Jacqueline Bisset und das Ende einer Männerfreundschaft

Seite 4: Film als Tagebuch

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Zu den Ansichten der beteiligten Frauen konnte ich leider nichts finden, das über das rein Anekdotische hinausgehen würde. Aus einigen der Drehzeit-Beziehungen wurden später enge Freundschaften, mit Jeanne Moreau beispielsweise, mit Alexandra Stewart (Tracey in La nuit américaine) oder mit Françoise Dorléac, der Hauptdarstellerin von Die süße Haut. Als Françoise im Juni 1967 bei einem Unfall starb war das für Truffaut ein Schock, an dem er fast zerbrochen wäre. Er geriet er in eine veritable Seelenkrise, verschlimmert durch Catherine Deneuve.

Deneuve war Truffauts neue Liebe und nicht bereit, die bei La sirène du Mississippi (Die falsche Braut) begonnene "Love Story" in eine feste Bindung zu verwandeln wie von ihm erhofft. Auf Anraten von Jeanne Moreau bekämpfte er seine Depressionen mit einer Schlafkur wie der Held von La sirène. Jean-Paul Belmondo findet durch die Kur zurück ins Leben, nachdem ihm Catherine Deneuve als falsche Braut das Herz gebrochen hat und mit seinem Geld verschwunden ist. Als Truffaut wieder aufwachte stabilisierte er sich durch die Arbeit an einem neuen Filmprojekt: Les deux anglaises et le continent, nach der Vorlage von Henri-Pierre Roché.

Film als Tagebuch (9 Bilder)

La sirène du Mississippi

Typisch, sagten seine Kritiker. Weil ihm nichts mehr einfällt verfilmt er den Roman eines Autors, mit dem er schon einmal sehr erfolgreich war (Jules et Jim). Ganz so einfach war das aber nicht. Dr. Nelson würde bestimmt auf die Idee kommen, dass Truffauts neues Projekt etwas mit dem Tod von Françoise Dorléac zu tun hatte. Sie und Catherine Deneuve waren Schwestern. In Les deux anglaises reist ein junger Franzose (Jean-Pierre Léaud, wer sonst?) nach Großbritannien. Dort verliebt er sich in zwei Schwestern, nacheinander oder vielleicht zur selben Zeit.

Die erste stirbt. Die zweite verbringt eine Liebesnacht mit dem Helden, weist seinen Antrag aber zurück und heiratet einen anderen. Truffaut sagte von Godard, dass er mit seinen Filmen Tagebuch über sein Leben führe. Er sprach da auch von sich selbst. Man merkt es nur nicht gleich. Über seine Beziehung mit Anna Karina drehte Godard sechs Filme mit Karina in der Hauptrolle und dann noch einen, Le mépris, in dem Michel Piccoli Godard und Brigitte Bardot Anna Karina spielt. Truffaut war für so etwas ein zu privater Mensch. Er verstreute lieber Hinweise, kleine autobiographische Details, die man leicht übersehen (oder überhören) kann, die aber überall zu finden sind, wenn man erst das Prinzip verstanden hat.

La sirène und Les deux anglaises sind zwei seiner persönlichsten Werke und zeugen auf eine zugleich zurückgenommene und sehr eindringliche Weise von der inneren Aufgewühltheit ihres Schöpfers. Sie wurden nur nicht so wahrgenommen. Beide Filme erzählen die Geschichte einer ziemlich wilden, mitunter alle Bremsen lösenden Amour fou. Wenn ich eine Spekulation wagen sollte würde ich sagen, dass sie seine größten Misserfolge wurden, weil der Plot von heftigen und unkonventionellen Leidenschaften der Hauptfiguren vorangetrieben wird, die nicht zu seinem Image passten. Vielleicht verrieten sie mehr über ihn, als die Leute wissen wollten.

Je vous présente Paméla

Als Truffaut in den Victorine-Studios in Nizza am Schnitt von Les deux anglaises arbeitete standen da noch die Kulissen von The Madwoman of Chaillot, einer Hollywood-Produktion von 1968 (mit Katherine Hepburn als der gar nicht so verrückten alten Dame). Mit diesen Kulissen als Ausgangspunkt entwarf er die Handlung für einen Film über das Entstehen eines Films, vom ersten bis zum letzten Drehtag und mit allerlei Irrungen und Wirrungen rund um die Produktion. "Ich werde nicht die ganze Wahrheit über die Dreharbeiten erzählen", kündigte er an, "aber wahre Begebenheiten, die mir oder anderen beim Drehen zugestoßen sind."

Das Drehbuch schrieb er zusammen mit Suzanne Schiffman und Jean-Louis Richard, mit dem er bereits bei Die süße Haut, Fahrenheit 451 und Die Braut trug schwarz zusammengearbeitet hatte. Suzanne Schiffman hatte in den späten 1950ern als Scriptgirl bei Truffaut, Godard und Rivette angefangen und war dann zu Truffauts engster Mitarbeiterin geworden, seiner "Assistentin für alles". Bei La nuit américaine wird sie erstmals als Co-Autorin genannt. Die Rolle der Joëlle, mit der für Nathalie Baye eine große Filmkarriere begann, ist nach ihrem Vorbild gestaltet.

Je vous présente Paméla (13 Bilder)

La nuit américaine

Der Titel, Die amerikanische Nacht, bezieht sich auf ein Verfahren, bei dem man mit Hilfe eines Filters und einer unterbelichteten Kamera am Tag Nachtszenen dreht. Er verweist also darauf, dass im Film nichts ist wie es scheint, dass die Realität manipuliert und mit Tricks gearbeitet wird, um uns vorzugaukeln, dass wir einen Ausschnitt der Wirklichkeit sehen. Zu intellektuell, hieß es bei der United Artists, wo Truffaut zuerst mit dem Projekt vorstellig wurde. Das Konzept vom Film im Film sei für ein größeres Publikum viel zu verwirrend. Anders gesagt: Die Leute waren zu dumm für so etwas. Die Publikumsverachtung der Studiobosse ist so alt wie das Kino selbst.

Die Warner Bros. sprang schließlich ein, weil deren Büros in Paris und London von Truffaut-Fans geleitet wurden. Dabei dürfte geholfen haben, dass Truffaut sehr auf Einfachheit bedacht war. Da er nur ein paar Szenen aus dem Film im Film zeigen konnte sollte es eine Geschichte sein, der das verwirrungsgeneigte Publikum auch in Fragmenten jederzeit folgen konnte: Ein junger Mann (Léaud) heiratet die Engländerin Pamela (Bisset). Er kommt mit ihr nach Frankreich, um sie seinen Eltern (Valentina Cortese und Jean-Pierre Aumont) vorzustellen. Pamela und der Vater des jungen Mannes verlieben sich ineinander und brennen durch. Das Melodram endet tragisch.

Damit man sich nicht zu viele Namen merken muss heißen der junge Mann und seine Eltern wie die Darsteller: Alphonse, Séverine und Alexandre. Der Titel des Films ist "Meine Ehefrau Pamela", jedenfalls in der deutschen Fassung. Das Original ist treffender: "Je vous présente Paméla". In der im Deutschen üblichen Höflichkeitsform wäre das mit "Darf ich Ihnen [oder euch] Pamela vorstellen" zu übersetzen. In der Tat wird dauernd jemand vorgestellt. Der erste ist Alexandre. Er wird vom Produzenten dem Reporter zugeführt, damit der mit den Interviews für die Fernsehsendung beginnen kann.

Alexandre erzählt die "Pamela"-Geschichte aus der Perspektive der Figur, die er darin spielt. Dann kommt Alphonse und tut dasselbe; er erzählt die Geschichte aus Sicht des Sohnes. Julie Baker, der Hollywood-Star, wird noch erwartet. Bei ihrem Eintreffen am Flughafen von Nizza schleppt man sie gleich zu einer Pressekonferenz, wo sie die Geschichte aus der Perspektive von Pamela erzählt. Die Schauspieler werden uns als Egozentriker präsentiert, die sich bei einem Film in erster Linie für die eigene Rolle interessieren, dafür, wie viele Szenen und Großaufnahmen sie haben.

Außerdem wird uns die Handlung des Films im Film in drei verschiedenen Varianten erzählt. Es sind drei und nicht zwei oder viereinhalb, weil sich Truffaut über die Hollywood-Regel von der dreifachen Informationsvergabe lustig macht. Wichtiges wird dreimal mitgeteilt, weil man sich den Zuschauer, dieser ehernen Regel nach, als einen eher dummen Menschen vorzustellen hat, dem man alles dreimal sagen muss, bis er es verstanden hat. Damit es nicht so auffällt sollte man die Information leicht variieren. Der Zuschauer könnte sich sonst darüber ärgern, dass man ihn für einen Einfaltspinsel hält.

Film als Reise

Zurück zum Anfang. Einen der Versuche, die mit der Ohrfeige endende Kranfahrt richtig hinzukriegen, beobachtet die Kamera von oben, aus der Vogelperspektive. Wir sehen den Platz mit den Chaillot-Kulissen, Komparsen, Techniker, die Kamera auf dem Kran, den Eingang zur Métro, aus dem gleich wieder Alphonse kommen wird, am Rand den Produzenten, der den Drehplan bespricht. Joëlle schlägt die Klappe und läuft schnell aus der Einstellung, dann geht das Gewusel wieder los.

Der Bus fährt um den Platz (ob dieses Mal das Timing stimmt?), die Komparsen setzen sich in Bewegung, die Kamera hinter der Kamera zeigt uns durch einen Schwenk, dass die Häuser um den Platz nur Fassadenwände sind und Georges Delerues Trompeten stimmen einen barocken Jubelchoral an, weil Truffaut da die reine Lebensfreude inszeniert und zugleich eine Welt, die dem Regisseur Ferrand noch Albträume bereiten wird - drei Albträume werden es natürlich sein, weil es hier um die Welt als Film geht, und um das Filmemachen als die beste aller Lebensformen.

Film als Reise (13 Bilder)

La nuit américaine

Es kann schon sein, dass ich nur Geschichten erzähle, will Truffaut damit sagen, und künstlich ist es selbstverständlich auch. Aber seht her, wie kompliziert das ist und wie großartig, wenn es endlich losgeht und wenn die vielen kleinen Rädchen ineinander greifen, ohne die man solche Geschichten nicht erzählen kann. Und der Mann, der in diesem Durcheinander den Überblick bewahren, der aus vielen unterschiedlichen Perspektiven eine künstlerische Einheit formen muss, das ist der Regisseur. Je vous présente François Truffaut.

Mit den Allmachtsphantasien eines Diktators auf dem Regiestuhl hat das nichts zu tun. Darum sehen wir Ferrand kurz danach als einen Gehetzten über den Platz der Irren von Chaillot eilen. Truffaut verwendete gern Reisemetaphern, um das Filmemachen zu beschreiben. Bei Ferrand ist das nicht anders. Das Drehen eines Films, sagt er im Off-Kommentar, sei wie eine Fahrt mit der Postkutsche durch den Wilden Westen. Anfangs hoffe man auf eine schöne Reise und dann frage man sich sehr bald, ob man je das Ziel erreichen werde. Prompt wird Ferrand von allen möglichen Leuten bestürmt wie die Postkutsche bei John Ford von den Apachen.

Bevor er sich auf den Weg macht sehen wir den Regieassistenten Jean-François und die Maskenbildnerin Odile (Nike Arrighi, das Beinahe-Opfer der Satanisten in Terence Fishers The Devil Rides Out), die ein Zofenkostüm anprobieren soll. Truffaut fasst in einem Bild zusammen, was den Film und den Film im Film charakterisiert. Es gibt Mitwirkende, die in einem Moment vor der Kamera agieren und im nächsten Moment dahinter. Odile schminkt zuerst Séverine (Valentina Cortese als Pamelas Schwiegermutter) und tritt dann in einer Film-im-Film-Szene als ihre Zofe auf.

Jean-François Stévenin, später als Schauspieler und Regisseur erfolgreich, arbeitete als Assistent Truffauts, wenn er nicht gerade als Regieassistent von Ferrand vor der Kamera stand. In diesem Spiegelkabinett kann man noch mehr Figuren identifizieren. Truffaut als Ferrand, Pierre Zucca als den Standphotographen im Film und im echten Leben. Yann Dedet, in der Rolle als Cutter mit dabei, begann schon während der Dreharbeiten mit dem Schnitt, weil das auch in der Wirklichkeit sein Beruf war. Unterstützt wurde er von Martine Barraqué, die in La nuit américaine die Cutterassistentin spielt.

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