Hebräischer Humanismus

Seite 4: „Abendländisch-jüdische“ Allianz und Hetze gegen den Islam

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Wie brennend aktuell und folgenreich wäre nun ein Ernstnehmen jener Nächstenliebe, die das Christentum vom Judentum übernommen hat und die von R. Verleger in den Mittelpunkt gerückt wird! Man denke – ganz in der Nähe in Deutschland – allein an die medizinische Versorgung und alle anderen Menschenrechte jener Migranten, die der Staat auf schändlichste Weise mit dem Adjektiv „illegal“ versieht. Hier hätten wir einen wunderbaren Ansatz für eine „jüdisch-christliche Kultur“ (abseits von gegenseitiger Beweihräucherung in exquisiten Dialogzirkeln oder gemeinsamer Feindbildpflege). Denn das kann man mit wirklich uneingeschränkter Gewissheit sagen, dass jede Missachtung und Ungleichbehandlung eines Migranten (unabhängig davon, welchen Status ihm die vom Staat gemachten Gesetze zuweisen) mit Judentum und Christentum in striktester Weise unvereinbar sind. Für beide Religionen ist gerade dies der maßgebliche Prüfstein ihres Befreiungsbekenntnisses bzw. (christlicherseits) des Endgerichts (vgl. 3 Mose Kap. 19,33f; Matthäus-Evangelium Kap. 25,35).

Nachdrücklich verweist Verleger (S. 92) auf Ignatz Bubis, der in den 1990er Jahren „in bewundernswerter Weise gegen den Fremdhass“ agiert hat (und zwar in einer Weise, dass man meinen konnte, „er sei auch der Vorsitzende des Zentralrats der Türken in Deutschland gewesen“). Indessen gibt es, wie Verleger beklagt, heute auch ganz andere Stimmen (S. 93):

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Der prominente jüdische Schriftsteller Ralph Giordano wirbt … dagegen, dass in Köln und anderswo Moscheen gebaut werden. Dabei verwendet er Argumente, die ich nicht von den primitiven Parolen und gelehrten Ausführungen unterscheiden kann, mit denen vor hundert Jahren die Deutschnationalen die Juden aus Deutschland weghaben wollten, aufgrund derer dann die Nazis die Münchener Synagoge bereits im Frühjahr 1938 mit offizieller behördlicher Verfügung abreißen ließen …

Wand-Graffiti von sog. „autonomen“ Neonazis in Schmallenberg, Sauerland – solche Landschaftsveränderungen durch extrem militante Faschisten bleiben wochenlang sichtbar. Foto: P. Bürger, Mai 2008

Nicht von Verleger berücksichtigt wird das – seit 2007 auch mit Steuergeldern günstig verbreitete – Buch „Hurra, wir kapitulieren“ des Publizisten Henryk M. Broder, für den Islam und Islamismus wie „Alkohol und Alkoholismus“ zusammengehören.9 Schleierhaft bleibt, nach welchen Kriterien die staatliche Bundeszentrale für politische Bildung sich für die Einstellung dieser Schrift in ihr Sortiment entschieden hat, da diese ja kein Sachbuch ist, sondern eine durchgehende Hetzpolemik, ohne eine einzige Fußnote, ohne eine einzige Lösungsperspektive zu den aufgeworfenen Fragen, voll gestopft mit markigen Sprüchen gegen Muslime, Linke, Pazifisten, humanistische Gutmenschen etc. etc. und ziemlich unverhohlen als Begleitmusik zur seit Jahren betriebenen Propagierung eines Krieges gegen den Iran angelegt (ohne freilich die z.T. auf einer Falschübersetzung basierende These eines MASSENMÖRDERISCHEN Judenhasses im Iran seriös belegen zu können). Seit wann ist es Aufgabe der an das Grundgesetz gebundenen Bundeszentrale, effekthascherische Texte zur Störung des gesellschaftlichen Zusammenlebens von Menschen aus verschiedenen Kulturen zu verbreiten?

Während Rolf Verleger den lieben Dialogchristen keinen Deut entgegenkommt und die historische Kirchenwirklichkeit von einem konsequent jüdischen Standpunkt aus bewertet, ermuntern die religiös weniger ambitionierten Autoren Giordano und Broder die populistischen „Christen“ eifrig zum Kulturkampf. Dafür gibt es Beifall der rechten Jungen Freiheit: Kippa und Kruzifix gegen Kopftuch. Offenkundige Zielgruppe der Broder-Lektüre: deutsche bzw. christliche „Eingeborenen-Familien“ (sic!). Aber gerade um die religiöse Freundschaft der jüdischen und christlichen Geschwister ist es ja derzeit alles andere als gut bestellt. 2008 muss man sich, wenn man wie der Verfasser Katholik ist, bis in den Grund schämen: Ausgerechnet ein deutscher Papst eröffnet den antijüdischen Traditionalisten wieder einen Weg zum Gebrauch der unseligen tridentinischen Karfreitagsfürbitte und revidiert die Theologie des II. Vatikanums.10 Aber auch ein solcher Super-Gau ist heutzutage im Medienkonzert nur noch eine Eintagsfliege.

Noch in diesem Herbst werden rechtsradikale Kreise an Giordanos Wohnort Köln versuchen, die Massenbasis für ihre Ausländerhetze im Rheinland zu verbreitern. Giordano und Broder bekommen viel Beifall von Rechtsaußen. Selbst wenn es ihnen endlich gelänge, sich glaubwürdig von vielleicht unerwünschten Fans zu distanzieren, so müssten sie doch Verantwortung für ihre eigene Rhetorik übernehmen. Man kann ein, zwei Mal ohne eigenes Verschulden in einer falschen Ecke und in einem fragwürdigen Medium stehen, aber nicht dauerhaft.

Das islamophobe Pro-Abendland-Spektrum holt schon jetzt die Faschisten in den schützenden Raum so genannter Bürgerbündnisse. Die Gruppe „Nationale Sozialisten für Israel“ verbreitet auf ihrer Internetseite eine „rassische“ – völkische – Umdeutung des Judentums durch Neonazis und gleichzeitig die Vorstellung einer gegen den Islam gerichteten „jüdisch-abendländischen Allianz“. Wäre es nun nicht an der Zeit, endlich Abstand zu nehmen von der Propagierung einer „political incorrectness“?