Katalanische Politiker sind seit dem "28. April illegal inhaftiert"
Spanische Unionisten sind auch am Verfassungsgericht damit gescheitert, katalanische Exilkandidaten wie Carles Puigdemont von Europawahlen auszuschließen, die Rechtsbeugung geht derweil weiter
Es ist bekannt, dass der spanische Oppositionsführer Pablo Casado unter fragwürdigsten Umständen an seine Jura-Abschlüsse gekommen ist. Er und seine ultrakonservative Volkspartei (PP) haben sich nun erneut mit den Verbündeten der rechten Ciudadanos (Bürger) lächerlich gemacht, die sich stets als "constitutionalistas" (Verfassungstreue) bezeichnen. Sie sind auch dem Spott hochrangiger Juristen ausgesetzt, weil sie die Verfassung entweder nicht kennen oder sie ihnen schlicht egal ist.
Wie Telepolis berichtet hatte, war der Versuch illegal, den ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont und andere Exilierte über den spanischen Wahlrat (JEC) von den Europaparlamentswahlen auszuschließen. Auch Staatsanwaltschaft, Oberster Gerichtshof und das zuständige Verwaltungsgericht sahen das letztlich so. Sie haben entschieden, dass es für die JEC-Entscheidung keinerlei Rechtsgrundlage gab. Das Vorgehen des JEC kann nur als Rechtsbeugung gewertet werden, da auch Richtern, die für den Ausschluss im Wahlrat gestimmt hatten, sehr genau wussten, dass ihre Entscheidung von den Gesetzen nicht gedeckt war. Passiert ist allerdings nichts.
PP-Chef Casado und der Ciudadanos-Chef Albert Rivera hatten danach über Verfassungsbeschwerden versucht, die Entscheidung wieder zu kippen, um Puigdemont und seine ehemalige Minister Clara Ponsatí und Toni Comín doch noch von den Wahlen auszuschließen. Es ist bekannt, dass das politisierte Verfassungsgericht von den Richtern beherrscht wird, die der PP nahe stehen. Immer wieder wurden dort Entscheidungen getroffen, mit denen geltendes Recht gebeugt oder umgangen wurde, um politische Entscheidungen umzusetzen. So wurde mit Hilfe von Tricks verhindert, dass Puigdemont wieder katalanischer Regierungschef werden konnte.
Doch der Versuch über die Verfassungsbeschwerde scheiterte fatal. Zum einen hat sich in Spanien längst der politische Rahmen geändert, es regieren nun die Sozialdemokraten, zudem waren die Beschwerden schlicht absurd. Sie mussten deshalb am Donnerstag ohne jede Analyse vom Verfassungsgericht abgelehnt werden. Der renommierte andalusische Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo hatte sie zuvor eine "Eselei" genannt. Der andalusische Professor meinte, hätte der PP-Chef Casado während seiner Ausbildung "nicht geschummelt", wüsste er, dass man zunächst die Lage analysieren sollte.
Der PP-Chef habe "instinktiv" eher wie ein Tier, statt mit dem "Verstand" eines Menschen gehandelt. "War schon der Antrag beim JEC ein Fehler, da ihm jede plausible juristische Basis fehlte", sei die Verfassungsbeschwerde "viel mehr als ein Fehler". Die Verfassungsbeschwerde könnten nur die Katalanen stellen können, wenn die Gerichte sie von den Wahlen ausgeschlossen hätten.
Die gewählten Katalanier genießen parlamentarische Immunität
Mit der Rechtsbeugung, mit der die Katalanen ständig konfrontiert sind, ist deshalb aber nicht Schluss, nur weil das Verfassungsgericht oder das Verwaltungsgericht nun geltende Gesetze beachtet haben. In einem weiteren Artikel weist der Verfassungsrechtler Royo darauf hin, dass die Kandidaten, die bei den vergangenen Parlamentswahlen in den spanischen Senat oder Kongress gewählt wurden, seit dem Zeitpunkt ihrer Wahl "am 28. April illegal inhaftiert sind".
Der Chef der Republikanischen Linken (ERC) Oriol Junqueras, dessen Partei die Wahlen in Katalonien gewonnen hat, sowie Jordi Sànchez, Jordi Turull, Josep Rull und Raül Romeva genießen vom "Augenblick" ihrer Wahl an eine "parlamentarische Immunität". Deshalb können sie "nicht angeklagt" werden oder "über sie kann ohne Zustimmung der zuständigen Parlamentskammer nicht verhandelt werden", zitiert der Verfassungsrechtler Artikel 71 der spanischen Verfassung. Es gibt davon keinerlei Ausnahme, fügt er an. Der amtierende Parlamentspräsident müsste nach den Gesetzen "sofort die notwendigen Maßnahmen ergreifen", um die Rechte des gewählten Vertreter zu sichern und mögliche "Behinderung der Ausübung ihres Mandats" zu verhindern.
Auch dem Obersten Gerichtshof ist dies bekannt, er hätte sofort handeln müssen. Doch obwohl die Verteidiger entsprechende Anträge schon am Mittwoch gestellt haben, ist bisher nichts passiert. Der "verrückte Prozess" wegen angeblicher Rebellion und Aufruhr, dem ebenfalls "jede juristische Basis" fehlt, wie neben Gerichten in Deutschland, Belgien, Schottland und der Schweiz auch viele hochrangige spanische Juristen feststellen, wurde weder unterbrochen, noch die Freilassung der Politiker angeordnet. Dabei genießen fünf Politiker nun unzweifelhaft Immunität. Das ist eine neue gravierende Rechtsbeugung. Es wurde diese Woche munter weiter verhandelt, gegen klare Vorgaben der spanischen Verfassung, womit der Charakter eines Schauprozesses verstärkt wird, den dieses Verfahren auch nach Ansicht von Juristen hat.
Die Verfassung wird von den "Verfassungstreuen" und vom Obersten Gerichtshof, der sie schützen sollte, ignoriert. Es ist klar, dass der Prozess lange Zeit ausgesetzt werden müsste. Er könnte nun sogar platzen, und das will man offensichtlich mit allen Mitteln verhindern. Eigentlich müssten sich beiden Kammern des Parlaments nach den Wahlen erst wieder konstituieren, um dann eine Entscheidung darüber zu treffen, ob den gewählten Parlamentariern die Immunität entzogen wird. Am Rande sei angefügt: Nach spanischen Gesetzen soll Untersuchungshaft die absolute Ausnahme sein. Während verurteilte Vergewaltiger oder ein ehemaliger Polizist nach einem Mordanschlagsversuch von dieser Regelung profitieren und bis zu einem rechtskräftigen Urteil auf freiem Fuß sind, sitzen gewählte friedliche katalanische Politiker und Aktivisten seit eineinhalb Jahren hinter Gittern.
Puigdemont würde Immunität erhalten, wenn er ins EU-Parlament gewählt wird
Hinter dem Hick-Hack um die Immunität steht auch das spanische Problem, dass Verfassungsrechtler Royo ebenfalls benennt. Auch Puigdemont genießt sofort Immunität, wird er am 26. Mai gewählt. Daran besteht kaum ein Zweifel. Er kann dann nach Spanien zurückkehren, um seine Urkunde als Parlamentarier abzuholen. Spanien könnte ihn zwar verhaften, würde damit auch noch die Parlamentsautonomie des Europaparlaments aushebeln, das über die Immunität zu entscheiden hat. Eine Inhaftierung Puigdemonts würde die Internationalisierung des Konflikts massiv vorantreiben und Spanien weiter diskreditieren.
Nicht nur mit der Missachtung der Immunität von gewählten Parlamentariern setzt Spanien eine große Axt an demokratischen Grundpfeilern an. Und erneut tritt der Wahlrat als Zensurrat auf. Dabei hätte der nach seiner versuchten Rechtsbeugung sofort aufgelöst und die Mehrheit der Richter angeklagt werden müssen. Der diskreditierte JEC behindert nun aber Kandidaten für die Europaparlaments- und Kommunalwahlen am 26. April. Ihnen wurde verboten, in irgendeiner Form am Wahlkampfbeginn am heutigen Freitag teilzunehmen. Auch bei den Parlamentswahlen waren inhaftierte Kandidaten weitgehend ausgeschlossen und behindert worden. Erst nach massivem internationalem Druck wurde zaghaft eingelenkt. Wenige Male durften Kandidaten danach eine "Pressekonferenz" per Videoschaltung geben oder wurden aus dem Gefängnis zu einigen wenigen Wahlkampfauftritten zugeschaltet. (https://www.heise.de/tp/features/Wahlkampf-hinter-spanischen-Gitterstaeben-4404240.html) Die Behinderung ist nun noch offensichtlicher, da Kandidaten wie Junqueras nun sogar parlamentarische Immunität genießen.
Eine Europäische Bürgerinitiative zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 gegen Spanien, weil die Werte in Artikel 2 des EU-Vertrags schwerwiegend verletzt werden, wurde von den Katalanen beantragt. Man darf gespannt sein, ob Brüssel die Initiative überhaupt zulässt. Die EU-Kommission schweigt beharrlich zu den Verletzungen von Grundwerten in Spanien und beteiligt sich nach Ansicht von UNO-Experten an einer "Verschwörung des Schweigens". Sollte sie zugelassen werden, dann wird damit begonnen, eine Million Unterschriften zu sammeln.