Essen und Ideologie: Nachhaltigkeit als Terror

Club Zero

Club Zero. Bild: © Coproduction Office

Wer nichts isst, kann auch nichts Falsches essen: "Club Zero", Jessica Hausners Filmkommentar zur Weltverbesserung.

"Das ist vegan, extra für dich."

"Ist das dein Ernst? Vegan ist voll out."

"Oh ... wie ist denn die neue Lehrerin? Ist die so versiert, wie auf ihrer Website behauptet? Ich habe uns Ihren Tee bestellt. Ihr Ansatz scheint sehr gesundheitsförderlich. Und könnte dir helfen, auf dein Gewicht zu achten."

"Wieso soll ich auf mein Gewicht achten?"

Dialogauszug "Club Zero"

Essen wird in hypermodernen Gesellschaften zunehmend zum Gegenstand von Kulturkämpfen. Das Essen, unsere Essgewohnheiten, und die merkwürdige Aufmerksamkeit, die hypermoderne Wohlstandsgesellschaften nicht etwa Geschmacksfragen oder der klassischen Verfeinerung unserer Sinne zuwenden, sondern sogenannten Ernährungsthemen, wird in letzter Zeit auch Gegenstand des Autorenkinos.

Es geht bei diesem neuen Trend zu Ernährungsthemen, um die sich in einer vom Thema Essen besessenen Gesellschaft ganze Kulturkämpfe entfalten, um das Ödeste und Unsinnlichste am Essen, zu seinem "Sinn", um seine Optimierung, um Nahrungsinhaltismus, also die Bestandteile und den Nährwert einer Speise, um seinen "Nutzen".

Es geht hier allein um zweckgerichtetes Essen. Um Essen nicht als Genuss und Zivilisationsakt, sondern als Gesundheitshandlung und als Versuch, der Gesellschaft etwas Gutes zu tun.

Es geht um Selbstoptimierung

Kinoposter Club Zero
Kinoposter

Indirekt, gewissermaßen durch ein Gegenbild kritisiert wurde das gerade erst in dem wunderbaren französischen Film "La Passion de Dodin Bouffant" (international: "Pot au Feu"; deutsch: "Geliebte Köchin" vom Franzosen Tran Anh Hung).

In offen kritischer Weise tut dies nun die Österreicherin Jessica Hausner ("Hotel", "Lourdes").

Ihr neuer Film "Club Zero", der 2023 im Wettbewerb von Cannes Premiere hatte, ist ein kühl-sanfter Science-Fiction-Film und eine Satire über unser aller Essverhalten, über die Obsession moderner Gesellschaften mit Ernährung und Gesundheit, aber auch darüber hinaus.

Hausers Film zeichnet sich, wie von dieser Regisseurin zu erwarten, durch besondere formale Konsequenz aus und durch einen scharfen Blick auf die inneren Widersprüche moderner Gesellschaften. Es geht um Selbstoptimierung.

"Bewußte Ernährung = Narzissmus

Miss Novak, eine neue Lehrerin, kommt zu Beginn des Films an eine noble englische Boarding-Schule in einer nahen Zukunft. Die Kinder stammen aus reichem Haus, die Verhältnisse sind elitär und ohne materielle Probleme, die Kinder lernen inzwischen nicht mehr Latein oder Französisch, sondern das Hochchinesisch Mandarin.

Miss Novak ist allerdings für etwas anderes zuständig: Ernährungsunterricht. Sie propagiert eine neue Methode: "Conscious Eating" ("Bewusstes Essen"), also nicht nur einfachen Konsumverzicht, sondern eine radikal reduzierte Ernährung bis hin zur Null-Diät.

Sie selbst erklärt das ihren Schülern so:

Es geht um einen Selbstreinigungsprozess: wer für eine längere Zeit keinerlei Nahrung zu sich nimmt, bei dem beginnen die Zellen, nutzlosen Abfall zu entsorgen und erneuern sich selbst. Den Prozess nennt man Autophagie. Sie reinigt und stärkt unseren Körper. Und genau diesen Effekt wollen wir erreichen mit unserer bewussten Ernährung. ... Autophagie kann sogar Krankheiten heilen und es ist erwiesen, dass sie unser Leben um 10 bis 20 Jahre verlängert.

Unter der Hand wird hier auch klar: Der neuen Ernährungsweise zugrunde liegt ein großer Narzissmus. Es geht nur um das eigene Ich!

Essfanatiker und Überzeugungsroboter

Dieser Film ist eine scharfe grundsätzliche Gesellschafts-Satire, der unseren Trend zur Selbstoptimierung genauso kritisiert wie die neue Lust moderner Gesellschaften an Verzichtsszenarien.

Die Regisseurin macht sich dabei einerseits über den neuen Essens-Kitsch lustig, der über Ernährung so redet, als handle es sich um eine religiöse Handlung. So berichtet ein Protagonist von seinen Erfahrungen mit "Conscious Eating":

Ich konzentrierte mich ganz auf das, was ich gegessen habe, wie es schmeckte und wie es sich in meinem Mund anfühlte. Ja und weil ich dadurch weniger Hunger verspürte, aß ich weniger und infolgedessen konnte ich meinen Insulinbedarf senken.

Besonders sechs von Miss Novaks Schülern werden zu ihren gläubigen Anhängern und entwickeln sich schnell zu Essfanatikern und Überzeugungsrobotern, die, in Luxusklamotten und bunte Schuluniformen gekleidet, zunehmend ganz aufs Essen verzichten.

Als sie massive Folgereaktionen und Essstörungen entwickeln und krank werden, sehen sie darin gerade den Beweis, "auf dem richtigen Weg" zu sein.

Club Zero
Bild: © Coproduction Office

Lehrerin Miss Novak ist dabei sehr von sich überzeugt. Sie macht sich die Ängste und den Wunsch der Kinder zunutze, die Welt zu verändern, und mit ihren Handlungen tatsächlich etwas zu bewirken. Sie verknüpft diese pubertär gesteigerten Sehnsüchte mit ihrer Ideologie. Sie glaubt wirklich, die Jugendlichen und mit ihnen die Welt zu verbessern, ja zu retten.

Das macht Miss Novak aber nicht sympathischer, sondern gerade besonders gefährlich: Ihr Glaube trifft auf das Verlangen junger Menschen, jetzt und hier alles zu verändern, und verstärkt bei einigen von ihnen die ohnehin vorhandene Neigung, Essstörungen zu entwickeln.

Miss Novak – ist es übrigens nur ein Zufall, dass diese Frau den gleichen Namen trägt, wie die Hauptfigur des deutschen Oscar-Kandidaten "Das Lehrerzimmer"? Miss Nowak ähnelt der Figur aus dem "Lehrerzimmer", die ebenfalls eine junge Frau mit ähnlichem Aussehen ist und einem ähnlich fehlgeleiteten, übertriebenen Idealismus ist, der ziemlich nahe am Fanatismus dran ist.

Selbstgefällige, abgehobene neue Mittelklasse-Materialisten

Hausners Film hat viele Facetten. Die Regisseurin mokiert sich einerseits über den sektenhaften Charakter des modischen Ernährungregimes, über das gläubige Verhältnis, das die adoleszenten Schüler zu ihrer manipulativen, von sich selbst eingenommenen Lehrerin entwickeln, obwohl sie dies in gewisser Weise bemerken und darüber sprechen, Miss Novak habe sie fast "verhext".

Der Film thematisiert aber auch ganz grundsätzlich fehlgeleiteten Idealismus und die Arroganz von Überzeugungstätern und Weltrettern, die Andersdenkenden mit Cancel-Culture und rigider Sozialkontrolle begegnen.

Club Zero
Bild: © Coproduction Office

Es geht dabei um Glauben und neue profane Religionen unserer Gegenwart, wie um verdrängte Ängste, es geht um einen Klassenstandpunkt – "Wir sind die Elite, die Führungsschicht der Gesellschaft" –, und das Bedürfnis nach Sicherheit voraussetzt, ein Ende der Geduld mit der Langsamkeit "gewöhnlicher Menschen" und eine latente Verachtung für Toleranz, Freiheit der Andersdenkenden und demokratische Mechanismen. Von Wissenschaftlichkeit und "Wahrheit" gar nicht zu reden.

Die Regisseurin legt nahe, hier sowohl an "Fridays for Future"-Gymnasiasten wie an gutbürgerliche Kritiker der Gegner von Corona-Maßnahmen zu denken. Denn "Club Zero" ist vor allem eine Satire über das bourgoise "gute Leben", über die wohldesignten, pastellfarbenen, ökologisch korrekten und – jedenfalls aus Sicht der Filmemacherin Jessica Hausner – vollkommen leere Existenzen in den Wohlstandsgesellschaften der Gegenwart.

Weiche Neue Männer und harte Neue Frauen

Sie macht sich dabei auch über die weichen "Neuen Männer" lustig, die plötzlich anfangen, mit Küchenschürzen herumzulaufen und den Haushalt zu übernehmen. Und über ihre harten "Neuen Frauen", die plötzlich überall CEOs sind.

Daran zeigt sich: Es ist eine überspitzte Gesellschafts-Satire; kein uneingeschränkt realistisches Bild unserer Gegenwart, sondern eher eine sarkastisch-parodistische Hochrechnung auf die Zukunft.

Und es ist eine Kritik an allen in sich selbst suhlenden, selbstgefälligen, abgehobenen neue Mittelklasse-Materialisten, die sich für die besten und moralischsten Menschen der Welt halten und in näselndem Ton in diesem Film Sätze formulieren wie:

"Ich finde es sooo wichtig, unseren Kindern beizubringen, ihr Konsumverhalten zu reduzieren. Es ist nicht leicht, das Richtige zu tun."

Schweineschnitzel gegen Gurkensuppe

Zugleich enthält der Film eine beruhigende Nachricht für all jene Eltern, die gerade unter dem Nahrungsfundamentalismus ihrer Kinder leiden: Diese Kinder werden spätestens dann aufhören, Veganismus toll zu finden und werden auch nicht auf dem Biohof erzeugte Schweineschnitzel und Currywurst schätzen lernen, wenn ihre Eltern erst mal anfangen, nur noch Gurkensuppen, Grünkernreis und Tofu-Schnitzel zu servieren.

"Club Zero" zeichnet sich durch besondere formale Konsequenz aus und durch einen scharfen Blick auf die inneren Widersprüche moderner Gesellschaften.

Gelegentlich leidet "Club Zero" allerdings selbst genau an dem, was er kritisiert: Unter dem Hang zur Reduktion, zum Verzicht, zum Kontrollieren – in diesem Fall im Ästhetischen. Etwas grundsätzlich Zurückgenommenes durchzieht diesen Film.