispiel auch am 21. September über die Vorgänge am Wirtschaftsministerium in Barcelona am Tag zuvor telefonisch ausgetauscht. Auf die Vorgänge dort stützt sich bekanntlich das gesamte Narrativ einer angeblichen Rebellion oder eines Aufruhrs, die Richter in ganz Europa allerdings nicht nachvollziehen können.
Urkullu konnte angeben, dass dieses Gespräch in einer Pause der Generaldebatte im baskischen Parlament stattfand. Der Baske erklärte darin dem Regierungschef, mit Blick auf die Stürmung von Ministerien durch die Guardia Civil, dass man in dieser Form nicht weitermachen könne. Gesucht wurde dabei Material für das geplante Referendum am 1. Oktober. Alles laufe in die falsche Richtung, erklärte der baskische Regierungschef und warnte vor einer Zuspitzung: "Ich fügte meine Beobachtung an, dass alles aus den Händen gleitet", sagte Urkullo. Er hat im weiteren Verlauf seiner Tätigkeit als Verbindungsmann und Vermittler zwischen der spanischen und katalanischen Regierung sogar genauere Anweisungen zum Vorgehen von Rajoy erhalten. Er solle "soweit es geht, so wenig wie möglich unternehmen und maximal alles absichern, was getan wird".
Es ist also alles andere als glaubwürdig, dass sich Rajoy an all das nicht erinnern kann. Allerdings ist durchsichtig, warum er sich nicht erinnern will. Schließlich hat sein Nachfolger in der Parteiführung, Pablo Casado, gerade mit Rechtsradikalen und Faschisten in Madrid eine Demonstration gegen einen Dialog der Sozialdemokraten mit der katalanischen Regierung organisiert. Und vor allem hängten sich Casado und andere daran auf, dass es eine Art Vermittlung oder einen unabhängigen Berichterstatter im Dialog geben sollte. Damit jemand bezeugen kann, was Pedro Sánchez' Sozialdemokraten mit den Katalanen verhandeln. Casado hatte daraufhin zu einer unflätigen Schimpfkanonade angesetzt und Sánchez einen "Verräter" genannt, der "Hochverrat" begehe und ein "illegitimer Präsident" sei, der gestürzt werden müsse. Die Beschimpfungen müssten demnach auch für seinen Vorgänger Rajoy angesichts dessen gelten, was Urkullu im Gericht bezeugt hat.
Urkullu habe mit seiner Vermittlung versucht, den Vorgang wieder in vernünftige Bahnen zu lenken, um zu einem "Dialog zu kommen, der zu einer stabilen Beziehung" mit den Katalanen führt. Rajoy habe ihm bestätigt, dass "sie nicht existiert". Angesichts der Vorgänge im Oktober 2017, als der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont zunächst am 10. Oktober die Unabhängigkeit erklärte, aber sofort für einen erwarteten Dialog wieder aussetzte, habe Urkullu versucht, dafür dazu zu sorgen, dass Puigdemont nicht einseitig die Republik ausruft, wie es schließlich am 27. Oktober dann doch geschah. Er habe beiden Regierungen zuvor "vier oder fünf Vorschläge" gemacht. Bei Puigdemont sei er stets auf "Dialogbereitschaft" gestoßen.
Aufklärung über den "Herzinfarkt-Tag"
Tatsächlich habe es praktisch sogar ein Vorabkommen gegeben. Demnach sollte Puigdemont nicht die Republik ausrufen, sondern Neuwahlen ansetzen und das Parlament auflösen. Damit sollte die Zwangsverwaltung Kataloniens und die Absetzung der damaligen Regionalregierung über den Verfassungsartikel 155 verhindert werden. Der Autor konnte die Vorgänge an diesem "Herzinfarkt-Tag" in Katalonien am 26. September im katalanischen Parlament miterleben, an dem Puigdemont sogar schon eine Regierungserklärung für 13 Uhr 30 angekündigt hatte. Dabei sollten die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen verkündet werden.
Urkullu hat das bestätigt, was vor eineinhalb Jahren in den Gängen des Parlaments unter der Hand schon gehandelt wurde. Schließlich hat Puigdemont am Folgetag aber doch die Republik ausgerufen, während gleichzeitig im spanischen Senat über die Zwangsverwaltung debattiert wurde. Der baskische Vermittler liefert am Donnerstag auch die Bestätigung dafür, wie es dazu kam. Auf der einen Seite habe es den starken Druck von der Straße und aus Puigdemonts Formation "Junts pel Si" (Gemeinsam für das Ja) gegeben. Auf der anderen Seite stand aber, dass Urkullu dem katalanischen Präsidenten keinerlei Garantien bieten konnte. So war nicht einmal sicher, dass mit Neuwahlen die Zwangsverwaltung verhindert würde. Urkullo sprach von seiner "Intuition", dass damit der 155 verhindert werden könne. Obwohl Rajoy zugehört habe, waren die Antworten auf die Fragen von Urkullu "nicht die, die ich mir gewünscht habe." Er habe nie eine klare Antwort zur Frage der Zwangsverwaltung erhalten.
Somit hat dieser absurde Prozess wenigstens dazu beigetragen, diese historische Situation zu klären, wenngleich Rajoy und seine ehemalige Regierung dazu nichts beigetragen haben, sondern weiter mit Nebelkerzen operieren. Im Laufe der ersten Zeugenvernehmungen in dieser Woche kam es auch zu skurrilen Szenen. So verwickelte sich Rajoys ehemalige Vizepräsidentin und Sonderbeauftragte für Katalonien in etliche Widersprüche. Soraya Sáenz de Santamaría behauptete einerseits: "Alles was nicht veröffentlich wird, hat keine Gesetzeskraft." Damit haben sie und das Gericht nun aber das Problem, dass Puigdemonts Unabhängigkeitserklärung nie im Gesetzesblatt veröffentlicht wurde und damit analog keine juristische Bedeutung hat. Trotz allem aber wurde aus Madrid deshalb die Zwangsverwaltung durchgedrückt. Auf die Frage, ob es eine Veröffentlichung gab, antwortete sie, sie wisse das nicht. "Wir haben den 155 umgesetzt, um das friedliche Zusammenleben zu wahren", wich sie auch dieser Frage aus.
Noch dramatischer waren andere Behauptungen. Anders als Zeugen, wie der ehemalige katalanische Chef der spanischen Linkspartei Podemos, will sie "Gewalt" am 20. September vor dem Wirtschaftsministerium gesehen haben. "Diese Aktivitäten sahen wir alle im Fernsehen", behauptete Sáenz de Santamaría steif und fest. Doch bisher konnte keiner der drei Ankläger Beweise dafür vorlegen. In den Vernehmungen der Angeschuldigten konnte auch keine entsprechende Bilder oder Videos gezeigt werden, um die Angaben der Angeschuldigten zu kontrastieren. Der damalige Podemos-Chef Albano Dante Fachin, der anders als die Vize-Regierungschefin am 20. September am Innenministerium war, konnte nur eine friedliche Versammlung bezeugen. Das stellten auch die Bürgermeisterin Barcelonas Ada Colau und andere Zeugen fest.
Dante Fachin bezeugte auch, dass sich schon bei seiner Ankunft am Morgen Journalisten von spanischen Fernsehsendern Antena 3 und Tele 5 auf den von der Guardia Civil davor geparkten Jeeps befanden, wovon es auch Bilder gibt. Als er später gegangen sei, seien es noch deutlich mehr gewesen. Auf die Frage der Anklage, ob er Beschädigungen sah, antwortete er: "Wenn 20 Leute mit ihren Kameras und Stativen auf meinem Patrol stünden, würde ich mir Sorgen machen."
Die an diesem 20. September beschädigten Wagen bilden das zentrale Element der spanischen Gewalt-Erfindung, wie sich aus den Vernehmungen der Angeschuldigten schon klar herausgeschält hatte. Dabei, wie noch einmal betont werden muss, ist es eine Sachbeschädigung. Die ist in Spanien nicht als Gewalt definiert, sondern nur Gewalt gegen Menschen. Für Aufruhr und Rebellion braucht es massive Gewalt, für Rebellion sogar eine "Erhebung" mit Einsatz von "Kriegswaffen" oder "Explosivstoffen". Wer für die Beschädigung der Autos verantwortlich ist, ist zudem völlig offen. Die Journalisten dürften daran maßgeblich beteiligt gewesen sein.
Interessant in ist auch die Tatsache, dass ein Verteidiger die ehemalige Vizepräsidentin bei einer Aussage erwischte, die nicht der Wahrheit entsprechen kann. Denn sie begründete die Verlegung von 6000 spanischen Einsatzkräften vor dem Referendum mit den angeblichen "gewaltsamen Vorgängen" am Wirtschaftsministerium. Dumm ist nur, worauf auch der bekannte Journalist Ernesto Ekaizer hinweist, dass der Antrag für die Schiffe, auf denen ein guter Teil untergebracht wurde, schon am Vortag gestellt wurde.
Die Zeitung Público bezichtigt die Ex-Vize sogar ganz offen "zu lügen". Denn sie hatte behauptet, nur vom Vertreter der Regionalregierung und der Presse über die Vorgänge vor dem Referendum informiert worden zu sein. Doch brachte sie in einer Antwort auf den Anwalt Xavier Melero plötzlich selbst den Geheimdienst CNI ins Spiel, dessen Chefin sie war. Und der Geheimdienstchef Félix Sánz Roldán hatte längst öffentlich auf die Frage mit "Ja" geantwortet, ob die Informationen des CNI im Vorfeld des Referendums der Regierung dienlich waren. Roldán hatte danach auch eingeräumt, dass er am Tag nach dem Referendum "viele lange Gesichter" gesehen habe, da man es "hätte besser machen können".
Ob die Ex-Vizeministerpräsidentin gelogen hat, wird wohl in Spanien nicht untersucht werden, obwohl sie sich bei Falschaussagen als Zeugin strafbar gemacht hätte.
Wegen Veruntreuung müssten Millionen angeklagt werden
Mit Spannung war noch die Vernehmung des ehemaligen Finanzministers Cristobal Montoro erwartet worden. Denn dabei ging es um die Frage, ob für das Referendum Steuergelder veruntreut wurden. Doch Montoro hatte sich in einem Interview, als er noch Finanzminister war, bereits festgelegt und eindeutig erklärt: "Ich weiß nicht, mit welchem Geld das Referendum bezahlt wurde, aber nicht mit Steuergeldern." Er musste es wissen, schließlich stand Katalonien schon seit 2015 unter Aufsicht der Zentralregierung. Seit Juli 2017 wurde die Aufsicht massiv verschärft und wöchentlich überprüft, um das Referendum auszuhebeln. Da er sich von diesen Aussagen nicht mehr distanzieren konnte, versuchte Montoro einen Spagat, um diesen Anklagepunkt nicht vollständig zum Platzen zu bringen. Denn bis auf eine Proforma-Rechnung und einige Exel-Tabellen unklarer Herkunft konnte die Anklage bisher nichts vorweisen, schon gar keine Geldflüsse.
Um diesen Anklagepunkt zu stützen und seinen Interview-Aussagen nicht zu widersprechen, machte Montoro dann ein neues Fass auf: "Wenn jemand eine öffentliche Einrichtung für einen illegalen Vorgang öffnet, ist das natürlich Veruntreuung", beteuerte er. Sogar der Vorsitzende Richter war reichlich genervt darüber, dass sich der ehemalige Finanzminister anmaßt, juristische Urteile zu fällen, die ein Gericht zu treffen hat.
Neben der Frage aber, ob es sich dabei um Veruntreuung handeln kann, ist auch die Frage, wie man die bemessen soll. Geldflüsse gab es nicht und Schulen werden üblicherweise nicht vermietet, womit auch keine Einnahmen entfallen sind. Dazu kommt noch, dass wohl keinem der 12 Angeklagten nachgewiesen werden kann, eine Schule geöffnet zu haben. Die waren allesamt von zehntausenden Menschen längst besetzt, wie Telepolis in Augenschein nehmen konnte. Wenn das Veruntreuung wäre, kann sie kaum den Angeklagten angelastet werden, sondern dem massiven zivilen Ungehorsam vieler Menschen.
So kommt auch die Bürgermeisterin Colau zu dem Schluss, dass nach der Logik der Anklage wegen dem Referendum "Millionen Menschen" angeklagt werden müssten. Obwohl sie gegen die Unabhängigkeit ist, sagte sie, war das Referendum "keines einer Institution oder einer Partei, sondern das der Menschen". Es "spalte ihr die Seele", den Präsidenten der Kulturorganisation Òmnium Cultural auf der Anklagebank und in Untersuchungshaft zu sehen. Jordi Cuixart sei "sehr beliebt, friedlich, auf Konsens und Dialog ausgerichtet".
Cuixart: Politisch Gefangener, aber kein gefangener Politiker
Der hatte sich in der Vernehmung als "politischer Gefangener und nicht als gefangener Politiker" bezeichnet, wie es in spanischen Medien üblich ist. Er ist nicht einmal ein Politiker. Er war wie Jordi Sànchez oder die ehemalige Parlamentspräsidentin Carme Forcadell nicht einmal Mitglied der Regierung. Sie waren deshalb auch nicht an deren Entscheidungen beteiligt.
Cuixart zeigte sich stolz und verteidigt den massiven zivilen Ungehorsam in Katalonien. Es gehe darum, die Politiker zu zwingen, auf die Menschen zu hören. Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit stünden über den Gesetzen und man werde sie friedlich verteidigen, wie man das Recht auf Abstimmung durch Abstimmungen durchsetzen werde.
Das Schöne an all dem sei, dass sich in "einer Ecke Europas" mehr als zwei Millionen Menschen "von unten nach oben organisieren und sich gegenseitig solidarisieren, um einen so wenig strafbaren Akt wie ein Referendum durchzuführen". Das sagte er mit Blick auf eine rassistische und unsolidarische Welle, die durch Europa schwappe: "Alle in Spanien müssten stolz sein, dass am 1. Oktober der wohl größte zivile Ungehorsam in Europa umgesetzt wurde." Man müsse stolz sein, dass so viele Menschen eine bessere Gesellschaft friedlich erschaffen wollen, sagte der, dessen Priorität es nicht mehr ist, wieder aus dem Gefängnis zu kommen, sondern die Verletzung von Grundrechten im spanischen Staat aufzuzeigen.
Der Einschätzung von Cuixart springen auch hochrangige Juristen wie der Verfassungsrechtler Joaquin Urias bei, der "keine Spur einer Rebellion, Aufruhr oder etwas ähnliches" im Prozess entdecken kann. Man werfe Leuten wie Cuixart vor, "Protestdemonstrationen organisiert zu haben, bei denen Tumulte unterstellt werden", meint der Professor aus Sevilla. Der Andalusier warnt: "Achtung, so werden Grundrechte kriminalisiert." Urias hat selbst dem Prozess beigewohnt und über die merkwürdigen Vorgänge einen Bericht verfasst, in dem er die fehlende Vorbereitung und gravierende Fehler der Ankläger beim Umgang mit Beweisen aufzeigt.
Nach dieser Prozesswoche und der Vernehmung zentraler Zeugen ist eigentlich klar, dass es auch keine Veruntreuung öffentlicher Gelder gab. Auch die deutschen Richter hatten daran schon gezweifelt, da die Unterlagen der Spanier dazu "widersprüchlich" seien. "Nach deutschem Recht" könne die "Tatverdachtsprüfung einen eher zweifelhaften Ausgang haben", schrieb das Oberlandesgericht in Schleswig im vergangenen Jahr.
Die Richter in Schleswig durften aber in diesen Tatbestand nicht genauer prüfen, da es eine Katalogstraftat nach dem Europäischen Haftbefehl ist. Deshalb hätten sie Puigdemont dafür an Spanien ausliefern müssen. Doch allein wollte man ihn hier nicht haben, weshalb alle Haftbefehle gegen die Exilanten zurückgezogen wurden.
Ex-Innenminister weiß von nichts
Reichlich war die Vernehmung des ehemaligen Innenministers am späten Donnertag, der praktisch zu kaum einer Frage vernünftige Antworten geben konnte. "Zoido weiß nichts", titelte deshalb auch die große spanische Tageszeitung El País, da Juan Ignacio Zoido allen Fragen auszuweichen versuchte. Und von dem wenigen, wovon er etwas gewusst haben will, ist einiges schlicht unter die Rubrik Fake-News abzuheften. So behauptete er, die spanischen Sicherheitskräfte hätten wegen der Untätigkeit der katalanischen Mossos d'Esquadra einschreiten müssen. Denn die hätten "praktisch kein Wahllokal" geschlossen.
Das ist schlicht Unfug. Tatsächlich haben die Mossos schon bis zum Nachmittag 221 Wahllokale geschlossen, ganz ohne jede Gewalt. Insgesamt seien es 319 gewesen und in mehr als 2000 konnte friedlich abgestimmt werden. Das spanische Innenministerium von Zoido gab die Zahl der Lokale, die mit brutaler Gewalt durch Nationalpolizei und Guardia Civil geschlossen wurden, nur mit 92 an. Die angeblich untätigen Mossos, deren Chef Trapero in einem parallelen Verfahren wegen Rebellion vor dem Nationalen Gerichtshof gezerrt wird, waren also deutlich effektiver als die spanischen Truppen.
Deren Einsatz bezeichnete Zoido als "verhältnismäßig", obwohl dabei mit verbotenen Gummigeschossen einem Menschen ein Auge ausgeschossen wurde. Für die Vize-Ministerpräsidentin gehört wohl auch dieses Video zu den "Fake-Bildern", mit denen die Unabhängigkeitsbewegung angeblich "die internationale Öffentlichkeit verwirren" will. Man fragt sich nur, warum auch Roger Torrent, das Opfer, angeklagt wird, wenn das Fake ist.
Zoido ließ dann wenigstens doch noch den Begriff "Kriegswaffen" fallen, um dem Ministerium für Staatsanwaltschaft beizuspringen. Die hätten die Mossos vor dem Referendum bestellt. Um welche Waffen es sich dabei gehandelt hat, konnte er aber nicht sagen. Die rechtsradikalen Nebenkläger der VOX-Partei fragten sogar nach Granatwerfern. Er wusste aber dann noch, dass weder die Zahl noch die Art der geforderten Waffen gerechtfertigt waren.
Es hat sich nach Angaben der katalanischen Regierung dabei um Waffen gehandelt, die Sondereinsatzkräfte der Mossos üblicherweise benutzen und die Granaten waren Gasgranaten. Der katalanische Vizepräsident Pere Aragonés erinnerte an die islamistischen Anschläge im Sommer 2017 in Barcelona und Cambrils, deren Hintergründe weiter unklar sind. Noch immer herrsche Terrorismus-Alarmstufe 4 von 5 in Katalonien sagte Aragonés und der Staat "verhindert, dass wir dieser Gefährdung begegnen können". Doch letztlich können auch diese angeblichen "Kriegswaffen" nicht für eine angebliche Rebellion herhalten. Denn, so musste Zoido zugeben, deren Ankauf wurde von der Zentralregierung abgelehnt.
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