So wappnet sich Deutschlands Jugend gegen bestehende und kommende Krisen

Jugendliche – besorgt und doch optimistisch. Bild: Chay_Tee, Shutterstock

Neue Studie zeigt: Heranwachsende sehen Krisen als Normalzustand. Persönliche Perspektiven im Vordergrund. Vor allem zwei Phänomene beunruhigen sie.

Eine unbeschwerte Kindheit und Jugend – das ist vorbei. Durch mehreren Umfragen war bereits vor der Europawahl deutlich geworden, dass die Heranwachsenden von den Problemen und Umbrüchen unserer Zeit belastet sind.

Bei der Wahl am vergangenen Sonntag hatte dies konkrete politische Konsequenzen. Es gab eine deutliche Abkehr der Erst- und Jungwähler von den Grünen und eine Hinwendung zum konservativen und rechten Lager, das diese Probleme verstärkt adressiert.

Nun bekräftigt eine neue Untersuchung den Trend. Und doch sehen die Forscher auch eine Tendenz hin zu Optimismus in der Jugend. Das zumindest weist auf eine steigende Resilienz hin.

72 Einzeluntersuchungen

Präsentiert wurde die "Sinus-Jugendstudie 2024" heute Vormittag in Berlin von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Untersuchung basiert auf Interviews mit 14- bis 17-Jährigen. Insgesamt wurden im Bundesgebiet 72 Interviews im häuslichen Umfeld geführt, die Studie enthält auch Details des Lebensumfeldes der Kinder, wie sie etwa ihr Zimmer einrichten.

Interviews mit Minderjährigen sind an bestimmte rechtliche Vorgaben gebunden und aufwendiger als übliche Meinungen Erhebungen bei Erwachsenen. Die Studienautoren sprechen daher von "72 qualitativen Fallstudien".

Besorgte Jugend und Rechtsruck

Die zentralen Ergebnisse der Studie zeichnen ein Bild der Jugendlichen in Deutschland, das von Besorgnis und Problembewusstsein geprägt ist. Angesichts globaler Krisen – Kriege, Energieknappheit, Inflation und Klimawandel – zeigen sich die Jugendlichen ernster und besorgter als in früheren Jahren.

Insbesondere die Sorge um Umwelt und Klima hat weiter zugenommen, ebenso die Verunsicherung durch die Migrationsdynamik – diese beiden Phänomene stechen hervor. Die befragten Jugendlichen zeigten sich aber nicht automatisch kritisch gegenüber Migration, sondern sahen auch die daraus resultierende Zunahme von Rassismus und Diskriminierung als Problem an.

Stapelkrisen und Resilienz

Trotz sogenannter Stapelkrisen wie dem Krieg in der Ukraine, Inflation und Klimawandel bleibt die Jugend weitgehend, wenn auch zurückhaltend optimistisch. Sie zeigen sich besorgt, doch gleichzeitig erstaunlich resilient und entwickeln Strategien, um mit den Herausforderungen umzugehen. Sport und Bewegung werden dabei als wichtige Ventile für den Alltagsstress genannt. In der Studie heißt es dazu:

Für die heutigen Teenager sind gesellschaftliche und ökologische Krisen der Normalzustand: Der zunehmend sicht- und spürbare Klimawandel wird als Dauerkrise wahrgenommen, das Corona-Virus verschwindet nicht völlig, und ein großer Krieg in Europa und dessen ökonomische und soziale Folgen haben enorme Auswirkungen auf die politische Weltordnung und nicht zuletzt auf den persönlichen Alltag der Menschen. Auch mit Herausforderungen wie der Bildungskrise, der Wohlstandspolarisierung und der Migration wird die junge Generation umgehen (lernen) müssen. Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass viele Jugendliche für die Herausforderungen unserer Zeit bereits in jungem Alter sensibilisiert sind.

Vielschichtige Lebenswelten und Wertevorstellungen

Die Studie identifiziert sieben verschiedene jugendliche Lebenswelten, die von traditionell-bürgerlichen Wertesystemen bis zu postmodernen Hedonisten reichen. Trotz der Vielschichtigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit innerhalb der jungen Generation bleibt Zweckoptimismus als allgemeine Haltung bestehen.

Persönliche Sorgen überwiegen

Die Sorgen der Jugendlichen sind vorrangig privater Natur und betreffen den Übergang zum Erwachsensein und das nahe soziale Umfeld. Dennoch sind sie sich auch der gesellschaftlichen und ökologischen Krisen bewusst. Ihre Zukunftshoffnungen sind auf ein konventionelles Glück ausgerichtet: Familie, Partnerschaft, Eigenheim und berufliche Sicherheit.

Die Jugendlichen 2024 schätzen Sicherheit und Geborgenheit und orientieren sich an realistischen sowie bodenständigen Vorbildern, meist aus dem familiären Umfeld.

Chancenungleichheit als kritisches Thema

Strukturelle Ungleichheiten, insbesondere in der Bildung und im Sport, werden von den Jugendlichen als unfair und verbesserungswürdig angesehen. Sie erkennen die Verantwortung von Staat und Individuum, wünschen sich jedoch klarere Lösungsansätze.

Politik: Interesse begrenzt und von Ohnmacht geprägt

Obwohl die Jugendlichen ein Bewusstsein für soziale und ökologische Probleme haben, zeigt sich kein substanzielles politisches Interesse. Die Gründe liegen in der gefühlten Einflusslosigkeit und mangelndem Wissen. Die Mehrheit der Jugendlichen sieht den Staat in der Verantwortung, steht aber skeptisch gegenüber der Umsetzung politischer Maßnahmen. Das hat offenbar auch Auswirkungen auf die politische Haltung:

Die Verhältnisse in unserer Gesellschaft hält man pauschal für ungerecht. Gerechtigkeit und Fairness sieht man kaum verwirklicht, und darüber macht man sich große Sorgen. Viele Prekäre sind deshalb anfällig für gängige rechtspopulistische Klischees (zum Beispiel "Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze und die Frauen weg", "unter den Muslimen finden sich viele Terroristen"). Bei den Jugendlichen dieser Lebenswelt ohne Migrationshintergrund sind die Ressentiments gegenüber Ausländer*innen mit am stärksten ausgeprägt.

Soziale Medien dominieren Information und Kommunikation

Soziale Medien sind für Jugendliche das zentrale Informations- und Kommunikationsmittel. Trotz der Vorteile sind sich viele der negativen Folgen bewusst, so die Studie, in der es heißt:

Soziale Medien werden von den befragten Jugendlichen extensiv und intensiv genutzt, insbesondere TikTok, Instagram und YouTube. Ein Leben ohne Social Media ist für die meisten nur schwer vorstellbar. Soziale Medien setzt man vor allem zur Unterhaltung (Zeitvertreib), zur Inspiration für Lifestylethemen und zum Socializing (Kommunikation und Vernetzung mit Freund*innen) ein.

Soziale Medien: Fluch und Segen für Jugendliche

Das heißt konkret: Soziale Netzwerke sind aus dem Alltag von Jugendlichen kaum noch wegzudenken. Vor allem die 14- bis 17-Jährigen nutzen sie, um sich über Themen zu informieren, die ihnen wichtig sind, und um Sinn im Leben zu finden.

Diese Generation sieht in Plattformen wie Instagram, TikTok und Co. eine niedrigschwellige Informationsquelle, die auch für religiöse und spirituelle Inhalte genutzt wird. Trotzdem bleibt das Informationsverhalten der befragten Jugendlichen größtenteils passiv, und selten wird eigener Content erstellt.

Information und Unterhaltung Hand in Hand

Die Jugendlichen schätzen an den sozialen Medien vor allem ihre Aktualität, die gute Verständlichkeit und den Unterhaltungswert. Doch die Schattenseiten sind ihnen nicht unbekannt: zweifelhafte Glaubwürdigkeit und die Verbreitung von Fake News.

Die meisten Jugendlichen sind sich der Gefahren von Falschinformationen, Übertreibungen und manipulierten Bildern bewusst und glauben, mithilfe ihres gesunden Menschenverstandes Fake News erkennen zu können. Wenn sie auf Falschinformationen stoßen, neigen sie dazu, diese zu ignorieren, während aktive Nachrecherche eher die Ausnahme ist.

Die Kehrseite der Medaille

Offenbar ist auch die negativen Auswirkungen des Konsums sozialer Medien vielen Jugendlichen bewusst. Sie berichten von einer gewissen Zeitverschwendung, Reizüberflutung, Suchtverhalten und Stress durch den Vergleich mit geschönten Darstellungen im Netz.

Insbesondere der Druck, der durch den Vergleich mit unrealistischen Idealbildern entsteht, kann das Selbstbild und die Psyche der Jugendlichen negativ beeinflussen. Phänomene wie Mobbing und Hasskommentare werden von den Jugendlichen als unvermeidbar in sozialen Medien angesehen.

Selbststeuerung und Mental Health

Viele der befragten Jugendlichen versuchen daher inzwischen, ihre Nutzung sozialer Medien bewusst zu steuern. Maßnahmen wie das Ausschalten des Handys, das Löschen bestimmter Apps und das Besprechen problematischer Aspekte mit nahestehenden Personen werden als Wege genannt, um die eigene Mediennutzung zu kontrollieren.

Zudem wird das Thema "Mental Health" in den sozialen Medien aufmerksam verfolgt. Einerseits wird begrüßt, dass psychische Probleme durch die Vielfalt an Posts enttabuisiert werden. Andererseits fühlen sich viele Jugendliche überfordert, wenn sie ungefiltert mit Problemen anderer konfrontiert werden. Die ungeprüften Ratschläge und Hilfsangebote, die in solchen Medien zu finden sind, können bei mangelndem Fachwissen sogar kontraproduktiv sein.

Die Studie verdeutlicht, dass Jugendliche ein wachsendes Unbehagen gegenüber der Nutzung sozialer Medien empfinden. Bildungsnahe Jugendliche zeigen verstärkt Bemühungen, ihre Nutzung zu begrenzen. Sie reflektieren kritisch über die Auswirkungen der Mediennutzung auf ihre psychische Gesundheit und suchen nach Wegen, um einer Überforderung durch die sozialen Medien entgegenzuwirken.