Friendly Fire in Kiew?

Seite 6: Schon morgens gab es erste Gerüchte über Sniper

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Scharfschützen auf Dächern habe Hilpert selbst nicht gesehen, auch nicht als sie zwischen 10 und 11 Uhr von einem Pressetermin in der deutschen Botschaft über den Maidan und angrenzende Straßen zurück zum Hotel kam. Auf dem Weg hörte sie erste Gerüchte über "Sniper", die Demonstranten vom Dach des Postgebäudes am Maidan getötet haben sollen.

Das ZDF habe nicht verschwiegen, dass Maidankämpfer bewaffnet waren, betont Hilpert. "Natürlich hatten manche Waffen. Ich habe es selbst gesehen, aber ich habe keine mit Scharfschützengewehren gesehen." Insgesamt sei es gespenstisch gewesen, wie schnell sich die Lage verändert habe. Schon am folgenden Tag sei die Polizei komplett verschwunden gewesen, kurz darauf auch Präsident Janukowitsch.

Der 20. Februar sei eine absolute Ausnahmesituation gewesen, unterstreicht Hilpert. Chaos, Angst und Schock dominierten im Hotel. In der Lobby wurden Verwundete und Sterbende notdürftig behandelt. Immer wieder durchstreiften Maidankämpfer die Flure und schauten in die Zimmer auf der Suche nach Verdächtigen. Hilpert habe sich bei einem der Kommandanten darüber beschwert.

Wann sie das Bildmaterial von den Schützen im ZDF-Zimmer das erste Mal gesehen und für den Beitrag geschnitten habe, daran kann sich Britta Hilpert nicht mehr erinnern, sagt sie. Das ZDF nutzte das brisante und exklusive Filmmaterial jedenfalls nicht, um diesen Fall weiter zu recherchieren.5

Generalstaatsanwaltschaft fragt nicht nach

Anders als noch beim BBC-Material nutzte auch die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft die TV-Bilder des ZDF nicht für ihre Ermittlungen. Die Justizbehörde stellte keine Anfrage an den Sender wegen des Filmmaterials, bestätigt ZDF-Sprecher Thomas Hagedorn auf Telepolis-Nachfrage. Die ukrainischen Ermittler luden die damals im Hotelzimmer anwesenden ZDF-Mitarbeiter auch nicht zu Zeugenaussagen vor. Besteht bei der ukrainischen Justiz kein Interesse an der Identitätsfeststellung dieser Schützen?6 Eine Telepolis-Anfrage dazu beantwortete die GPU nicht.

Dagegen sprechen zumindest Informationen Ivan Katchanovskis, der von Ermittlungen der GPU weiß, die sich sehr wohl mit dieser Schützengruppe befassten. Ein Staatsanwalt habe in Kiew eine richterliche Genehmigung beantragt, um die Handy-Daten eines der Gruppenmitglieder zurückzuverfolgen, nachdem die GPU durch Datenabgleich ein Mobiltelefon identifizieren und dieser Gruppe zuordnen konnte. Dies alles war in einer öffentlichen Datenbank von Gerichtsentscheidungen nachzulesen, so Katchanovski.7 Die Gruppe wird von der GPU, so stand dort zu lesen, als Mordverdächtige sowohl im Fall von Polizisten als auch von Demonstranten eingestuft. Offizielle Folgen scheint dies bislang nicht gehabt zu haben. Angeklagt sind weiter nur Berkut-Leute.