Masterplan Energiewende
Mit unkoordinierten Einzelmaßnahmen ist der Klimawandel nicht zu stoppen. Ein grob skizzierter Vorschlag, wie es gehen könnte
Am Montag dieser Woche hat nun auch die Union ihr Bundestagswahlprogramm vorgestellt. Ein klimaneutrales, modernes Industrieland mit sicheren Arbeitsplätzen soll Deutschland werden - und es soll keine Steuererhöhungen geben.
Wie sie das konkret umsetzen und finanzieren wollen, bleibt aber weitgehend ihr Geheimnis. Beim Klimaschutz werden als zentrale Maßnahmen drei Dinge geplant, die sicher nicht funktionieren: CO2-Vermeidung durch den Handel mit europäischen Emissionszertifikaten, die CCS-Technologie zur Speicherung von Kohlendioxid und Wasserstoffwirtschaft. Die weitere Umsetzung des Klimaschutzes bleibt ebenso wie die Finanzierung offen. Fazit: Nichts Konkretes versprechen, aber "Sonnenschein für alle".
Da sind die Grünen ehrlicher. Sie sagen klar, dass Klimaschutz zum Nulltarif nicht zu haben ist und wollen in den nächsten zehn Jahren etwa 500 Milliarden Euro in den Klimaschutz investieren. Das entspricht etwa dem, was für den Umbau der Energiesysteme benötigt wird. Allerdings haben auch die Grünen nur eine lange Liste von teils guten, teils weniger guten Vorschlägen und Maßnahmen und keinen einheitlichen, in sich geschlossenen Gesamtplan. Einen konkreten Plan, wie die Energiewende praktisch umgesetzt werden soll, hat bisher keine Partei vorgelegt, die sich im September zur Wahl stellt.
Eine Diskussionsgrundlage
In meinen Artikel "Die Riesenaufgabe" habe ich einen solchen Plan gefordert. Allerdings steht zu befürchten, dass entweder gar nichts geliefert wird, oder nur unbrauchbares Spielmaterial als Alibi, denn ein brauchbarer Plan verstößt gegen die Interessen vieler mächtiger und gut vernetzter Firmen, Organisationen und Verbände.
Deshalb versuche ich hier, als Diskussionsgrundlage einen solchen Masterplan grob zu skizzieren. Der Plan erhebt keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit und muss auch nicht 1:1 umgesetzt werden. Er soll aber die vor uns liegenden Probleme aufzeigen und Lösungen anbieten. Ob eine Partei diese übernimmt oder aus ihrer Sicht bessere Vorschläge macht, ist Sache der Parteien. Was aber gar nicht geht, ist entweder keine Stellung zu den Problemen beziehen oder einfach ohne eigenen Lösungsvorschlag alles ablehnen.
Ausgangslage: Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 813 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Davon entfielen 280 Millionen Tonnen, also mehr als ein Drittel auf die Energiewirtschaft, 186 Millionen Tonnen auf die Industrie, 118 Millionen Tonnen auf den Gebäudesektor (Heizung und Warmwasser), 150 Millionen Tonnen auf den Verkehr und 70 Millionen Tonnen auf die Landwirtschaft.
Diese Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn das bei der Treibstoffherstellung anfallende CO2 wurde der Industrie und nicht dem Verkehr zugerechnet. Wenn man das korrigiert, sinkt der CO2-Ausstoß der Industrie um 72 Millionen Tonnen, während sich der Verkehrsanteil auf 240 Millionen Tonnen erhöht, davon allein 132 Millionen für den PKW-Verkehr.
2020 wurden 489 Terawattstunden (TWh) Strom in Deutschland erzeugt, davon 242 TWh aus fossilen Brennstoffen. Wenn man noch den Biomasseanteil von 46 TWh hinzurechnet, werden bei der Erzeugung von 288 TWh Strom 280 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.
Lösungsansatz: Einsatz von Ökostrom nach Wirkungsgrad priorisieren
Wir müssen die Erzeugung von Solar- und Windstrom so schnell wie möglich ausbauen und diesen Strom dann vorrangig da einsetzen, wo pro Kilowattstunde (KWh) die größten CO2-Einsparungen zu erzielen sind.Die am schnellsten realisierbaren Einsparpotenziale liegen in der Energiewirtschaft und im Verkehr, da dort fossile Brennstoffe mit einem Wirkungsgrad von unter 40 Prozent genutzt werden (Carnotprozess), sodass man dort mit einer Kilowattstunde Strom 2,5 kWh chemische Energie ersetzen kann. Bei Verwendung von Dieselkraftstoff entspricht das etwa einer Einsparung von 800 Gramm CO2 pro kWh Ökostrom, bei Wärmekraftwerken durchschnittlich ein Kilo CO2/kWh, wobei Kohlekraftwerke schlimmer sind als Gasturbinen.
Im Verkehrsbereich entfallen etwa 60 Prozent der Emissionen auf den Pkw-Verkehr. Das sind ca. 132 Millionen Tonnen CO2. Wir könnten also etwa 400 Millionen Tonnen CO2 einsparen, wenn wir die Stromerzeugung vollständig und den Pkw-Verkehr zu 90 Prozent auf Solar- und Windstrom umstellen. Dazu wird eine regenerative Stromerzeugung von zusätzlich 320 TWh benötigt. Das ist ein Zubau des 1,75-fachen der momentanen deutschen Solar- und Windstromproduktion von insgesamt 183 TWh in 2020.
Vielleicht werden wir für diese Einsparung sogar nur 280 bis 300 TWh benötigen, weil wir sowohl die Pkw-Anzahl als auch deren jährliche Kilometerleistung im Rahmen einer Verkehrswende ohnehin verringern müssen. Aber das liegt sowieso im Toleranzbereich einer derartigen Abschätzung.
Viel wichtiger ist, dass wir mit dem Abschalten der fossilen Kraftwerke das Netz nicht mehr durch sie steuern können. Wir brauchen Regelenergie. Wenn die Kraftwerke als Lieferanten von Regelenergie wegfallen, müssen diese durch Speicher ersetzt werden, die in Zeiten geladen werden, in denen überschüssiger Strom produziert wird, den sie dann bei Bedarf wieder ins Netz einspeisen, damit der aktuelle Verbrauch abgedeckt werden kann und die Netzparameter Frequenz und Spannung eingehalten werden.
Derzeit werden für diese Aufgabe hauptsächlich Pumpspeicherkraftwerke eingesetzt. Allerdings ist deren Speicherkapazität viel zu gering und kaum ausbaufähig. Dazu kommt ein schlechter Wirkungsgrad, verglichen mit Lithium-Ionen-Akkuspeichern.
In Zukunft muss man das gesamte Niederspannungsnetz über derartige Speicher steuern. Dabei sollte man diese dezentral aufbauen und jede Wohnung zunächst mit etwa 7,2 kWh (z.B. drei Hochvoltmodule a 2,4 kWh) ausrüsten.