Freie Einwanderung - ein Menschenrecht?

Seite 4: Teil 4: Grenzenloser Zugriff auf Gemeinschaftseigentum?

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Viele libertäre und andere Idealisten sind nun der Meinung, dass Bürger ähnlich organisierter Staaten wie Deutschland kein Recht hätten, den Zugang zur Gemeinschaft mit ihrem Eigentum und dessen Vorteilen zu beschränken.

Merkwürdig nur, dass die rigoros und hochmoralisch daherkommenden menschenrechtlichen, utilitaristischen und meritokratischen Argumente den meisten Befürwortern unbeschränkter Einwanderung nur noch wenig gelten, sobald es um Privateigentum geht.

Hier wird dann gerne darauf verwiesen, Privatvermögen sei ja bereits ein Resultat individueller Leistung. Doch welche individuelle Leistung haben die Kinder von Häuslebauern erbracht, oder von Personen, die von Warlords der Ottonenzeit abstammen und deren Familien seitdem mit riesigem Grundbesitz gesegnet sind?

Hamburg, Elbchaussee. Bild: AltSylt/CC BY-SA 4.0

Ist das ererbte Privatvermögen einmal groß genug, braucht es gar keine Leistung mehr, lediglich eine nicht krass inkompetente Verwaltung mit einem Zeitaufwand von wenigen Stunden im Monat, um auf Dauer erhalten zu bleiben. Zudem ist es naiv zu glauben, dass "selbst erwirtschaftete" große Vermögen, wie jenes von Bill Gates, das Einkommen von Spitzenmanagern oder von Investmentbankern in einem ethisch und sachlich vertretbaren Verhältnis zur Leistung stünden.

In allen genannten Fällen beruht die Geldschwemme auf Formen von Marktversagen. Spitzenmanager sind mächtig und vernetzt genug, ihre Gehälter weitgehend selbst zu bestimmen. Investmentbanker und -firmen nutzen die Privilegien der Banklizenz oder strukturell bevorteilte Plätze in einem Spielcasino (z.B. die Möglichkeit zum sekundengenauen Verkauf riesiger Aktien- oder Devisenmengen zwecks Ausnutzen winzigster Kursschwankungen oder Marktmacht bzw. Absprachen zum Beeinflussen von Preisen bei Wetten).

Bill Gates hat einst mit dem Erwerb von Patersons DOS-System und seinen Kontakten zu IBM den Hauptgewinn in einem globalen Markt gezogen, in dem es nur wenige Gewinner geben konnte. Der Markt für PC-Betriebssysteme (wie auch für Internet-Handelsplattformen, Suchmaschinen oder Soziale Netzwerke) hat es an sich, dass die Kunden nicht Vielfalt wünschen, sondern nutzen wollen, was schon alle anderen haben.

Zu sagen, hochentwickelte, dicht besiedelte Staaten mit viel Gemeinschaftseigentum müssten jeden willigen Einwanderer als Bürger aufnehmen, ist so, wie zu fordern, Susanne Klatten, der Hochadel, Eigenheim-Erbauer und überhaupt jeder mit Besitz müssten jeden, der das beantragt, adoptieren, mit allen Rechten auf das Vermögen. Auch da wird utilitaristisch der Nutzen über mehr Personen verteilt. Auch da wären unter den Bewerbern um die Adoption sicher Leute, die leistungsfähiger oder leistungswilliger sind als die leiblichen Kinder der Besitzenden und die mit dem Besitz Produktiveres anfangen würden. Wer das eine bejaht, kann das andere nicht verneinen.

Der Trick libertärer wie auch linker Argumente für freie Einwanderung liegt natürlich darin, dass die Existenz eines funktionierenden Staatswesens und daraus erwachsender Vorteile als Eigentum einfach ignoriert wird. Sie ist aber nicht zu ignorieren, weil vorhanden.

Die potenziellen Einwanderer wissen dies am besten. Einwanderer kommen heute bevorzugt gerade in jene Staaten, die über großes Gemeinschaftseigentum ("gute Institutionen", Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsversorgung, Sozialfürsorge, Altersversorgung, Arbeitsschutz u.v.a.m.) verfügen. Dies lässt sich an den Wanderungsbewegungen innerhalb der erweiterten EU wie auch an den primären Zielländern von Asylsuchenden ablesen.

Wenn Einwanderer sich in Staaten wie Deutschland, Niederlande, Großbritannien, der Schweiz oder Schweden niederlassen wollen, dann geht das alle an, die dort am Gemeinschaftseigentum Anteil haben. Ganz besonders aber die unmittelbaren Einwanderungsverlierer, die anders als von Mehmet Uğur vorgeschlagen (siehe Teil 1) bisher nicht entschädigt wurden und werden.

Fazit: Gemeinschaftseigentum ist erstens vorhanden, zweitens für die Teilhaber eminent wichtig und drittens vererbbar.

Warum vererbbar?

  1. Die Bereitschaft zum Beitragen zur Gemeinschaft basiert auf deren Verlässlichkeit in der Zukunft: Jeder Steuer- und Abgabenzahler geht davon aus, dass er sich zu Lebzeiten, aber darüber hinaus auf die Gemeinschaft verlassen kann und dass auch seine Kinder und Kindeskinder, gute Freunde und der kranke Cousin staatlich abgesichert sind und von Segnungen wie kommunaler Abwasserentsorgung und hochwertigen kostenlosen Schulen etc. profitieren. Sonst würde die Zahlungsmoral bei Steuern und Sozialabgaben rapide sinken, schwarz gearbeitet, privat gespart und Korruption und Klientelwirtschaft nähmen zu. Verlässlichkeit und Vererbbarkeit sind Bedingungen dafür, dass Gemeinschaftseigentum entsteht und erhalten wird.
  2. Gemeinschaftseigentum ist immer aus Leistungen einzelner oder aus Privateigentum entstanden. Es ist daher moralisch und logisch nicht zu rechtfertigen, ihm weniger Schutz (oder Vererbbarkeit) zuzugestehen als dem Privateigentum.