Jacqueline Bisset und das Ende einer Männerfreundschaft
Seite 5: Zwischen Lebensfreude und Suizid
- Jacqueline Bisset und das Ende einer Männerfreundschaft
- Der Preis des Filmemachens
- Orientierungsstörung bei der Métro
- Film als Tagebuch
- Zwischen Lebensfreude und Suizid
- Altstar sucht Dialog
- Wie ein Zug in der Nacht
- Kartoffelsalat und Antisemitismus
- Ein Regisseur, der nicht bumst
- Auf einer Seite lesen
Auf der Klappe von Je vous présente Paméla ist als Name des Kameramanns "W. William" angegeben. Dahinter verbergen sich die zwei Schmerzensmänner des Films: Pierre-William Glenn und sein Assistent, der in La nuit américaine zum Chef beförderte Walter Bal. Nach ein paar Wochen Drehzeit hatte Glenn einen Unfall mit dem Motorrad. Walter Bal saß auf dem Sozius und brach sich den Arm. Wenn man das weiß und genau hinschaut fällt einem auf, dass in manchen Einstellungen etwas verborgen wird: der Arm, den Bal in einer Schlinge tragen musste. Gefilmt wurde das von Glenn, der beim Unfall über den Asphalt gerutscht war und sich Prellungen und Hautabschürfungen zugezogen hatte, die höllisch wehtaten.
Da Truffaut literarische Anspielungen genauso mochte wie Godard kann man bei "W. William" an "William Wilson" denken, die Doppelgängergeschichte von Edgar Allen Poe, wobei die Doppelfunktionen auch eine wirtschaftliche Ursache haben. Das Geld ist knapp. Das merkt man, wenn der Aufnahmeleiter dem Regisseur zwei Cabrios zeigt, die für Pamelas Autounfall in Frage kämen: ein rotes und ein weißes. Ferrand hätte gern das weiße, aber blau umgespritzt. Das würde 2000 Francs kosten, meint der Aufnahmeleiter. Zu teuer für einen Film, in dem die Maskenbildnerin die Zofe spielen muss, um eine Gage einzusparen.
Zwischen Lebensfreude und Suizid (21 Bilder)
Pamela alias Jacqueline Bisset (die 200.000 Francs und eine Gewinnbeteiligung akzeptierte, weil ihre übliche Hollywoodgage das Budget gesprengt hätte) wird schließlich im Auto des Regieassistenten Jean-François sterben. Das ist schon blau. Nebenbei: Wer wie ich glaubt, dass das rote Cabrio das Pendant zum roten Alfa in Le mépris ist darf sich bestätigt fühlen. Zuerst umrundet es den Platz bei der Métro, bei einer Wiederholung der Kranfahrt weist Jean-François ausdrücklich auf das rote Auto hin (durch das Megaphon), und der Aufnahmeleiter scheint es Ferrand vor allem aus dem Grund zu zeigen, damit dieser daran vorbeigehen und man es zum dritten Mal ins Bild rücken kann.
Ein Regisseur, kommentiert Ferrand im Off, sei jemand, dem man unaufhörlich Fragen stellt, Fragen über alles Mögliche. Manchmal wisse er die Antwort, manchmal nicht. Das Hörgerät in seinem Ohr lässt sich so interpretieren, dass man es abstellen kann und er dann seine Ruhe hat. Eine biographische Deutung gibt es auch. Alphonse berichtet, dass Ferrand auf einem Ohr schlecht hört, seit es bei einem Manöver in seiner Militärzeit einem lauten Knall ausgesetzt war - ganz wie bei Truffaut. Zwischen Film und Realität ist nicht immer klar zu trennen.
Nach dem Aufnahmeleiter kommt der Ausstatter auf Ferrand zu. Er hat Fragen zum Bungalow, in dem Pamela und Alexandre eine Liebesnacht verbringen. Ferrand will gleich mal hingehen, weil er denkt, dass der Bungalow schon gebaut ist; dabei gibt es erst die Entwürfe. Auch der Regisseur weiß nicht alles. Nach Bertrand kommt schon Odile mit einer Perücke und will wissen, ob sie zu hell ist. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich des Kameramanns. Also schickt Ferrand die Maskenbildnerin zu Joëlle, die mit ihr zu Walter gehen soll. Truffaut zeigt das Filmemachen als eine kollektive Anstrengung, nicht als die Einzelleistung eines Genies.
Der Gang über das Gelände beginnt - Achtung: Ironie! - mit dem Aufnahmeleiter Lajoie (die Freude) und endet mit dem Requisiteur Bernard (Bernard Menez), der Ferrand bittet, aus fünf Pistolen eine auszuwählen. Das Filmemachen kann die pure Lebensfreude sein oder den Regisseur an den Rand des Wahnsinns treiben, wo er sich am liebsten erschießen würde. Zum Glück ist die Pistole für eine Szene mit Alphonse gedacht. Weil Jean-Pierre Léaud relativ kleine Hände hat wählt Ferrand die mittlere. Auf der Leinwand soll sie weder grotesk groß aussehen noch klein wie ein Spielzeug.
Mann mit Hut
Ferrands Gang über das Ateliergelände ist ein Bravourstück. Vom Moment, in dem Ferrand zwischen den Kulissen auftaucht bis zur Auswahl der Pistole vergehen fast drei Minuten. Ich habe vier Schnitte gezählt. Damals gab es noch keine Steadycams. Pierre-William Glenn ist bis heute stolz darauf, wie es ihm gelang, Ferrand mit der sehr sperrigen Kamera zu folgen. Noch schwieriger wurde das dadurch, dass simultan die Dialoge aufgenommen werden mussten, weil Truffaut mit Direktton arbeitete. Er und Glenn nützten dabei technische Entwicklungen, die erst Anfang der 1970er verfügbar wurden.
Der Original- oder Direktton und die Nouvelle Vague, das ist ein heikles Thema. Die Lieblingskamera der Neuen Welle, die Caméflex der Firma Èclair, war nicht schalldicht isoliert, also laut. Darum musste öfter nachsynchronisiert werden, was nicht alle zugeben wollten, weil der Direktton zu einem der Markenzeichen der Nouvelle Vague stilisiert worden war. Der erste Film der Neuen Welle, der komplett mit Originalton gedreht (und prompt als "unrealistisch" kritisiert) wurde, dürfte Godards Une femme est une femme von 1961 gewesen sein.
Mann mit Hut (22 Bilder)
Die Silver-Cine-Szene in Le mépris ist also keine Heuchelei. Erst nachdem er selbst gelernt hatte, mit Direktton zu arbeiten, machte sich Godard über den Hang der Italiener zur Nachsynchronisation lustig. Truffaut knüpft daran an. Séverine kann sich an nichts erinnern, weder an ihre Vergangenheit (eine stürmisch endende Liaison mit Alexandre) noch an ihren Text. Außerdem kippt sie gerne einen. Das macht es nicht leichter. Truffaut kann so wieder zeigen, mit welchen Problemen man sich als Regisseur herumzuschlagen hat. Vorher aber muss Ferrand noch mit einem kleinen Herrn mit Hut sprechen.
Der Herr stellt ihm zwei Schwestern aus Deutschland vor, Greta und Diana. Die eine hat einen politischen Film gedreht, die andere einen erotischen. "Warum machen Sie keinen erotischen Film?", will der Herr wissen. Oder einen über Umweltverschmutzung? Er habe ihm da ein Drehbuch mitgebracht, sagt der Herr. Ferrand verfolgt das bis in seine Träume, in denen er den Mann mit Hut immer noch fragen hört: "Warum machen Sie keine politischen Filme? Warum machen Sie keine erotischen Filme?" Hier beginnt man zu verstehen, warum Godard so allergisch auf Die amerikanische Nacht reagierte.
Der von Godard geforderte politische Film wird uns als Modeerscheinung vorgestellt und als die Schwester des Schulmädchen-Reports, verkörpert durch zwei Walküren aus Deutschland. Auch der nette Herr Truffaut wusste, wie man Wirkungstreffer landet. Godard, nehme ich an, konnte gar nicht anders, als das auf sich zu beziehen. Der Mann mit Hut ist Ernest Menzer. In deutschen Softpornos wurde er gern als der komische Alte besetzt. Doch die Rolle bei Truffaut verdankte er seinen Auftritten bei Godard. In Une femme est une femme strippt Anna Karina in seiner Bar.
Menzer ist der Onkel des in Anna Karina verliebten Claude Brasseur in Bande à part und, als "Edgar Typhus", ein Informant von Anna Karina in Made in U.S.A. In Weekend, Godards Version der Apokalypse, bekocht er - inzwischen ohne Anna Karina - die Guerrilla-Kannibalen; und in Vladimir et Rosa kritzelt er als Richter "Julius Himmler" auf Playmate-Photos herum, statt sich auf den Prozess gegen die Chicago Eight zu konzentrieren. Vielleicht kam Truffaut auf die Idee, Menzer als den Mann mit Hut zu besetzen, weil er in Made in U.S.A. der Onkel von "David Goodis" ist. Die Nouvelle Vague hatte ein Faible für kodierte Botschaften dieser Art.
La nuit américaine ist die Antwort auf Le mépris und ebenso auf Tout va bien, den Godard 1972 zusammen mit seinem Maoismus-Guru Jean-Pierre Gorin gedreht hatte. Eine amerikanische Reporterin (Jane Fonda) und ihr Gatte (Yves Montand), der sexistische Werbespots inszeniert, weil man von etwas leben muss, besuchen eine Wurstfabrik und werden von den Arbeitern als Geiseln genommen, als ein wilder Streik ausbricht. In einem in die Kamera gesprochenen Monolog berichtet Montand von seiner Karriere. Zuerst habe er Drehbücher für die Nouvelle Vague geschrieben, sagt er, dann sei er Regisseur geworden.
Auf Kunstfilme habe er keine Lust mehr, seit man ihm angeboten habe, einen Roman von David Goodis zu verfilmen. Das zielt auf Tirez sur le pianiste ab und revidiert die Truffaut-Hommage in Eine Frau ist eine Frau. In Made in U.S.A. hatte Anna Karina den Onkel von "David Goodis" mit einem (natürlich blauen) Schuh erschlagen und aus dem Off erklärt, dass damit ein politischer Film beginne (Léaud mischt als "Donald Siegel" mit). Ein Jahr nach Tout va bien schoss Truffaut zurück, indem er den Onkel als einen Produzenten wiederbelebte, der Geld mit politischen Filmen macht, weil das gerade in Mode ist.
Verteidigung der Meinungsfreiheit
Wenn man mehrere Truffaut-Filme gesehen hat merkt man irgendwann, dass es an der gefälligen Oberfläche kleine Irritationen gibt, Abweichungen vom Erwarteten, die davon zeugen, dass der Schöpfer von Filmen wie Geraubte Küsse oder La nuit américaine und der Aktivist, der an der Seite von Godard für Henri Langlois kämpfte und den Abbruch des Festivals von Cannes erzwang, doch ein und dieselbe Person sind, obwohl es auf den ersten Blick so scheinen mag, als habe der eine mit dem anderen nichts zu tun. Eine gewisse Aufmerksamkeit kann nicht schaden, weil Truffaut so diskret ist.
Kaum von seinem Assistenten unter einem Vorwand von dem Mann mit Hut und den Walküren losgeeist, soll Ferrand schon den nächsten Besucher begrüßen, den Bertrand angeschleppt hat. Jean-François klärt ihn auf, dass das der Polizist ist, dem sie die Drehgenehmigungen in Nizza und Umgebung verdanken. Bertrand habe ihn eingeladen, bei den Dreharbeiten zuzuschauen. "Beim Drehen zusehen", sagt Ferrand. "Ich schaue ihm doch auch nicht dabei zu, wenn er arbeitet und Leute verhört." Dabei deutet er das Zuschlagen mit einem Knüppel an. Das ist jetzt doch irgendwie politisch.
Verteidigung der Meinungsfreiheit (7 Bilder)
Gemeint sind die Bemühungen von General de Gaulle und seinem Nachfolger Georges Pompidou, schon im Entstehungsprozess Einfluss auf Filme zu nehmen, also quasi die Dreharbeiten zu überwachen, um ein Zensurieren des fertigen Produkts überflüssig zu machen. Truffaut ging das gegen den Strich. Trotz seiner Bekenntnisse zum unpolitischen Künstlertum war er immer zur Stelle, wenn es galt, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Seine Aktivitäten außerhalb der Kinos und Ateliers liefern den Schlüssel, der einem einen anderen Zugang zu seinen Filmen öffnet.
Im Mai 1969 knöpfte sich die konservative Regierung Éric Losfeld vor, den Chef eines der wunderbarsten französischen Verlage, Le Terrain Vague. Losfeld verlegte so ziemlich alles, was erst noch in den kulturellen Kanon integriert werden musste und für ein erschrockenes Bürgertum den Untergang des Abendlandes ankündigte, von einem der ersten Bücher über Fritz Lang über eine Studie zum Marquis de Sade bis zu erotischen Comics für Erwachsene wie Pravda, Barbarella und Saga de Xam. Für den Justizminister war das Schweinkram, den man verbieten musste. Das scheiterte am lautstarken Protest von Truffaut und anderen bekannten Persönlichkeiten.
Erfolgreicher war das Innenministerium mit dem Verbot von La cause du peuple, dem wichtigsten Sprachrohr einer aus dem Mai 1968 hervorgegangenen linken Bewegung. Das Blatt erschien danach im Untergrund. Aus Protest übernahm Jean-Paul Sartre die Herausgeberschaft und zog an einem Samstagabend (am 20. Juni 1970, dem Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler) mit Simone de Beauvoir, Truffaut und weiteren Mitstreitern los, um das Blatt auf den Pariser Boulevards zu verkaufen. Festgenommen wurde niemand, aber es gab ein gerichtliches Nachspiel.
Truffaut sagte aus, es sei ihm darum gegangen, seine Anschauung als Regisseur mit seiner Anschauung als französischer Bürger in Einklang zu bringen. Der Inhalt der Zeitung interessierte ihn dabei weniger als die Meinungsfreiheit. Die Strategie des Innenministers Raymond Marcellin, linke Organisationen auszuschalten, indem er ihre Presseorgane vor Gericht zerrte und in ruinöse Prozesse verstrickte, war ihm zuwider. Zugleich graute es ihm "vor Leuten, die ihrem politischen Engagement eigenhändig ein Denkmal setzten", wie sich seine Freundin Marie-France Pisier erinnert (und die Freundin von Antoine Doinel in Antoine et Colette).
Vielleicht hielt er sich deshalb in seinen Filmen so zurück. Der Polizist aus Nizza heißt übrigens Giacometti. Ob das ein Verwandter des mit Sartre befreundeten Bildhauers Alberto Giacometti ist, der kurz vor dem Einmarsch der Nazis in Paris seine Skulpturen in seinem Atelier vergrub, ehe er sich an den Genfer See absetzte, wo der Vater von Godard eine Privatklinik betrieb? Bei der anspielungsverrückten Neuen Welle muss man mit allem rechnen. Ein Zufall ist der Name vermutlich nicht.
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