OSZE-Treffen in Malta: Was das letzte Forum des Westens und Russlands leisten kann

Sergei Lawrow vor der Hafeneinfahrt von Valetta und OSZE-Logo

Bild Valletta, Malta: K - Photo, Bild Sergei Lawrow: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com

Auf Malta treffen sich heute Delegationen aus Russland und dem Westen. Die OSZE ist die letzte europäische Organisation, in der beide Seiten noch vertreten sind. Doch kann sie tatsächlich zur Friedensstiftung beitragen?

Heute geschieht auf Malta etwas inzwischen seltenes: Hochrangige Delegationen aus Russland und dem übrigen Europa treffen sich im Rahmen einer gemeinsamen Organisation – der OSZE. Warum ist Russland dabei und kann sie eine Rolle beim Auftauen der politischen Eiszeit spielen?

Rund um die Russische Invasion der Ukraine endete die Beteiligung Moskaus an mehreren europäischen Organisationen. Im März 2022 wurde Russland die Mitgliedschaft im Europarat entzogen, im Juni des gleichen Jahres entzog die Russische Staatsduma dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Zuständigkeit für das eigene Land.

Fortbestand trotz neuer Feindschaft

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – OSZE – teilte dieses Schicksal nicht. Ihr zentrales Ziel ist die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa. Nahezu alle europäischen Staaten, die USA und Kanada sind in ihr Mitglied.

In der Hinsicht auf Friedenssicherung war sie seit den 2010er Jahren angesichts eines neuen Krieges und wachsender Spannungen nur mäßig erfolgreich. Von 2014 bis 2022 versuchte eine Beobachtermission den stets von beiden Seiten brüchigen Waffenstillstand von Minsk im Donbass zu sichern. Dabei war die Mission kein kompletter Fehlschlag, wie teilweise behauptet wird.

Die Anzahl der bei ständigen Schusswechseln getöteten Zivilisten sank von 2015 bis 2021 von 955 auf 25 pro Jahr, auch durch die Allgegenwart der Beobachter. Die Mission war nicht die einzige ihrer Art zur Entschärfung von Konflikten durch die OSZE.

Auch beispielsweise in den zeitweise kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Georgien und seiner nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Südossetien organisierte die OSZE Verhandlungen und spielte den Vermittler.

Trotz des seitdem entstandenen tiefen Grabens in Europa zwischen Russland und Belarus auf der einen und den übrigen Staaten auf der anderen Seite bestand die OSZE nach 2022 fort und hält nun am 5. und 6. Dezember ihr 31. reguläres Ministertreffen in Malta ab. Hierzu wird auch Russlands Außenminster Lawrow erwartet, der als diensthöchster Diplomat von Reisebeschränkungen ausgenommen ist.

Die Tagesordnung klingt erstaunlich routiniert: Offene Spitzenposten der Vereinigung werden besetzt und der Haushalt beschlossen.

Russische OSZE-Diskussionen

Tatsächlich gab es in Russland schon vor dem Ukrainekrieg Diskussionen über einen Ausstieg aus der Organisation. "Für Moskau unerwünschte Entscheidungen multilateraler Organisationen werden als böswillige Eingriffe feindlicher Kräfte in die nationale Souveränität angesehen" fasste der Wissenschaftliche Leiter des wichtigsten außenpolitischen Thinktanks Russlands, Andrej Kortunow, diese Meinungen in einer Analyse 2021 zusammen.

Kortunow selbst schloss sich dieser Linie nicht an. Der Westen werde unabhängig von der OSZE seine eigene Agenda betreiben. Die OSZE sei eine der wenigen aktiv genutzten Plattformen, wo überhaupt über die Lager hinweg über Sicherheit in Europa gesprochen werde. Dabei könne jede Organisation nur so effektiv sein, "wie es ihre Mitglieder wollen".

Gerade die OSZE könne ein "Inkubator für neue Projekte werden, die in relativ bescheidenem Finanzrahmen politisch konsistent und maximal flexibel beginnen könnten".

Tatsächlich schaffte es die OSZE schon in der Vergangenheit immer wieder Verhandlungen zu initiieren und zur Abkühlung von gefährlichen Konflikten beizutragen, obwohl der Wille einiger ihrer Mitglieder zur Deeskalation begrenzt war.

Kortunow war mit seiner Meinung unter russischen Fachleuten nicht alleine. Sergei Utkin von der Russischen Akademie der Wissenschaften setzte in einem offiziellen Podcast noch kurz vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs 2022 auf einen Ausbau und eine Weiterentwicklung der OSZE mit eigener Satzung und Charta, mit weiter gefassten Zielen im Wirtschafts- und Umweltbereich. Der Westen sei nach seiner Auffassung zu stark fokussiert auf den Ausbau der Nato und der EU.

Warum Russland dabei bleibt

Kurz nach Utkins Gedanken überfiel Russland die Ukraine, die Fronten auf beiden Seiten verhärteten sich, eine politische Eiszeit brach über Europa herein. Dennoch hat die russische Regierung bisher die Mitgliedschaft in der OSZE nicht beendet.

Befragt nach dem Grund weist der österreichische Russlandexperte Alexander Dubowy gegenüber Telepolis darauf hin, dass sich Moskau innerhalb Europas internationalen zusätzlich isolieren würde:

Außerdem könnte ein Austritt aus der OSZE die Beziehungen Moskaus zu seinen Nachbarn, gerade im GUS-Raum erschweren.

Dubowys Berliner Kollege Professor Alexander Libman, Leiter des Osteuropainstituts an der Freien Universität Berlin weist gegenüber Telepolis darauf hin, dass Russland bereits die Arbeit in verschiedenen Institutionen der OSZE reduziert habe.

Es habe aber keinen Bedarf an einem kompletten Ausstieg, die OSZE habe keinen Einfluss auf die aktuelle russische Politik – andererseits habe Russland Einfluss auf die OSZE, in der alle Entscheidungen eine Einigkeit erfordern. "Weiterhin kann Russland behaupten, an friedlichen Lösungen und einem Wiederaufbau der europäischen Sicherheitsarchitektur interessiert zu sein und es seien die westlichen Länder, die hier dagegen sind" ist die Meinung des Berliner Experten.

Russland hat also ganz eigene Interessen an einer weiteren Mitgliedschaft in der OSZE, die nach dem Kriegsausbruch fortbestehen. Das durch die eigene Invasion und die harten Reaktionen des Westens geänderte Klima in der Organisation zeigt sich aber auch vor Ort bei den Treffen der Organisation.

2023, beim letzten turnusgemäßen Gipfel, verließen die Ukraine und die baltischen Staaten während Lawrows Rede den Saal. Dennoch ist das Ministertreffen eine der sehr seltenen Gelegenheiten für einen offiziellen Dialog in einem stark angespannten politischen Umfeld. Das alles im Rahmen einer Organisation, die sich Sicherheit und Entspannung auf die Fahnen geschrieben hat.

Kann die OSZE noch vermitteln?

Hier stellt sich natürlich die Frage, inwiefern die OSZE als Plattform noch eine Rolle spielen könnte, das Töten in der Ukraine etwa durch einen Waffenstillstand zu beenden. Könnte die Organisation hier als Inkubator oder erster, flexibler Schauplatz für Verhandlungen dienen? Immerhin hat sie bereits Erfahrung in der Überwachung einer solchen Vereinbarung und war früher an der Entstehung von Abkommen beteiligt.

Professor Libman kann sich nicht vorstellen, dass die OSZE auf absehbare Zeit eine Überwachungsfunktion etwa in einem kommenden Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine übernimmt. Hierfür bräuchte man eine Organisation, die neutral sei.

Vor der Invasion 2022 sei das schon problematisch gewesen, obwohl man sich Mühe gegeben habe, in Donbasskonflikt ab 2014 nicht zur Konfliktpartei zu werden. Das sei jetzt unmöglich. Die EU-Mitglieder oder die USA würden von Russland als Konfliktteilnehmer wahrgenommen.

Und die OSZE als eine Organisation, zu der auch diese Staaten gehören, wo sie eigentlich die Mehrheit ausmachen, ist deswegen aus russischer Sicht nicht unparteilich und kann deswegen keine Beobachterrolle übernehmen. Sie hat zudem kaum Instrumente, die nötig sind, um solch eine komplexe Rolle überhaupt übernehmen zu können (…) wenn es eine internationale Organisation gibt, die diese Funktion übernehmen kann, dann die UNO

Professor Alexander Libman gegenüber Telepolis

Die UNO unterscheide sich für Libman von der OSZE vor allem durch die Mitgliedschaft der Länder des Globalen Südens, mit dem sich Russland jetzt verbunden fühle. Etwas anders denkt Alexander Dubowy.

Eine Rolle der OSZE ist im Falle eines Waffenstillstands und eines Einfrierens des Konflikts durchaus vorstellbar. Doch sollte diese Rolle nur eine ergänzende sein.

Alexander Dubowy gegenüber Telepolis

Die OSZE sei laut Dubowy vorbelastet, da sie die russische Invasion in der Ukraine 2022 weder vorhersagen noch verhindern konnte, trotz der eigenen Beobachter vor Ort.

Die Schwäche der OSZE

So ist die Position der OSZE im Bezug auf ihr eigentliches Ziel, Frieden und Stabilität in Europa zu schaffen durch Krieg und Instabilität geschwächt. Es sind die Konfliktparteien und die hinter ihnen stehenden Mächte, die einen Waffenstillstand in der Ostukraine schließen müssen.

Selbst bei ihren originären Aufgaben, einen solchen zu überwachen, ist es unsicher, ob die OSZE eine tragende Rolle spielen kann. Hoffnungsvoll gestartet im Kalten Krieg als Instrument der Entspannung wurde diese letzte europäische Organisation, bei der alle am gleichen Tisch für den Frieden sitzen, von der wachsenden Spannung überrollt.

Sergej Utkin meinte in seinen Podcast kurz vor dem Kriegsausbruch, die OSZE sei dazu da "zu verhindern, dass ein Kalter Krieg zu einem heißen Krieg wird".

Dabei ist die OSZE gescheitert und es ist unklar, ob sie sich hiervon erholen und zu einem neuen Quell politischer Entspannung werden kann. Wobei auch bei ihrem ersten Aufstieg die Vorzeichen für eine echte Entspannung zunächst nicht gut standen.