Russland nach dem Terror: Legalisierung der Folter, Rückkehr der Todesstrafe?

Gefängnis in Russland. Bild: Jonas Petrovas, Shutterstock.com

Die Russen stehen nach dem Terroranschlag von 23. März unter Schock. Der IS hat sich zur Tat bekannt. Nun wird es politische Konsequenzen geben.

Am Tag nach dem Terroranschlag nahe Moskau am 23. März dieses Jahres wandte sich Wladimir Putin an die Nation. In seiner Erklärung sprach er den Opfern der Tragödie sein Beileid aus und informierte über elf Gefangene, die in den Terroranschlag verwickelt sein sollen, darunter vier direkte Täter.

Die Angeklagten sollen für den Überfall auf Konzertbesucher in der Nähe von Moskau verantwortlich sein. Bisherige Bilanz: 143 Tote, Hunderte zum Teil Schwerverletzte.

Ukraine-These wird verteidigt

Putin bekundete auch seine Bereitschaft, mit all jenen zusammenzuarbeiten, die bereit sind, Russlands Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu unterstützen.

Gleichzeitig vertrat er die These, dass die Terroristen versucht hätten, auf dem Territorium der Ukraine Zuflucht zu finden. Auch andere Vertreter des russischen Staates verbreiten die Version einer Beteiligung der Ukraine.

"Wir glauben, dass die Aktion von den islamistischen Radikalen selbst vorbereitet wurde, aber westliche Dienste haben dazu beigetragen, und entsprechende Geheimdienste der Ukraine selbst sind direkt darin verwickelt", sagte der Direktor des russischen Geheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow.

FSB bestätigt Warnung aus den USA

Zugleich räumte er ein, dass US-Geheimdienste ihre russischen Kollegen vor dem bevorstehenden Anschlag gewarnt hätten. Die Informationen seien aber allgemeiner Natur gewesen.

Die inzwischen inhaftierten mutmaßlichen Attentäter besaßen jedoch die tadschikische Staatsbürgerschaft, was die Diskussion um eine Verschärfung der Einwanderungsgesetze neu entfachte.

Rassistische Positionen

Michail Scheremet, Mitglied des russischen Parlaments, schlug vor, die Einreise nach Russland für Ausländer während einer "speziellen Militäroperation" zu beschränken. Jeder Ausländer sei "ein Objekt des Interesses westlicher Geheimdienste".

Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Wladislaw Dawankow forderte unterdessen, Migranten schon beim kleinsten Vergehen auszuweisen und ihre Anwesenheit in Russland digital zu kontrollieren.

Widerspruch gegen Ausländerfeindlichkeit

Doch nicht alle russischen Abgeordneten sind mit solchen Vorschlägen einverstanden. Konstantin Satulin zum Beispiel glaubt, dass dies negative Folgen für die russische Gesellschaft haben könnte.

"Gibt es unerwünschte Elemente unter den Migranten, Kriminelle? Ja, die gibt es, und die müssen bestraft werden. Aber heißt das, dass man auf dieser Basis Fremdenfeindlichkeit fördern und mit denjenigen spielen muss, die das alles organisiert haben?", so Satulin, die in der Duma der Regierungspartei Einiges Russland angehört.

Russland: Ausländer als Arbeitskräfte

Hinzu kommt, dass in Russland ein großer Arbeitskräftemangel herrscht. Wenn Migranten abgewiesen werden, wird der Schaden für die russische Wirtschaft "total" sein, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Alexander Safonow der Zeitung Wedomosti.

Konkrete Schritte im Rahmen der Verschärfung der Migrationspolitik wurden bisher nicht unternommen, abgesehen von einer verstärkten Kontrolle der Dokumente von Migranten auf der Straße und am Arbeitsplatz.

Rückkehr der Todesstrafe?

Der Terroranschlag auf das Krokus-Konzert hat in der russischen Gesellschaft heftige Diskussionen ausgelöst - auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Derzeit gilt in Russland ein verfassungsgerichtliches Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe. Dieses Moratorium wurde 1996 verhängt, bis in den Regionen einheitliche Rechtsnormen geschaffen sind. Dies ist inzwischen geschehen. Das Gericht hat jedoch beschlossen, das Moratorium aufrechtzuerhalten.

Moratorium für Todesstrafe wird hinterfragt

Angesichts des verheerenden Anschlags bei Moskau forderten mehrere Abgeordnete jedoch eine Neubewertung der Situation.

Der Sprecher der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, erinnerte daran, dass das Urteil des Verfassungsgerichts mit den internationalen Verpflichtungen Russlands gegenüber dem Europarat zusammenhänge.

Der Europarat und die Todesstrafe

"Wir sind aus dem Europarat ausgetreten, nicht wahr? Genau. Deshalb muss diese Norm diskutiert werden". fügte Wolodin hinzu.

"Heute kann es für diese Drecksäcke" - er meinte die mutmaßlichen Täter - "keine andere Strafe als die Todesstrafe geben", sagte Leonid Sluzky, Vorsitzender der Partei LDPR. Und der Vorsitzende der Partei Gerechtes Russland, Sergej Mironow, forderte ein landesweites Referendum zu diesem Thema.

Die Todesstrafe und die russische Verfassung

Dagegen wandte sich der Rechtsanwalt Sergej Badamschin. Er wies darauf hin, dass die Frage der Todesstrafe die Verabschiedung einer neuen Verfassung erfordere. Zur Überraschung der Öffentlichkeit stimmte ihm Senator Andrej Klischas zu, der für die Verfassungsreform verantwortlich war, die 2020 in einem Referendum angenommen worden war.

Viele Politologen, darunter Ekaterina Schulman, erklären die Tatsache, dass eine solche Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe überhaupt geführt wird, als einen Versuch, von den tatsächlichen Sicherheitsproblemen abzulenken, die durch den Terroranschlag deutlich geworden sind.

Legalisierung von Folter

Eines dieser Probleme ist die Anwendung von Folter gegen Tatverdächtige. Die Anwendung von Folter durch russische Strafverfolgungsbehörden ist in der russischen Gesellschaft kein großes Geheimnis. Doch während die Polizei und die Spezialeinheiten diese Praxis früher verheimlichten, haben sie sie nach der Verhaftung von Terrorverdächtigen offen zur Schau gestellt.

Die an der Verhaftung Beteiligten selbst veröffentlichten Videos, auf denen zu sehen ist, wie einem der mutmaßlichen Täter ein Teil seines Ohres abgeschnitten und er gezwungen wird, es in den Mund zu nehmen und zu verschlucken. Außerdem ist zu sehen, wie einem der Männer ein Stromschlag in die Genitalien versetzt wird, um seine Aussage zu erzwingen.

Der Kreml hat es bisher abgelehnt, sich zu den Aufnahmen zu äußern.